Diabetes aktuell 2007; 5(3): 100-102
DOI: 10.1055/s-2007-985044
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Neue Strategien braucht die Welt - Management von Typ-2-Diabetes und kardiometabolischem Risiko

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Publikationsdatum:
22. August 2007 (online)

 
Inhaltsübersicht

Die Risikofaktoren, die zum Typ-2-Diabetes führen, sind nicht unter Kontrolle, Adipositas und Fettsucht stellen ein riesiges Problem dar und die weltweite Zunahme des durchschnittlichen Verhältnisses von Taille zu Hüfte (waist-to-hip-ratio), die als aussagefähigerer Risikofaktor gilt als das Körpergewicht per se lässt, weil dieses Fett endokrinologisch aktiv ist, auch die Zahl der Typ-2-Diabetiker ansteigen. Mindestens 90 % der neu diagnostizierten Diabetiker (weltweit wird alle fünf Sekunden eine neue Diagnose "Diabetes" gestellt) haben einen Typ-2-Diabetes und die Mehrzahl gehört der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter an. Dieses düstere Bild einer kommenden Entwicklung malte Prof. David Owens, Diabetologe am Diabetes Research Unit in Penarth, Großbritannien, bei einem von sanofi aventis unterstützten Symposium im Rahmen der Tagung der International Diabetes Federation (IDF) in Kapstadt.

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Was tun, wenn die orale Therapie versagt?

Von rund 189 Millionen im Jahr 2003 auf geschätzte 324 Millionen im Jahr 2025 wird die Zahl der Menschen mit Diabetes steigen, bestätigte Prof. George Dailey, University of California in San Diego, die düstere Prognose. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass die Mehrzahl der "neuen" Diabetiker jüngere Menschen und Menschen in Entwicklungsländern sein werden. Kennzeichnend für die Entwicklung hin zum Typ-2-Diabetes sind ein Anstieg der Blutglukose und ein fortschreitendes Versagen der Funktion der Betazellen - dies führt zum Insulinmangel. Der erhöhte Blutglukosespiegel bringt schon dann ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko mit sich, wenn die Schwelle für die Diagnose Typ-2-Diabetes noch gar nicht erreicht ist.

Vor allem für Hausärzte gibt es aber noch keine klaren Empfehlungen dafür, mit welchen Therapiestrategien dem Problem der Kontrolle des erhöhten Blutzuckers und der Progression des Typ-2-Diabetes wirkungsvoll zu begegnen ist. American Diabetes Association (ADA), European Association for the Study of Diabetes (EASD) und Canadian Diabetes Association (CDA) haben deshalb kürzlich einen gemeinsamen Algorithmus für den Beginn und die Anpassung des Managements der Hyperglykämie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes entwickelt und präsentiert, mit der Empfehlung, die Glukosespiegel so normnah wie möglich einzustellen (Abb. [1]). Die Therapie soll nach diesem Algorithmus nach der Diagnose "Diabetes" üblicherweise mit Metformin begonnen werden, die Gabe von Insulin in adäquater Dosierung ist die effektivste Methode zur Einstellung des Blutzuckerspiegels und zur zuverlässigen Senkung eines erhöhten HBA1C. Die IDF empfiehlt den Beginn einer Insulintherapie, wenn durch Änderungen des Lebensstils und orale Antidiabetika der HBA1C nicht mehr unter 6,5 % gehalten werden kann, die ADA setzt den Punkt auf unter 7 %. Die Verabreichung eines Basalinsulins wurde bei Patienten mit Typ-2-Diabetes in großen klinischen Studien geprüft. So zeigte die INSIGHT-Studie (Implementing New Strategies with Insulin Glargin for Hyperglycemia Therapy), in der früh Insulin glargin gegeben wurde (ein lang wirksames Insulinanalogon mit 24-Stunden-Wirkung) eine bessere HBA1C-Kontrolle als eine optimierte Therapie mit oralen Antidiabetika (≤ 6,5 %, p < 0,05; < 7,0, p = 0,02). Und die LAPTOP-Studie (Lantus® + Amaryl® + metformin vs. premixed insulin in Patients with Type-2 diabetes mellitus after failing Oral treatment Pathways) wies bei Patienten mit durch orale Antidiabetika ungenügend kontrollierten Glukosespiegeln nach, dass die zusätzlich von den Patienten selbst titrierte Gabe von Insulin glargin eine bessere Kontrolle mit weniger hypoglykämischen Episoden und einer geringeren Gewichtszunahme zu Folge hatte, als das Therapieregime mit einem fertig gemischten Insulin.

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Abb. 1 ADA/EASD Konsensus. Algorithmus für ein schrittweises Vorgehen bei Typ-2-Diabetes

Viele der Folgekrankheiten und Komplikationen des Typ-2-Diabetes können nach Dailey durch Interventionen, die eine Kontrolle des erhöhten Blutzuckerspiegels erreichen, signifikant reduziert werden. Deshalb empfiehlt das Konsensus-Papier der ADA und der EASD die Gabe von Insulin als das effektivste Therapieregime bei Patienten, bei denen mit oralen Antidiabetika keine ausreichende Einstellung mehr zu erzielen ist. Und hierbei ermöglichen gleichmäßig anflutende basale Insuline eine frühe und aggressive Dosistitration zur Erreichung der vorgegebenen Ziele ohne erhöhtes Risiko von Hypoglykämien, wobei Dailey auch dabei die Fortführung der Therapie mit Metformin empfiehlt.

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Neue Ziele - kaum erreichbar ohne basales Insulin

Auch Prof. Julio Rosenstock, Direktor des Dallas Diabetes and Endocrine Center in Texas/USA, betonte, dass die Gabe von basalem Insulin wahrscheinlich der wirkungsvollste Therapieansatz ist, wenn die maximal tolerierte Dosis Metformin (MET) plus Lebensstiländerungen das HBA1C nicht unter 7 % halten können - andere Optionen sind die Hinzufügung von Sulfonylharnstoff (SH) oder eines Glitazons (TZD). Egal, ob das basale Insulin nun bereits als zweiter Partner nach Metformin hinzugefügt wird, oder als dritter Partner in einem der anderen möglichen Regime (SH + TZD; SH + MET; MET + TZD) - es ist dies mittlerweile eine akzeptierte Standardtherapie, die eine ganz wesentliche Rolle beim Bestreben spielt, die neu postulierten Ziele zu erreichen.

Wahrscheinlich, so Rosenstock, müssen die Leitlinien bald wieder erweitert werden, um auch die neuen Therapieprinzipien, wie die GLP-1-Analoga und die DPP-4-Inhibitoren, in mögliche Kombinationstherapien mit aufzunehmen. Möglicherweise werden künftige Leitlinien auch im Sinne eines effektiveren und aggressiveren Vorgehens bereits empfehlen, sofort mit einer kombinierten Therapie zu beginnen, um über unterschiedliche Wirkansätze eine lang dauernde Nahe-Normoglykämie zu erreichen und Folgekrankheiten noch wirkungsvoller zu verhindern oder hinauszuzögern. Sollten sich die in den laufenden Studien mit kardiovaskulären Endpunkten (ACCORD, ORIGIN) gewählten HBA1C-Werte < 6,5 % oder sogar unter 6 %, bzw. so nahe am Normalbereich wie ohne hypoglykämische Episoden möglich bestätigen, dann erfordern diese nach Rosenstock bei den meisten Therapieregimen die Hinzufügung eines basalen Insulins.

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1 x basal und 1 x prandial

Die in den letzten Jahren veröffentlichten Studien haben durchgängig gezeigt, dass mit dem lang wirksamen basalen Insulin glargin das HBA1C rasch auf einen Wert um 7 % gesenkt werden kann, wenn die orale Therapie versagt. Der hauptsächliche Nutzen des Einsatzes von Insulin glargin liegt darin, dass es dem Patienten leichter gemacht wird, früher Insulin in seine Therapie mit aufzunehmen und dass die Selbsttitrierung es ermöglicht, auf physiologischere Weise mit nur einer täglichen Injektion fehlendes Insulin ohne die erhöhte Gefahr von Hypoglykämien zu ersetzen und ein HBA1C im Bereich um 7 % zu erreichen. Ist die basale Therapie ausgereizt und das HBA1C dennoch im Bereich über 7 %, kann die Hinzufügung eines prandialen Insulins einen weiteren Fortschritt bringen. Es bietet sich nach Rosenstock die einfache Strategie "1 x basal, 1 x prandial" an - das rasch wirksame prandiale Insulin, verabreicht zu der Mahlzeit, die den höchsten Glukosespiegel hervorruft, kann dann möglicherweise eine weitere Absenkung des HBA1C erzielen. Ist dies nicht der Fall, kann unter Kontrolle des Glukosespiegels auch zu den anderen Mahlzeiten ein rasch wirkendes Insulin hinzugefügt werden. Eine weitere mögliche Option ist künftig, wenn die Therapie mit basalem Insulin glargin plus Metformin und/oder TZD erweitert werden muss, eine inkretinbasierte Therapie mit einem GLP-1-Analogon oder einem DPP-4-Hemmer hinzu zu fügen und so ein Absinken des HBA1C über eine verbesserte postprandiale Blutzuckerkontrolle zu erreichen - diese Therapie ist bislang aber noch experimentell.

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Ideale Partner im Basis-Bolus-Konzept

Als "idealen Partner" für Insulin glargin in einem Basis-Bolus-Regime bezeichnete Dr. Francisco Javier Amudia-Basco, Clinic University Hospital in Valencia, das Insulin glusilin. Die kurz wirksamen Insulinanaloga haben in den ersten Studien ein Absinken der postprandialen Glukosespiegel, eine verringerte Frequenz schwerer hypoglykämischer Episoden und eine verbesserte Lebensqualität bei Patienten mit Typ-1-Diabetes gezeigt. Sie senkten das HBA1C jedoch nur unter kontinuierlicher subkutaner Therapie oder in kombinierten Therapien mit drei bis vier Injektionen eines NPH-Insulins täglich. Die kürzlich in die Therapie eingeführten lang wirksamen Insulinanaloga wie Insulin glargin oder detemir bilden die endogene Insulinproduktion besser nach als NPH-Insulin, und die Kombination der kurz mit den lang wirksamen Insulinanaloga eröffnet nach Ampudia-Blasco neue Perspektiven in der Therapie von Typ-1- und Typ-2-Patienten. In einer deutschen Beobachtungsstudie zeigte die Kombination von Insulin glargin und Insulin glusilin bei Typ-1-Patienten, die mit dem bisherigen Basis-Bolus-Regime nur unzureichend kontrolliert waren, eine anhaltende Reduktion des HBA1C von 8,3 % auf 6,8 %. Diese Strategie kann auch bei ausgewählten Typ-2-Patienten zum Erfolg führen: bei Patienten die mit mehr als zwei Insulininjektionen nicht kontrolliert waren, erzielte ein einfaches Basis-Bolus-Regime mit Insulin glargin und Insulin glusilin eine Reduktion des HBA1C um ca. 1,5 Punkte und zwar unabhängig davon, ob eine feste oder eine an den Kohlenhydratgehalt der Nahrung angepasste Dosis von Insulin glusilin gegeben wurde. Mit beiden Strategien erreichten nach 24 Wochen die meisten Patienten (70 %) ein HBA1C < 7 %.

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Der Diabetiker - ein kardiovaskulärer Risikopatient

Wir wissen heute, dass kardiovaskuläre Komplikationen die häufigsten Todesursachen bei Patienten mit Diabetes sind - das Risiko ist bei ihnen um den Faktor 2 bis 4 erhöht und diese Patienten haben auch nach einem Infarkt eine wesentlich schlechtere Prognose. Es existiert eine verhängnisvolle Ereigniskette: Die Zahl der übergewichtigen Menschen steigt weltweit, Übergewichtige entwickeln häufiger einen Typ-2-Diabetes und dieser wiederum erhöht das kardiale Risiko. Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen erscheinen nach Prof. Anselm Gitt vom Institut für Herzinfarktforschung in Ludwigshafen als zwei Seiten einer Medaille: Viele Patienten mit etablierter kardiovaskulärer Krankheit haben entweder bereits einen Diabetes oder befinden sich im prädiabetischen Stadium und andererseits wird der Diabetes vom koronaren Risiko her als "KHK-Äquivalent" betrachtet. Die innerhalb des "Euro Heart Survey Program" durchgeführte Untersuchung "Diabetes und Herz" wies nach, dass Patienten mit bekannter stabiler oder instabiler KHK häufiger einen pathologischen als einen normalen Glukosestoffwechsel aufwiesen. Der orale Glukosetoleranztest (oGTT) erwies sich hierbei als zuverlässiges diagnostisches Mittel und sollte deshalb bei Patienten mit kardiovaskulären Problemen zum Standarduntersuchungsprogramm gehören, weil die Kenntnis einer Glukosestörung das weitere therapeutische Vorgehen und damit die Prognose dieser Patienten beeinflusst. Als Konsequenz entwickelten die Kardiologen und die Diabetologen gemeinsame evidenzbasierte Leitlinien für Diabetes und für kardiovaskuläre Krankheiten, die im November 2006 veröffentlicht wurden.

Weil es nicht schwer ist vorher zu sagen, dass auch weiterhin eine große Lücke zwischen den Empfehlungen in den Praxisleitlinien und der real ausgeübten klinischen Praxis herrschen wird, wurde ein neues Register geschaffen: SWEETHEART - Risk management in diabetes with acute myocardial infarction. Hier hinein sollen alle künftigen Herzinfarktpatienten aufgenommen werden. Bei den Patienten ohne bekannten Diabetes soll sowohl der Nüchternblutzucker gemessen als auch ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden. Basierend auf den Daten des Euro Heart Survey on Diabetes and the Heart erwartet man daraus 22 % mehr Patienten mit neu diagnostiziertem Diabetes und weitere 36 % mit gestörter Glukosetoleranz. Wie das Register die klinischen Ergebnisse beeinflusst, soll am primären Endpunkt "Todesfälle zwei Jahre nach akutem Herzinfarkt" und den sekundären Endpunkten "nichttödliche Herzinfarkte und nicht tödliche Schlaganfälle nach zwei Jahren, Krankenhausaufenthalte zwei Jahre nach Infarkt sowie HBA1C ein und zwei Jahre nach Infarkt gemessen werden.

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Therapie über das Endocannabinoid-System

Nicht nur die klassischen Risikofaktoren tragen zum erhöhten kardiovaskulären Risiko bei (Rauchen, hohes LDL, Hochdruck, hohe Zuckerwerte), sondern auch relativ neu erkannte, wie die abdominelle Adipositas, die Insulinresistenz, ein niedriges HDL, hohe Triglyzeridspiegel und Entzündungsmarker, betonte Prof. Luc Van Gaal, Chef der Abteilung für Diabetologie, Stoffwechsel und klinische Ernährung am Universitätskrankenhaus in Antwerpen. Ein neuer therapeutischer Ansatz setzt an den mit der intraabdominellen Adipositas verbundenen kardiometabolischen Risikofaktoren an. Es wurde gezeigt, dass die Blockade des Endocannabinoidsystems signifikant den Taillenumfang, das Gewicht, den Glukose- und Fettstoffwechsel beeinflusst. Verstärkt wird dieser therapeutische Ansatz noch durch die Erkenntnis, dass das viszerale Fett eine überschiessende Aktivität des Endocannabinoidsystems bewirkt. Deshalb sind Substanzen, die durch eine Blockade des CB1-Rezeptors dieser Hyperaktivität entgegenwirken, wertvolle Kandidaten für eine Behandlung sowohl der Adipositas als auch der damit verbundenen kardiometabolischen Risikofaktoren. Das dies tatsächlich der Fall ist, zeigen die Daten die RIO-Studienprogramms mit Rimonabant, dem ersten selektiven CB-1-Blocker, die einen positiven Einfluss auf die kardiometabolischen Risikofaktoren bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und/oder Stoffwechselstörungen belegten. Vor allem konnte nachgewiesen werden, dass etwa 50 % der positiven Wirkung von Rimonabant unabhängig vom mit der Therapie verbundenen Gewichtsrückgang sind, also direkt auf die Blockade des CB-1-Rezeptors im peripheren Gewebe zurück geführt werden können. Die jüngst präsentierten Daten der SERENADE-Studie konnten diese Ergebnisse bestätigen.

Günther Buck

Quelle: "The Management of Type 2 Diabetes and Cardiometabolic Risk: New Strategies". Symposium von sanofi aventis im Rahmen des 19. Weltkongresses der International Diabetes Federation (IDF) am 3. Dezember 2006 in Kapstadt

 
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Abb. 1 ADA/EASD Konsensus. Algorithmus für ein schrittweises Vorgehen bei Typ-2-Diabetes