Selen ist ein essentielles Spurenelement und spielt eine wichtige Rolle in zahlreichen
Stoffwechselvorgängen und in der Immunabwehr. Es darf allerdings nicht in hohen Dosen
eingenommen werden, da es bei zu hoher Aufnahme Vergiftungserscheinungen auslöst.
Bei einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung (Selen ist in Fisch, Eigelb,
Nüssen, Fleisch und Leber enthalten) sind Mangelerscheinungen nicht zu befürchten.
Schon seit längerem versuchen Forscher herauszufinden, ob es einen Zusammenhang zwischen
Diabetes einerseits und Selenaufnahme und -speicherung andererseits gibt. Bisherige
Untersuchungen kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Selen wird eine antioxidative
und zellschützende Wirkung zugeschrieben und in Experimenten konnte ein insulinähnlicher
und antidiabetischer Effekt gezeigt werden. Das würde bedeuten, dass Selen möglicherweise
eine protektive Wirkung für die Entwicklung eines Diabetes mellitus haben kann. Von
dieser Annahme gingen auch die Forscher vom Welch-Zentrum für Prävention, Epidemiologie
und Klinische Forschung an der Johns Hopkins Universität in Baltimore aus, als sie
einen Zusammenhang zwischen Selen und Diabetes erneut untersuchten. Sie testeten ihre
Hypothese mit einer Querschnittsanalyse der Umfrage-und Untersuchungsergebnisse von
über 8 876 erwachsenen Teilnehmern des dritten amerikanischen Gesundheits- und Ernährungssurveys
(3rd National Health and Nutrition Examination Survey). Das Ergebnis war überraschend:
Nach Korrektur für Alter, Geschlecht, Rasse und Gewicht (Body Mass Index) hatten Personen
mit Diabetes einen geringfügig höheren Selenspiegel als Personen ohne Diabetes. Diabetes
wurde dabei definiert durch eine Nüchternblutglukose von 126 mg/dl oder darüber, eine
vorausgegangene ärztliche Diagnosestellung oder die Einnahme von oralen Antidiabetika
bzw. die Gabe von Insulin.
Wenn man alle untersuchten Personen je nach den im Blut gemessenen Selenwerten in
fünf Gruppen (Quintilen) einteilt und die Diabeteshäufigkeit vergleicht, ergibt sich
folgendes Bild: In der Quintile mit den höchsten Selenwerten hatten signifikant mehr
Personen Diabetes (erhöht um den Faktor 1,57) als in der Gruppe mit den niedrigsten
Werten. Beim Blick auf die mittleren Quintilen zeigt sich allerdings, dass der Zusammenhang
zwischen Höhe des Selenwertes und Diabeteshäufigkeit nicht geradlinig ist. Es lässt
sich nicht einmal ein bestimmter Trend erkennen. Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung,
dass in einer Bevölkerung mit generell adäquater Selenaufnahme, wie es etwa in den
USA und Deutschland der Fall ist, keinen geradlinigen Zusammenhang zwischen Selenspiegel
und Diabeteshäufigkeit gibt. Obwohl Personen mit Diabetes in dieser Studie einen geringfügig
höheren Selenspiegel hatten, kann man daraus nicht schlie§en, dass ein ursächlicher
Zusammenhang besteht. Erkenntnisse über einen kausalen Zusammenhang kann man nur durch
prospektive Studien gewinnen. Derartige Studien werden bereits durchgeführt, sind
aber noch nicht abgeschlossen und ausgewertet.
Die Autoren ziehen daraus den folgenden Schluss: Da ein Nutzen derzeit nicht bewiesen
ist und Selen in hohen Dosen toxisch wirkt, kann eine zusätzliche Einnahme zur Diabetesprävention
in einer Bevölkerung mit allgemein adäquater Selenaufnahme nicht empfohlen werden.
Ebenso sollten Patienten mit Diabetes zusätzliche Selen-Supplementierung vermeiden,
solange ein wirklicher Nutzen nicht wissenschaftlich belegt ist.
Dr. med. Heinz Nagel/DDG
Quelle: Bleys J, Navas-Acien A, Guallar E. Serum Selenium and Diabetes in U.S. Adults.
Diabetes Care 2007, 30: 829-834