Dialyse aktuell 2007; 11(1): 42-44
DOI: 10.1055/s-2007-983910
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die seltene Lp(a) - Erhöhung hat schlechte Prognose - Große Fallsammlung stärkt Evidenz zur Lipidapherese

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Dr. Katharina Arnheim

Berlin

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. Juni 2007 (online)

Inhaltsübersicht

In der Medizin wird Evidenz heute groß geschrieben - sprich: Der Nutzen therapeutischer Maßnahmen soll in großen Studien belegt sein, um Patienten bestmöglich versorgen zu können. Auch Gesundheitspolitikern und dem gemeinsamen Bundesausschuss dient die evidenzbasierte Medizin (EBM) als Grundlage bei der Entscheidung, welche Therapien zu erstatten sind.

Ein Dilemma sind jedoch sehr seltene Erkrankungen, bei denen die geforderten großen Studien aufgrund der geringen Patientenzahlen nicht machbar sind. Hierzu zählt auch eine schwere erbliche Fettstoffwechselstörung, die durch eine massive Erhöhung von Lipoprotein (a) (Lp(a)) charakterisiert ist und die mit einem stark erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergeht. Die H.E.L.P. (Heparininduzierte extrakorporale LDL-Präzipitation)-Apherese als in schweren Fällen einzig wirksame und lebensrettende Therapieform wird betroffenen Patienten jedoch oft verweigert, da - so die Kassen - die Evidenz fehle.

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Schädlich für Gefäßwand und Gerinnung

Lp(a) gehört zur Klasse der Low-Density-Lipoproteine (LDL). Sein Lipidanteil ähnelt strukturell dem des LDL-Cholesterins. Das dazugehörige Apolipoprotein (a) besitzt eine hohe Strukturhomologie zum Plasminogen. Personen mit pathologischen Lp(a)-Spiegeln > 30 mg/dl haben ein rund vierfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer koronaren Herzkrankheit (KHK) und erleiden vermehrt - oft bereits in jungem Alter - venöse Thromboembolien. Zwar sind die genauen Wirkmechanismen von Lp(a) noch nicht bekannt. Man weiß jedoch, dass es wie LDL-Cholesterin

  • die Akkumulation von Fibrin und Cholesterin in der Gefäßwand begünstigt

  • die Proliferation und Migration glatter Muskelzellen stimuliert

  • zu einer strukturellen Veränderung von Schaumzellen führt

  • die Endothelfunktion verschlechtert

  • gerinnungsfördernd wirkt [Abb. 1].

In den Neunzigerjahren wurde der Zusammenhang zwischen erhöhtem Lp(a) und KHK-Risiko in mehreren epidemiologischen Studien demonstriert. „Ein erhöhtes Lp(a) ist im Risiko vergleichbar einem LDL-Cholesterin >170 mg/dl bzw. einem Gesamt-Cholesterin > 240 mg/dl”, informierte Prof. Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Berlin.

Aufgrund dieser zweifelsfrei gesicherten Korrelation wird ein erhöhtes Lp(a) heute in Leitlinien als Risikofaktor aufgeführt. Im Unterschied zum LDL-Cholesterin gibt es allerdings keine etablierte medikamentöse Therapie; auch Diät und Sport haben keinen positiven Effekt. Mit Nikotinsäure erreicht man dosisabhängig eine Reduktion des Lp(a) von zwölf bis maximal knapp 40 %. Steinhagen-Thiessen wies jedoch darauf hin, dass diese Senkung bei Hochrisikopatienten mit Lp(a)-Werten von 120 mg/dl nicht ausreicht.

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Abb. 1 Wirkmechanismen von Lipoprotein (a)

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Effektive Lp(a)-Senkung durch Lipidapherese

Als einzige effektive Maßnahme für diese wenigen Hochrisikopatienten bezeichnete sie die Lipidapherese, mit der eine eindrucksvolle Senkung von Lp(a) um 50-70 % gelingt ([Tab. 1]). Allerdings fehlen prospektive randomisierte Studien. Die Evidenz für den klinischen Nutzen der Lp(a)-Elimination aus dem Blut besitzt daher nur den Grad III (Expertenmeinung). Die Krankenkassen verweigern betroffenen Patienten deswegen oft die Kostenübernahme der Apherese. Steinhagen-Thiessen bezeichnete diese Haltung als unsinnig, da sich die kardial schwer kranken Patienten ohne diese Maßnahme bereits in jungen Jahren häufigen und kostspieligen Revaskularisierungsmaßnahmen unterziehen müssten.

Diese Ansicht konnte Henry Schlacht, Berlin, als Betroffener aus eigener Erfahrung bestätigen. Er erhielt bereits mit 34 Jahren drei koronare Bypässe. Drei Jahre später wurden eine erneute Revaskularisierung mit zwei Bypässen und bald darauf weitere Interventionen wegen bilateraler Karotisstenosen notwendig. Erst dann fiel bei einer Nachuntersuchung der massiv erhöhte Lp(a)-Wert auf.

Seine Krankenkasse genehmigte zunächst zehn Apherese-Sitzungen, die Behandlung wurde dann jedoch wegen des fehlenden wissenschaftlichen Beweises über den Erfolg der Aphesere abgebrochen. Schlachts Zustand verschlechterte sich in den nächsten Jahren trotz mehrerer Stentimplantationen stark. Erst nach Hinzuziehen der Rechtsanwältin Ulrike Mandelartz, München, die die Apherese in einem Eilverfahren durchsetzen konnte, wird er seit Anfang 2005 regelmäßig behandelt. Seitdem hat sich sein Gesundheitszustand ohne weitere Interventionen deutlich gebessert.

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Tab. 1 Wirkung einer H.E.L.P.-Apherese (Dauer etwa zwei Stunden

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Rechtssprechung zugunsten der Betroffenen

Hoffnung für Betroffene bedeutet ein „sehr lang ersehnter” Beschluss des

1. Senats vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98), berichtete Mandelartz. Der sogenannte „Nikolaus-Beschluss” stellt klar, dass gesetzlich Krankenversicherte auch Anspruch auf Leistungen haben, die nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechen - zumindest dann, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung handelt und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Wie Mandelartz kritisierte, werde diese Entscheidung von Krankenkassen und dem medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) jedoch oft ignoriert, sodass Versicherte nicht umhin kämen, zu klagen. Aufgrund des „Nikolaus-Beschlusses” hat die Rechtsanwältin jedoch mittlerweile bundesweit 30 Eilverfahren zur Apherese gewonnen.

Steinhagen-Thiessen zufolge konnte sie den Lp(a)-Wert bei allen von ihr betreuten Patienten durch die Lipidapherese um rund 60 % senken und so immer auch die Progression der KHK hemmen und die Ereignisrate reduzieren. Mittlerweile wurden in ganz Deutschland die Daten von knapp 150 Patienten mit Lp(a)-Erhöhung detailliert erfasst.

Der Vergleich der mittels Apherese behandelten Patienten mit Betroffenen, denen diese Maßnahme von den Kassen verweigert wurde, macht laut Dr. Franz Heigl, Kempten, den Nutzen der Behandlung in Form der signifikanten Ereignisreduktion deutlich: Die Rate an Herzinfarkten konnte innerhalb von fünf Jahren um 80 %, die von PTCAs (perkutane transluminale koronare Angioplastien) und Stentimplantationen um 92 % und die koronarer Bypassoperationen um 80 % gesenkt werden (Jäger et al., noch nicht publiziert). Steinhagen-Thiessen plädierte für die Aufnahme aller Patienten mit exzessiver Lp(a)-Erhöhung in ein Register, um so Langzeitdaten zu sammeln und die Evidenzlage für die Lipidapherese zu verbreitern.

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Acht von zehn Ereignissen durch Apherese verhindert

Heigl betreut derzeit im medizinischen Versorgungszentrum Kempten insgesamt 41 Patienten im chronischen Lipidapherese-Programm, fünf davon wegen einer schweren isolierten Lp(a)-Erhöhung. Einige von ihnen mussten sich ihr Recht auf die effektive und ausgesprochen nebenwirkungsarme Behandlung mit anwaltlicher Hilfe erst erkämpfen, die übrigen konnten nach intensiven Verhandlungen mit den Kassen in das Aphereseprogramm aufgenommen werden. Im klinischen Alltag des ambulant tätigen Arztes stelle heute die Durchsetzung der Finanzierung medizinischer Leistungen häufig ein größeres Problem dar als die eigentliche medizinische Behandlung, kritisierte Heigl.

Im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten bezweifelte MdB Prof. Karl Lauterbach, Berlin, dass die Wirksamkeit der Lipidapherese bei Patienten mit exzessiver Lp(a)-Erhöhung bereits als belegt gelten könne. Er forderte daher Studien, um den Nutzen dieser Methode abzusichern. Wegen der sehr kleinen Patientenklientel könne es sich dabei anstelle kontrollierter Studien durchaus um qualitativ hochstehende Anwendungsbeobachtungen oder Fallsammlungen handeln, konzedierte der Gesundheitspolitiker.

„Auch bei seltenen Erkrankungen muss man sich um den Nachweis des Benefits einer Therapie kümmern und diesen dokumentieren und publizieren”, bekräftigte Prof. Jürgen Windeler, stellvertretender Geschäftsführer des medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen. Die zur Publikation vorgesehene Datensammlung der

149 deutschen Patienten mit Lp(a)-Erhöhung bezeichnete er als gute Basis, um erneut in die Diskussion über die Berechtigung der Lipidapherese bei diesen Patienten einzusteigen. Auch Lauterbach erwartet, dass der Vorwurf der fehlenden Evidenz entkräftet ist, sofern die Senkung der Ereignisrate tatsächlich so eindrucksvoll ausfällt wie von Heigl beschrieben. Auf Basis dieser Evidenz werde sich der gemeinsame Bundesausschuss für eine Kostenübernahme durch die Kassen aussprechen, so die Einschätzung Windelers.

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Hoffnung für betroffene Patienten

Wie die Geschäftsführerin des gemeinsamen Bundesausschlusses Dr. Dorothea Bronner, Bonn, berichtete, arbeite der Ausschuss derzeit bereits an einer Neubewertung der Lipidapherese und eine zur Publikation angekündigte Studie werde dabei natürlich berücksichtigt. Unter der Voraussetzung, dass deren Ergebnisse tatsächlich positiv ausfallen, könne in etwa einem Jahr eine Neuregelung zugunsten der betroffenen Patienten vorliegen.

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Dr. Katharina Arnheim

Berlin

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Dr. Katharina Arnheim

Berlin

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Abb. 1 Wirkmechanismen von Lipoprotein (a)

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Tab. 1 Wirkung einer H.E.L.P.-Apherese (Dauer etwa zwei Stunden