Rofo 2007; 179(4): 431-434
DOI: 10.1055/s-2007-973950
Mitteilungen der DRG

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Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - Welche Änderungen erwarten die Radiologen?

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05 April 2007 (online)

 
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Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG), welches voraussichtlich in den wesentlichen Teilen zum 01.04.2007 in Kraft treten wird, soll das Gesundheitssystem und damit auch das System der ambulanten und stationären Leistungserbringung neu strukturiert und wettbewerblicher ausgerichtet werden (vgl. Bundestags-Drucksache 16/3100 vom 24.10.2006). Nach dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG), welches zum 01.01.2007 in Kraft getreten ist, wird mit dem GKV-WSG die Tätigkeit der Ärzte in der Niederlassung und im Krankenhaus nach den Vorstellungen des Gesetzgebers in diesem Jahr ein 2. Mal erheblichen Veränderungen unterworfen, wobei einzelne Bereiche erst zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt werden sollen. Wesentliche Schwerpunkte des GKV-WSG in der ärztlichen Leistungserbringung sind insbesondere:

  • mehr Wettbewerb der Leistungserbringer durch größere Vertragsfreiheit für Krankenkassen,

  • neues Vergütungssystem in der ambulanten Versorgung,

  • mehr Wettbewerb, mehr Qualität, mehr Effizienz in der Arzneimittelversorgung,

  • Einbeziehung des stationären Bereichs,

  • Maßnahmen zur Überwindung der Probleme an Schnittstellen.

Auf die ärztliche Tätigkeit wird sich insbesondere die Einräumung größerer Vertragsfreiheiten für die Krankenkassen auswirken. Die ambulante Versorgung soll sich zwar weiterhin auf freiberuflich tätige Haus- und Fachärzte sowie in besonderen Fällen auf die Behandlung am Krankenhaus stützen, im Interesse einer kontinuierlichen Behandlung der Patienten werden die Zusammenarbeit der verschiedenen Arztgruppen und die Zusammenarbeit zwischen ambulantem und stationärem Sektor aber verbessert und die Übergänge erleichtert. Hierzu können die Krankenkassen stärker als bisher Einzelverträge abschließen und besondere Vereinbarungen treffen. Mit Blick auf die damit gewollte Intensivierung des Wettbewerbs innerhalb der GKV will der Gesetzgeber gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass ein adäquater wettbewerbsrechtlicher Rahmen zum Schutz vor Diskriminierung und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen greift, der sowohl den Leistungserbringern als auch den Krankenkassen Schutz vor Diskriminierung und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bietet.

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1. Vertragsärztliches Vergütungssystem

Ein Ziel des GKV-WSG ist die Schaffung eines einfachen und transparenten Vergütungssystems für Vertragsärzte. Das neue Vergütungssystem soll den Vertragsärz-ten, gegenüber dem bisherigen Vergütungssystem von EBM und HVV, mehr Kalkulationssicherheit ermöglichen, indem sie - anders als heute - im Voraus wissen, wie hoch die Vergütung ihrer Leistungen sein wird. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass das von Budgets und schwankenden Punktwerten geprägte Honorarsystem nach §§ 87 ff. SGB V i.d.F. des GKV-WSG zum 01.01.2009 durch eine Euro-Gebührenordnung abgelöst wird.

Zukünftig sind jeweils bis zum 31.10. eines Jahres Punktwerte zu vereinbaren, die zur Vergütung der vertragsärztlichen Leistung im Folgejahr anzuwenden sind. Zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur können Zu- bzw. Abschläge vereinbart werden. Die neue Gebührenordnung soll Pauschal- sowie Einzelvergütungen vorsehen. Allerdings soll es Einzelvergütungen zukünftig nur noch in festgelegten Ausnahmefällen geben.

Ferner sollen für Haus- und Fachärzte in der neuen Euro-Gebührenordnung unterschiedliche Kriterien gelten, die den Unterschieden der haus- und fachärztlichen Versorgung Rechnung tragen. Bei fachärztlichen Leistungen soll nach der Arztgruppe differenziert werden. Darüber hinaus soll es für besonders qualifizierte Leistungen Honorarzuschläge geben.

Das Morbiditätsrisiko wird auf die Krankenkassen übertragen, indem sich die für die vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung stehende Gesamtvergütung zukünftig gem. § 87a Abs. 3 SGB V i.d.F. des GKV-WSG - anders als heute - an der Morbidität der Versicherten orientieren wird. Es soll künftig für zusätzliche Leistungen, die aus einem Anstieg des Behandlungsbedarfs der Versicherten herrühren, von den Krankenkassen zusätzliches Honorar zur Verfügung gestellt werden.

Letztlich soll es eine Ablösung der sektoralen Budgets durch neue Instrumente der Mengensteuerung geben. Die notwendige Kosten- und Mengensteuerung soll durch Anreizmechanismen in der Euro-Gebührenordnung sowie mengen- und praxisbezogene Preisabstaffelungen erfolgen. Abgestaffelte Preise sollen für die Leistungen vergütet werden, die über den Kosten einer arztgruppenspezifischen Standardpraxis liegen.

Zum Abbau von Über- und Unterversorgung sollen künftig finanzielle Anreize gesetzt werden, die zu einer regional ausgewogenen Arztdichte beitragen sollen.

Ursprünglich war in den Eckpunkten zur Gesundheitsreform und in dem Honorarkonzept der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein Vergütungssystem vorgesehen, wonach veranlasserbezogene Vergütungsregelungen im Bereich der methodendefinierten Fächer eingeführt werden sollten. Methodendefinierte Fächer sind überweisungsabhängige Fächer, zu denen nach § 13 Abs. 4 BMV-Ä bzw. § 7 Abs. 4 EKV neben Radiologen und Nuklearmedizinern auch Pathologen und Laborärzte gehören. Bei veranlasserbezogenen Vergütungsregelungen setzt die Steuerung der ärztlichen Leistungsmenge bei den Zuweisern an. Zu diesem Zweck werden bestimmte Grenzwerte festgelegt. Werden diese Grenzwerte durch die Erbringung eigener Leistung oder durch die Veranlassung von Leistungen (zugunsten der methodendefinierten Fächer) überschritten, so geht dies zu Lasten der Vergütung der Zuweiser. Eine solche Vergütungsregelung wäre für Radiologen problematisch, weil sie aufgrund des Überweisungsvorbehalts von der durch die Budgetierung des Überweisers geprägten Entscheidung abhängig wären.

Eine solche veranlasserbezogene Vergütungsregelung für methodendefinierte Fachgebiete ist jedoch durch GKV-WSG nicht eingeführt worden. § 87 Abs. 2c SGB V i.d.F. des GKV-WSG sieht vor, dass der Bewertungsausschuss im Einheitlichen Bewertungsmaßstab auch für die fachärztliche Versorgung arztgruppenspezifisch unter Berücksichtigung der Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen pauschalierte Vergütungsregelungen festlegen soll, und zwar in Form von Grundpauschalen, Zusatzpauschalen und diagnoseabhängigen Fallpauschalen. Dem Bewertungsausschuss wird jedoch die Möglichkeit eröffnet, fachärztliche Leistungen auch als Einzelleistung abzubilden. Dies soll u.a. dann möglich sein, soweit eine Einzelleistung aufgrund von Besonderheiten bei der Veranlassung und der Ausformung der Leistungserbringung erforderlich ist. Unklar ist, unter welchen Voraussetzungen genau eine solche Besonderheit bei der Veranlassung und der Ausführung der Leistungserbringung nach dem Willen des Gesetzgebers gegeben ist. Es wird sich vermutlich um Behandlungsfälle handeln, die ein Behandlungsausmaß erreichen, das sich nicht mehr hinreichend über das Instrument der Pauschalvergütung darstellen lässt. Hier wird man die weitere Ausformung der gesetzlichen Vorgaben durch den Bewertungsausschuss abwarten müssen. Nach §§ 87a Abs. 3 bzw. 87b Abs. 2 SGB V i.d.F. des GKV-WSG können solche Leistungen auch außerhalb der Gesamtvergütung bzw. der Regelleistungsvolumina vergütet werden, und damit außerhalb dieser Budgetgrenzen. Bei entsprechender Umsetzung durch den Bewertungsausschuss würde die ärztliche Leistung also uneingeschränkt bezahlt, sodass das Morbiditätsrisiko bei den Krankenkassen läge.

In § 87 Abs. 2d SGB V i.d.F. des GKV-WSG ist vorgesehen, dass der Bewertungsausschuss für den Fall eines Arztwechsels des Versicherten innerhalb eines Abrech-nungszeitraums Kürzungen für die Pauschalvergütung vorsehen kann. Damit kann der Arzt aufgrund eines im Verantwortungsbereich des Versicherten liegenden Verhaltens Honorarkürzungen unterworfen werden.

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2. Erweiterte Einzelvertragskompetenz und Integrierte Versorgung

Mit dem GKV-WSG wird die Vertragsfreiheit für Krankenkassen weiter ausgeweitet. Künftig können Krankenkassen in erweitertem Umfang mit Ärzten besondere Vereinbarungen treffen, die von der kollektivvertraglichen Versorgung abweichen oder darüber hinausgehen. Die Kassen haben die Möglichkeit, solche Verträge allein oder in Kooperation mit anderen Kassen auszuhandeln. Ärzte können einzeln oder als Gruppe Vertragspartner sein. Vertragspartner können auch Managementgesellschaften sein, wie es im Rahmen der Integrierten Versorgung bereits jetzt möglich ist. Einzelverträge dürfen die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b SGB V), die gesamte ambulante ärztliche Versorgung sowie auch einzelne Bereiche der ambulanten Versorgung (Besondere Versorgungsaufträge, § 73c SGB V) umfassen.

Die in § 73c SGB V vorgesehenen Selektivverträge beziehen sich auf die gesamte ambulante ärztliche Versorgung. Sie sind daher insbesondere für Fachärzte und damit auch für niedergelassene Radiologen interessant, zumal von den im Bundesmantelvertrag vorgesehenen Regelungen für die überweisungsabhängigen Fachgebiete (Überweisungsvorbehalt, Zielauftrag) in diesen Verträgen abgewichen werden kann.

Dabei wird den Krankenkassen - anders als bei der hausarztzentrierten Versorgung nach § 73b SGB V - überlassen, ob und in welchem Umfang sie derartige Verträge abschließen. Gegenstand der Verträge können daher Versorgungsaufträge sein, die sowohl die versichertenbezogene gesamte ambulante ärztliche Versorgung als auch einzelne Bereiche der ambulanten ärztlichen Versorgung umfassen. Welche Vertragsformen im Bereich der ärztlichen Versorgung sinnvoll sind, soll der Wettbewerb entscheiden. Gesetzlich vorgegeben wird lediglich, dass - wie in der hausarztzentrierten Versorgung - die im Kollektivvertragssystem geltenden Qualitätsanforderungen vertraglich nicht unterschritten werden können.

Die teilnehmenden Versicherten unterliegen nach § 73c Abs. 2 SGB V einer Selbstbindung: Der Versicherte verpflichtet sich durch seine freiwillige Selbstbindung, nur die selektivvertraglich verpflichteten Leistungserbringer in Anspruch zu nehmen. Andere ärztliche Leistungserbringer dürfen nur auf Überweisung der vertraglich verpflichteten Leistungserbringer in Anspruch genommen werden. Diese Selbstbindung ist Grundlage für die notwendige Planungssicherheit der Vertragspartner der Selektivverträge sowie für die in Absatz 6 angeordnete Bereinigung der im Kollektivvertragssystem gezahlten Vergütung. Wie bei der hausarztzentrierten Versorgung haben die Krankenkassen das Nähere zur Durchführung der Teilnahme der Versicherten an einer besonderen ambulanten ärztlichen Versorgung in ihren Satzungen zu regeln. Dabei haben sie insbesondere die Bindung an den gewählten ärztlichen Leistungserbringer, Ausnahmen von dem Überweisungsgebot und die Folgen bei Pflichtverstößen der Versicherten zu regeln. Regelungsbedürftig ist damit z.B. der Fall, dass ein Versicherter nicht nur den selektivvertraglich verpflichteten Leistungserbringer, sondern einen anderen ärztlichen Leistungserbringer aufsucht, um sich eine Zweitmeinung einzuholen. Da die Krankenkasse nach Absatz 6 verpflichtet ist, die Gesamtvergütung für den eingeschriebenen Versicherten zu mindern, darf die Inanspruchnahme des weiteren Arztes nicht zu Lasten der Gesamtvergütung erfolgen. Vielmehr hat der Versicherte die Kosten für die Einholung der Zweitmeinung selbst zu tragen.

Vertragspartner der Krankenkassen können nach Absatz 3 - ebenso wie bei der hausarztzentrierten Versorgung - die vertragsärztlichen Leistungserbringer, deren Gemeinschaften und die aus der integrierten Versorgung bereits bekannten Managementgesellschaften sein; dies entspricht im Grundsatz den Anforderungen an die Leistungserbringerseite bei der integrierten Versorgung nach § 140b Abs. 1 SGB V. Anders als bei der hausarztzentrierten und der integrierten Versorgung können Vertragspartner der Verträge nach § 73c allerdings auch die Kassenärztlichen Vereinigungen sein. Die bedarfsgerechte Auswahl der Vertragspartner hat die Krankenkasse auf der Grundlage öffentlich ausgeschriebener, objektiver Auswahlkriterien vorzunehmen. Diese Regelung entspricht den bereits im geltenden Recht an ähnliche Auswahlentscheidungen gestellten Anforderungen, vgl. § 73b Abs. 2 Satz 2, § 73c Abs. 2 Satz 3 (alt), § 127 Abs. 2 Satz 2 SGB V.

Mit dem GKV-WSG wird ferner die Integrierte Versorgung als Instrument zur besseren Verzahnung zwischen den verschiedenen Leistungsbereichen fortgeführt und ausgebaut. So können gemäß § 92b SGB IX i.d.F. des GKV-WSG künftig Leistungen und Leistungserbringer der Pflegeversicherung in die Integrierte Versorgung einbezogen werden. Durch die Verzahnung der beiden Leistungssysteme von Kranken- und Pflegeversicherung soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine Verbesserung der medizinischen und pflegerischen Gesamtverantwortung angestoßen werden. Krankenkassen können auch mit nichtärztlichen Heilberufen Verträge zur Integrierten Versorgung vereinbaren.

Erleichtert werden ferner die Verträge zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern, die - im Rahmen der Integrierten Versorgung - hochspezialisierte Leistungen oder Leistungen zur Behandlung seltener Erkrankungen und von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen nach § 116b SGB V ambulant erbringen können. Die Einzelvertragsoption nach § 116b SGB V wurde in der Vergangenheit kaum genutzt. Krankenhäuser erhalten deshalb die Möglichkeit, im Rahmen von Integrationsverträgen Leistungen nach § 116b Abs. 3 SGB V aufgrund einer Ermächtigung zu erbringen. Diese Möglichkeit besteht unabhängig davon, ob ein Vertragsarzt an der integrierten Versorgung teilnimmt und einen entsprechenden Zulassungsstatus in den Vertrag einbringt. Krankenhäuser werden damit im Rahmen der integrierten Versorgung weiter als bisher für die ambulante Versorgung geöffnet. Um dieses Ziel zu unterstützen sollen 0,5% aus dem Gesamtbudget der Kliniken hierfür bereit gestellt werden, der gleiche Betrag soll nochmals aus Mitteln der Kassen aufgebracht werden.

Es wird in § 140a SGB V nun ferner herausgestellt, dass Verträge zur Integrierten Versorgung insbesondere auf eine bevölkerungsbezogene Flächendeckung der medizinischen Versorgung bezogen sein sollen. Darunter sind Versorgungsmodelle zu verstehen, bei denen in einer größeren Region (z.B. mehrere Stadt- oder Landkreise) die Behandlung einer versorgungsrelevanten Volkskrankheit (z.B. Diabetes, Schlaganfall, Bandscheibenerkrankungen) vernetzt wird oder - auch in kleineren Regionen - die Behandlung des gesamten oder eines Großteils des Krankengeschehens im Rahmen der Integrierten Versorgung erfolgt. Allerdings bleiben auch andere Verträge für sinnvolle Projekte, die keinen Bevölkerungsbezug aufweisen, weiterhin möglich. Mittel der Anschubfinanzierung dürfen allerdings zukünftig grundsätzlich nur für solche breiter angelegten Verträge verwendet werden.

Darüber hinaus darf die Anschubfinanzierung zukünftig grundsätzlich nur für Leistungen der ambulanten oder stationären Versorgung verwendet werden. Die bisherige pauschale Lösung erlaubte auch eine Verwendung der Mittel der Anschubfinanzierung für andere Leistungsbereiche, z.B. für Rehabilitationsmaßnahmen. Dies war zunächst gerechtfertigt, weil es einem unbürokratischen Start in die integrierte Versorgung diente. Nach Ablauf dieser Startphase ist die Lösung nicht mehr sachgerecht, weil sie zu einer Subventionierung anderer Leistungsbereiche durch die Vertragsärzte und die Krankenhäuser führt. Für Altverträge, die vor dem 01.04.2007 abgeschlossen worden sind, bleibt es bei der beschriebene bisherigen pauschalen Regelung. Die beschriebene Beschränkung gilt nicht für besondere Integrationsaufgaben (z.B. Koordinierung von Leistungen, Casemanagement).

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3. Bindung der Krankenkassen an das Wettbewerbs- und Kartellrecht

Es bestand jahrelang Streit über die Frage, ob sich die Rechtsverhältnisse zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern (insbesondere zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und Apotheken) ausschließlich an den §§ 69 ff. SGB V messen lassen müssen und damit nicht den wettbewerbsrechtlichen und kartellrechtlichen Regelungen unterliegen. Es setzte sich schließlich die Rechtsauffassung durch, dass § 69 SGB V die Anwendbarkeit der wettbewerbs- und kartellrechtlichen Regelungen ausschließt (3. Senat des Bundessozialgerichtes, Urteil vom 25.09.2001, Az.: B 3 KR 3/01 R; Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.02.2006, Az.: I ZR 164/03). Nach geltender Rechtslage müssen die Krankenkassen daher insbesondere nicht das Missbrauchs-, Diskriminierungs- und Boykottverbot des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 19-21 GWB) beachten, wenn sie mit Leistungserbringern Verträge schließen. Den Krankenkassen ist es damit - abgesehen von den grundrechtlichen Vorgaben nach Art. 12 GG und Art. 3 GG - nicht verboten, Nachfragemacht auszunutzen, Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen unbillig zu behindern oder Unternehmen ungerechtfertigt zu diskriminieren. Sie unterliegen auch keinem Boykottverbot.

Diese Rechtslage wird nunmehr durch das GKV-WSG geändert. Dies ist angesichts der zunehmenden Aufbrechung unseres Kollektivvertragssystems durch die erweiterten Möglichkeiten der Krankenkassen mit den Ärzten Einzelverträge zu schließen, auch notwendig. Die Notwendigkeit wird auch durch die erweiterten Fusionsmöglichkeiten der Krankenkassen bedingt, wodurch diese noch stärker an Marktmacht gewinnen können. Die Krankenkassen können frei entscheiden, mit wem sie Einzelverträge schließen. Die Interessen des Arztes werden nun nicht mehr durch die Kassenärztliche Vereinigung vertreten, sondern der einzelne Arzt steht den Krankenkassen gegenüber. Die Verhandlungsposition des Arztes ist geschwächt. Zudem hat dieser keinen Rechtsanspruch auf Vertragsschluss. Insofern sind die Leistungserbringer durch die Anwendbarkeit des Wettbewerbs- und Kartellrechts vor unsachlichen Benachteiligungen zu schützen.

In § 69 SGB V i.d.F. des GKV-WSG wird ausdrücklich geregelt, dass die Krankenkassen für den Fall des Abschlusses von Einzelverträgen mit Leistungserbringern an die §§ 19-21 GWB entsprechend gebunden sind. Damit unterliegen die Krankenkassen - obwohl sie nach wie vor nicht als Unternehmen anzusehen sind - dem dargestellten Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Zu den Einzelverträgen gehören zum Beispiel Verträge zur Integrierten Versorgung (§ 140a SGB V) oder auch Rabattverträge (§ 130a Abs. 8 SGB V). So hat das Bundeskartellamt bezüglich des Einkaufskartells der AOK hinsichtlich der Ausschreibung von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V ausgeführt, dass diese Rabattverträge, wenn sie den wettbewerbsrechtlichen Anforderungen genügen müssten, wegen des Missbrauchs von Nachfragemacht rechtswidrig wären.

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4. Ausschreibungsverpflichtung der Krankenkassen bei Einzelverträgen

Mit der Änderung des § 69 SGB V durch das GKV-WSG ist noch nicht die Frage geklärt, ob die Krankenkassen Verträge öffentlich ausschreiben müssen und wenn ja, nach welchen Vorschriften sich eine solche Ausschreibungsverpflichtung richten würde. Das GKV-WSG sieht in § 127 Satz 1 SGB V eine Ausschreibungsverpflichtung bei der Hilfsmittelversorgung vor. Bei den Rabattverträgen war eine solche Ausschreibungsverpflichtung ursprünglich noch vorgesehen (i.d.F. der BT-Drs. 16/4200 vom 31.01.2007), in der nunmehr verabschiedeten Gesetzesfassung ist diese jedoch nicht mehr enthalten. Eine Ausschreibungsverpflichtung ist auch bei IV-Verträgen im GKV-WSG nicht ausdrücklich vorgesehen (die Vergabekammer Düsseldorf hat in einem Beschluss vom 31.08.2006 einen IV-Vertrag dem Vergaberecht unterstellt und damit eine Ausschreibungsverpflichtung der Krankenkasse angenommen). Ob dies allerdings bedeutet, dass Ausschreibungsverpflichtungen nach dem GKV-WSG bei Rabattverträgen und bei Verträgen zur integrierten Versorgung nicht bestehen, darüber wird man trefflich streiten können. Der Gesetzgeber hat hier nicht für eine eindeutige Rechtslage gesorgt. Das Erfordernis einer öffentlichen Ausschreibung bringt zwar Transparenz in das Vergabeverfahren, führt jedoch auch dazu, dass Leistungserbringer den Krankenkassen Versorgungskonzepte erstellen müssen. Dies kostet Zeit und macht die integrierte Versorgung für Leistungserbringer eher unattraktiv.

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5. Veränderungen im Krankenhausbereich

Durch das seit dem Jahr 2003 in den Akutkrankenhäusern eingeführte leistungsorientierte Fallpauschalensystem (DRGs) für die Vergütung der stationären Leistungen hat zu verkürzten Liegezeiten der Patienten im Krankenhaus und damit zu einer zunehmenden Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Bereich geführt. Vor Abschluss der sogenannten Konvergenzphase zwischen altem und neuem Finanzierungssystem der Krankenhäuser soll der Ordnungsrahmen der Krankenhausversorgung dieser Entwicklung angepasst werden.

Die Umsetzung der ambulanten Erbringung hochspezialisierter Leistungen am Krankenhaus nach § 116b SGB V soll durch Einführung eines Zulassungsverfahrens durch die Länder verbessert werden. Dadurch erhofft sich der Gesetzgeber eine verbesserte Umsetzung der Teilöffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung.

In der integrierten Versorgung werden Krankenhäuser stärker als bisher für die ambulante Versorgung geöffnet. Krankenhäuser können künftig im Rahmen von Verträgen zur Integrierten Versorgung hochspezialisierte Leistungen, Leistungen zur Behandlung seltener Erkrankungen und von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen ambulant erbringen, unabhängig davon, ob ein Vertragsarzt an der integrierten Versorgung teilnimmt und einen entsprechenden Zulassungsstatus in den Vertrag einbringt.

Um die Krankenhäuser als größten Ausgabenfaktor der GKV, der in den Jahren 2005 und im ersten Halbjahr 2006 überproportionale Ausgabenzuwächse aufweist, angemessen an der Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu beteiligen, werden sie zu einem Sanierungsbeitrag in Höhe von insgesamt 1% der Ausgaben für stationäre Krankenhausleistungen herangezogen. Hierzu sind folgende Maßnahmen vorgesehen:

  • Kürzung der Krankenhausrechnungen für voll- und teilstationäre Leistungen bei gesetzlich krankenversicherten Personen,

  • Absenkung der Mindererlösquote der Krankenhäuser von bisher 40% auf 20% sowie

  • Streichung der Rückzahlungspflicht der Krankenkassen für nicht verwendete Mittel der Anschubfinanzierung für die Integrierte Versorgung.

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6. Gemeinsamer Bundesausschuss

Der Gemeinsame Bundesausschuss (GB-A) soll eine "Professionalisierung" erfahren. Der G-BA als wichtigstes Gremium der Selbstverwaltung - er entscheidet über die Aufnahme medizinischer Therapien in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen - soll durch eine straffere Organisation und die Einführung hauptamtlicher Unparteiischer, die vom BMG gem. § 91 Abs. 11 SGB V berufen werden, im Beschlussgremium künftig schnellere Entscheidungen treffen können.

Darüber hinaus wird eine Möglichkeit insbesondere zur Beschleunigung von Bewertungsverfahren für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eingeführt: Kommt in diesen Verfahren nach einer angemessenen Fristsetzung keine Entscheidung zu Stande, darf die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden.

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7. Bewertung

Es sind aufgrund der einstimmigen Ablehnung sämtlicher im System der GKV tätigen Leistungserbringer und der Krankenkassen des Gesetzesvorhabens, Zweifel angebracht, ob die vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziele tatsächlich erreicht werden. Im ärztlichen Bereich muss zunächst die Umsetzung der untergesetzlichen Normen (z.B. Euro-Gebührenordnung, Einheitlicher Bewertungsmaßstab) abgewartet werden, da sich erst dann die konkreten Rechtsfolgen für den einzelnen Arzt erkennen lassen. Allerdings bleibt es, mit Ausnahme der Verschiebung der Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen, letztlich bei der Budgetierung ärztlicher Leistungen. Hinsichtlich des organisationsrechtlichen Rahmens ärztlicher Leistungserbringung ist eindeutig die vom Gesetzgeber gewollte verstärkte Abkehr von dem Kollektivvertragssystem hin zu einem wettbewerblich orientierten Selektivvertragssystem, ohne Beteiligung der Kassenärztlichen Vereinigungen, erkennbar. Deren zukünftige Rolle im Rahmen der Systems der ärztlichen Leisungserbringung wird deutlich, wenn man einen Blick auf die in § 77a SGB V vorgesehenen Dienstleistungsgesellschaften wirft, die zukünftig von KBV und KVen gegründet werden können und deren Schwerpunkt auf der Beratung ihrer Mitglieder liegt.

RA Dr. Peter Wigge

Fachanwalt für Medizinrecht

RA Sebastian Sczuka

Rechtsanwälte Wigge, Münster

Internet: URL: http://www.ra-wigge.de

Email: kanzlei@ra-wigge.de

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