Invasive oder systemische Pilzinfektionen wie sie bei neutropenischen oder schwer
immungeschwächten Patienten auftreten, zeichnen sich auch heute noch durch eine hohe
Sterblichkeitsrate aus. Um gegen eine solche Pilzinfektion wirksam zu sein, muss das
zur Behandlung gewählte Antimykotikum nicht nur Aktivität gegen den Erreger besitzen,
sondern auch in ausreichender Konzentration an den Ort der Infektion gelangen.
Die beiden in Europa zuletzt zugelassenen Triazol-Antimykotika Voriconazol (Vfend®)
und Posaconazol, die sich in ihrer antimyzetischen In-vitro-Aktivität durchaus ähneln,
eignen sich gut für eine Betrachtung der möglichen pharmakokinetischen Probleme und
der großen Unterschiede, die auch zwischen Substanzen derselben Stoffklasse bestehen
können.
Orale Resorption mit erheblichen Substanzunterschieden
Orale Resorption mit erheblichen Substanzunterschieden
Voriconazol wird nach oraler Einnahme nahezu vollständig resorbiert, die Bioverfügbarkeit
beträgt 96 %. Bei Einnahme mit sehr fettreicher Nahrung verringert sich die AUC ("area
under the curve") um 24 %, weshalb die Gabe der Substanz erst nach einem mindestens
einstündigen Abstand von Mahlzeiten empfohlen wird. Die orale Resorption von Posaconazol
ist komplizierter. Manche Autoren bezeichnen sie sogar als "problematisch" [6]. Mangels einer intravenösen Formulierung lässt sich seine absolute Bioverfügbarkeit
bislang nicht bestimmen. Im Tiermodell wurden Werte von 7-12 % [14] beobachtet, aus Phase-I-Studien wurden Werte von 10-20 % [11] berichtet.
Paradox erscheint, dass höhere Posaconazol-Tagesdosen als 800 mg die Exposition verringern.
Nach Einnahme von zweimal täglich 600 mg waren Plasmaspiegel und AUC im Gleichgewichtszustand
("steady state") ein Drittel niedriger als nach Einnahme von zweimal täglich 400 mg.
Wird die 800-mg-Tagesdosis auf zwei Gaben aufgeteilt, steigt der Plasmaspiegel im
Vergleich zur Einmalgabe auf mehr als das Doppelte [18]. Deshalb muss Posaconazol trotz im Mittel 35-stündiger Halbwertszeit zwei- bis viermal
täglich eingenommen werden.
Was kann die orale Resorption beeinträchtigen?
Was kann die orale Resorption beeinträchtigen?
Für eine adäquate Resorption ist bei Posaconazol die Einnahme mit einer fetthaltigen
Mahlzeit erforderlich, da die Bioverfügbarkeit bei nüchternem Magen um fast 75 % reduziert
ist. Mykosegefährdete Patienten sind jedoch meist schwer krank und können zum Beispiel
aufgrund einer Mukositis keine feste Nahrung zu sich nehmen.
Tatsächlich beobachteten Müller et al. [11] gerade bei Patienten nach Chemotherapie oder Knochenmarktransplantation eine besonders
geringe Bioverfügbarkeit von Posaconazol, dessen Plasmaspiegel in dieser Hauptrisikogruppe
für invasive Mykosen meist unter 0,4 mg/l lag - trotz Aufteilung auf drei Dosen. Auch
bei den besonders mykosegefährdeten neutropenischen Patienten fanden Ullmann [18] und Langston [7] hoch signifikant niedrigere Posaconazolplasmaspiegel als bei Patienten ohne diesen
Risikofaktor.
Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA weist deshalb im Beipackzettel zu Posaconazol
ausdrücklich darauf hin, dass bei Patienten, die weder eine volle Mahlzeit zu sich
nehmen können noch einen fetthaltigen Nahrungsersatz vertragen, ein "anderes Antimykotikum
erwogen werden" oder eine engmaschige Überwachung auf Durchbruchinfektionen erfolgen
soll [13].
Damit nicht genug: Auch die mit 20 % relativ häufigen gastrointestinalen Nebenwirkungen
von Posaconazol können dessen Bioverfügbarkeit herabsetzen. Tatsächlich war der Plasmadurchschnittsspiegel
(Cav) bei Patienten mit beschleunigter Darmpassage im Rahmen einer populationspharmakokinetischen
Analyse signifikant niedriger als bei Patienten mit normaler Darmpassage [4]. Sowohl die amerikanische als auch die europäische Zulassungsbehörde (FDA und EMEA)
empfehlen deshalb, Patienten mit schwerem Durchfall oder Erbrechen unter Posaconazol
engmaschig auf Durchbruchinfektionen zu überwachen [12], [13].
Schnellstmöglich "steady state" erreichen
Schnellstmöglich "steady state" erreichen
Jede Verzögerung einer wirksamen Therapie nach Diagnose einer systemischen Pilzinfektion
verschlechtert die Überlebenschancen, beispielsweise bei Candidämiepatienten [10]. Deshalb sollte nach Therapiebeginn möglich rasch ein ausreichend hoher Plasmaspiegel
vorliegen. Nach Verabreichung einer oralen Dosis erreicht Voriconazol binnen ein bis
zwei Stunden [19] den maximalen Plasmaspiegel, Posaconazol in Abhängigkeit von der Magenfüllung in
3-24 Stunden [2], [12], [14], [18].
Um den für eine optimale Wirksamkeit erwünschten Gleichgewichtszustand schneller zu
erreichen, wird von manchen Antimykotika am ersten Tag eine höhere Sättigungsdosis
("loading dose") verabreicht, was die sonst mehrere Tage währende Zeitspanne deutlich
verkürzt, beispielsweise im Fall von Voriconazol auf 24 Stunden. Bei Posaconazol lassen
sich die sieben bis zehn Tage bis zur Einstellung des "steady state" infolge der limitierten
Resorption jedoch nicht abkürzen [18].
Angesichts der unsicheren Resorption gerade bei den Patienten, die ein hohes Risiko
haben, eine Mykose zu erleiden, und der späten Einstellung des Gleichgewichts wird
das Fehlen einer parenteralen Darreichungsform als ein Hauptnachteil von Posaconazol
bei der Behandlung schwer kranker Patienten angesehen [6].
Niedrige Plasmaspiegel = niedrigere Ansprechrate
Niedrige Plasmaspiegel = niedrigere Ansprechrate
Die klinische Relevanz der Resorptionsverhältnisse wird dadurch untermauert, dass
klinische Studien bei Posaconazol einen engen Zusammenhang zwischen der erreichten
Exposition und dem Ansprechen aufzeigen. Bei Voriconazol dagegen war keine solche
Beziehung festzustellen [19], [20], [21]. Analysen der klinischen Daten durch FDA und EMEA zufolge besteht eine statistisch
signifikante Beziehung zwischen niedrigen Posaconazolplasmaspiegeln und einer erhöhten
Inzidenz von klinischem Therapieversagen [4], [14].
Patienten, die nicht auf die Behandlung ansprachen ("non-responder"), hatten einen
deutlich niedrigeren Plasmadurchschnittsspiegel als solche, die auf die Therapie ansprachen
("responder") (Cav: 500 versus 750 µg/l; 14). In einer Prophylaxestudie war die klinische Versagerrate
bei Patienten, deren Posaconazolplasmaspiegel unter 0,557 mg/l blieb, höher als unter
Fluconazol [4]. Walsh et al. fanden in ihrer Studie zur Salvagetherapie [22] eine optimale Wirksamkeit der antimykotischen Therapie nur bei den Patienten, die
einen Plasmaspiegel (Cav) von im Mittel 1,25 mg/l aufwiesen. Dies war im Studienkollektiv trotz Gabe von viermal
200 mg Posaconazol aber nur bei knapp einem Viertel der Patienten der Fall.
Die Experten der FDA empfehlen deshalb, die Dosierung von Posaconazol anhand der am
zweiten Tag gemessenen Plasmaspiegel individuell anzupassen, da keine andere demografische
Variable Unterdosierungen vorhersagen könne [4].
Welche Plasmaspiegel braucht man?
Welche Plasmaspiegel braucht man?
Für die Prophylaxe invasiver Pilzinfektionen sollte der FDA zufolge im "steady state"
ein Plasmadurchschnittsspiegel von Posaconazol von mehr als 0,7 mg/l erzielt werden,
um die Versagerrate unter 25 % zu halten [4]. Bei Patienten, die dies auch nach siebentägiger Posaconazolgabe nicht erreichen,
rät die FDA, auf andere Antimykotika auszuweichen [4].
Für die Behandlung invasiver Aspergillosen erscheint der Studie von Walsh et al. [22] zufolge ein Plasmaspiegel (Cav) von 1,25 mg/l erstrebenswert, um eine optimale Ansprechrate zu erhalten. EMEA-Analysen
zufolge sollte für ein erfolgversprechendes Ergebnis bei Aspergillus-Infizierten das
Verhältnis zwischen AUC und minimaler Hemmkonzentration (MHK) Werte von mindestens
200 erreichen [12], [14].
Welche Plasmaspiegel sind realistisch?
Welche Plasmaspiegel sind realistisch?
Tatsächlich erreicht wurde in der Studie von Müller et al. [11] nach der Gabe von 600-800 mg Posaconazol pro Tag - verteilt auf drei Dosen - ein
mittlerer Plasmaspiegel von 0,582 mg/l. Allerdings lagen die Spiegel bei Patienten
mit hämatologischen Erkrankungen meist unter 0,4 mg/l. Ullmann et al. [18] beobachteten in einem Mischkollektiv von Patienten mit refraktärer Pilzinfektion
und febriler Neutropenie nach zehn Tagen unter zweimal 400 mg Posaconazol pro Tag
einen Plasmadurchschnittsspiegel von 0,723 mg/l.
Diese breite Streuung zeigt, dass viele Patienten diesen Mittelwert nicht erreichten.
In der Studie von Walsh et al. [22] blieb sogar die Hälfte der in die Analyse eingeschlossenen, hospitalisierten Patienten
mit refraktärer Aspergillose, die viermal täglich 200 mg Posaconazol erhielten, deutlich
unter dem Plasmaspiegelschwellenwert von 0,7 mg/l. In der untersten Quartile lag der
mittlere Plasmaspiegel bei 0,134 mg/l, in der obersten bei 1,25 mg/l.
Auffällig war in allen pharmakokinetischen Studien die enorme Schwankungsbreite der
beobachteten Posaconazolplasmaspiegel, sowohl inter- als auch intraindividuell [12], [14], [22]).
Was bestimmt die Gewebepenetration?
Was bestimmt die Gewebepenetration?
Da invasive Pilzinfektionen sich nicht nur in der Blutbahn abspielen, muss das Antimykotikum
auch im Gewebe der befallenen oder gefährdeten Organe in einer ausreichend hohen Konzentration
vorhanden sein. Dies sind bei Aspergillen vor allem Lungen, Nasennebenhöhlen und zentrales
Nervensystem (ZNS). Wichtige Determinanten der Gewebepenetration sind Maschmeyer [9]zufolge
-
die Molekülgröße, da große und sperrige Moleküle schlechter diffundieren
-
die Lipophilie, da eine starke Fettlöslichkeit im Allgemeinen eine gute Membranpenetration
erlaubt, jedoch auch meist mit einer hohen Proteinbindung verbunden ist
-
die Proteinbindung, welche die Verfügbarkeit an freier Substanz vermindert.
Die extrem hohe Proteinbindung (98 versus 58 %), große Molekülmasse (701 versus 349
Da) und sperrige chemische Struktur von Posaconazol lassen im Vergleich zu Voriconazol
eine geringere Gewebepenetration und Diffusionsfähigkeit erwarten. Ob dies tatsächlich
zutrifft, ist derzeit nicht zu beurteilen, da bislang keine Daten zur humanen Gewebepenetration
von Posaconazol verfügbar sind. Veröffentlicht ist lediglich der mit 0,3-2,1 mg/kg
angegebene Gewebespiegel in der Kaninchenlunge [5], der deutlich unter den 15 mg/kg bzw. 19 mg/l liegt, auf die Voriconazol in der
Lunge bzw. im Alveolarfilm beim Menschen angereichert wird [1], [3].
Unbekannt ist bislang auch, ob Posaconazol im ZNS-Gewebe ähnlich hohe Spiegel erreicht
wie Voriconazol (35 mg/kg; 3, 16). Während Letzteres im Liquor 22-100 % des Plasmaspiegels
erreicht [8], [16], wird die Liquor-Penetration von Posaconazol mit gering ("poor") angegeben [17]. Pitisuttithum et al. [15] beobachteten unter Posaconazol immerhin bei einem von vier refraktären Patienten
mit Aspergillus-fumigatus-Infektion des zentralen Nervensystems einen Teilerfolg,
der jedoch nicht von Dauer war.
Prof. Dr. Kuno Rommelsheim, Bonn