Rofo 2007; 179(2): 191-195
DOI: 10.1055/s-2007-970214
Mitteilungen der DRG

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Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30.03.2006, Az.: L 1 KR 12/05 - Kostenübernahme der Therapie mit [224Ra]Radiumchlorid

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Rechtsanwälte Wigge, Münster

RA Dr. Peter Wigge

Fachanwalt für Medizinrecht

Email: kanzlei@ra-wigge.de

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Publication Date:
20 February 2007 (online)

 
Table of Contents #

I. Einführung

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Die Therapie des Morbus Bechterew mit dem Radionuklid [224Ra]Radiumchlorid gehört zu den ältesten Therapiemethoden in der nuklearmedizinischen Geschichte. So gehen erste erfolgreiche Therapieansätze mit dem Arzneimittel bereits auf Anfang der 40er-Jahre dieses Jahrhunderts zurück. Die Erkenntnisse zur Pharmakokinetik von [224Ra]Radiumchlorid sind von der International Commission on Radiological Protection in ihrer Publikation Nr. 67 im Jahre 1993 sorgfältig zusammengetragen und kritisch bewertet worden[1]. [224Ra]Radiumchlorid zählt zu den radioaktiven Stoffen, deren Biodistribution und Ausscheidung beim Tier und beim Menschen seit Jahrzehnten intensiv erforscht wurden. Es dürfte kaum einen radioaktiven (und auch nichtradioaktiven) Stoff geben, dessen Biokenetik annähernd gut untersucht wurde wie diejenige von [224Ra]Radiumchlorid[2].

Trotz der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Datum vom 23.10.2000 erteilten arzneimittelrechtlichen Zulassung[3] besteht seit längerem Streit über die Kostentragungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen, da diese der Auffassung sind, dass das der Therapie zugrundeliegende Arzneimittel 224SpondylAT® hinsichtlich seiner Wirtschaftlichkeit erheblichen Zweifeln unterliege. Diese Bewertung beruht auf der Einschätzung, dass die derzeit vorhandenen Studienergebnisse mangels validem Studiendesign nicht als Wirksamkeitsnachweis der Evidenzklasse I, sondern nur den Evidenzklassen III oder IV zugeordnet werden könnten. Diese seien als "Wirksamkeitsvermutung" oder "-hinweis" geeignet, nicht jedoch als valider Beweis für die Wirksamkeit des Arzneimittels.

Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat in einer Entscheidung vom 30.03.2006, Az.: L 1 KR 12/05 diese Auffassung ausdrücklich zurückgewiesen und festgestellt, dass gesetzlich krankenversicherte Patienten einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Therapie mit Radiumchlorid-224 gegen ihre Krankenkasse haben. Das Urteil geht jedoch über die Klärung dieser Einzelfrage hinaus, da ihm auch für die Anerkennung und Erstattungsfähigkeit anderer, insbesondere neuartiger, radioaktiver Arzneimittel in der GKV Bedeutung zukommt.

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II. Erstattungsrechtliche Beurteilung von 224SpondylAT®

Die Frage der Erstattungsfähigkeit von 224SpondylAT® in der gesetzlichen Krankenversicherung hängt zunächst von dessen Einordnung als Arzneimittel nach § 31 SGB V oder "neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode" nach § 135 Abs. 1 SGB V ab. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat in einer schriftlichen Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Anwendung von 224-Radiumchlorid bei Morbus Bechterew um ein neues Behandlungsverfahren handele, welches entsprechend den Vorgaben des § 135 SGB V vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu überprüfen ist.

Diese rechtliche Einordnung der Therapie mit 224SpondylAT® erweist sich jedoch bei näherer Prüfung leistungsrechtlich als nicht systemkonform, da hierdurch die Arzneimitteleigenschaft von 224SpondylAT® im Sinne von § 31 SGB V und die damit verbundenen erstattungsrechtlichen Besonderheiten insbesondere gegenüber neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden völlig außer acht gelassen werden.

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1. Arzneimitteleigenschaft von 224SpondylAT®

Grundsätzlich unterliegen Arzneimittel hinsichtlich ihrer Erstattungsfähigkeit den Vorgaben in den §§ 31 ff. SGB V, während die Anerkennung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in § 135 Abs. 1 SGB V geregelt ist. Für Arzneimittel bestimmt § 31 Abs. 1 SGB V, dass Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln haben, soweit diese nicht nach § 34 ausgeschlossen sind[4]. Damit besteht in der gesetzlichen Krankenversicherung ein grundsätzlicher Anspruch auf sämtliche Arzneimittel die nicht durch die Negativliste ausgeschlossen sind. Das Vorhandensein einer Arzneimittelzulassung nach § 21 AMG für 224SpondylAT® führt nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich zu einer Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels in der gesetzlichen Krankenversicherung.

In mehreren Entscheidungen hat das BSG Maßstäbe für eine positive bzw. negative Entscheidung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgestellt.

Bereits mit Urteil vom 08.06.1993[5] und in seiner Entscheidung vom 08.03.1995[6] hat das BSG die "negative Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung" für die Frage der Erstattungsfähigkeit in der GKV festgestellt und entschieden, dass ein zulassungspflichtiges Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden darf, dessen Zulassung zum Verkehr förmlich versagt worden ist. Damit bestätigte das BSG die negative Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Frage, ob hinsichtlich der positiven Zulassungsentscheidung entsprechendes gelte, insbesondere, ob die Krankenkassen an die Wirksamkeitsbeurteilung nach dem AMG gebunden sind, ließ das BSG dagegen zunächst offen.

Das materielle Genehmigungsverfahren nach dem AMG stellt grundsätzlich ein zuverlässiges Verfahren zur Prüfung der Wirksamkeit von Arzneimitteln dar. Die Zulassung nach § 21 AMG ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, der konstitutiv die Verkehrsfähigkeit eines pharmazeutischen Produktes als Arzneimittel eröffnet. Dieses Verfahren soll eine optimale Arzneimittelsicherheit verwirklichen, deren Schwerpunkt gleichermaßen in der Sorge für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels liegt (§ 1 AMG). Erst durch die Zulassung wird, wie §§ 25 Abs. 2 Nr. 3, 4, 5 AMG zeigt, die Unbedenklichkeit und zumindest prinzipielle Wirksamkeit eines pharmazeutischen Produktes festgestellt[7].

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 05.03.1997 festgestellt, dass die Krankenkassen mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung über eine eindeutiges und zugängliches Kriterium bei der Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit von pharmazeutischen Produkten verfügen[8]. Das Zulassungskriterium ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch zuverlässig, denn die Zulassungsentscheidungen nach §§ 21 ff. AMG ergehen auf der Grundlage aufwendiger Zulassungsunterlagen des Antragstellers mit sachgemäßer behördlicher Kompetenz.

Damit ergibt sich eine sog. positive Vorgreiflichkeit der Arzneimittelzulassung für die Frage der Erstattungsfähigkeit in der GKV, da diese die Verkehrsfähigkeit für das Arzneimittel eröffnet. Positivrechtlich geregelt ist dies in Nr. 3 der Arzneimittel-Richtlinien (AMRL) vom 31.08.1993[9]: "3. Der Versicherte hat grundsätzlich Anspruch auf die Versorgung mit allen nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) verkehrsfähigen Arzneimitteln, sofern sie nicht aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind oder soweit sie nicht nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot, wie es in diesen Richtlinien konkretisiert ist, nur eingeschränkt verordnet werden dürfen (§§ 2, 12, 28, 31, 34, 35, 70, 73, 92, 92a, 93, 106 SGB V). ................................."

Das BSG hat einer weiteren Entscheidung deutlich gemacht, dass die Zulassung eines Arzneimittels nach § 21 AMG grundsätzlich dazu führt, dass ein solches Arzneimittel nicht als "neue" Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 SGB V angesehen werden kann[10]: "Daraus mag zu entnehmen sein, dass der Gesetzgeber in der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Medikaments eine ausreichende Gewähr für dessen Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit gesehen und verzichtet hat, für den Einsatz in der gesetzlichen KV eine nochmalige Qualitätsprüfung anhand der Maßstäbe des § 135 Abs. 1 SGB V zu fordern. Das besagt aber nicht, dass Arzneitherapien grundsätzlich von einer solchen Prüfung ausgenommen wären, sondern allenfalls, dass eine Behandlungsmethode, die sich in der Anwendung eines für die betreffende Indikation zugelassenen neuartigen Arzneimittel erschöpft, keiner Empfehlung in den NUB-RL mehr bedarf, weil das Mittel mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung automatisch zum Bestand der krankenversicherungsrechtlichen Leistungen gehört und damit nicht mehr als "neu" im Sinne der gesetzlichen Regelung zu gelten hat."

Daraus folgt einerseits, dass § 135 Abs. 1 SGB V keine Anwendung auf Arzneimittel findet, die ein Zulassungsverfahren nach den §§ 21 ff. AMG durchlaufen haben und das zugelassene Arzneimittel grundsätzlich zum Bestand der krankenversicherungsrechtlichen Leistungen nach § 31 SGB V gehören, auf die der Versicherte einen Anspruch hat.

224SpondylAT® hat durch Zulassungsbescheid des BfArM vom 23.10.2000 (Zulassungsnummer: 46630.00.00) die Zulassung als radioaktives Arzneimittel zur Anwendung am Menschen (Injektionslösung zur intravenösen Anwendung) gemäss § 25 Abs. 1 AMG i.V.m. § 2 Abs. 1 der Verordnung über radioaktive oder mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel (AMRadV)[11] erhalten. 224SpondylAT® gehört daher zu den Arzneimitteln, die der Versicherte nach § 31 SGB V beanspruchen kann und stellt keine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 SGB V dar.

Diese Rechtsauffassung wird von dem LSG Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung ausdrücklich geteilt: "Da es bei dem für die Zulassung geforderten Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments (§ 21 Abs. 2 Arzneimittelgesetz - AMG) im Kern um dieselben Kriterien geht, an denen auch die Leistungen der Krankenversicherung gemessen werden müssen, handelt es sich bei einer Therapie, die sich in der Anwendung eines für die betreffende Indikation zugelassenen neuartigen Arzneimittels erschöpft, nicht um "neue Methoden" i.S.v. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber alle neuen Medikamente neben einer arzneimittelrechtlichen einer zusätzlichen krankenversicherungsrechtlichen Qualitätsprüfung nach denselben Maßstäben unterwerfen wollte. Im Ergebnis verzichtet das Krankenversicherungsrecht bei der Versorgung mit zulassungspflichtigen Arzneimitteln weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Im Falle der arzneimittelrechtlichen Zulassung ist infolgedessen grundsätzlich davon auszugehen, dass zugleich der Mindeststandard einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt ist; dies gilt unbeschadet der zusätzlichen Regelungen des Krankenversicherungsrechts über die (ökonomisch verstandene) Wirtschaftlichkeit im engeren Sinne (vgl. § 12 Abs. 1, § 31, §§ 33a bis 35a, § 84 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 2 SGB V)."

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2. Zulassung unter Auflagen

Im vorliegenden Fall ist jedoch die Tatsache zu berücksichtigen, dass die für das Arzneimittel 224SpondylAT® ausgesprochene Zulassung vom 23.10.2000 unter Auflagen nach § 28 Abs. 3 AMG erteilt worden ist. Die Zulassung für 224SpondylAT® ist mit den Auflagen versehen worden, das Ergebnisse klinischer Prüfungen nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG (klinische Studie Phase III zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit) innerhalb von 5 Jahren nach Erteilung der Zulassung vorzulegen und bei allen nach Erteilung der Zulassung behandelten Patienten Anwendungsbeobachtungen über 10 Jahre durchzuführen sind, deren Ergebnisse systematisch gesammelt, dokumentiert, ausgewertet und dem BfArM alle 2 Jahre vorzulegen sind.

Die Tatsache, dass seitens des Arzneimittelherstellers innerhalb von 5 Jahren nach Erteilung der Zulassung eine klinische Studie der Phase III zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorzulegen ist, dient nach der Begründung des Zulassungsbescheides des BfArM dazu, eine abschließende Nutzen-Risiko-Bewertung des Arzneimittels vorzunehmen. Anderseits sagt diese Auflage nicht, dass das Arzneimittel im Rahmen der Zulassung durch das BfAfM nicht einer eingehenden Prüfung hinsichtlich der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aufgrund der vorgelegten Unterlagen unterzogen worden wäre.

Das Zulassungsverfahren verlangt bekanntermaßen, dass der Antragsteller umfassende Unterlagen insbesondere zu einer analytischen, pharmakologisch-toxikologischen und klinischen Prüfung (§ 22 Abs. 2 AMG) bzw. "anderes wissenschaftlichen Erkenntnismaterial" (§ 22 Abs. 3 AMG) sowie bewertende Gutachten (§ 24 AMG) einreicht. Diese Unterlagen werden von der Zulassungsbehörde in einem aufwendigen Verfahren (vgl. § 25 Abs. 5 AMG) unter Einschaltung einer "Zulassungs-" oder "Aufbereitungskommission" (§ 25 Abs. 6, Abs. 7 AMG) überprüft. Aus diesem Grunde stellt auch die Zulassung unter Auflagen, auch wenn es an einer abschließenden klinischen Prüfung der Phase III bisher fehlt, ein ordnungsgemäßes Zulassungsverfahren dar. Insbesondere entfaltet die Auflage als Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG - anders als etwa die Bedingung - keine Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, hier der Zulassung. Der mit einer Auflage verbundene Verwaltungsakt wird- ohne Rücksicht darauf, ob die Auflage erfüllt wird oder nicht - sofort rechtswirksam[12].

Darüber hinaus kommt in der Zulassung unter Auflagen nach § 28 Abs. 3 AMG eine spezifische Nutzen-Risiko-Bewertung des BfArM zum Tragen, die bereits in den gesetzlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 AMG gesetzlich angelegt ist: "(3) Die zuständige Bundesbehörde kann durch Auflagen ferner anordnen, dass weitere analytische, pharmakologisch-toxikologische oder klinische Prüfungen durchgeführt werden und über die Ergebnisse berichtet wird, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Arzneimittel einen großen therapeutischen Wert haben kann und deshalb eines öffentlichen Interesse an seiner unverzüglichen Inverkehrbringen besteht, jedoch für die umfassende Beurteilung des Arzneimittels weitere wichtige Angaben erforderlich sind."

Danach können Arzneimittel mit großem therapeutischen Wert zugelassen werden, auch wenn bei im übrigen vollständigen Zulassungsunterlagen für die umfassende Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses noch ergänzende Angaben des pharmazeutischen Unternehmers ausstehen. Die Regelung ermöglicht somit eine Flexibilität der Zulassungsbehörde und eine Nutzen-Risiko-Abwägung auch im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Arzneimittels[13]. Diese Bewertung des BfArM kommt auch in der Begründung zu der Auflage im Zulassungsbescheid zum Ausdruck. Danach wurden zwar keine Ergebnisse klinischer Prüfungen nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG vorgelegt und das vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnismaterial einschließlich der Sachverständigen-gutachten und einzelner Anwendungsbeobachtungen beantworten nicht zufriedenstellend alle Fragen und genannten Mängel, sodass ein fundiertes Urteil und eine abschließende Nutzen-Risiko-Bewertung des Arzneimittels zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich ist. Andererseits liegen nach Auffassung des BfArM "hinreichende Anhaltspunkte vor, dass 224SpondylAT® einen hohen therapeutischen Wert besitzt und vor allem als Reservetherapeutikum bei Patienten, bei denen eine adäquate analgetische und antiphlogistische Behandlung nicht wirksam oder nicht kontraindiziert ist" in Betracht kommt. Aufgrund des vom BfArM angenommenen hohen therapeutischen Wertes der Therapie mit 224SpondylAT® ist die Zulassung des Arzneimittels erteilt worden und damit die Verkehrsfähigkeit grundsätzlich gegeben.

Die Zulassung unter Auflagen erfüllt damit auch die Kriterien, die nach Nr. 11 Satz 1 AMRL und der Rechtsprechung des BSG an die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu stellen sind. Danach wird "der ausreichend sichere therapeutische Nutzen des verordneten Arzneimittels verlangt", der voraussetzt, dass das nach dem AMG vorgesehene Zulassungsverfahren erfolgreich abgeschlossen ist[14]. Insofern liegt aufgrund der Zulassungsentscheidung des BfArM eine sachverständige Entscheidung über die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von 224SpondylAT® vor, die nach der Rechtsprechung des BSG als antizipierte Stellungnahme zur Verordnungsfähigkeit führt.

Diese Auffassung vertritt auch das LSG Rheinland-Pfalz in seinen Urteilsgründen vom 30.03.2006: "Zur Überzeugung des Senats führen die mit der Zulassungsentscheidung verbundenen Auflagen nicht dazu, eine Leistungspflicht der GKV für die Versorgung mit dem Arzneimittel SpondylAT zu verneinen. Zwar verfolgen Arzneimittelrecht und das Recht der GKV unterschiedliche Zielrichtungen. Zweck des AMG ist es im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für deren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu sorgen (§ 1 AMG). Die GKV hat demgegenüber die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Allerdings ist die vom BSG (Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 1) dargelegte grundsätzliche Identität der Qualitätssicherungskriterien im Arzneimittelrecht und in der GKV (kritisch hierzu: Hart, SGb 2005, 649f.) jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung nicht derart zu überdenken, dass eine weitergehendere Prüfung von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels zu erfolgen hat.

Das BfArM hat in den Auflagen zur Zulassungsentscheidung die Vorlage von klinischen Studien der Phase III innerhalb von fünf Jahren nach Erteilung der Zulassung sowie die systematische Sammlung von Anwendungsbeobachtungen über zehn Jahre gefordert. Eine Einschränkung der Zulassung ist damit nicht verbunden. Allein aus dem Erfordernis der Vorlage von Studien der Phase III kann nicht abgeleitet werden, dass die Behandlung nicht dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprochen hat."

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3. Keine Klinische Prüfung

Damit beurteilt sich auch die krankenversicherungsrechtliche Erstattungsfähigkeit von 224SpondylAT® anders als etwa bei bisher nicht zugelassenen Arzneimitteln, die sich im Stadium klinischer Prüfungen befinden. Für derartige Arzneimittel besteht nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 AMG grundsätzlich keine Zulassungspflicht. Die Tatsache, dass das BfArM die Zulassung für 224SpondylAT® nicht mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Durchführung klinischer Prüfungen nach §§ 40, 41 AMG und dem fehlenden Erfordernis einer Zulassung für diesen Zeitraum verweigert hat, belegt die durchgeführten Abwägungsprozesse hinsichtlich der Nutzen-Risiko-Bewertung und die positive Entscheidung der Zulassungsbehörde. Die Zulassung nach § 28 Abs. 3 AMG hat nach § 42 AMG zur Folge, dass die Bestimmungen über die Durchführung klinischer Prüfungen nach §§ 40, 41 AMG vorliegend nicht unmittelbar anwendbar sind.

Im Hinblick darauf, dass klinische Prüfungen nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen dürfen[15], hat die Durchführung der klinischen Prüfung für 224SpondylAT® an einem gesonderten Patientengut zu erfolgen. Dennoch besteht aufgrund der Zulassungsentscheidung des BfArM eine grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von 224SpondylAT® ab Erteilung der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Die mit dem Verfahren der klinischen Prüfung einhergehenden Verpflichtungen des Arzneimittelherstellers[16] und der verordnenden und anwendenden Ärzte[17] ändern jedoch nichts an der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit aufgrund des vom BfArM gemäss § 28 Abs. 3 AMG angenommenen hohen therapeutischen Nutzens des Arzneimittels.

Hierzu führt das LSG Rheinland-Pfalz gleichermaßen folgendes aus: "Die Behandlung des Klägers ist nicht im Rahmen einer solchen Studie erfolgt, weshalb offen bleiben kann, ob dann anderes zu gelten hätte. Die Beklagte wird damit auch nicht in unzulässiger Weise (BSG, Urteil vom 22.07.2004 - B 3 KR 21/03 R, SozR 4-5565 § 14 Nr.8) an der Finanzierung der Grundlagenforschung und an klinischen Studien beteiligt. Ein systematischer Heilbehandlungsversuch, der von der GKV nicht zu bezahlen wäre, lag beim Kläger nicht vor. Vielmehr begründet die Zulassung des Arzneimittels SpondylAT für die GKV die Verpflichtung zur Versorgung ihrer Versicherten innerhalb des von der Zulassung erfassten Anwendungsgebietes. Ob die arzneimittelrechtliche Entscheidung des BfArM zutreffend war, ist von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich nicht zu überprüfen (BSG, Urteil vom 27.09.2005 - B 1 KR 6/04 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 bestimmt).

Die Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung von arzneimittelrechtlichen Zulassungserfordernissen ist nach Auffassung des Senats bei der vorliegenden Erteilung der Zulassung unter Auflagen nicht gegeben. Das Zulassungsverfahren nach dem AMG war vielmehr erfolgreich abgeschlossen und der arzneimittelrechtliche Status von SpondylAT beruhte auf einer ausreichenden arzneimittelrechtlichen Prüfung. Auch rechtfertigen die konkreten Auflagen unter Einbeziehung der Begründung des BfArM nicht die Befürchtung, dass den Versicherten ein unkalkulierbares Risiko von Gesundheitsschäden bei Anwendung des Arzneimittels drohen könnte."

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4. Abweichender Vertriebsweg erstattungsrechtlich ohne Bedeutung

Die Arzneimitteleigenschaft von 224SpondylAT® im Sinne von § 31 SGB V wird entgegen der Auffassung der Krankenkassen auch nicht durch den abweichenden Vertriebsweg tangiert. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 f. AMG dürfen radioaktive Arzneimittel aufgrund der nach § 3 der Strahlenschutzverordnung (alt) bzw. § 7 (neu) erforderlichen Umgangsgenehmigung sowie der in der Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin definierten Anforderungen an Fachkunde, Technik und spezieller Ausstattung, auch an Krankenhäuser und Ärzte abgegeben werden, da davon auszugehen ist, dass diese Voraussetzungen im Rahmen eines normalen Apothekenbetriebs nicht gegeben sind. Dennoch handelt es sich bei radioaktiven Arzneimitteln gemäß § 43 Abs. 1 AMG grundsätzlich um apothekenpflichtige bzw. verschreibungspflichtige Arzneimittel, sodass diese auch nach § 31 AMG vom Versicherten beansprucht werden können.

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5. Aufnahme in den EBM

Im Hinblick auf die Zulassungsentscheidung des BfArM und die Tatsache, dass sich das vorliegende Therapieverfahren nicht wesentlich von der Anwendung anderer offener Radionuklide, etwa der Behandlung von Knochenmetastasen bzw. der Radiosynoviorthese unterscheidet, könnte eine direkte Aufnahme der [224Ra] Radiumchlorid-Therapie und damit zugleich eine Vergütung der ärztlichen Leistung im Rahmen des geltenden EBM und damit innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung erfolgen. Es bedürfte insoweit eines Interpretationsbeschlusses des Bewertungsausschusses, nach welcher der im EBM enthaltenen Gebührennummern für die Anwendung offener Radionuklide eine Abrechnung erfolgen kann.

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III. Ergebnis

Die Arzneimitteleigenschaft und die Zulassung durch das BfArM führen zur Verkehrsfähigkeit und damit auch grundsätzlich zur Erstattungsfähigkeit von 224SpondylAT® in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die unter Auflage nach § 28 Abs. 3 AMG erteilte Zulassung hindert die Erstattungsfähigkeit nicht, da aufgrund des vom BfArM festgestellten voraussichtlichen großen therapeutischen Wertes ein öffentliches Interesse an der unverzüglichen zur Verfügungsstellung des Präparates besteht. Konsequenterweise hat das LSG Rheinland-Pfalz in der hier besprochenen Entscheidung daher die Krankenkasse des betreffenden Versicherten auch zur uneingeschränkten Kostenübernahme der Therapiekosten für 224SpondylAT® verurteilt. In letzter Instanz wird voraussichtlich das Bundessozialgericht in der Angelegenheit zu entscheiden haben.

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Literatur

01 International Commission on Radiological Protection. Age-dependent doses to members of the public from intake of radionuclides, Part 1. Anals of the ICRP Nr. 56. Oxford, New York, Frankfurt, Pergamon Press, 1990

02 Reiners, Braun. Therapie der Spondylitis ankylosans mit [224Ra]-Radiumchlorid. Der Nuklearmediziner, S. 105, 108

03 vgl. auch Strahlenschutzkommission, Stellungnahme zur Therapie mit [224Ra]Radiumchlorid vom 23./24.04.1998, S. 3; Bundesgesundheitsamt, Monografie: [224Ra] Radiumchlorid, Bundesanzeiger Nr. 219 vom 21.11.1992, S. 8827 und Nr. 6.6.3 der Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin, Bundesanzeiger Nr. 207a, vom 07.11. 2002

04 Mit dem Inkrafttreten der Positivliste nach § 33 a erhält Abs. 1 Satz 1 folgende Fassung: "Versicherte haben Anspruch auf Versorgung von apothekenrechtlichen Arzneimitteln, soweit die Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen" (vgl. Begründung zum GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, BT-Drs. 14/1245)

05 BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 17-"Goldnerz"

06 BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3 S. 5 ff.-"Edelfosin"

07 vgl. hierzu BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3 S. 5, 10

08 vgl. BVerfG NZS 1997, S. 225, 226

09 BAnz. Nr. 246 (die AMRL vom 31.08.1993 sind nach wie vor gültig, nachdem das LG Hamburg die Veröffentlichung der 8. Novelle der AMRL zum 1.04.1999 untersagt hat; vgl. Beschl. v. 31.03.1999, Az.: 315 O 143/99 und Hans. OLG, Urt. v. 19.10.2000, Az.: 3 U 201/99

10 BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14 S. 59, 65- "ASI"

11 vom 28.01.1987 (BGBl. I S. 502)

12 vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht 1997, S. 318; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 1998, § 36 Rn. 27

13 vgl. Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 28 AMG Nr. 24; Rehmann, AMG 1999, § 28 Rdn. 2

14 vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3, S. 5, 9

15 vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3, S. 5, 11

16 Hierzu gehört insbesondere die Verpflichtung zur kostenlosen Abgabe des Arzneimittels an Ärzte und Krankenhäuser im Rahmen der klinischen Prüfung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe g AMG; vgl. hierzu Beschl. des BVerfG vom 14.03.2001, Az.: 1 BvR 1651/94

17 Es entspricht der Sorgfaltspflicht des pharmazeutischen Unternehmers, die behandelnden Ärzte von dem Auflageninhalt zu unterrichten, weil für diese eine Aufklärungspflicht gegenüber den Patienten besteht.

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Rechtsanwälte Wigge, Münster

RA Dr. Peter Wigge

Fachanwalt für Medizinrecht

Email: kanzlei@ra-wigge.de

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Literatur

01 International Commission on Radiological Protection. Age-dependent doses to members of the public from intake of radionuclides, Part 1. Anals of the ICRP Nr. 56. Oxford, New York, Frankfurt, Pergamon Press, 1990

02 Reiners, Braun. Therapie der Spondylitis ankylosans mit [224Ra]-Radiumchlorid. Der Nuklearmediziner, S. 105, 108

03 vgl. auch Strahlenschutzkommission, Stellungnahme zur Therapie mit [224Ra]Radiumchlorid vom 23./24.04.1998, S. 3; Bundesgesundheitsamt, Monografie: [224Ra] Radiumchlorid, Bundesanzeiger Nr. 219 vom 21.11.1992, S. 8827 und Nr. 6.6.3 der Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin, Bundesanzeiger Nr. 207a, vom 07.11. 2002

04 Mit dem Inkrafttreten der Positivliste nach § 33 a erhält Abs. 1 Satz 1 folgende Fassung: "Versicherte haben Anspruch auf Versorgung von apothekenrechtlichen Arzneimitteln, soweit die Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähig sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen" (vgl. Begründung zum GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, BT-Drs. 14/1245)

05 BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 17-"Goldnerz"

06 BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3 S. 5 ff.-"Edelfosin"

07 vgl. hierzu BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3 S. 5, 10

08 vgl. BVerfG NZS 1997, S. 225, 226

09 BAnz. Nr. 246 (die AMRL vom 31.08.1993 sind nach wie vor gültig, nachdem das LG Hamburg die Veröffentlichung der 8. Novelle der AMRL zum 1.04.1999 untersagt hat; vgl. Beschl. v. 31.03.1999, Az.: 315 O 143/99 und Hans. OLG, Urt. v. 19.10.2000, Az.: 3 U 201/99

10 BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 14 S. 59, 65- "ASI"

11 vom 28.01.1987 (BGBl. I S. 502)

12 vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht 1997, S. 318; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 1998, § 36 Rn. 27

13 vgl. Kloesel/Cyran, Kommentar zum Arzneimittelrecht, § 28 AMG Nr. 24; Rehmann, AMG 1999, § 28 Rdn. 2

14 vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3, S. 5, 9

15 vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 3, S. 5, 11

16 Hierzu gehört insbesondere die Verpflichtung zur kostenlosen Abgabe des Arzneimittels an Ärzte und Krankenhäuser im Rahmen der klinischen Prüfung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe g AMG; vgl. hierzu Beschl. des BVerfG vom 14.03.2001, Az.: 1 BvR 1651/94

17 Es entspricht der Sorgfaltspflicht des pharmazeutischen Unternehmers, die behandelnden Ärzte von dem Auflageninhalt zu unterrichten, weil für diese eine Aufklärungspflicht gegenüber den Patienten besteht.

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RA Dr. Peter Wigge

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