Einleitung
Einleitung
Die Blickdiagnose chronische Skrotalulcera lässt zunächst an eine Vielzahl möglicher
Differenzialdiagnosen denken. Neben zahlreichen Infektionskrankheiten müssen bei der
Diagnostik auch Malignome und Autoimmundermatosen bedacht werden.
Anamnese
Anamnese
Seit August 2006 bestehen zwei therapieresistente schmerzlose Ulcera am Skrotum des
56-jährigen Patienten. Über 6 Monate wurden Behandlungen mit unterschiedlichen antibiotischen
und glukokortikoidhaltigen Externa durchgeführt. Seit 6 Wochen bemerkt der Patient
eine Größenprogredienz der Ulcera, derzeit verwendet er lediglich eine Wundsalbe.
Im November 2006 wurde eine histologische Untersuchung einer Probebiopsie eines Skrotalulcus
durchgeführt. Hier zeigte sich Ulcusrandgewebe mit Granulationsgewebe, fokalen kapillaritischen
Zeichen, Plasmazellen und vereinzelten Eosinophilen. Kein Hinweis für Lymphom oder
malignes Neoplasma.
Bekannt sind bei dem Patienten weiterhin eine diabetische Polyneuropathie bei Diabetes
mellitus Typ 2, eine Hypercholesterinämie, eine arterielle Hypertonie, eine Prostatahyperplasie
I - II°, eine Varikozele re. und eine Nebenhodenzyste li. Im Jahr 2005 erfolgte eine
Behandlung wegen einer Borreliose.
Wegen der Therapieresistenz der Skrotalulcera erfolgte im Januar 2007 eine stationäre
Einweisung in unsere Hautklinik.
Hautbefund bei Aufnahme
Hautbefund bei Aufnahme
Am linken Skrotum zwei scharf begrenzte, tiefreichende, nicht belegte Ulcera von 4
× 3 cm und 2 × 2 cm Durchmesser ([Abb. 1]), die umgebende Haut ist unauffällig, die Ulcera sind nicht schmerzhaft, Lymphknoten
sind beidseitig inguinal nicht palpabel.
Das übrige Integument und die Mundschleimhaut weisen keine Hautveränderungen auf.
Abb. 1 Hautbefund bei Aufnahme: Chronische Skrotalulcera.
Untersuchungsbefunde
Untersuchungsbefunde
Histologischer Befund einer Probebiopsie aus einem Skrotalulcus (Gemeinschaftspraxis für Pathologie und Zytologie, Dres. med. Beister/Neukirchner/Schweigert,
Stollberg): Ulzerierende Dermatitis. Eine leukozytoklastische Vaskulitis liegt nicht
vor. In der Defektzone imponieren fibrinoide Gefäßwandnekrosen und eine leukozytäre
Infiltration, weiterhin ein perivasales, bis mäßig dichtes Rundzellinfiltrat. Differenzialdiagnostisch
sollten ein Ulcus molle und ein Lymphogranuloma inguinale mit in die engere Wahl einbezogen
werden. Gegen eine Lues spricht das Fehlen von plasmazellulären Infiltraten im entzündlichen
Infiltrat. Kein Anhalt für Malignität.
Histologische Zweitbegutachtung der Probebiopsie des Skrotalulcus (Dermatologische Gemeinschaftspraxis Dres. Kutzner/Rütten, Mentzel et al., Friedrichshafen):
Sekundäre Vaskulitis, die im Rahmen des chronisch-ulzerierenden Prozesses aufgetreten
sein dürfte. Eine primär leukozytoklastische Vaskulitis liegt nicht vor. Mittels molekularpathologischer
Methoden konnte keine Treponema pallidum-DNA, keine Herpes-simplex-Typ I- oder Typ
II-DNA nachgewiesen werden. Es ergaben sich auch keine Hinweise für das Vorliegen
einer Chlamydia trachomatis-, Haemophilus ducrey-, Pseudomonas-, Donovania granulomatis-
oder Cytomegalovirus-DNA.
Immunfluoreszenzmikroskopische Untersuchung einer Probebiopsie eines Skrotalulcus: In den mit Anti-C 3-beschichteten Schnitten zeigte sich in der tiefen Epidermis eine
Fluoreszenz entlang der Gefäßwände, ebenso an den mit Anti-Fibrinogen beschichteten
Schnitten. Keine Fluoreszenz in den Schnitten, die mit Antikörpern gegen IgG und IgM
beschichtet worden waren.
Molekularbiologische Untersuchung einer erneuten Biopsie aus einem Skrotalulcus (Institut für Virologie/Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden): Cytomegalie
PCR negativ, Epstein-Barr-Virus PCR positiv.
Labordiagnostik
Labordiagnostik
Bakteriologische und mykologische Untersuchung von Abstrichen beider Skrotalulcera: Staphylococcus aureus und Enterococcus species, keine Anzucht von Anaerobiern oder
Hefepilzen (Staphylococcus aureus war sensibel gegen Chloramphenicol und Cotrimoxazol,
der andere Keim war sensibel gegen Amoxicillin, Ampicillin, Augmentan und Ciprofloxacin).
Lymphozytenstatus: Bei absolut normalen Lymphozyten liegen die Absolutwerte der Gesamt T-, B- und NK-Zellen
im Normbereich. Die Helfer/Suppressor Ratio ist unauffällig mit 1,2.
Routinelabor: Differenzial-Blutbild Hb 8,4 mmol/l, Erythrozyten 4,57 Tpt/l, sonst unauffällig.
Unauffällig waren auch der Gerinnungsstatus, Albumin, Elektrolyte, Lebertransaminasen,
alk. Phosphatase, Kreatinin, Harnsäure, GFR, CRP, TSH, T3, T4.
Glukose im Serum: 10,7 mmol/l, HbA1c 7,6 %.
Urinstatus: Glukose 5,55 mmol/l, ansonsten unauffällig.
PSA: nicht erhöht.
Unauffällig waren auch ANA und Antikörper gegen dsDNS, weiterhin waren unauffällig
die Serologie für HSV I, HSV II, Chlamydien IgG- und IgM-AK, HIV-AK, TPHA, Epstein-Barr-Virus-AK
IgG und IgM, Borrelien-AK IgM, Borrelien-AK IgG 1 : 1280 (bekannte abgelaufene Borrelieninfektion).
Unauffällige Eiweißelektrophorese.
CMV-IgG 6,03 IE/ml (Referenzbereich < 0,4 IE/ml), unauffällig waren CMV-KBR und CMV-IgM:
Befund wie bei abgelaufener CMV-Infektion.
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Entsprechend der bakteriologischen Abstrichuntersuchungen erfolgte zunächst eine Antibiose
mit Ciprobay und Cotrimoxazol sowie eine wechselweise Lokaltherapie zunächst mit Fucidine-Creme,
dann mit Triclosan 2 %-DAC-Basiscreme. Nachdem die Ulcera nach zweiwöchiger Behandlung
in unveränderter Ausdehnung persistierten, erfolgte versuchsweise eine Therapie mit
Protopic 0,1 % Salbe. Auch unter dieser Behandlung persistierte der Hautbefund.
Nach insgesamt vierwöchiger Behandlung traf der PCR-Befund ein, in dem DNA gegen Epstein-Barr-Virus
nachgewiesen wurde. Nach einer jetzt fünftägigen Behandlung mit Aciclovir 250 mg/kg
Körpergewicht 3 × tgl. als Kurzinfusion und weiterer Lokaltherapie mit Triclosan 2
% in DAC-Basiscreme heilten die Ulcera innerhalb kurzer Zeit ab. Ein nochmalig durchgeführter
HIV-Test war wiederum negativ.
Diskussion
Diskussion
Die vorliegende Kasuistik soll auf die Vielzahl der zu diskutierenden und zu berücksichtigenden
Differenzialdiagnosen bei chronischen und therapieresistenten Skrotalulcera hinweisen.
Ekthymata und Mykosen lassen sich durch entsprechende bakteriologische und mykologische
Abstrichuntersuchungen klären. Mittels histologischer Untersuchung einer Probebiopsie
sollten u. a. ein Karzinom, ein ulzeriertes Lymphom, eine Vaskulitis, ein Pyoderma
gangraenosum, durch Histologie und Immunfluoreszenzhistologie weiterhin ein möglicherweise
bestehender ulzerierender Lichen ruber erosivus oder Lupus erythematodes, ebenso ein
bullöses Pemphigoid, ein Pemphigus vulgaris oder vegetans und ein extraintestinaler
Morbus Crohn abgeklärt werden. Klinisch muss weiterhin an Artefakte und an einen Morbus
Behcet gedacht werden. Auch die Abklärung einer Lues, eines Ulcus molle, eines durch
Chlamydia trachomatis ausgelösten Lymphogranuloma inguinale sowie eines durch Calommatobacterium
granulomatosis ausgelösten Donovania granulomatosis sollten ebenfalls diagnostisch
abgeklärt werden. Schließlich muss bei persistierenden Ulcera im Genitoanalbereich
auch an eine Herpes simplex-Virusinfektion durch HSV I oder HSV II, eine Zytomegalievirusinfektion
oder wie im vorliegenden Fall diagnostiziert, an eine Epstein-Barr-Virus-Infektion
gedacht werden. Die drei letztgenannten Infektionen treten in Zusammenhang mit Genitoanalulcera
zumeist bei gleichzeitiger HIV-Infektion auf. Sofern die Serologie wie auch in der
vorliegenden Kasuistik für die zuletzt genannten Viren negativ ausfällt, empfiehlt
sich auf jeden Fall auch der Versuch eines DNA-Nachweises, der möglicherweise vorhandenen
Keime mittels PCR aus einer Probebiopsie aus der entsprechenden Läsion.
Interessant ist bei der vorliegenden Diagnostik, dass die HIV-Serologie negativ war
und sich auch kein Anhalt für einen Defekt im zellulären Immunsystem ergab. Da bei
dem erwähnten Patienten möglicherweise noch keine Serokonversion erfolgt ist und er
sich im sogenannten diagnostischen Fenster befindet, empfahlen wir auf jeden Fall
weiter regelmäßige Kontrollen der HIV-Serologie durchzuführen.