ie Zahl der Patienten, die auf Grund einer koronaren Herzerkrankung mit Thrombozytenaggregationshemmern
behandelt werden, nimmt stetig zu. Dies wirft insbesondere beim kritisch kranken Patienten
vor anstehenden nicht aufschiebbaren Operationen oder anderweitigen invasiven Maßnahmen
die Frage nach einem Pausieren oder Absetzen der Thrombozytenaggregationshemmung auf.
Umgekehrt stellt sich bei Patienten mit klinisch manifester koronarer Herzerkrankung
vor geplanten Operationen oftmals die Frage nach der optimalen kardiologischen Behandlungsstrategie
(invasiv versus konservativ). Um diese Fragen beantworten zu können, ist eine Differenzierung
der zu Grunde liegenden Problematik und individuelle Abwägung der jeweiligen Situation
notwendig.
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass die Fortführung der Thrombozytenaggregationshemmung
ein erhöhtes Risiko für ernsthafte Blutungskomplikationen bei Operationen und anderen
invasiven Maßnahmen bedeutet. Ein Pausieren der Thrombozytenaggregationshemmer hingegen
erhöht das Risiko für ischämische, atherothrombotische Ereignisse. Somit muss in jedem
Einzelfall immer eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung aller
beeinflussenden Faktoren erfolgen. Allgemeingültige Empfehlungen können daher nur
als Orientierung dienen.
Welche Patienten sollten vor einer geplanten Operation koronarangiographiert werden?
Eine Koronarangiographie sollte prinzipiell nur dann durchgeführt werden, wenn sich
aus der Untersuchung auch entsprechende Konsequenzen im Sinne einer interventionellen
oder operativen Myokardrevaskularisation ergeben würden. Dies muss insbesondere beim
kritisch kranken Patienten vor der Untersuchung diskutiert und geklärt werden. Hierbei
muss auch die Notwendigkeit einer verschärften periprozeduralen Antikoagulation bis
hin zur kombinierten Gabe von Heparin, ASS, Clopidogrel und einem GpIIb/IIIa-Blocker
berücksichtigt werden.
In die Entscheidung muss auch die jeweilige Indikation zur Koronarangiographie mit
einbezogen werden. So würde ein Patient mit akutem Koronarsyndrom auch bei Vorliegen
einer relativen Kontraindikation (z. B. Hyperthyreose) sofort unter entsprechenden
Vorsichtsmaßnahmen untersucht werden, wohingegen die Untersuchung bei einem Patienten
mit stabiler Angina pectoris gegebenenfalls verschoben würde. Auf den ersten Blick
erscheint die Indikation zur sofortigen Koronarangiographie bei Patienten mit einem
ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) klar zu sein. Aber auch hier ergeben sich im Alltag Situationen,
in denen das weitere Vorgehen nicht unbedingt auf der Hand liegt. Wie zum Beispiel
verfährt man bei einem Patienten mit STEMI und gleichzeitigem Schädel-Hirn-Trauma
(SHT) ohne sicheren Ausschluss einer intrazerebralen Blutung? Der invasiv tätige Kardiologe
wünscht sich in diesem Fall eine bildgebende Diagnostik, die die Durchführung der
Koronarangiographie nicht verzögert. Bei klinisch instabilen Patienten muss aber eventuell
ganz auf eine cerebrale Bildgebung verzichtet werden, mit dem Risiko durch die notwendige
aggressive Antikoagulation eine vorhandene intrazerebrale Blutung zu aggravieren.
Relativ einfach ist die Entscheidung bei Patienten, die ein akutes Koronarsyndrom
haben und unter laufenden Reanimationsmaßnahmen zur Diagnostik gebracht werden. Hier
stellt die unmittelbare Koronarangiographie und interventionelle Revaskularisation
die oft einzige Möglichkeit zur Stabilisierung des Patienten dar. Kontraindikationen
für die invasive Diagnostik gibt es in diesem Fall nicht. Ein differenzierteres Vorgehen
ist bei Patienten mit einem Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (NSTEMI) oder einer instabilen
Angina pectoris (IAP) notwendig. Prinzipiell besteht bei diesen Patienten die Indikation
zu einer invasiven Abklärung der KHK. Vor geplanten nicht-kardialen Operationen oder
anderen invasiven Maßnahmen ist zu berücksichtigen, wie dringlich diese durchzuführen
sind. Die Operation eines Patienten mit neu diagnostiziertem Bronchialkarzinom, der
mit kurativem Therapieansatz operiert werden kann, sollte möglichst nicht verschoben
werden. Hat dieser Patient nun gleichzeitig eine IAP, so kann das perioperative Risiko
für eine kardiale Ischämie bis hin zum fatalen kardialen Ereignis ohne Kenntnis der
Koronarmorphologie nicht eingeschätzt und vor allem nicht minimiert werden. In diesem
Fall ist eine invasive Diagnostik gegebenenfalls mit Durchführung einer Koronarintervention
wünschenswert. Hierbei muss aber die individuelle Situation des Patienten berücksichtigt
und ein Behandlungskonzept gefunden werden, welches eine rasche Operation des Bronchialkarzinoms
ermöglicht.
Werden medikamentösbeschichtete Stents (Drug eluting Stent = DES) implantiert, so
ist nach aktuellem Kenntnisstand eine duale Plättchenhemmung für 12 Monate erforderlich.
Daher sollten DE-Stents nur bei Patienten implantiert werden, bei denen keine nicht-aufschiebbaren
Operationen oder Interventionen mit hohem Blutungsrisiko notwendig sind. Generell
besteht bei Patienten mit implantierten Koronarstents ein erhöhtes Risiko zur Stentthrombose
unter pausierter Thrombozytenaggregationshemmung. Dieses Risiko ist innerhalb der
ersten Wochen nach Stentimplantation höher und für DE-Stents größer als für BM-Stents.
Wann sollte eine thrombozytenaggregationshemmende Therapie pausiert werden?
Aus kardiologischer Sicht ist die Beantwortung dieser Frage relativ einfach: Möglichst
gar nicht! Entscheidend für die Dauer der Pause ist das Blutungsrisiko des geplanten
Eingriffs. Bei Eingriffen mit sehr hohem Blutungsrisiko (z. B. Neurochirurgie) sollte
die Thrombozytenaggregationshemmung mit möglichst großem zeitlichem Abstand (5 - 7
Tage) zur Operation oder Intervention pausiert werden. Ein Wiederansetzen nach der
Operation sollte so rasch wie möglich erfolgen. Bei Eingriffen mit hohem Risiko (z.
B. Allgemeinchirurgie) sollte die präoperative Pause der Thrombozytenaggregationshemmung
ebenfalls wie oben beschrieben durchgeführt werden. Bei Notfall-Indikationen müssen
diese Eingriffe unter erhöhtem Blutungsrisiko ohne Pause der Aggregationshemmung erfolgen.
Vor Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko (z. B. Endoskopien auch mit Biopsien,
Polypenabtragung, Zahnextraktionen) sollte die thrombozytenaggregationshemmende Therapie
möglichst kontinuierlich fortgeführt werden
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in jedem Einzelfall das Blutungsrisiko gegen
das Risiko einer akuten Thrombose abzuwägen ist. Dabei können bewährte Algorithmen
als Richtschnur herangezogen werden. Die Entscheidung über das Vorgehen im Einzelfall
sollte für den jeweiligen Patienten nach gesonderter Risikoabwägung zwischen invasiv
tätigen Kardiologen und den anderen beteiligten Fachdisziplinen getroffen werden.