Aktuelle Dermatologie 2007; 33(10): 353
DOI: 10.1055/s-2007-966851
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Behandlung chronischer Wunden

Apropos of Modern Wound CareF.  Trautinger
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Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz Trautinger

Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten
Landesklinikum St. Pölten

Propst-Führer-Straße 4

3100 St Pölten
Österreich

Email: franz.trautinger@stpoelten.lknoe.at

Publication History

Publication Date:
04 October 2007 (online)

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    Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz Trautinger

    1962 beschrieb George D. Winter erstmals die beschleunigte Epithelisierung experimenteller Wunden unter Folienokklusion beim Schwein. Bereits im darauffolgenden Jahr publizierten Hinman und Maibach analoge Ergebnisse beim Menschen. Die Autoren waren hinsichtlich der Relevanz ihrer Entdeckung skeptisch und schrieben: „We do not know whether these observations will fall in the realm of biological curiosity, or if they will have practical importance in the treatment of cutaneous wounds and burns in man.”

    Seit den 1970er-Jahren hat sich das Angebot an verschiedensten Materialien zur feuchten Wundbehandlung vervielfacht und damit der Druck auf Ärzte, Pflegepersonal, Krankenversicherungen und nicht zuletzt auch auf Patienten, diese teilweise teuren Produkte anzuwenden und umzusetzen. Die feuchte Wundbehandlung ist heute für die meisten chronischen Wunden zum Standard geworden. Verbesserte und verkürzte Wundheilung, Verminderung der Schmerzen, erniedrigte Infektionsraten und Reduktion der Behandlungskosten sind die Vorteile, die modernen Verbandstoffen zugeschrieben werden. Die kaum zu überblickende Vielfalt der Materialien und die von den Herstellern und Vertreibern oft angegebenen, allerdings bestenfalls mit Einzelfallbeispielen belegten positiven Eigenschaften machen eine gezielte, evidenzbasierte Auswahl und Anwendung für den verordnenden Arzt nahezu unmöglich. Ein zusätzlicher Faktor, der die sachliche Beurteilung des modernen Wundmanagements erschwert, sind die in Übersichtsarbeiten, Büchern, bei Fortbildungen und Kongressen veröffentlichten Expertenmeinungen, bei denen nicht selten durch Wiederholung und Verstärkung aus Mythen und Vermutungen Wahrheiten werden. Wenn man sich dann auf die Suche nach zugrunde liegender Primärliteratur begibt, findet man leider häufig wenig bis nichts.

    Im Gegensatz zum Arzneimittelbereich müssen für Verbandstoffe keine Wirksamkeitsstudien für die Zulassung vorgelegt werden. Daher existieren derartige Untersuchungen nur in geringer Zahl und die Anforderungen an moderne Therapiestudien werden kaum erfüllt. Die in bunten Broschüren sehr beliebten und unweigerlich mit der Abheilung der Wunde endenden Einzelfallberichte sind gerade im Bereich der Behandlung chronischer Wunden ohne Relevanz, da die Wirksamkeit eines Verbandstoffes im Rahmen der komplexen Therapie einer multifaktoriellen Erkrankung nicht beurteilt werden kann. Häufig angeführt werden auch die persönlichen Erfahrungen einzelner Experten, die sich nicht selten als Protagonisten ihrer bevorzugten Produktgruppe oder Behandlungsmethode zur Verfügung stellen. Man kann sich jedoch kaum einen anderen Bereich der Medizin vorstellen, der mehr subjektiven Einflüssen unterworfen ist, als den der chronischen Wundbehandlung. Vorgefasste Meinungen, subjektive Dokumentation, Empathie und Sendungsbewusstsein machen eine objektive Wirksamkeitsbeurteilung von Verbandstoffen außerhalb von prospektiven Studien unmöglich. Im klinischen Alltag sollte sich daher die kritische Bewertung von Verbandstoffen vor allem auf mechanische Qualität, Verpackung, Ökonomie und Verträglichkeit beschränken. Für die Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit müssen wir gemeinsam im Sinne unserer Patienten gute klinische Studien mit relevanten klinischen Endpunkten fordern!

    Ein Beispiel für den kommerziellen Erfolg einer Produktgruppe trotz ungenügender wissenschaftlicher Evidenz stellt die topische Silbertherapie dar: Als Grundlage für die Anwendung von Silber in verschiedenen Formen dienen theoretische Überlegungen, experimentell-mikrobiologische Untersuchungen, klinische Studien von mangelhafter Qualität und nicht zuletzt die positive Konnotation, die man mit dem Element Silber als „Edelmetall” herstellt. Silber findet daher neben der Wundbehandlung in einer unüberblickbaren Fülle von Quacksalbereien seine Anwendung, wie sich jeder durch eine kurze Suche im Internet eindrucksvoll überzeugen kann. Klinisch wichtige Fakten wie die erforderliche Konzentration, Freisetzung, Resorption, die geeignetste molekulare Form, Resistenzbildung und die eigentlichen Indikationsgebiete sind unbekannt oder umstritten. Dennoch werden die mittlerweile zahlreichen silberhaltigen Produkte stark beworben, finden breite Anwendung und werden häufig bereits als „Standard” für die Behandlung infizierter oder stark kolonisierter Wunden betrachtet.

    Wenn man das Gebiet der Wundverbände also wissenschaftlich kritisch beleuchtet, kommt man sehr bald zu der Feststellung, dass wir über den eingangs zitierten Wissenstand von 1963 nicht wesentlich hinausgekommen sind. Die Skepsis, Selbstkritik und wissenschaftliche Ehrlichkeit von Hinman und Maibach hat daher nach wie vor Gültigkeit, denn was wir heute als Standard der modernen Wundbehandlung betrachten, könnte schon morgen „in the realm of biological curiosity” fallen.

    Ich danke Frau Prof. Dr. Christiane Bayerl für die ehrenvolle Aufnahme in den wissenschaftlichen Beirat und für die Möglichkeit, meine Gedanken zur aktuellen Problematik der Wundbehandlung in diesem Editorial zu publizieren.

    Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz Trautinger

    Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz Trautinger

    Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten
    Landesklinikum St. Pölten

    Propst-Führer-Straße 4

    3100 St Pölten
    Österreich

    Email: franz.trautinger@stpoelten.lknoe.at

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    Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten
    Landesklinikum St. Pölten

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