Einleitung
Einleitung
Die Inzidenz der atopischen Dermatitis hat in den letzten Jahren stark zugenommen
[1]. Die Erkrankung beginnt bei ca. einem Drittel der Patienten bereits mit dem 3. Lebensmonat;
der Großteil ist vor dem 5. Lebensjahr betroffen. Neben den Erythemen korreliert die
Ausbreitung und Intensität des Pruritus mit dem Leidensdruck verbunden mit einer Einschränkung
der Lebensqualität und erfordert daher eine schnell wirksame und effiziente antipruritische
Therapie. Gerade bei Kindern, denen in sehr jungem Alter die Erkrankung und der Pruritus
sowie die Notwendigkeit topischer Basistherapien nicht im vollen Umfang erklärt werden
kann, ist eine rasche Linderung des Pruritus unerlässlich [2].
Akuter und chronischer Pruritus ist ein Kardinalsymptom der atopischen Dermatitis.
Akuter Pruritus entsteht im Rahmen einer akuten Exazerbation der Neurodermitis und
ist überwiegend den entzündlichen Mechanismen zu attributieren. Chronischer Pruritus,
der auch im Intervall bestehen bleiben kann, beruht auf komplexen Mechanismen wie
der Sensibilisierung von Neurorezeptoren oder Aussprossung von Nervenfasern [2]
[4]. Daraus resultiert u. a. die Alloknesis, d. h. eine Juckempfindung, die durch nicht-pruritogene
Reize ausgelöst wird, wie z. B. Pruritus nach mechanischen Stimuli. Konventionelle
Therapien durchbrechen diese Mechanismen nicht und neue Substanzen sind zur therapeutischen
Intervention notwendig, deren Entwicklung in den letzten Jahren durch das Verständnis
der Neuromechanismen erleichtert wurde [5]. In dieser Arbeit sollen einige dieser Mechanismen und die daraus resultierenden
Therapieoptionen dargestellt werden.
Nervenfasern und Neurorezeptoren
Nervenfasern und Neurorezeptoren
Die Haut ist mit einem dichten Netzwerk von Nervenfasern ausgestattet. Diese lassen
sich in A-Fasern (schnell-leitende (20 - 120 m/s), myelinisierte Nervenfasern für
schnellen Schmerz und mechanische Stimuli) und C-Fasern (langsam-leitende, (0,5 -
1 m/s) unmyelinisierte, sog. polymodale sensorische Nervenfasern für Brennschmerz,
Hitze, Kälte, Pruritus) unterscheiden [4]. Die C-Fasern enden als freie Nervenendigungen an der Epidermis-Dermisgrenze bzw.
in der Epidermis und sind mit einer großen Anzahl an Neurorezeptoren ausgestattet.
Die sensorischen Nervenfasern mit einer großen Anzahl an Neuropeptiden üben einerseits
afferente Funktionen aus. Andererseits werden die Neuropeptide bei der Aktivierung
der Nervenfaser ausgeschüttet und nehmen eine Reihe von efferenten Funktionen an kutanen
Zielstrukturen wahr. So wirken Substanz P (SP) und Calcitonin gene-related Peptide
(CGRP) nach Freisetzung aus den sensorischen Fasern auf die Gefäße und verursachen
eine Gefäßdilatation und Plasmaextravasation; es kann ein klinisch relevantes Erythem
und Ödem entstehen („neurogene Entzündung”). Des Weiteren wurde als Einfluss dieser
Faktoren eine vermehrte Keratinozytenproliferation und -differenzierung beschrieben
[6]. Neuropeptide wirken darüber hinaus auch auf kutane Mastzellen. Vielfach wurde die
Freisetzung von Mastzell-Mediatoren durch SP beschrieben, die jedoch von anderen Autoren
bestritten und mit Mikrodialyse-Verfahren nicht bestätigt werden konnte [7]. Eine Vielzahl der Mediatoren aus den Mastzellen wirkt wiederum pruritogen, wie
z. B. Histamin, Tryptase, Endothelin oder verschiedene Interleukine. Dies trägt zu
einer Perpetuierung der Juckempfindung bei. Interessanterweise wurde bei Patienten
mit AD eine Vermehrung der kutanen sensorischen Nervenfasern sowie eine Vermehrung
der Neuropeptide wie SP und CGRP nachgewiesen [8]
[9]
[10]. Diese Befunde scheinen damit zumindest teilweise den chronischen Pruritus zu erklären.
Der bekannteste Neurorezeptor ist der Histamin-1-Rezeptor. Lange galt Histamin als
einziger Mediator, der direkt an dem Rezeptor auf den Nerven Pruritus auslösen kann;
ein Dogma, was seit ca. 10 Jahren widerlegt ist. Ebenfalls im Gegensatz zu früheren
Annahmen steht die Erkenntnis, dass Histamin bei der atopischen Dermatitis von nur
untergeordneter Bedeutung ist. Patienten mit atopischer Dermatitis sind für experimentellen,
Histamin-induzierten Pruritus deutlich weniger empfindlich als Hautgesunde [11]. Dies würde u. a. auch die nur geringe Effizienz von Antihistaminika bei der Neurodermitis
erklären [12]
[13]. Bewährt hat sich jedoch der Einsatz z. T. sedierender Antihistaminika, die auch
schon bei Kindern angewandt werden können, z. B. Cetirizin Tropfen oder Sirup ab dem
1. Lebensjahr [2]. Vor fast einem Jahrzehnt wurde auf den sensorischen C-Nervenfasern der Proteinase-aktivierte
Rezeptor 2 (PAR-2) nachgewiesen [14]. Eine Aktivierung mit Tryptase führt zu einer neurogenen Entzündung und klinischen
Pruritusempfindung. In weiteren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Patienten
mit atopischer Dermatitis einen intensiveren Pruritus im Vergleich zu Hautgesunden
nach Aktivierung des Rezeptors empfinden [15]. Diese Befunde ergänzen die Erkenntnisse zum Histaminrezeptor (Histamin: wenig Pruritusempfinden,
Tryptase: starker Pruritus) und liefern eine weitere Erklärung für das klinische Versagen
von Antihistaminika bei Patienten mit AD ([Abb. 1]). Der Einsatz von PAR-2-Antagonisten erscheint daher eine sinnvolle Therapieergänzung
bei Pruritus im Rahmen der atopischen Dermatitis. Momentan sind die bekannten Antagonisten
jedoch nur für den experimentellen Einsatz geeignet und die klinische Anwendung einschließlich
Phase I Studien steht aus.
TRPV1 und Capsaicintherapie
TRPV1 und Capsaicintherapie
Der TRPV1-Rezeptor (früher: Capsaicin-Rezeptor oder Vanilloid-Rezeptor 1/VR1) ist
im zentralen und peripheren Nervensystem vorhanden und wird auch auf den kutanen Nervenfasern
exprimiert. Seine Besonderheit besteht in der Art des Rezeptors, die sich therapeutisch
nutzen lässt: der Rezeptor ist ein Kationenkanal, der sich bei einmaliger Stimulierung
kurzfristig öffnet, bei kontinuierlicher Stimulation eine permanente Öffnung („Desensibilisierung”)
aufweist. Durch diesen Kationenkanal wird das Aktionspotential der Nervenfaser, was
letztendlich zu der Empfindung von Pruritus und Brennschmerz führt, sowie die Ausschüttung
der Neuropeptide reguliert. Entsprechend kann bei kontinuierlicher Stimulierung durch
eine Weitstellung der Kanäle ein intra- und extrazelluläres Ionengleichgewicht erzielt
werden, was die Auslösung eines Aktionspotentials und somit die Auslösung von Brennschmerz
und Juckempfindung verhindert [16]. Capsaicin wird daher seit dem 19. Jahrhundert bei Schmerz und Pruritus unterschiedlicher
Genese topisch angewandt, z. B. als ABC-Pflaster. Auch bei subakuten und chronischen
Formen der Neurodermitis oder auch der Prurigoform der AD hat sich der Einsatz von
Capsaicin bewährt. Durch die initiale Auslösung von Brennschmerz empfiehlt sich eine
langsame Eindosierung der Capsaicinkonzentration (0,025 % - 0,05 % - 0,075 % - 0,1
%). Dazu stehen leider derzeit keine kommerziellen Präparate zur Verfügung und es
muss auf eine Magistralrezeptur (Rp. 1 % Extractum Capsici 2,5 g in Ung. Leniens ad
100 g, entspricht 0,025 % Capsacincreme) verwiesen werden. Bei Kindern ab dem 10.
Lebensjahr ist Capsaicin nur in Ausnahmefällen anzuwenden. Durch Kontakt der Creme
mit den Händen und versehentliches Einbringen in das Auge kann eine starke Reizung
erzielt werden, die bei Kindern unter dem 10. Lebensjahr fast nicht vermieden werden
kann [17].
Es besteht ein interessanter Zusammenhang zwischen dem Capsaicinrezeptor und der Therapie
mit den Calcineurininhibitoren. Pimecrolimus und Tacrolimus weisen gel. in der Initialphase
der Therapie die Symptome einer neurogenen Entzündung auf, wie es auch unter Capsaicinanwendung
beobachtet werden kann. Neue experimentelle Untersuchungen am Tiermodell haben gezeigt,
dass sowohl Tacrolimus als auch Pimecrolimus an dem Capsaicinrezeptor TRPV1 binden,
eine neurogene Entzündung und Mastzelldegranulation auslösen [18]
[19]. Dies erklärt zum einen das initiale Brennen der Therapie. Zum anderen wird hierdurch
die antipruritische Wirkung der Therapie erklärt, die in allen Studien der letzten
Jahre dokumentiert wurde. Der Effekt setzt innerhalb der ersten Therapietage ein und
steigert sich mit kontinuierlicher Anwendung. Bei verschiedenen Formen der atopischen
Dermatitis ist dies somit eine Alternative zu der Capsaicintherapie, die darüber hinaus
bei kleinen Kindern Anwendung finden kann und rezeptierbar ist [20]
[21]
[22].
Cannabinoidrezeptoren und Therapie mit Agonisten
Cannabinoidrezeptoren und Therapie mit Agonisten
Aktuelle neuroanatomische und neurophysiologische Untersuchungen zeigten, dass das
Cannabinoidsystem mit Liganden und Rezeptoren funktionell in der Haut exprimiert ist.
Beide bisher bekannten Cannabinoidrezeptoren wurden auf kutanen sensorischen Nervenfasern
und Mastzellen nachgewiesen [23]. Werden sie aktiviert, kommt es zu einer klinisch relevanten Unterdrückung von Pruritus,
Brennschmerz und Mastzelldegranulation [24]. Auch wenn die genauen molekularen Mechanismen und weitere beteiligte Zielstrukturen
dieser Wirkung noch diskutiert werden, wurde bereits in verschiedenen klinischen Applikationen
die Wirksamkeit einer Creme-Zubereitung mit N-Palmitoylethanolmin bei juckenden Dermatosen
belegt. So wurden in einer groß angelegten klinischen Untersuchung mit über 2000 Patienten
inklusive über 900 Kindern bis 12 Jahre die symptomlindernden Effekte bei subakuten
und chronischen Stadien der atopischen Dermatitis gezeigt [25]. Des Weiteren liegen Erfahrungen mit diesem Endocannabinoid in kleineren Patientenkollektiven
bei der Behandlung verschiedener Pruritusformen vor wie dem renalen Pruritus, dem
aquagenen Pruritus, dem brachioradialen Pruritus sowie der Prurigo nodularis [26]. Bislang kann festgestellt werden, dass topische Cannabinoidagonisten in der vorhandenen
Formulierung eine effektive antipruritische Therapie mit guter Verträglichkeit bei
verschiedenen juckenden Dermatosen insbesondere der AD darstellt und bei Kindern gut
einsetzbar ist.
Topische Therapie
Topische Therapie
Ergänzend zu den genannten Möglichkeiten einer topischen Therapie können bei akut
verstärktem Pruritus weitere topische Präparate eingesetzt werden, die schnell für
einen kurzen Zeitraum Pruritus lindern ([Tab. 1]). Substanzen wie Polidocanol (syn: Thesit), Menthol, Campher oder Gerbstoffen können
auch bei Kindern eingesetzt werden. Harnstoff kann versuchsweise ebenfalls angewandt
werden, kann aber in Konzentrationen ab 5 % zu einem Brennen führen. Wichtig ist auch
die Beibehaltung einer Basistherapie, um eine weitere Schädigung der Hautbarriere
zu verhindern und einer Trockenheit der Haut vorzubeugen. Beides sind Faktoren, die
Pruritus fördern können [2]
[5]
[27].
Periphere und zentrale Sensibilisierung
Periphere und zentrale Sensibilisierung
Durch die Entzündung, die sich bei der AD in der Haut abspielt, gelangen verschiedene
Mediatoren mit den Entzündungszellen an die Nervenfasern. Zum Beispiel können eosinophile
Granulozyten direkt an Nervenfasern binden; Granulaproteine wie das Eosinophil-derived
neurotoxin (EDN) stimulieren Nervenfasern und können Pruritus auslösen. Neurotrophine
wie Nerve Growth Factor (NGF), Brain-derived Neurotrophic Factor (BDNF) und Neurotrophin-3
(NT3) führen zu einer Nervenfaserproliferation und peripheren Sensibilisierung [28]. Insbesondere NGF beeinflusst die Neurorezeptoren und bewirkt eine Herabsetzung
der Reizschwelle des Histaminrezeptors oder auch des Capsaicinrezeptors (TRPV1) [29]. Durch eine Capsaicintherapie gelingt die Durchbrechung der peripheren Sensibilisierung.
Auch im zentralen Nervensystem (ZNS) kann eine Sensibilisierung durch die ständige
Aktivierung der Afferenzen auftreten. So wurde gezeigt, dass kutane Schmerzreize im
ZNS als Jucken empfunden werden. Dies erklärt die klinische Beobachtung, dass Patienten
durch Kratzen vermehrt Pruritus angeben [30]. Eine Unterbrechung der zentralen Sensibilisierung gelingt nur mit einer systemischen
Therapie, z. B. mit Gabapentin oder Naltrexon. Diese Substanzen sind jedoch bei Kindern
nicht einsetzbar. Wichtig ist daher eine frühe Intervention und Prävention chronischer
Mechanismen bei Kindern. Dies gelingt in erster Linie mit den genannten topischen
Therapien einschließlich topischer Steroide; systemische Kortikosteroide (Prednisolon,
alternativ Prednison), Immunsuppressiva wie Cyclosporin A (nicht zugelassen, in Studien
ab 2. Lebensjahr eingesetzt) oder UV-Therapien (in Ausnahmen ab 10. Lebensjahr) sind
in Einzelfällen ebenfalls zielführend ([Tab. 2]) [5]
[27].
Tab. 1 Topische antipruritische Therapiemöglichkeiten bei Kindern
Erste Maßnahmen und „Erste Hilfe”:
- Rückfettende Basistherapie - Abkühlung der Haut (Menthol, Campher) - Harnstoff: cave: über 5 % Konzentration führt zu Brennen bei Kindern - Lokalanästhetika (Polidocanol) - Kortikosteroide (Klasse 2/3) - Calcineurininhibitoren: ab 2 Jahren zugelassen - Cannabinoidagonisten - Capsaicin: erst ab 10. Lebensjahr zu empfehlen |
Tab. 2 Systemische antipruritische Therapien
Antihistaminika: je nach Präparat ab 1 bis 12 Jahren zugelassen: z. B. Cetirizin 1.
LJ, Desloratadin 2. LJ |
Kortikosteroide: Prednisolon (alternativ Prednison) |
Cyclosporin A: nicht zugelassen, in Studien ab 2. LJ eingesetzt |
UV-Therapie: in Ausnahmen ab 10. LJ |
Abb. 1 Rolle des Histamin- und PAR-2 Rezeptors bei der Neurodermitis: Bei Anwendung von Antihistaminika
wird nur der Histaminrezeptor blockiert; die Juckempfindung jedoch hauptsächlich über
den PAS-2-Rezeptor mediiert, was die geringe klinische Effizienz dieser Therapie erklärt.