Aktuelle Urol 2007; 38(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-2007-965844
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hodentumor - RLA erfolgreich bei Patienten mit Nichtseminom im klinischen Stadium I mit oder ohne Gefäßinvasion

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Publication Date:
09 February 2007 (online)

 
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Welche Ergebnisse liefert die primäre retroperitoneale Lymphadenektomie (RLA) bei Männern mit nichtseminomatösen Keimzelltumoren im klinischen Stadium I mit oder ohne Gefäßinvasion? Dieser Frage gingen A. J. Stephenson et al. in ihrer Studie nach. (J Urol 2005; 174: 557-560)

Der prospektiven Studie liegen die Daten von 267 Patienten zugrunde, die sich in den Jahren 19892 einer primären retroperitonealen Lymphadenektomie (RLA) unterzogen. Bei allen Patienten war zuvor ein nichtseminomatöser Keimzelltumor im klinischen Stadium I-IIA diagnostiziert worden. Untersucht wurden Patienten, in deren Histologie überwiegend embryonale Karzinome und/oder eine Lymph-/Gefäßinvasion nachgewiesen worden waren. Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum nach dem Eingriff lag bei 53 Monaten.

42% der Patienten zeigten ein pathologisches Stadium (pS) II. 54% dieser pSII-Patienten hatten geringvolumige Lymphknoten-Metastasen (N1), bei 16% fand sich ein Teratomanteil im RLA-Präparat. Die 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für ein progressionsfreies Überleben betrug in der Gesamtpopulation 90%-für die Patienten der pSI-Gruppe 90% und 86% für die Patienten, die der pN1-Kategorie zugeordnet worden waren.

Alle Patienten, die im Nachuntersuchungszeitraum ein Rezidiv aufwiesen, waren nach einer Standard-Chemotherapie mit oder ohne Resektion des residualen Gewebes tumorfrei und die Überlebensrate lag für die folgenden 10 Jahre bei 100%.

Würde die adjuvante Chemotherapie auf Patienten mit einem Stadium pN2 beschränkt, beliefe sich die geschätzte 5-Jahres-Rezidivrate auf 9%. Nach der statistischen Berechnung durch die Autoren müssten sich 72% der Patienten keiner Chemotherapie unterziehen.

Diese Ergebnisse zeigen, dass bei der Behandlung von Patienten in einem frühen Stadium (klinisches Stadium I oder IIA) und mit Embryonalzellkarzinomen und/oder Lymph-/Gefäßinvasion, die nicht für eine reine Surveillance infrage kommen, die RLA eine sinnvolle Behandlungsoption darstellt. Basis für diese Entscheidung bilden das geringe Risiko eines systemischen Rezidives bei Patienten mit pSI und pN1 nach einer RLA alleine, kombiniert mit der 16% Wahrscheinlichkeit einer Inzidenz eines retroperitonealen Teratoms, welches chemoresistent ist, sowie das günstige Morbiditätsprofil.

Laut der Schätzung der Autoren würde 72% der Patienten die potentielle Toxizität der Chemotherapie erspart, wenn die adjuvante Therapie auf Patienten mit pSII beschränkt wird.

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Abb. 1 Laparoskopische Entfernung eines interaortokavalen Lymphknotenkonglomerats während einer laparoskopischen modifizierten retroperitonealen Lymphadenektomie (RLA) rechts (Bild: Jocham D, Miller K. Praxis der Urologie. Thieme, 2003).

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Abb. 2 Operationssitus bei retroperitonealer Lymphadenektomie (Bild: Jocham D, Miller K. Praxis der Urologie. Thieme, 2003).

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Fazit

Nach der Meinung der Autoren, sollte die primäre retroperitoneale Lymphadenektomie bei Patienten mit Hodentumoren in einem klinischen Stadium I/IIA mit überwiegend embryonalen Karzinomen und/oder Lymph-/Gefäßinvasion die bevorzugte Behandlungsmethode darstellen.

Britta Brudermanns, Köln

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Kommentar

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S. Krege

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RLA sinnvolle Alternative

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Konsensuskonferenz empfiehlt risikoadaptiertes Vorgehen

Entgegen dem Fazit der vorliegenden Arbeit wurde auf der ersten europäischen Konsensuskonferenz 2002 zur Diagnostik und Therapie des Hodentumors [1] für Patienten mit einem Nichtseminom im klinischen Stadium I entsprechend dem Vorliegen (V+) oder Fehlen (V-) einer vaskulären Invasion ein risikoadaptiertes Vorgehen vorgeschlagen. Patienten V- werden einer Überwachungsstrategie (Surveillance) unterzogen, Patienten V+ erhalten zwei adjuvante Kurse einer PEB-Chemotherapie. Als Alternative wird bei V+ die Surveillance vorgeschlagen, da 50% der Patienten, die keine retroperitoneale okkulte Metastasierung haben, die Chemotherapie unnötig erhalten. Alternative bei V- ist die adjuvante Chemotherapie, da meist die Patienten nicht für eine Surveillance infrage kommen, denen die entsprechende Compliance zu dieser Strategie fehlt. So wird bei ihnen das Risiko, ein Rezidiv zu entwickeln von 14 auf 3-5% minimiert. Die nerv-protektive retroperitoneale Lymphadenektomie (RLA) wird nur als dritte Alternative bei Ausscheiden der jeweils anderen beiden Optionen genannt, da durch sie das spätere extraperitoneale Rezidivrisiko von ca. 10% nicht beseitigt wird. Außerdem wird die RLA selbst in der High-risk-Gruppe (V+) in 50% der Fälle unnötig durchgeführt.

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Surveillance: gute Ergebnisse, aber psychischer Druck

Es sind hier die Vor- und Nachteile der drei Optionen zu nennen [2]: Bei einer risiko-adaptierten Surveillance wird kein Patient einer unnötigen Therapie unterzogen. Allerdings entwickeln 14-15% ein Rezidiv, das mit einer Standard-Chemotherapie (3-4 Zyklen PEB) in den meisten Fällen geheilt werden kann. Um das Rezidiv frühzeitig zu entdecken, bedarf es einer regelmäßigen, qualitativ hochwertigen Nachsorge, die entsprechende Ansprüche an Patient und Arzt stellt. Die Nachsorge betrifft Retroperitoneum und Lunge. Oftmals wird berichtet, dass sich Patienten unter Surveillance einem hohen psychologischen Druck (Damoklesschwert des Rezidivs) ausgesetzt fühlen, obwohl sie sich selbst für dieses Vorgehen entschieden haben.

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Adjuvante Chemotherapie: gute Ergebnisse, aber hohe Toxizität

Mit adjuvanter Chemotherapie in der High-risk-Gruppe (V+) wird das Rezidivrisiko auf 3-5% minimiert. Zwar sind Retroperitoneum und Lunge zu kontrollieren, allerdings können bei diesem geringen Rezidivrisiko die Intervalle großzügiger gewählt werden. 50% der Patienten werden durch die Chemotherapie allerdings unnötigerweise einer Toxizität ausgesetzt, u.a. einer vorübergehenden Beeinträchtigung der Fertilität. Die vorliegende Literatur zeigt allerdings keine wesentliche Spättoxizität nach zwei Zyklen PEB-Chemotherapie. Für das Auftreten von Spätmalignomen fehlen Daten nach adjuvanter Chemotherapie.

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RLA: histologische Sicherheit, aber jeder zweite Eingriff unnötig

Durch die RLA wird eine Histologie gewonnen. Patienten mit einem höheren Stadium werden entsprechend identifiziert und ggf. einer anschließenden Chemotherapie unterzogen. 50% der Patienten erhalten die Operation mit einer Morbidität von 8-10% unnötigerweise. Insbesondere ist als Komplikation die retrograde Ejakulation zu nennen. Zwar wird das Risiko für das Stadium I in der Literatur mit nur 2% angegeben, bezieht sich aber auf ausgewiesene Zentren. In der Nachsorge kann die Kontrolle des Retroperitoneums vernachlässigt werden. Das Rezidivrisiko pulmonal liegt bei 10%. Insgesamt betragen die Heilungsraten für den Patienten bei allen drei Optionen 98%-100%.

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Therapie im Stadium IIa

Das Marker-negative klinische Stadium IIa wurde im Konsensuspapier aufgrund der Schwierigkeit der Definition in der Bildgebung als besondere Entität dargestellt. Als Optionen werden die nerv-protektive RLA oder eine zunächst engmaschige (6-wöchige) Verlaufskontrolle genannt. Findet sich bei der Lymphadenektomie ein pathologisches Stadium, geht der Patient in die Nachsorge, bei Nachweis eines höheren Stadiums wird ggf. nach Befundresektion eine adjuvante Therapie mit zwei Zyklen PEB angeschlossen.

Bei dem Vorgehen der zunächst engmaschigen Kontrolle wird die weitere Entscheidung von der Entwicklung des Befundes in der Bildgebung abhängig gemacht. Kommt es zu einer Vergrößerung des Lymphknotens, wird eine Chemotherapie mit 3 Zyklen PEB durchgeführt. Bei Regression des Befundes geht der Patient in die Nachsorge. Bei gleichbleibender Größe wird die engmaschige Kontrolle fortgesetzt oder es wird die Entscheidung zur RLA getroffen.

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Chemotherapie bei Teratom unwirksam

Im Zusammenhang mit der Beurteilung der verschiedenen Therapieoptionen im klinischen Stadium I und IIA soll erwähnt werden, dass der histologische Nachweis von Teratom bedeutet, dass dieses Gewebe auf Chemotherapie nicht angesprochen hätte. Die Inzidenz für Teratom lag in einer Arbeit von Sheinfeld et al. für die niedrigen Stadien insgesamt bei 9%, stieg allerdings mit zunehmendem Stadium (CSI 3%, CSIIA 22%) [3].

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Höherer Stellenwert für RLA?

Phenson et al. favorisieren bei High-risk-Patienten mit klinischem Stadium I und IIa die nerv-protektive Lymphadenektomie. Bei dem sehr geringen Rezidivrisiko bei pN1-Befunden haben sie auf eine adjuvante Chemotherapie verzichtet, sodass in ihrem Patientengut 72% der Patienten keine Chemotherapie erhalten haben und damit die genannten Nachteile einer solchen Therapie vermieden werden konnten. Wie berichtet, betrug die Progressionsfreiheit nach 5 Jahren für das Gesamtkollektiv 90%, für pSI ebenfalls 90% und bei pN1 86%, das 10-Jahres-Gesamtüberleben 100%. Das Teratomgewebe, welches nicht auf Chemotherapie anspricht, wurde primär seziert, sodass sich auch das Risiko eines späteren Rezidivs vermindert. Vor diesem Hintergrund bleibt zu fragen, ob der retroperitonealen Lymphadenektomie in diesen frühen Stadien nicht doch wieder ein höherer Stellenwert eingeräumt werden sollte. Allerdings setzt dies eine entsprechende Expertise im nerv-protektiven Operieren voraus, denn der Verlust der Ejakulation wird für die meist jungen Männer schwerer wiegen als die mäßige Toxizität durch zwei Kurse PEB.

Literatur beim Autor

Dr. Susanne Krege, Essen

Prof. Dr. Herbert Leyh, Garmisch-Partenkirchen

 
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Abb. 1 Laparoskopische Entfernung eines interaortokavalen Lymphknotenkonglomerats während einer laparoskopischen modifizierten retroperitonealen Lymphadenektomie (RLA) rechts (Bild: Jocham D, Miller K. Praxis der Urologie. Thieme, 2003).

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Abb. 2 Operationssitus bei retroperitonealer Lymphadenektomie (Bild: Jocham D, Miller K. Praxis der Urologie. Thieme, 2003).

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S. Krege

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