Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39(3): 195-196
DOI: 10.1055/s-2007-965374
Kommentar

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommentar zur Arbeit von G. Maio: Ist die ästhetische Chirurgie überhaupt noch Medizin? Eine ethische Kritik

Handchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 189 - 194Commentary on the Article of G. Maio: Is Aesthetic Surgery Still Really Medicine? An Ethical CritiqueHandchir Mikrochir Plast Chir 2007; 39: 189 - 194U. Schmidt-Tintemann
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Prof. Dr. med. Ursula Schmidt-Tintemann

Möschenfelder Straße 66

85591 Vaterstetten

Publication History

eingereicht 3.5.2007

akzeptiert 10.5.2007

Publication Date:
02 July 2007 (online)

Table of Contents

    Der Text des Ethikexperten G. Maio, Freiburg, nennt eine unübersehbare Fehlentwicklung beim Namen. Es geht ihm um jenen Teilbereich der Plastischen Chirurgie, der sich mit der Korrektur oder Wiederherstellung der äußeren Erscheinung befasst.

    Jahrhundertelang war Plastische Chirurgie ärztliches Handeln im Interesse der Patienten. Gleich ob es sich um die Wiederherstellung der durch Krankheit oder Verletzung verlorenen Körperform und Funktion ging oder um die Beseitigung der Entstellung durch die Waffen des modernen Krieges. Nie war sie bloß eine Dienstleistung. Nie waren Plastische Chirurgen Handlanger eines flächendeckenden Jugend- und Schönheitswahns und dessen Propaganda.

    Jahrhundertelang haben Plastische Chirurgen nur operiert, wenn ihre Eingriffe ärztlich indiziert waren und in einem vertretbaren Verhältnis zum Risiko standen. Machbarkeit allein war ebenso wenig ein Kriterium wie der Wunsch eines Kunden, irgendeinem Filmstar ähnlicher zu werden. Und damit ich nicht missverstanden werde: Auch eine gestörte Funktion der äußeren Erscheinung kann zu einem erheblichen Leidensdruck führen. So wie der Handchirurg in seine Indikation mit einbeziehen muss, ob der Verletzte von Beruf Handarbeiter ist oder ob er seine Hände nur zum Binden der Schnürsenkel braucht, so muss der Plastische Chirurg in seine Indikation mit einbeziehen, ob ein Patient durch die ersten Anzeichen des Alterns seinen Beruf verliert. So verwerflich und so unethisch derartige gesellschaftliche Zwänge sein mögen, es fragt sich, ob der Plastische Chirurg immer auf Kosten seiner Patienten Widerstand leisten darf.

    Der Verfasser ist kein Plastischer Chirurg. Er kann daher nichts von den Konflikten wissen, denen ein Plastischer Chirurg immer wieder ausgesetzt ist. Wenn er einem Patienten eine ebenso sinnlose wie überflüssige Operation ausredet, kann er sicher sein, dass sich der Patient einen anderen Operateur sucht und den auch findet. Einen, der es mit der Indikation nicht so genau nimmt und der es wahrscheinlich auch mit seiner Ausbildung nicht so genau genommen hat.

    Aber der Verfasser hat recht: Immer mehr Operateure fallen auf die kontemporäre Überbetonung des Äußeren herein. Immer mehr von ihnen unterwerfen sich einem Ungeist, der Äußerlichkeit hegt und Innenleben verkümmern lässt. Immer mehr dienen sich den uniformesken Zwängen einer totalitären Vereinheitlichung der äußeren Erscheinung an.

    Chirurgen wie Zeis, Dieffenbach, Graefe oder Lexer haben in der Vergangenheit die Plastische Chirurgie aufgebaut. Neue Einsichten in Gewebestrukturen und Wundheilung, verbesserte Anästhesie, neues Instrumentarium und das Operationsmikroskop haben das Fach im Sinne ihrer Gründer erweitert. Jetzt wird das Fell des Bären verteilt.

    Heute haben Plastische Chirurgen für Verbrennungschirurgie, Handchirurgie, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie eigene Vizepräsidenten. Schlimmstenfalls kommen bald Repräsentanten für Liposuktion oder für Körperdekoration (wie Lid-, Lippen- oder Genitalpiercing) hinzu.

    Der weitaus lukrativste Teil der aufgeteilten Plastischen Chirurgie ist die so genannte „ästhetische Chirurgie“, die auf ärztliche Indikation oft ganz verzichtet.

    Spätestens wenn sich die Traumatologen und die Orthopäden aus der Konkursmasse die Mikrochirurgie oder die Handchirurgie geholt haben, sollten operierende Dienstleister aufhören, sich den Kunden immer noch als Ärzte zu empfehlen.

    Handelt es sich bei einer Chirurgie, die sich dem Markt unterwirft, noch um Medizin, fragt der Verfasser rhetorisch. Wenn sie alles macht, was machbar ist, solange es nur der Kunde wünscht und es sich für den Operateur rentiert? Natürlich nicht!

    Es schmerzt, dass der Verfasser mit seiner Skepsis recht hat. Vielleicht wird seine Kritik von außen leichter angenommen als die seit Jahren deutlich ausgesprochene von innen. Aber vielleicht hat die Plastische Chirurgie trotz der von G. Maio kritisierten Entwicklung eine Chance. Die Zahl der Plastischen Chirurgen, die sich nicht dem Zeitgeist unterwerfen, die sich der Vereinnahmung durch den Schönheitsmarkt entschieden verweigern, die Widerstand leisten und im Interesse ihrer Patienten Ärzte bleiben, lässt hoffen.

    Prof. Dr. med. Ursula Schmidt-Tintemann

    Möschenfelder Straße 66

    85591 Vaterstetten

    Prof. Dr. med. Ursula Schmidt-Tintemann

    Möschenfelder Straße 66

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