Fluoride sind aus der Kariesprophylaxe nicht mehr wegzudenken aufgrund ihrer in zahlreichen
Studien nachgewiesenen Effektivität. Ergebnisse umfangreicher klinischer und chemischer
Untersuchungen haben gezeigt, dass Fluoride die Empfindlichkeit des Zahnmaterials
gegen Demineralisierung im sauren Milieu verringern und gleichzeitig die Remineralisierung
durch den Wiedereinbau von Kalzium und Phosphaten begünstigen (für einen Überblick
s. z.B. die zusammenfassenden Darstellungen bei Hellwig et al. 2006, Fejerskov et
al. 1996). Im Vergleich zur systemischen Fluoridierung wird seit einiger Zeit der
direkten Applikation von Fluoriden auf die Zahnoberfläche, z.B. durch Verwendung fluoridhaltiger
Zahnpflegemittel wie Zahnpasten oder Mundspüllösungen, eine größere Wirksamkeit zugeschrieben.
Ein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Wirkmechanismus besteht in der Bildung
von kalziumfluoridähnlichem Material (im Folgenden kurz als CaF2 bezeichnet) direkt auf der Zahnoberfläche oder im Bereich der umgebenden Plaque.
In der Literatur besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass solche CaF2-Reaktionsprodukte die Rolle von temporären fluoridhaltigen Reservoirs übernehmen
können. Durch deren langsame Auflösung ist eine geringe kontinuierliche Fluoridkonzentration
in der Mundhöhle verfügbar, auch in Zeiträumen zwischen den Anwendungen von Zahnpflegemitteln
(J. Klimek 2007). Unter dieser Voraussetzung kommt der Fähigkeit von Zahnpflegemitteln,
solche Reservoirs zu bilden, eine beträchtliche praktische Bedeutung zu. Mithilfe
von elektronenmikroskopischen Analysen soll im Folgenden versucht werden, die Bildung
von CaF2-Fluoridreservoirs auf der Zahnoberfläche zu veranschaulichen, welche sich bei Einsatz
aminfluoridhaltiger Wirkstoffe und Zahnpflegeprodukte bilden.
Bildung und Stabilität von kalziumfluoridähnlichem Material auf der Zahnoberfläche
Mithilfe der Rasterelektronenmikroskopie (REM) und der Röntgenanalyse (EDX) lässt
sich demonstrieren, dass die mineralische Grundsubstanz von Zahnschmelz im Wesentlichen
aus nadelförmigen Hydroxylapatit-Kristalliten (Ca5(PO4)3(OH)) mit Durchmessern im Bereich von ca. 30 nm gebildet wird (Abb. [1]).
Zusätzliche Einlagerungen, u.a. von Karbonaten, erhöhen die Löslichkeit des Minerals.
Durch die Einwirkung organischer Säuren der Plaque entsteht in der Mundhöhle ein dynamisches
Gleichgewicht zwischen Auflösung und Niederschlag des Apatits. Dadurch steht immer
eine bestimmte Menge Kalzium-Ionen in der Flüssigkeitshülle zur Verfügung, welche
den Zahn umgibt (Fejerskov und Clarkson 1996).
Abb. 1 Schmelzoberflächen-Mikrostruktur im Bereich einer Prismengrenze mit einzelnen
Hydroxylapatit-Kristalliten (REM).
Bei der Einwirkung von Zahnpflegemitteln, die ionisches Fluorid enthalten (z.B. Aminfluoride
oder NaF), reagieren Kalzium- und Fluorid-Ionen und bilden ein kalziumfluoridähnliches
Material, das wegen seiner geringen Löslichkeit im Allgemeinen relativ rasch ausfällt
(Rölla und Ekstrand 1996). Dieser Prozess ist für In-vitro-Modellversuche mit Aminfluoridlösungen
(1000 ppm Olaflur, 2 min, pH-Wert der Lösung: 4,5) anhand der typischen Bildung von
nahezu halbkugelförmigen sogenannten Fluorid-Globuli im REM sehr gut nachweisbar (Abb.
[2], [3]). Die Durchmesser der gebildeten CaF2-Globuli liegen dabei im Bereich von wenigen 10 nm bis zu ca. 1 µm.
Abb. 2 Bildung von globulären CaF2-Präzipitaten auf einer mit Olaflur behandelten Zahnschmelzoberfläche (Fluoridkonzentration
1000 ppm, 2 min, Acetatpuffer pH: 4,5, REM).
Abb. 3 Einzelner Fluorid-Globulus (REM), Ausschnittsvergrößerung aus Abb.
[2].
Auch für aminfluoridhaltige Zahnpflegeprodukte wie Gelees, Mundspüllösungen oder Zahnpasten
wurden bei REM-Untersuchungen vergleichbare Ergebnisse erhalten (Abb. [4], [5], [6].), wobei die Einwirkungsdauer des Fluorids bei allen hier vorgestellten Untersuchungen
jeweils nur im Bereich von 1-6 min lag.
Abb. 4 Schmelzoberfläche mit CaF2-Globuli nach 1 min Behandlung mit elmex gelée (gemischt mit Speichel 1:1, REM).
Abb. 5 CaF2-Präzipitate auf einer Schmelzoberfläche nach 6 min Behandlung mit elmex Kariesschutz
Zahnspülung (REM).
Abb. 6 CaF2-Präzipitate auf einer Dentinoberfläche, gebürstet mit elmex Sensitive Zahnpasta (2
min, gemischt mit Speichel).
Eine detailliertere Analyse der Wechselwirkungen von Aminfluoriden mit der Zahnsubstanz
ist durch den Einsatz der Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) möglich. Mithilfe
eines fokussierten Ionenstrahls (FIB = Focused Ion Beam) wird dafür die fluoridierte
Zahnoberfläche, samt CaF2-Globuli, präzise im Querschnitt präpariert, sodass eine dünne Lamelle entsteht, die
der Elektronenstrahl durchdringen kann (Abb. [7].). Die erforderlichen Probendicken liegen dabei im Bereich von nur ca. 50-100 nm,
d.h. in der Größenordnung von etwa 1/1000 eines Haardurchmessers.
Abb. 7 Erzeugung und Entnahme einer elektronenstrahltransparenten Lamelle für die
TEM-Analyse, präpariert mittels fokussierender Ionenstrahltechnik (FIB).
Abb. [8]. zeigt einen solchen TEM-Querschnitt durch eine mittels 1000 ppm Olaflur-Lösung
für 1h behandelte Schmelzoberfläche (Petzold et al. 2004). Deutlich ist die gut haftende
Ablagerung des kalziumfluoridähnlichen Materials auf der Zahnoberfläche zu erkennen,
während die Schmelzschichten keinerlei Anzeichen einer morphologischen Umwandlung
oder einer Zwischenschichtbildung zeigen.
Abb. 8 Querschnitt durch eine fluoridierte Zahnschmelzoberfläche (TEM).
Vergleichbare Ergebnisse lassen sich außer für gesunden Schmelz auch für die Wechselwirkungen
mit demineralisierten Initialläsionen (Abb. [9].) oder mit der Dentinoberfläche erhalten.
Abb. 9 CaF2-Bildung an der Oberfläche einer demineralisierten Läsion nach Fluoridierung mit Aminfluoridlösung
(1000 ppm Olaflur, 1 h, pH: 4,5, REM).
Die im TEM zusätzlich mittels Röntgenanalyse (nanospot-EDX) durchführbare Bestimmung
der atomaren chemischen Zusammensetzung liefert für die Fluorid-Globuli typischerweise
Werte von etwa 50 Atomprozent Fluor bei zusätzlichem Einbau u.a. von Phosphaten (Petzold
et al. 2004, Petzold 2001). Im Vergleich dazu ist in den unmittelbar angrenzenden
Schmelzbereichen keine Fluoridanreicherung nachweisbar bzw. nur eine im Bereich der
Messunsicherheit liegende (kleiner ca. 1%). Eine unmittelbare Umwandlung des Zahnschmelzes
in Fluorapatit bei einmaliger Fluoridierung ist daher eher als unwahrscheinlich anzusehen.
Für eine Rolle als Fluoridreservoir müssen die auf der Zahnoberfläche gebildeten Fluorid-Globuli
nicht nur eine hohe Fluoridkonzentration aufweisen, sondern gleichzeitig auch eine
hinreichend stabile Retention bei mechanischer und chemischer Belastung zeigen. Für
die Untersuchung der Stabilität von CaF2-Präzipitaten auf der Zahnoberfläche wurden Schmelzproben zunächst im Reagenzglas
fluoridiert und anschließend in kieferorthopädischen Apparaten in situ in der Mundhöhle
getragen.
Die rasterelektronenmikroskopische Analyse zeigt den Zustand einer solchen Probe nach
einer Tragedauer von 10 Tagen (Abb. [10].). Zwar ist ein Verlust an CaF2 erkennbar, jedoch ist das Vorhandensein von Fluoridpräzipitaten immer noch nachweisbar
(Petzold et al. 2004). Auch bei mechanischer Belastung durch eine Zahnbürste konnte
eine hohe Stabilität festgestellt werden (Abb. [11].).
Abb. 10 In vitro fluoridierte Zahnschmelzprobe, Reste von CaF2-Präzipitaten nach 10 Tagen Tragedauer in einem In-situ-Versuch.
Abb. 11 REM-Abbildung einer fluoridierten Schmelzoberfläche mit CaF2-Präzipitaten nach Reibkontakt mit einem Zahnbürsten-Filament (unten rechts).
Es sind jedoch noch etliche Fragen zur Löslichkeit und Reaktivität fluoridhaltiger
Präzipitate offen, bedingt durch mögliche Wechselwirkungen mit der oralen Umgebung,
die beispielsweise zur Adsorption von Proteinen und/oder Phosphaten an der Oberfläche
führen können (Rölla und Ekstrand 1996).
Vergleich unterschiedlicher fluoridhaltiger Wirkstoffe
Bei der Beurteilung unterschiedlicher fluoridhaltiger Wirkstoffe kommt es auch darauf
an, wie schnell die Bildung von fluoridhaltigen Reservoirs innerhalb der relativ geringen
Einwirkungsdauer von Zahnpflegeprodukten von nur wenigen Minuten möglich ist. Für
aminfluoridhaltige Wirkstoffe konnte bei In-vitro-Untersuchungen an Schmelzproben
gezeigt werden, dass die CaF2-Bildung bereits wenige Sekunden nach Applikation des Fluorids nachweisbar ist (Petzold
2001) (Abb. [12].).
Abb. 12 Untersuchung der Reaktionskinetik der CaF2-Präzipitation in einer Rasterkraftmikroskopie-Flüssigkeitszelle (AFM) nach Aminfluorid-Applikation
(z. B. elmex).
Dies gilt insbesondere für leicht saure Lösungen, da bei pH-Werten unter 5,5 zusätzliches
Kalzium aus der Schmelzoberfläche für die Reaktion zur Verfügung steht. Der schwach
saure Charakter der Aminfluoride unterstützt daher die rasche Bildung von CaF2-Fluoridreservoirs. Während sich bei gleich saurem pH-Wert aminfluoridhaltige Lösungen
und NaF-Lösungen in der Kinetik nicht unterscheiden, konnten für Natriummonofluorphosphat-Lösungen
keine vergleichbaren Reaktionen gefunden werden, auch bei Einwirkungszeiten im Bereich
von mehreren Stunden und Mischungen mit Speichel (Petzold 2001). Natriummonofluorphosphat
weist aufgrund der kovalenten Bindung des Fluorids an das Phosphat einen anderen Wirkmechanismus
auf.
Schlussfolgerungen
Durch die prinzipiell mögliche Entstehung (innerhalb von Sekunden und Minuten) stellen
submikroskopische CaF2-Niederschläge einen guten Kandidaten für die Bildung von Fluoridreservoirs auf der
Zahnoberfläche dar. Bei der Übertragung der Resultate auf die Praxis muss jedoch berücksichtigt
werden, dass die Bedeckung der Zahnoberfläche durch das Pellikel und durch die Plaque
die direkte Reaktion des Fluorids mit dem Zahnschmelz behindert. Gleichzeitig reduziert
die Pufferwirkung des Speichels die Bildungsgeschwindigkeit von Fluorid-Globuli in
der Mundhöhle im Vergleich zu In-vitro-Untersuchungen.
Die Untersuchung der CaF2-Bildung unter In-situ-Bedingungen wird daher meist mittels chemischer Analyseverfahren
(Analyse mit fluoridsensitiver Elektrode nach KOH-Extraktion) durchgeführt (J. Klimek
2007).
Noch offene Fragestellungen zu den unter den Bedingungen der Mundhöhle tatsächlich
wirksamen Retentionsstellen von CaF2-Reservoirs (Plaque, Zahnoberfläche, demineralisierte Bereiche) erfordern zusätzliche
Untersuchungen innerhalb von weiteren interdisziplinären Forschungsprojekten.
Danksagung
Mein Dank gilt ganz besonders Lutz Berthold, Andreas Cismak und Kathrin Reinhardt,
auf deren Arbeiten die hier dargestellten Ergebnisse beruhen.
Literatur beim Verfasser
Korrespondenzadresse
Dr. Matthias Petzold
Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik Walter-Hülse-Straße 1
06120 Halle (Saale)