ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2007; 116(12): 628-630
DOI: 10.1055/s-2007-1012527
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Elektronenoptische Untersuchungen - Bildung von CaF2-Fluoridreservoirs auf der Zahnoberfläche

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Publication Date:
07 January 2008 (online)

 
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Fluoride sind aus der Kariesprophylaxe nicht mehr wegzudenken aufgrund ihrer in zahlreichen Studien nachgewiesenen Effektivität. Ergebnisse umfangreicher klinischer und chemischer Untersuchungen haben gezeigt, dass Fluoride die Empfindlichkeit des Zahnmaterials gegen Demineralisierung im sauren Milieu verringern und gleichzeitig die Remineralisierung durch den Wiedereinbau von Kalzium und Phosphaten begünstigen (für einen Überblick s. z.B. die zusammenfassenden Darstellungen bei Hellwig et al. 2006, Fejerskov et al. 1996). Im Vergleich zur systemischen Fluoridierung wird seit einiger Zeit der direkten Applikation von Fluoriden auf die Zahnoberfläche, z.B. durch Verwendung fluoridhaltiger Zahnpflegemittel wie Zahnpasten oder Mundspüllösungen, eine größere Wirksamkeit zugeschrieben.

Ein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Wirkmechanismus besteht in der Bildung von kalziumfluoridähnlichem Material (im Folgenden kurz als CaF2 bezeichnet) direkt auf der Zahnoberfläche oder im Bereich der umgebenden Plaque. In der Literatur besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass solche CaF2-Reaktionsprodukte die Rolle von temporären fluoridhaltigen Reservoirs übernehmen können. Durch deren langsame Auflösung ist eine geringe kontinuierliche Fluoridkonzentration in der Mundhöhle verfügbar, auch in Zeiträumen zwischen den Anwendungen von Zahnpflegemitteln (J. Klimek 2007). Unter dieser Voraussetzung kommt der Fähigkeit von Zahnpflegemitteln, solche Reservoirs zu bilden, eine beträchtliche praktische Bedeutung zu. Mithilfe von elektronenmikroskopischen Analysen soll im Folgenden versucht werden, die Bildung von CaF2-Fluoridreservoirs auf der Zahnoberfläche zu veranschaulichen, welche sich bei Einsatz aminfluoridhaltiger Wirkstoffe und Zahnpflegeprodukte bilden.

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Bildung und Stabilität von kalziumfluoridähnlichem Material auf der Zahnoberfläche

Mithilfe der Rasterelektronenmikroskopie (REM) und der Röntgenanalyse (EDX) lässt sich demonstrieren, dass die mineralische Grundsubstanz von Zahnschmelz im Wesentlichen aus nadelförmigen Hydroxylapatit-Kristalliten (Ca5(PO4)3(OH)) mit Durchmessern im Bereich von ca. 30 nm gebildet wird (Abb. [1]).

Zusätzliche Einlagerungen, u.a. von Karbonaten, erhöhen die Löslichkeit des Minerals. Durch die Einwirkung organischer Säuren der Plaque entsteht in der Mundhöhle ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Auflösung und Niederschlag des Apatits. Dadurch steht immer eine bestimmte Menge Kalzium-Ionen in der Flüssigkeitshülle zur Verfügung, welche den Zahn umgibt (Fejerskov und Clarkson 1996).

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Abb. 1 Schmelzoberflächen-Mikrostruktur im Bereich einer Prismengrenze mit einzelnen Hydroxylapatit-Kristalliten (REM).

Bei der Einwirkung von Zahnpflegemitteln, die ionisches Fluorid enthalten (z.B. Aminfluoride oder NaF), reagieren Kalzium- und Fluorid-Ionen und bilden ein kalziumfluoridähnliches Material, das wegen seiner geringen Löslichkeit im Allgemeinen relativ rasch ausfällt (Rölla und Ekstrand 1996). Dieser Prozess ist für In-vitro-Modellversuche mit Aminfluoridlösungen (1000 ppm Olaflur, 2 min, pH-Wert der Lösung: 4,5) anhand der typischen Bildung von nahezu halbkugelförmigen sogenannten Fluorid-Globuli im REM sehr gut nachweisbar (Abb. [2], [3]). Die Durchmesser der gebildeten CaF2-Globuli liegen dabei im Bereich von wenigen 10 nm bis zu ca. 1 µm.

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Abb. 2 Bildung von globulären CaF2-Präzipitaten auf einer mit Olaflur behandelten Zahnschmelzoberfläche (Fluoridkonzentration 1000 ppm, 2 min, Acetatpuffer pH: 4,5, REM).

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Abb. 3 Einzelner Fluorid-Globulus (REM), Ausschnittsvergrößerung aus Abb. [2].

Auch für aminfluoridhaltige Zahnpflegeprodukte wie Gelees, Mundspüllösungen oder Zahnpasten wurden bei REM-Untersuchungen vergleichbare Ergebnisse erhalten (Abb. [4], [5], [6].), wobei die Einwirkungsdauer des Fluorids bei allen hier vorgestellten Untersuchungen jeweils nur im Bereich von 1-6 min lag.

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Abb. 4 Schmelzoberfläche mit CaF2-Globuli nach 1 min Behandlung mit elmex gelée (gemischt mit Speichel 1:1, REM).

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Abb. 5 CaF2-Präzipitate auf einer Schmelzoberfläche nach 6 min Behandlung mit elmex Kariesschutz Zahnspülung (REM).

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Abb. 6 CaF2-Präzipitate auf einer Dentinoberfläche, gebürstet mit elmex Sensitive Zahnpasta (2 min, gemischt mit Speichel).

Eine detailliertere Analyse der Wechselwirkungen von Aminfluoriden mit der Zahnsubstanz ist durch den Einsatz der Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) möglich. Mithilfe eines fokussierten Ionenstrahls (FIB = Focused Ion Beam) wird dafür die fluoridierte Zahnoberfläche, samt CaF2-Globuli, präzise im Querschnitt präpariert, sodass eine dünne Lamelle entsteht, die der Elektronenstrahl durchdringen kann (Abb. [7].). Die erforderlichen Probendicken liegen dabei im Bereich von nur ca. 50-100 nm, d.h. in der Größenordnung von etwa 1/1000 eines Haardurchmessers.

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Abb. 7 Erzeugung und Entnahme einer elektronenstrahltransparenten Lamelle für die TEM-Analyse, präpariert mittels fokussierender Ionenstrahltechnik (FIB).

Abb. [8]. zeigt einen solchen TEM-Querschnitt durch eine mittels 1000 ppm Olaflur-Lösung für 1h behandelte Schmelzoberfläche (Petzold et al. 2004). Deutlich ist die gut haftende Ablagerung des kalziumfluoridähnlichen Materials auf der Zahnoberfläche zu erkennen, während die Schmelzschichten keinerlei Anzeichen einer morphologischen Umwandlung oder einer Zwischenschichtbildung zeigen.

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Abb. 8 Querschnitt durch eine fluoridierte Zahnschmelzoberfläche (TEM).

Vergleichbare Ergebnisse lassen sich außer für gesunden Schmelz auch für die Wechselwirkungen mit demineralisierten Initialläsionen (Abb. [9].) oder mit der Dentinoberfläche erhalten.

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Abb. 9 CaF2-Bildung an der Oberfläche einer demineralisierten Läsion nach Fluoridierung mit Aminfluoridlösung (1000 ppm Olaflur, 1 h, pH: 4,5, REM).

Die im TEM zusätzlich mittels Röntgenanalyse (nanospot-EDX) durchführbare Bestimmung der atomaren chemischen Zusammensetzung liefert für die Fluorid-Globuli typischerweise Werte von etwa 50 Atomprozent Fluor bei zusätzlichem Einbau u.a. von Phosphaten (Petzold et al. 2004, Petzold 2001). Im Vergleich dazu ist in den unmittelbar angrenzenden Schmelzbereichen keine Fluoridanreicherung nachweisbar bzw. nur eine im Bereich der Messunsicherheit liegende (kleiner ca. 1%). Eine unmittelbare Umwandlung des Zahnschmelzes in Fluorapatit bei einmaliger Fluoridierung ist daher eher als unwahrscheinlich anzusehen.

Für eine Rolle als Fluoridreservoir müssen die auf der Zahnoberfläche gebildeten Fluorid-Globuli nicht nur eine hohe Fluoridkonzentration aufweisen, sondern gleichzeitig auch eine hinreichend stabile Retention bei mechanischer und chemischer Belastung zeigen. Für die Untersuchung der Stabilität von CaF2-Präzipitaten auf der Zahnoberfläche wurden Schmelzproben zunächst im Reagenzglas fluoridiert und anschließend in kieferorthopädischen Apparaten in situ in der Mundhöhle getragen.

Die rasterelektronenmikroskopische Analyse zeigt den Zustand einer solchen Probe nach einer Tragedauer von 10 Tagen (Abb. [10].). Zwar ist ein Verlust an CaF2 erkennbar, jedoch ist das Vorhandensein von Fluoridpräzipitaten immer noch nachweisbar (Petzold et al. 2004). Auch bei mechanischer Belastung durch eine Zahnbürste konnte eine hohe Stabilität festgestellt werden (Abb. [11].).

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Abb. 10 In vitro fluoridierte Zahnschmelzprobe, Reste von CaF2-Präzipitaten nach 10 Tagen Tragedauer in einem In-situ-Versuch.

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Abb. 11 REM-Abbildung einer fluoridierten Schmelzoberfläche mit CaF2-Präzipitaten nach Reibkontakt mit einem Zahnbürsten-Filament (unten rechts).

Es sind jedoch noch etliche Fragen zur Löslichkeit und Reaktivität fluoridhaltiger Präzipitate offen, bedingt durch mögliche Wechselwirkungen mit der oralen Umgebung, die beispielsweise zur Adsorption von Proteinen und/oder Phosphaten an der Oberfläche führen können (Rölla und Ekstrand 1996).

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Vergleich unterschiedlicher fluoridhaltiger Wirkstoffe

Bei der Beurteilung unterschiedlicher fluoridhaltiger Wirkstoffe kommt es auch darauf an, wie schnell die Bildung von fluoridhaltigen Reservoirs innerhalb der relativ geringen Einwirkungsdauer von Zahnpflegeprodukten von nur wenigen Minuten möglich ist. Für aminfluoridhaltige Wirkstoffe konnte bei In-vitro-Untersuchungen an Schmelzproben gezeigt werden, dass die CaF2-Bildung bereits wenige Sekunden nach Applikation des Fluorids nachweisbar ist (Petzold 2001) (Abb. [12].).

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Abb. 12 Untersuchung der Reaktionskinetik der CaF2-Präzipitation in einer Rasterkraftmikroskopie-Flüssigkeitszelle (AFM) nach Aminfluorid-Applikation (z. B. elmex).

Dies gilt insbesondere für leicht saure Lösungen, da bei pH-Werten unter 5,5 zusätzliches Kalzium aus der Schmelzoberfläche für die Reaktion zur Verfügung steht. Der schwach saure Charakter der Aminfluoride unterstützt daher die rasche Bildung von CaF2-Fluoridreservoirs. Während sich bei gleich saurem pH-Wert aminfluoridhaltige Lösungen und NaF-Lösungen in der Kinetik nicht unterscheiden, konnten für Natriummonofluorphosphat-Lösungen keine vergleichbaren Reaktionen gefunden werden, auch bei Einwirkungszeiten im Bereich von mehreren Stunden und Mischungen mit Speichel (Petzold 2001). Natriummonofluorphosphat weist aufgrund der kovalenten Bindung des Fluorids an das Phosphat einen anderen Wirkmechanismus auf.

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Schlussfolgerungen

Durch die prinzipiell mögliche Entstehung (innerhalb von Sekunden und Minuten) stellen submikroskopische CaF2-Niederschläge einen guten Kandidaten für die Bildung von Fluoridreservoirs auf der Zahnoberfläche dar. Bei der Übertragung der Resultate auf die Praxis muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Bedeckung der Zahnoberfläche durch das Pellikel und durch die Plaque die direkte Reaktion des Fluorids mit dem Zahnschmelz behindert. Gleichzeitig reduziert die Pufferwirkung des Speichels die Bildungsgeschwindigkeit von Fluorid-Globuli in der Mundhöhle im Vergleich zu In-vitro-Untersuchungen.

Die Untersuchung der CaF2-Bildung unter In-situ-Bedingungen wird daher meist mittels chemischer Analyseverfahren (Analyse mit fluoridsensitiver Elektrode nach KOH-Extraktion) durchgeführt (J. Klimek 2007).

Noch offene Fragestellungen zu den unter den Bedingungen der Mundhöhle tatsächlich wirksamen Retentionsstellen von CaF2-Reservoirs (Plaque, Zahnoberfläche, demineralisierte Bereiche) erfordern zusätzliche Untersuchungen innerhalb von weiteren interdisziplinären Forschungsprojekten.

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Danksagung

Mein Dank gilt ganz besonders Lutz Berthold, Andreas Cismak und Kathrin Reinhardt, auf deren Arbeiten die hier dargestellten Ergebnisse beruhen.

Literatur beim Verfasser

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Korrespondenzadresse

Dr. Matthias Petzold

Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik Walter-Hülse-Straße 1

06120 Halle (Saale)

 
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Abb. 1 Schmelzoberflächen-Mikrostruktur im Bereich einer Prismengrenze mit einzelnen Hydroxylapatit-Kristalliten (REM).

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Abb. 2 Bildung von globulären CaF2-Präzipitaten auf einer mit Olaflur behandelten Zahnschmelzoberfläche (Fluoridkonzentration 1000 ppm, 2 min, Acetatpuffer pH: 4,5, REM).

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Abb. 3 Einzelner Fluorid-Globulus (REM), Ausschnittsvergrößerung aus Abb. [2].

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Abb. 4 Schmelzoberfläche mit CaF2-Globuli nach 1 min Behandlung mit elmex gelée (gemischt mit Speichel 1:1, REM).

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Abb. 5 CaF2-Präzipitate auf einer Schmelzoberfläche nach 6 min Behandlung mit elmex Kariesschutz Zahnspülung (REM).

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Abb. 6 CaF2-Präzipitate auf einer Dentinoberfläche, gebürstet mit elmex Sensitive Zahnpasta (2 min, gemischt mit Speichel).

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Abb. 7 Erzeugung und Entnahme einer elektronenstrahltransparenten Lamelle für die TEM-Analyse, präpariert mittels fokussierender Ionenstrahltechnik (FIB).

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Abb. 8 Querschnitt durch eine fluoridierte Zahnschmelzoberfläche (TEM).

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Abb. 9 CaF2-Bildung an der Oberfläche einer demineralisierten Läsion nach Fluoridierung mit Aminfluoridlösung (1000 ppm Olaflur, 1 h, pH: 4,5, REM).

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Abb. 10 In vitro fluoridierte Zahnschmelzprobe, Reste von CaF2-Präzipitaten nach 10 Tagen Tragedauer in einem In-situ-Versuch.

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Abb. 11 REM-Abbildung einer fluoridierten Schmelzoberfläche mit CaF2-Präzipitaten nach Reibkontakt mit einem Zahnbürsten-Filament (unten rechts).

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Abb. 12 Untersuchung der Reaktionskinetik der CaF2-Präzipitation in einer Rasterkraftmikroskopie-Flüssigkeitszelle (AFM) nach Aminfluorid-Applikation (z. B. elmex).