Dialyse aktuell 2007; 11(8): 68-70
DOI: 10.1055/s-2007-1010956
Markt und Forschung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Update AENEAS - Bundesweite Datenbank zur Therapiesituation von Dialysepatienten liefert erste Ergebnisse

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Publication Date:
12 December 2007 (online)

 
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In Deutschland gab es bislang keine große übergreifende Datenbank zur Erfassung und wissenschaftlichen Auswertung der Therapiegegebenheiten und des Krankheitsverlaufs von Dialysepatienten. Die großen, nationalen Benchmarksysteme gestatten vorwiegend eine Querschnittsanalyse, erlauben aber keine longitudinale Betrachtung. Dafür war bislang der Blick in internationale Register und Datenbanken erforderlich, der aber aufgrund von therapeutischen und genetischen Unterschieden zwischen den verschiedenen Nationalitäten nicht unproblematisch ist.

Diese wesentliche Lücke innerhalb der nephrologischen Dokumentation schließt die AENEAS-Datenbank. Deutschlandweit und onlinebasiert erfasst sie die Therapiesituation und den Krankheitsverlauf der pseudonymisierten Dialysepatienten.

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Gegenwärtiger Stand

AENEAS steht für "Anwenderfreundliche Evaluation in der Nephrologie zu Entzündung, Anämie und sekundärem Hyperparathyreoidismus". Das aus der Mythologie entlehnte Akronym ist bedeutungsvoll - AENEAS gilt als Ahnherr des römischen Volkes, und der Name steht somit für Innovation und Wegbereitung. Eine solche stellt diese Datenbank auch dar, denn sie ermöglicht erstmals die breite Erfassung von klinischen Langzeitverläufen und der Therapiesituation in Deutschland an einem großen, repräsentativen Patientenkollektiv.

Aktuell beteiligen sich etwa 40 Zentren an der Datenerfassung, und es liegen bereits Longitudinaldaten (über mindestens drei Monate) von mehr als 7 000 Patienten vor. Somit stellt AENEAS eine qualitativ hochwertige Datengrundlage zur Beurteilung und Optimierung der Therapie von Dialysepatienten bereit. Erstmals kann valide ausgewertet werden, welche Faktoren und Therapien die Situation (Verlauf, Morbidität und Prognose) von Dialysepatienten in Deutschland langfristig beeinflussen. Aus einer soliden Datensammlung können wissenschaftliche Erkenntnisse generiert werden. Mit der Formulierung und Auswertung wissenschaftlicher Fragestellungen - insbesondere in den Bereichen Dialyse, Anämie, sHPT und Inflammation - befasst sich ein in Arbeitsgruppen untergliederter ärztlicher Rat unter dem Vorsitz von Prof. Christoph Wanner, Würzburg.

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Einfach und sicher

AENEAS entspricht höchsten Datenschutzstandards - bei minimalem Zeitaufwand für die teilnehmenden Ärzte. Die Validierung im ANKo Tool und der onlinebasierte, pseudonymisierte Datenexport aus den einzelnen Zentren gewährleistet bei der Erfassung eine gleichbleibend hohe Datenqualität. Das ANKo Tool ist ein computerbasiertes Therapiemanagementsystem, das bereits in vielen Dialysezentren im Einsatz ist. Es errechnet komplexe Therapieempfehlungen, insbesondere hinsichtlich der Dosisanpassungen, auf Basis leitliniengerechter Anämie- und sHPT-Behandlungsalgorithmen. Die computergestützte Empfehlung, die in Sekundenschnelle alle erforderlichen Parameter einbezieht, unterstützt den Nephrologen bei der Verbesserung der Therapie und führt zur Zeitersparnis.

Die durch ANKo erhobenen Daten werden pseudonymisiert in die AENEAS-Datenbank eingespeist. Schnittstellen zwischen beiden Systemen sorgen für einen elektronischen Datentransfer, der eine manuelle Eingabe überflüssig macht. Die Pseudonymisierung der Patientendaten erfolgt mit dem MD5-Hash-Verfahren, und jeder Datentransfer wird SSL-verschlüsselt. Die pseudonymisierten Daten können dann direkt und pseudonymisiert online auf der Seite www.aeneas-dialyse.de in die Datenbank übertragen werden. Für den Arzt, der seine Daten einspeisen möchte, bedeutet dieser Vorgang lediglich wenige Mausklicks, der Mehraufwand ist also minimal. Einzige Vorraussetzungen sind eine ANKo-kompatible Dialysesoftware und die ANKo-Installation.

Die AENEAS-Datenbank wird von einem Datentreuhänder, der Firma Alcedis, verwaltet und gepflegt. Eine Zentrumsidentifikation ist ausschließlich für den Datentreuhänder möglich, etwa bei Rückfragen zur Dokumentationsqualität. Der Datentreuhänder garantiert höchste Integrität und Datensicherheit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen (Abb. [1]).

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Abb. 1 Datenfluss zwischen Dialysezentrum und der AENEAS-Datenbank

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Vorteile für die teilnehmenden Zentren

Die wohl interessanteste Zukunftsperspektive - gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Arbeitseffizienz - ist, dass mit Hilfe von AENEAS die einfache Teilnahme an wissenschaftlichen Erhebungen möglich sein wird, bei minimalem ärztlichen Zeitaufwand für die Datenerfassung. Die teilnehmenden Dialysezentren profitieren also auch direkt in Bezug auf ihr eigenes Zentrum: Jedes Zentrum erhält durch Benutzername und Kennwort geschützte Zugangsrechte, und kann seine Zentrumsdaten (und nur diese!) einsehen.

So ist auch ein schneller "Qualitätscheck" des Zentrums auf Knopfdruck möglich, der Arzt erhält eine prompte Rückmeldung mit der Auswertung seiner Zentrumsdaten. Darüber hinaus kann der teilnehmende Arzt spezifische medizinische Fragestellungen in das System eingeben und sie so an einen ärztlichen Expertenrat richten.

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Erste Ergebnisse zur Hb-Variabilität

Primäres Ziel von AENEAS ist der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn. Auf dem Nephrologiekongress in München wurden bereits die ersten aus der AENEAS-Datenbank generierten Forschungsergebnisse vorgestellt.

Prof. Johannes Mann, München, fasste die Resultate zur Hämoglobinvariabilität (Hb) bei Dialysepatienten zusammen. Er bezog sich dabei auf eine Auswertung der Daten von Müller et al. [3] aus der einjährigen AENEAS-Pilotphase. Im Rahmen der Studie wurden die mittleren Hämoglobinwerte sowie -verlaufsmuster von 1 573 Dialysepatienten aus 14 Zentren ausgewertet (Abb. [2]).

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Abb. 2 Hämoglobinverlaufsmuster: Nur 20,7 % der Dialysepatienten bleiben stabil im Zielbereich von 11-13 g/dl innerhalb von sechs Monaten nach [3]

Die stabile Hb-Einstellung ist demnach nach wie vor ein Problem. Diese Herausforderung wird zukünftig noch größer, da mit einer noch strikteren Definition der Hb-Zielbereiche zu rechnen ist. So führten beispielsweise die im letzten Jahr publizierten Outcome-Studien CHOIR[1] und CREATE[2] in den amerikanischen Leitlinien zu einer Anpassung des generellen Hb-Zielbereiches auf 11-12 g/dl und zur Einführung einer strikten Obergrenze von 13 g/dl. Der relativ schmale Zielbereich von 11-13 g/dl, insbesondere die Aufgabe, die Patienten dauerhaft in diesem "Zielkorridor" zu halten, ist eine große therapeutische Herausforderung.

Wie die Analyse der AENEAS-Pilotdaten [3] zeigte, bleiben nur 20,7% der Patienten konstant über sechs Monate in diesem bisher als ideal definierten Hämoglobinbereich, die Mehrzahl der Patienten unterliegt jedoch einer hohen Variabilität. 20,5% der Patienten schwanken auf einem hohen Hb-Niveau, sie haben mindestens einmal monatlich einen Hb-Wert über 13 g/dl sowie Werte zwischen 11 und 13 g/dl, jedoch niemals Werte unter 11 g/dl. Bei 33,7% ist das Gegenteil der Fall - sie schwanken unter dem Normbereich und pendeln monatlich zwischen Werten von unter 11 g/dl und Werten, die nicht höher liegen als 13 g/dl. Bei etwa 18% der Patienten ist die Variabilität noch viel ausgeprägter, die monatlichen Amplituden liegen zwischen unter 11 und über 13 g/dl. Diese Patienten befinden sich also sehr viel häufiger über oder unter als im Zielbereich.

Da die Majorität also einem Cycling unterliegt, zeigte sich, wie dringend notwendig die individuelle Steuerung der Anämietherapie eines jeden Patienten ist. Die Autoren Müller et al. sprachen sich für computergestützte Anämiemanagementsysteme wie das ANKo Tool aus, um dem Hb-Cycling der Patienten entgegenzuwirken.

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Weniger "Cycling" mit lang wirksamen ESF?

Der Prozentsatz der Patienten, die sich konstant im Zielbereich befinden, sei in Deutschland mit 20,7% noch relativ hoch, hob Mann hervor - in einer vergleichbaren US-Erhebung waren lediglich 6% der Patienten konstant im Zielbereich. Häufigere Dosisanpassungen korrelieren außerdem nicht mit konstanten Werten - eher im Gegenteil, führte er aus. Grundsätzlich werden in der Anämietherapie relativ häufig die Dosierungen angepasst, bei der Mehrzahl der Patienten sogar öfter als dreimal pro Halbjahr. Doch bei den Patienten, deren Werte nicht im Zielkorridor sind, wurden durchschnittlich mehr Dosisanpassungen vorgenommen als bei denen mit Hämoglobinwerten im Zielbereich. Wie Müller et al. [4] schlussfolgerten, ist es anhand der derzeitigen Datenlage jedoch nicht möglich, abschließend zu beurteilen, ob die Dosisanpassungen Ursache oder Folge des Hämoglobincycling sind und ob mit länger wirksamen Substanzen wie dem Darbepoetin alfa generell weniger Dosiskorrekturen notwendig sind. Ob diese Substanzen im klinischen Alltag ein Schritt in Richtung Hämoglobinkonstanz sein können, müssen zukünftige prospektive Studien zeigen.

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Zusammenhang zwischen Hb-Variabilität und Inflammation

Einen weiteren Ansatz für die wissenschaftliche Auswertung der AENEAS-Pilotdaten führte Wanner aus, denn die erhobenen Daten gaben bereits einen ersten Aufschluss über das Zusammenspiel von Hb-Variabilität und Inflammation.

Wie bekannt ist, sind Entzündungen mit dem vermehrten Auftreten und ungünstigeren Verläufen von Herz-Kreislauferkrankungen assoziiert und Dialysepatienten haben kontinuierlich erhöhte Entzündungsparameter. Verschiedene Studien weisen gerade bei diesen Patienten auf eine Korrelation zwischen CRP-Werten (C-reaktives Protein) und Mortalität hin [1], [6]. Auch im Rahmen der 4D-Studie zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Inflammation und Mortalität [5].

Relativ neue Daten unterstützen die Vermutung, dass die "Entzündungslast" gemessen am CRP auch eine der endogenen Ursachen für die Hb-Variabilität bei Dialysepatienten sein könnte [2]. Was bislang fehlte, waren Longitudinaldaten zur Inflammation von einem großen Kollektiv an Dialysepatienten. Die AENEAS-Erhebung schließt diese Lücke, und die Auswertung der Pilotdaten bestätigte die Hypothese: Müller et al. [3] wiesen eine deutliche Korrelation zwischen hohen CRP-Werten und Hb-Schwankungen nach. Letztere waren in der Erhebung im Übrigen auch mit einem deutlich höheren ESF-Verbrauch assoziiert.

Nahezu 30% der Patienten schwanken in ihren Hämoglobinwerten innerhalb eines Quartals um mehr als 2 g/dl. Diese Patientenklientel der "Hb-Cycler" wies erhöhte mediane CRP-Werte (1,6 mg/dl im Vergleich zu 1,0 mg/dl) auf und benötigte im Durchschnitt 30% mehr ESF (7 846 im Vergleich zu 5 852 (I.E.)/pro Woche). Eine optimierte Hämoglobinwertkontrolle ist somit nicht nur mit geringeren CRP-Werten und dem damit verbundenen Überlebensvorteil assoziiert, sondern auch mit durchschnittlich geringeren ESF-Dosen - und daher gesundheitsökonomisch sinnvoll (Abb. [3]).

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Abb. 3 Korrelation zwischen hohen CRP-Werten, Schwankungen des Hämoglobinwerts und Verbrauch an Erythropoese stimulierenden Arzneimitteln nach [3]

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Hat die Behandlung der Inflammation Auswirkungen auf die Anämie?

Somit lieferte AENEAS bereits in der Pilotphase aufschlussreiche Ergebnisse zur Zielerreichung und zur Variabilität der Hämoglobinwerte in Deutschland und wies einen Zusammenhang zwischen Hämoglobinschwankungsbreite und hohen CRP-Werten - sowie ESF-Dosen - nach.

Die bisherigen Erkenntnisse werfen neue Fragen auf. Wenn eine optimierte Anämietherapie positive Auswirkungen auf die CRP-Werte hat, wäre zu untersuchen, ob auch der Umkehrschluss gilt: Kann die frühzeitige Behandlung der Inflammation eventuell auch eine effiziente Maßnahme bei der Anämietherapie sein?

Erst eine umfassende, auf Langzeitbeobachtung ausgelegte Datenerfassung eines großen Patientenkollektivs kann zukünftig über solche und andere wissenschaftliche Fragestellungen valide Auskünfte geben. Jeder Nephrologe, der seine Patientendaten in die AENEAS-Datenbank transferiert, leistet daher einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der nephrologischen Datenlage in Deutschland und stärkt Forschung und Innovation.

Dr. Bettina Albers, Weimar

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Amgen GmbH, München

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Literatur

  • 01 Den Elzen WP . van Manen JG . Boeschoten EW . et al . The effect of single and repeatedly high concentrations of C-reactive protein on cardiovascular and non-cardiovascular mortality in patients starting with dialysis.  Nephrol Dial Transplant. 2006;  21 (6) 1588-1595
  • 02 Fishbane S . Berns JS . Hemoglobin cycling in hemodialysis patients treated with recombinant human erythropoietin.  Kidney Int. 2005;  68 (3) 1337-1343
  • 03 Müller HJ . et al . J Am Soc Nephrol. 2006;  17 579A
  • 04 Müller HJ . et al . J Am Soc Nephrol. 2007;  18 699A
  • 05 Wanner C . Krane V . März W . et al . Atorvastatin in patients with type 2 diabetes mellitus undergoing hemodialysis.  N Engl J Med. 2005;  353(3) 238-248
  • 06 Zimmermann J . Herrlinger S . Pruy A . et al . Inflammation enhances cardiovascular risk and mortality in hemodialysis patients.  Kidney Int. 1999;  55 (2) 648-658

01 Correction of Hemoglobin and Outcomes in Renal Insufficiency

02 Cardiovascular risk Reduction by Early Anemia Treatment with Epoetin

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Literatur

  • 01 Den Elzen WP . van Manen JG . Boeschoten EW . et al . The effect of single and repeatedly high concentrations of C-reactive protein on cardiovascular and non-cardiovascular mortality in patients starting with dialysis.  Nephrol Dial Transplant. 2006;  21 (6) 1588-1595
  • 02 Fishbane S . Berns JS . Hemoglobin cycling in hemodialysis patients treated with recombinant human erythropoietin.  Kidney Int. 2005;  68 (3) 1337-1343
  • 03 Müller HJ . et al . J Am Soc Nephrol. 2006;  17 579A
  • 04 Müller HJ . et al . J Am Soc Nephrol. 2007;  18 699A
  • 05 Wanner C . Krane V . März W . et al . Atorvastatin in patients with type 2 diabetes mellitus undergoing hemodialysis.  N Engl J Med. 2005;  353(3) 238-248
  • 06 Zimmermann J . Herrlinger S . Pruy A . et al . Inflammation enhances cardiovascular risk and mortality in hemodialysis patients.  Kidney Int. 1999;  55 (2) 648-658

01 Correction of Hemoglobin and Outcomes in Renal Insufficiency

02 Cardiovascular risk Reduction by Early Anemia Treatment with Epoetin

 
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Abb. 1 Datenfluss zwischen Dialysezentrum und der AENEAS-Datenbank

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Abb. 2 Hämoglobinverlaufsmuster: Nur 20,7 % der Dialysepatienten bleiben stabil im Zielbereich von 11-13 g/dl innerhalb von sechs Monaten nach [3]

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Abb. 3 Korrelation zwischen hohen CRP-Werten, Schwankungen des Hämoglobinwerts und Verbrauch an Erythropoese stimulierenden Arzneimitteln nach [3]