Z Orthop Unfall 2006; 144(6): 548-551
DOI: 10.1055/s-2006-971077
Orthopädie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das radikale Debridement bei infizierten Hüft-Totalprothesen - Ein Element unseres Behandlungsalgorithmus für Hüft-Totalprotheseninfekte

Further Information

Publication History

Publication Date:
22 February 2007 (online)

 
Table of Contents

Das Kantonsspital Liestal in der Nähe von Basel in der Schweiz ist ein Behandlungszentrum der erweiterten Grundversorgung (340 Akutbetten) mit überregionalem Einzugsgebiet in Bezug auf die Behandlung von Knochen- und Protheseninfektionen. In unserer interdisziplinären Einheit Orthopädie - Infektiologie werden alle Patienten mit Knochen- und Protheseninfektionen von den Ärzten der Orthopädie und der Infektiologie betreut. Es werden wöchentlich gemeinsame Visiten durchgeführt, damit am Patientenbett das chirurgische Vorgehen und die Behandlung mit Antibiotika optimal aufeinander abgestimmt werden können. Es hat sich gezeigt, dass die gemeinsame Betreu-ung mit Vertretern beider Disziplinen für das gegenseitige Verständnis von faschspezifischen Problemen und für die Koordination der Behandlungsstrategie enorm hilfreich ist.

#

Liestaler Behandlungsalgorithmus

An unserer Klinik wurde durch den Koautor ein Behandlungsalgorithmus entwickelt, der unter Berücksichtigung von der Dauer der Infektion, von dem Ausmaß der Weichteilschäden, von der Stabilität der Prothese und von dem auslösenden Keim drei verschiedene Behandlungsprotokolle beinhaltet (Abb. [1]).

Zoom Image

Abb. 1: Liestaler Behandlungsalgorithmus für Hüft-Totalprotheseninfektionen

Wenn eine Protheseninfektion weniger als drei Wochen symptomatisch ist, wird bei stabiler Prothese und guten Weichteilen der Infekt mit einem radikalen Debridement unter Erhalt der Prothese behandelt.

Bei einem Intervall von mehr als drei Wochen mit Symptomen unterscheiden wir zwischen einem einzeitigen und einem zweizeitigen Prothesenwechsel. Ist der Keim aufgrund einer Punktion bekannt und gut mit Antibiotika behandelbar, wird nach 2 Wochen Vorbehandlung mit Antibiotika die Prothese einzeitig gewechselt. Voraussetzung sind gute Weichteile ohne Abszess- oder Fistelbildungen.

Bei allen anderen Fällen muss ein zweizeitiger Wechsel erfolgen. Sind dabei mit Antibiotika gut behandelbare Keime involviert, kann mit einem Spacer die kurze Phase von 2-3 Wochen bis zum Wiedereinbau überbrückt werden. Bei schwer behandelbaren Keimen wird das Hüftgelenk mit einer Extensionsbehandlung stabilisiert und 6 Wochen mit Antibiotika behandelt. Nach einem antibiotikafreien Intervall von 2 Wochen wird der Wiedereinbau vorgenommen. In der Regel erfolgt in dieser Situation keine weitere Gabe von Antibiotika. In allen andern, zuvor erwähnten Fällen streben wir eine insgesamt 3-monatige Antibiotikatherapie an.

Der Liestaler Algorithmus wird für die Behandlung von Hüft- und Knieprotheseninfektionen in ähnlicher Form angewandt. Zum besseren Verständnis des Algorithmus sowie der Beurteilung und Behandlung eines Protheseninfektes werden einige Schlüsselbegriffe erläutert.

#

Schlüsselbegriffe

#

Definition Protheseninfekt:

Entweder

  • ein Fistelgang mit Verbindung zum Gelenk ist durch eine Arthrographie oder intraoperativ darstellbar oder

  • mindestens zwei der folgenden Kriterien treffen zu:

    • mindestens eine positive Bakteriologie einer intraoperativen Gewebe- oder Gelenkflüssigkeitsprobe

    • in der Histologie ≥ 5 neutrophile Granulozyten pro High-power-Feld im periprothetischen Gewebe

    • > 1700/µl Leukozyten oder > 65% neutrophile Granulozyten in der Gelenkflüssigkeit

    • klinische und laborparametrische Zeichen der Infektion

    • radiologische Zeichen der Infektion

#

Definition Infektionszeitpunkt:

Als Frühinfekt wird ein Infekt bezeichnet, der innerhalb von 3 Monaten nach der Operation auftritt. Meistens handelt es sich um einen exogenen Infekt mit Keimen, die intra- oder postoperativ die Prothese besiedelt haben. Oft treten deutliche klinische Zeichen wie Schmerzen und Fieber, CRP-Anstieg und lokale Rötung auf.

Verzögert nennen wir Infekte, die sich in der Zeit von 3 Monate postoperativ bis 2 Jahre postoperativ manifestieren. Die Bezeichnung weist darauf hin, dass es meistens noch Infektionen sind, die operationsassoziiert sind. Oft handelt es sich um Low-grade-Infekte, die von niedrig virulenten Keimen verursacht werden. Diese Patienten werden postoperativ meistens nicht schmerzfrei. Oft werden die klinischen Symptome zunächst als protrahierte postoperative Beschwerden angesehen. Szintigraphie, radiologische Lockerungszeichen, Punktion oder CRP geben dann den Hinweis auf einen Infekt.

Infektionen, die später als 2 Jahre postoperativ auftreten, werden als Spätinfektionen bezeichnet. Sie sind fast immer hämatogen oder seltener per continuitatem durch direktes Übergreifen von einem nahe gelegenen Infektionsherd (z.B. Bursitis, infizierte Verletzung) entstanden. Ihr Auftreten kann akut oder primär chronisch erfolgen.

#

Diagnostik:

Für eine zuverlässige Keimidentifikation ist vor der Diagnostik ein mindestens zweiwöchiges antibiotikafreies Intervall notwendig. Präoperativ ist eine Punktion von hoher Bedeutung. Sinnvoll ist eine Bebrütung des Punktates in jeweils einer aeroben und einer anaeroben Blutkulturflasche. Im Gelenkpunktat eines Prothesenträgers ohne rheumatoide Arthritis zeigen > 1700 Leukozyten/µl (Sensitivität 94%, Spezifität 88%) oder > 65% neutrophile Granulozyten (Sensitivität 97%, Spezifität 98%) eine sehr hohe Infektwahrscheinlichkeit an. Nach der Aspiration kann eine Kontrastmitteldarstellung Hinweise auf eine gelockerte Prothese oder Abszesse und Fisteln geben.

#

Bakteriologie und Histologie:

Intraoperativ empfehlen wir die Entnahme von mindestens 3 oder mehr Proben von den am meisten entzündeten Regionen. Es sollten nur Biopsien entnommen werden, da Abstriche eine deutlich geringere Aussagekraft haben. Von jeder Stelle nehmen wir eine Probe für die Bakteriologie und Histologie. Im Vergleich zwischen den beiden Befunden können Kontaminationen erkannt werden. Von ausgewählten Stellen kann eine Probe zur Untersuchung mittels Polymerase Chain Reaction (PCR) gewonnen werden.

#

Antibiotikatherapie:

Auf der Oberfläche einer Prothese ist die Behandlung eines Keimes erschwert. Daher sind verschiedene Maßnahmen zur Optimierung der Therapie notwendig.

  • Bei entsprechendem Keimspektrum Anwendung einer Kombinationstherapie mit Rifampicin per os. Eine randomisierte Studie hat gezeigt, dass Rifampicin in einer Kombinationstherapie (2 Wochen mit Flucloxacillin oder Vancomycin intravenös, danach mit Ciprofloxacin per os für 3-6 Monate) ein akuter Staphylokokkeninfekt bei fest sitzender Prothese in Verbindung mit einem chirurgischen Debridement geheilt werden kann.

  • Hohe, aber noch tolerable Konzentrationen von Antibiotika.

  • Wenn immer möglich, Verwendung von Antibiotika mit Effekt gegen langsam wachsende und auf Oberflächen anhaftende Bakterien.

Wir empfehlen die Zusammenarbeit mit einem Infektiologen mit Erfahrung im Gebiet der Knocheninfektionen oder mit einem anerkannten interdisziplinären Behandlungszentrum für Knocheninfektionen.

#

Debridement

Ein Debridement ist Erfolg versprechend, wenn zwischen dem Auftreten der ersten klinischen Symptome und der Behandlung nicht mehr als 3 Wochen vergangen sind. Hinweise für einen akuten Infekt sind plötzlich auftretende Schmerzen, Schwellung, Rötung und funktionelle Behinderung. Voraussetzung für ein erfolgreiches Debridement ist eine radiologisch Beurteilung ohne Lockerungszeichen und ohne Osteolysen. Der Weichteilmantel darf nicht durch Abszessbildungen, Gewebeschwächungen oder Fisteln beeinträchtigt sein. Bei bestehender Fistel ist ein Debridement nicht ausreichend, da die Infektion bereits zu lange besteht und oft eindringende Keime eine Superinfektion auslösen. Wenn präoperativ der Keim bekannt ist, muss ein Antibiotikum gegen Biofilm-Mikroorganismen zur Verfügung stehen. Da In-vitro-Studien zeigen, dass innerhalb von 48 h die Bakterien von der planktonischen in die sessile Phase übergehen und einen resistenten Biofilm bilden, ist ein Debridement nur erfolgreich anwendbar, wenn Antibiotika zur Verfügung stehen, die Bakterien im Biofilm eliminieren können. Das operative Debridement umfasst eine ausgiebige Synovektomie, eine Überprüfung der Festigkeit der Prothesenteile und eine intensive intraoperative Spülung. Bei modularen Pfannen wird das PE-Inlay ausgewechselt, um den Spalt zwischen Prothesenschale und Inlay ebenfalls ausspülen zu können. In der Regel wird für 3 Tage eine Spül-Saugdrainage angewendet. Es folgt eine ausgiebige Wunddrainage für 4-7 Tage. Die Behandlung mit Antibiotika erfolgt während 2-4 Wochen intravenös, danach bis 3 Monate postoperativ per os.

#

Fallbeispiel

Ein 84-jähriger Mann erleidet 22 Jahre nach primärer Hüft-Totalprothese rechts und 6 Jahre nach Pfannenwechsel eine akute hämatogene Hüft-Totalprotheseninfektion rechts. Er war bis zu diesem Zeitpunkt beschwerdefrei. Die diagnostische Punktion ergibt einen Streptococcus gemella. Als Fokus wird ein ausgedehnter Zahnabszess gefunden, der während des Klinikaufenthalts saniert wird. Radiologisch zeigt die Pfanne einen deutlichen Lockerungssaum und der Schaft große proximale Osteolysen (Abb. [3]). Da zu diesem Zeitpunkt der Allgemeinzustand des Patienten wegen mehrer belastender Nebendiagnosen sehr reduziert ist, wird trotz deutlicher Lockerungszeichen um die Prothese ein Debridement durchgeführt. Auch nach zwei folgenden Weichteileingriffen bleibt eine Rötung um die Narbe (Abb. [2]).

Zoom Image

Abb. 2: Anhaltende Rötung um Narbe.

Zoom Image

Abb. 3: Vor zweizeitigem Wechsel.

Der CRP-Wert ist immer etwas erhöht. Nach Absetzen der 3-monatigen Antibiotikatherapie steigt der CRP- Wert stark an. Es wird ein 2-zeitiger Hüft-Totalprothesenwechsel mit Spacer für 14 Tage durchgeführt (Abb. [4]).

Zoom Image

Abb. 4: Postoperativ.

Das Beispiel bestätigt die im Algorithmus festgelegte Notwendigkeit, dass eine Prothese für ein erfolgreiches Debridement fest sein muss. Da der Raum um die gelockerte Pfanne und die große Höhle im proximalen Femur nicht mit einem chirurgischen Debridement erreicht werden können, ist in solchen Situationen ein Debridement nicht Erfolg versprechend. Eine Untersuchung hat ergeben, dass alle Patienten, die konsequent nach dem Algorithmus behandelt wurden, ein signifikant niedrigeres Rezidivrisiko haben (Abb. [5]).

Zoom Image

Abb. 5: Vergleich Rezidivrisiko je nach Einhaltung des Algorithmus.

Sind die Resultate eines chirurgischen radikalen Debridements in bestimmten Situationen vergleichbar mit den Ergebnissen einer einzeitigen oder zweizeitigen Wechseloperation?

#

Fallserie von 10/1984 bis 12/2004

In einer Fallserie wurden alle Debridements nach akutem Infekt einer Hüft-Totalprothese in der Zeit von Oktober 1984 bis Dezember 2004 an unserer Klinik erfasst und die Resultate unserer standardisierten prospektiven Nachkontrollen nach 1, 2, 5 und 10 Jahren ausgewertet. Es handelt sich in diesem Zeitraum um 26 Patienten, bei denen 24 Debridements und 2 isolierte Punktionen durchgeführt wurden. Bei Manifestation der Infektion erfüllten 9 Patienten die Kriterien einer Sepsis. Innerhalb von 3 Wochen nach der Behandlung verstarben 6 Patienten, 5 davon hatten eine Sepsis.

In 15 von 26 Fällen war nach einer Beobachtungszeit von mindestens 1 Jahr kein Rezidiv aufgetreten. Bei 4 Patienten trat ein Rezidiv auf. Ein Patient wollte sich trotz nachgewiesenem Keim im Punktat nicht operieren lassen und verstarb ohne Antibiotika nach 2,5 Jahren unabhängig von dem Protheseninfekt.

#

Schlussfolgerung

Auffallend ist ein hohes postoperatives Mortalitätsrisiko für diese Patientengruppe. Dieses erklärt sich dadurch, dass viele Patienten in dieser Situation Zeichen einer Sepsis haben. Unser Algorithmus sieht sowohl für akute Frühinfekte als auch für akute hämatogene Infekte innerhalb von 3 Wochen seit Beginn der Symptome ein Debridement vor. Eine Wechseloperation würde zu diesem Zeitpunkt ein noch größeres Risiko bedeuten. Unter Ausschluss der Hochrisikopatienten sind von 20 Patienten nach mindestens 1 Jahr Beobachtungszeit 15 (75%) geheilt. Zu berücksichtigen ist, dass die erfolgreiche Infektbehandlung bei diesen Patienten ohne Zerstörung der Knochensubstanz erreicht wird und damit die Voraussetzungen für eventuell später notwendige Revisionseingriffe besser sind.

Dr. Thomas B. Maurer,

Prof. Dr. Peter E. Ochsner

Orthopädische Klinik, Kantonsspital Liestal, Schweiz

 
Zoom Image

Abb. 1: Liestaler Behandlungsalgorithmus für Hüft-Totalprotheseninfektionen

Zoom Image

Abb. 2: Anhaltende Rötung um Narbe.

Zoom Image

Abb. 3: Vor zweizeitigem Wechsel.

Zoom Image

Abb. 4: Postoperativ.

Zoom Image

Abb. 5: Vergleich Rezidivrisiko je nach Einhaltung des Algorithmus.