Das deutsche Gesundheitssystem ist zwar eines der besten der Welt, gleichzeitig ist
es aber auch eines der teuersten und - leider - in manchen Bereichen nicht besonders
effektiv. Hierfür mag es viele Gründe geben, die wichtigsten sind die immer noch vorhandenen
Barrieren zwischen den unterschiedlichen Versorgungsbereichen. Denn die in dem jeweiligen
Sektor gültigen komplexen Regelungen zu Leistungsplanung und Vergütung verleiten die
Anbieter in den verschiedenen Sektoren (ambulant, stationär und rehabilitativ) dazu,
nur ihren eigenen Nutzen zu optimieren. Dies schwächt jedoch gleichzeitig das Bewusstsein
für die medizinische und ökonomische Gesamtverantwortung für die Versorgung der Patienten.
Eigentlich wissen wir schon seit Längerem, dass sich das deutsche Gesundheitssystem
vor allem die Trennung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor nicht mehr
leisten kann. Die Zukunft gehört daher den integrierten Versorgungsformen. Eine verbesserte
Verzahnung der im deutschen Gesundheitswesen noch bestehenden Sektoren würde es erlauben,
Schnittstellen und Übergänge optimal zu gestalten und über die Realisierung von Synergien
eine erhöhte Wirtschaftlichkeit bei der Behandlung des Patienten in einer Gesamtsicht
zu erreichen.
Der Anfang ist gemacht, Krankenhäuser sind im Wandel
Der Anfang ist gemacht, Krankenhäuser sind im Wandel
Was jahrzehntelang niemand für möglich gehalten hätte, ist in den letzten Jahren tatsächlich
auf den Weg gebracht worden: Die sektoralen Grenzen werden nach und nach überwunden.
Wesentlich dazu beigetragen haben die Änderungen des Gesetzgebers im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes
im Jahre 2004, mit dem die rechtlichen Rahmenbedingungen zum Abschluss von Verträgen
der Integrierten Versorgung (IV), der Bildung von Medizinischen Versorgungszentren
(MVZ) und der Vereinbarung von strukturierten Behandlungsprogrammen (Disease-Management-Programme,
DMP) geschaffen wurden.
Das Krankenhaus, so wie wir es aus den vergangenen Jahrzehnten kennen, wird es in
dieser Form in naher Zukunft nur noch selten geben. Künftig ist es das Glied einer
Kette von vernetzten Strukturen im Gesundheitswesen, ohne dabei seine wesentliche
Position im System zu verlieren. Es wird bei der notwendigen Koordination der Prozesse
zwischen den verschiedenen Kooperationspartnern in der Leistungserstellung eine entscheidende
Rolle spielen ("Schnittstellenmanagement").
Ein wichtiger Punkt dabei wird die Bereitstellung der Infrastruktur sein, womit nicht
nur die räumliche, personelle und technische Ausstattung, sondern auch die Informationstechnologie
und das Management-Know-how gemeint sind. Einzubeziehen sind auch die Logistik und
die Entwicklung von Innovationen im Gesundheitsbereich.
"Integrierte Versorgung" als Musterbeispiel
"Integrierte Versorgung" als Musterbeispiel
Ein Beispiel für die derzeitigen organisatorischen Änderungen im Gesundheitswesen
sind die Verträge zur Integrierten Versorgung. Krankenkassen haben in den letzten
Jahren häufig die Möglichkeit genutzt, Einzelverträge mit niedergelassenen Medizinern,
Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen abzuschließen, auch wenn die Umsätze
und Fallzahlen je Einzelvertrag noch nicht die erhofften Größenordnungen erreichen.
Die Budgetkürzung für die Anschubfinanzierung und die gedeckelten Budgets sind zusätzliche
Anreize zum Abschluss von Verträgen für die Kliniken. In der aktuellen Fassung der
Gesundheitsreform ist eine Weiterentwicklung zu einer populationsbezogenen, pauschalen
Vergütung (d.h. umfassende Versorgung von Volkskrankheiten in größeren Regionen oder
Rundum-Versorgung der Versicherten einer Krankenkasse) vorgesehen. Rehabilitationsleistungen
sollen hierbei nicht mehr integriert sein, dafür wird der Kreis der möglichen Vertragspartner
um die Pflegeversicherung und nichtärztliche Heilberufe erweitert.
Die Vorteile solcher Verträge zur Integrierten Versorgung liegen auf der Hand: Die
Behandlung erfolgt nach definierten Behandlungspfaden gemäß den aktuellen Leitlinien
der Fachgesellschaften und ist auf dem neuesten Stand des medizinischen Wissens. Standardisierte
Nachuntersuchungen nach Abschluss der stationären und rehabilitativen Behandlung tragen
dazu bei, Folgeerkrankungen zu vermeiden, die Liegezeiten in den Krankenhäusern zu
verkürzen und die Übergänge zwischen ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung
besser zu koordinieren, wodurch lange Wartezeiten entfallen.
Interdisziplinäre Versorgung der Patienten unter einem Dach
Interdisziplinäre Versorgung der Patienten unter einem Dach
Nehmen wir als ein weiteres Beispiel für die beginnenden Veränderungen den Betrieb
von Medizinischen Versorgungszentren. Innerhalb von knapp drei Jahren haben sich etwa
2000 Ärzte dafür entschieden, in rund 500 Medizinischen Versorgungszentren Patienten
"unter einem Dach" zu versorgen.
Charakteristisch für diese Einrichtungen ist eine ambulante und fachübergreifende
Zusammenarbeit von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen, wobei die ärztliche Versorgung
durch mindestens zwei Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen oder Berufsgruppen gewährleistet
sein muss. Neben der Mitarbeit von angestellten oder Vertragsärzten ist auch eine
Kooperation von Physiotherapeuten und anderen nichtärztlichen Heilberufen wie Mitarbeiter
eines Sanitätshauses, eines Orthopädiefachgeschäftes sowie Apotheker und Pflegedienstmitarbeiter
vorgesehen.
Dies bedeutet eine enge Zusammenarbeit aller an der Behandlung Beteiligten und eine
gemeinsame Verständigung über Krankheitsverlauf, Behandlungsziel und Therapie. Es
schließt die reibungslose Koordination mit einem Krankenhaus ein, wenn eine stationäre
Versorgung notwendig ist.
Dieses "Erfolgsmodell" hat für alle Seiten Vorteile: Der niedergelassene Arzt kann
zum Beispiel ohne das ökonomische Risiko einer Praxisgründung und mit einem festen
Grundgehalt arbeiten. Die Chancen für ein Krankenhaus liegen in der verstärkten Verzahnung
von stationärem und ambulantem Bereich: Damit können die Wettbewerbssituation gestärkt
und eine Erlössteigerung durch eine Leistungsausweitung und Nutzung von Synergieeffekten
- zum Beispiel durch die gemeinsame Nutzung der Medizintechnik - realisiert werden.
Im Vordergrund steht jedoch die Optimierung des Behandlungsprozesses für den Patienten
durch die Bündelung der medizinischen Kompetenz und die Zeitersparnis durch kurze
Wege zwischen den einzelnen (Fach-)Ärzten und weiteren Leistungserbringern, eine strukturierte
Behandlung durch engere Zusammenarbeit der Ärzte sowie die Vermeidung von oft belastenden
Doppeluntersuchungen.
Verzahnung von Ambulanz und Station geht weiter
Verzahnung von Ambulanz und Station geht weiter
Auch das in 2007 in Kraft tretende Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) treibt
die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung weiter voran und verspricht
eine deutliche Liberalisierung: Alle zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen
Leistungserbringer können so genannte "Berufsausübungsgemeinschaften" bilden, auch
über die Grenzen der Kassenärztlichen Vereinigungen hinweg. Die Tätigkeit von Vertragsärzten
an mehreren Orten parallel ist gestattet.
Eine Anstellung von Ärzten ohne zahlenmäßige Begrenzung, auch fachgebietsübergreifend,
eröffnet neue Perspektiven. Ebenso ist eine Teilzulassung von Ärzten möglich, um die
Arbeit sowohl im Krankenhaus als auch in der Praxis zu erleichtern. Krankenhäuser
werden damit in die Lage versetzt, ihre Aktivitäten im ambulanten Bereich weiter auszudehnen,
insbesondere in das Gebiet der hoch spezialisierten ambulanten Leistungen.
Chancen und Herausforderungen für das Krankenhaus
Chancen und Herausforderungen für das Krankenhaus
Für das Krankenhaus bringen diese Regelungen neben den vielen Chancen aber auch Herausforderungen
mit sich. So könnten zusammengeschlossene Hausarzt- und Facharztpraxen durch Kooperationen
mit Krankenhäusern in der Region, in denen sie durch eigene Zulassungen deren Infrastruktur
nutzen, eine Schlüsselfunktion bei der Patientensteuerung erlangen.
Ein Krankenhaus, das nicht frühzeitig auf die niedergelassenen Meinungsführer zugeht,
kann sehr schnell seine Patienten an ein anderes Haus verlieren. Ein gezieltes Einweisermanagement
wird damit umso wichtiger werden. Die Kooperationsabsprachen zwischen Haus- und Fachärzten
sowie den Krankenhäusern und seinen Ärzten werden die regionalen Versorgungslandschaften
in den nächsten Jahren nachhaltig prägen und verändern.
Es ist zu erwarten, dass Fach- und Hausärzte nach geeigneten, kompetenten Klinikärzten
suchen werden, die im Einvernehmen mit dem Management des Krankenhauses die ambulante
Kompetenz im Wettbewerb verstärken wollen. Denn in der zukünftigen Konkurrenzsituation
wird es für ursprünglich rein stationäre Kompetenzträger wichtig sein, die Versorgungsfunktion
in einer Hand mit dem niedergelassenen Anbieter wahrzunehmen.
Ein weiterer Vorteil ist, dass das Krankenhaus nicht in ein Medizinisches Versorgungszentrum
investieren muss und dennoch die Zuweisungsbindung optimal absichern kann. Leistungsträgern
im Krankenhaus wird ein Zweiteinkommen geboten und eine dauerhafte persönliche Zukunftsperspektive
mit zwei sich ergänzenden Einnahmesäulen.
Schon jetzt passende Strukturen schaffen!
Schon jetzt passende Strukturen schaffen!
Die Krankenhausstrukturen müssen auf diese Entwicklungen ausgerichtet werden. So werden
zukünftig Kompetenzzentren den reinen Fachabteilungen "den Rang ablaufen" und sich
die zentrale Aufnahme zum Koordinierungszentrum mit funktionaler Verbindung zu anderen
Leistungsbereichen und Facharztstandard entwickeln. Die Entlassstation koordiniert
die Entlassung und die Überleitung in externe Versorgungsbereiche; eine strukturelle
Integration des Case-Managements wird ebenfalls erbracht werden müssen.
Aufgrund der immensen aufgeführten Veränderungen kommen große Chancen auch auf jeden
einzelnen Mitarbeiter in den Krankenhäusern zu, vor allem jedoch auf den ärztlichen
Dienst. Zukünftig wird es nicht mehr "den" Klinikarzt und "den" Niedergelassenen geben,
sondern eine Verzahnung und sinnvolle Kooperation der Bereiche, was allen Beteiligten
zugute kommt. Freuen wir uns also auf den fortschreitenden Abbau der Barrieren zwischen
ambulant und stationär!
Dr. R. Schwarz, Geschäftsführung, Sana Kliniken, München