Aktuelle Urol 2006; 37(6): 391-392
DOI: 10.1055/s-2006-956969
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Posteriore Urethralklappen - Langzeitkomplikationen nach posterioren Urethralklappen

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Publication Date:
13 November 2006 (online)

 
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Wenngleich die Kurzzeitprognose für Jungen mit therapierter posteriorer Urethralklappe sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, scheint zur Langzeitprognose hinsichtlich der Nieren- und Blasenfunktion sowie Fertilität wenig bekannt. Eine schwedische Studie über Langzeitergebnisse bei 19 Männern. J Urol 2005; 174: 1031 -1034

G. Holmdahl und U. Sillén aus Göteburg, Schweden, analysierten die Daten von 54 Patienten, die zwischen den Jahren 1956 bis 1970 wegen einer Harnröhrenklappe behandelt wurden.

27 Patienten hatten als ein Zeichen signifikanten infravesikalen Obstruktion einen dilatierten oberen Harntrakt und wurden in die Studie aufgenommen. Fünf Patienten sind frühzeitig verstorben, 3 weitere konnten nicht kontaktiert werden. Die verbleibenden 19 Patienten (31 bis 44 Jahre alt) wurden gebeten, einen Fragebogen bezüglich ihrer Nieren- und Blasenfunktion als auch eventueller Vaterschaften zu beantworten.

Sechs der 19 Patienten entwickelten eine terminale Niereninsuffizienz, 3 wurden erfolgreich transplantiert und 2 werden derzeit dialysiert. Ein Patient verstarb 2 Jahre nach Nierentransplantation. Vier der 19 Patienten befinden sich im Stadium der kompensierten Niereninsuffizienz und 9 Patienten waren seit ihrer Entlassung aus dem Kinderkrankenhaus nicht weiter untersucht worden. Fünf der 9 Patienten ließen ihr Serumkreatinin bestimmen, welches sich bei allen 5 im Normbereich befand.

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Kontinenz und Fertilität

Alle Patienten waren kontinent, jedoch waren Betroffene mit Niereninsuffizienz nicht vor ihrem 5. Lebensjahr tagsüber kontinent. Blasenentleerungsstörungen wurden von 37% der Männer angegeben. Keiner der 6 Männer mit terminaler Niereninsuffizienz hatte ein Kind gezeugt, während 9 von den 13 übrigen Patienten angaben, 1 bis 2 Nachkommen gezeugt zu haben.

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Fazit

Nach der operativen Korrektur einer Urethralklappe sollten Nieren- und Blasenfunktion langfristig kontrolliert werden, um Langzeitkomplikationen frühzeitig behandeln zu können. "Urotherapie", medikamentöse Therapie, CIC und Blasenaugmentation sind therapeutische Optionen, die, wenn frühzeitig eingesetzt, die Langzeitprognose verbessern könnten.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Kommentar

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G. Schott

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Gute Prognose bei frühzeitiger Desobstruktion

Die vorliegende Arbeit über Langzeitkomplikationen nach posterioren Urethralklappen befasst sich mit einem zentralen Thema der Kinderurologie. Früher starb bereits in den ersten Lebenswochen ein Viertel dieser Kinder, heute sind es dank frühzeitiger Diagnostik und therapeutischer Maßnahmen nur noch wenige. Frühzeitige Desobstruktion lässt die Prognose in vielen Fällen heute wesentlich besser erscheinen. Der Serumkreatininwert als Prognosefaktor spiegelt ungefähr den zu erwartenden Krankheitsverlauf wider. Ein Serumkreatininwert unter 1 mg% gegen Ende des 1. Lebensjahres gilt als günstige renale Prognose; bleibt er jedoch erhöht, weist er in ungünstige prognostische Richtung.

Aus Nephrektomiepräparaten und klinischem Verlauf wissen wir, dass die Klappenkrankheit männlicher Neugeborener alternativ drei verschiedene Formen aufweisen kann:

  • Eine rein obstruktiv hypoplastische, nicht refluxive Vesikoureteronephropathie

  • Dysplastisch refluxive Vesikoureteronephropathien als eigenständige Entität

  • Beides beim selben Patienten: einseitige Hypoplasie sowie gegenseitige Dysplasie.

Entsprechend ist die renale Prognose naturgemäß vom Dysplasiegrad der Niere abhängig, wobei das dysplastische "Valve-Syndrom" fast ausnahmslos refluxiv und öfter bi- als monolateral erscheint. So gilt meist eine hochgradige Refluxivität in Verbindung mit hinteren Harnröhrenklappen, vor allem bei beidseitigem Befund, als dysplastische Variante. Entsprechend lässt sich auch nach infravesikaler Desobstruktion ein unterschiedlicher Krankheitsverlauf der drei Varianten erwarten.

Die rein hypoplastische Formation der Klappenkrankheit hat nach frühzeitiger Desobstruktion meist eine relativ gute Prognose. Umgekehrt haben die beiden dysplastischen Varianten die weit ungünstigeren Aussichten. Die obstruktive, bilateral symmetrisch dilatative, nicht refluxive Vesikoureteronephropathie stellt ca. 40%, die bilateral refluxive, überwiegend dysplastische Form sowie die Koinzidenz aus beidem, also einseitig hypoplastisch nicht refluxiv, gegenseitig dysplastisch refluxiv, stellen jeweils 30% dar.

Somit leisten die frühzeitige postnatale Diagnostik und die kausale Therapie in Form einer Desobstruktion der hinteren Harnröhre wertvolle frühzeitige Entlastung, und sie dienen zusätzlich der Vermeidung bakterieller Überlagerung (z.B. Pyelonephritis oder Urosepsis). Im Falle eines refluxiven Klappensyndroms mit meist dysplastischen Grundlagen bleibt die Prognose jedoch vielfach schlecht und viele dieser Kinder benötigen im 2. Dezennium eine Nierenersatztherapie in Form einer Dialyse oder Nierentransplantation.

Genau diese unterschiedlichen Verlaufsformen, abhängig vom Grad der renalen Dysplasie und klinisch meist in Verbindung mit grobem Reflux, stellen letztlich vom Krankheitsverlauf her derart unterschiedliche Risikogruppen dar, dass Langzeitbeobachtungen nach posterioren Harnröhrenklappen ohne entsprechende Aufschlüsselung und Differenzierung problematisch sind.

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Keine Abgrenzung der refluxiven Fälle

Die vorliegende Arbeit der schwedischen Arbeitsgruppe schildert zwar, dass in der Gruppe der niereninsuffizienten Patienten gehäuft ehemals refluxive Fälle vorlagen (sowohl bei den ESRD-Patienten als auch bei Patienten mit "moderater Niereninsuffizienz"), aber eine klare Einteilung, insbesondere die Abgrenzung der beidseitigen grob refluxiven Fälle mit bekannt hoher Inzidenz an renaler Dysplasie ist nicht erkennbar, was vermutlich auch an den lange zurückliegenden Befunden (1956 bis 1970) liegen mag. Daher lassen sich auch kaum therapeutische Auswirkungen näher erfassen oder bewerten. Ohnehin ist die operative Versorgung inklusive der kausalen Klappentherapie in dem dargestellten Krankengut sehr heterogen.

Abgesehen von dem noch "historischen Vorgehen" der perinealen Klappenresektion fehlt eine nähere Darstellung weiterer operativer Maßnahmen bezüglich Indikation und Outcome, die eine Beziehung zwischen Ausgangssituation, Therapie und Verlauf erkennen ließe. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass die Langzeitergebnisse be- züglich der Nierenfunktion, hier insbesondere der End-Stage-Fälle, erwartungsgemäß in der Größenordnung zwischen 20 und 30% liegen - nämlich entsprechend der Wahrscheinlichkeit an Kindern mit grober renaler Dysplasie.

In diesen Fällen wurde inzwischen auch ein therapeutischer Nutzen durch frühzeitige hohe Ableitungen (hohe Loop-Ureterocutaneostomien oder Sober-Plastiken) längst in Frage gestellt, und das noch vor 20 bis 30 Jahren an vielen Zentren zur vermeintlichen Verbesserung der renalen Prognose gültige Konzept inzwischen längst verlassen.

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Verlaufsformen von Langzeitproblemen

Von vesikaler Seite verlaufen die Langzeitprobleme gleichermaßen unterschiedlich. Eine nicht optimal desobstruierte, aber auch eine korrekt behandelte "Klappenblase" entwickelt später nur selten eine komplett normale Funktion.

Der Detrusor bleibt meist ein strukturell geschädigtes Organ. Er kann mit den Jahren auf drei verschiedene Weisen reagieren:

  • In Form einer myogenen Insuffizienz, mit hohen Restharnmengen und Inkontinenz sowie fortschreitender Schädigung des Rezeptorgefüges im Sinne einer sekundären Neurogenisierung (oft bleibend),

  • als Hyperaktivität mit entsprechender Urge-Inkontinenz, die oft bis zur Pubertät verschwindet oder

  • als vesikale Hypertonie mit verminderter Kapazität.

Entsprechend dieser unterschiedlichen Verlaufsformen müssen natürlich die Therapieansätze erfolgen. Hier konnte die vorliegende Arbeit bestätigen, dass die meisten Knaben bis zur Pubertät Kontinenzprobleme aufzeigen, wobei die Inkontinenz tagsüber ein besonderes prognostisches Merkmal darstellt.

Die Funktion der Harnblase kann in milderen Fällen sicher relativ lange in tolerabler Kompensation bleiben. Verschlechterung, insbesondere Inkontinenz im 2. Dezennium, zeigt einen ungünstigen weiteren Verlauf an, dies offenbar als Folge einer Detrusorhyperaktivität und damit verbundener Rückwirkung auf die Nierenfunktion. Hier leistet eine regelmäßige Verlaufskontrolle Entscheidendes und kann vor zusätzlicher oder weiterführender Schädigung des oberen Harntraktes schützen.

Ob schwerwiegender oder mittlerer Verlauf ist also nicht nur von der Intensität der Obstruktion, sondern auch vom renalen Dysplasiegrad (refluxfreies oder refluxhaltiges Klappensyndrom) abhängig. Auch erworbene Faktoren wie Infektionen (Bakteriurien, Pyelonephritiden, Sepsis) oder eine Verschlechterung der Blasenfunktion spielen eine Rolle. So endet nach A. Sigel (Kinderurologie, 2. Auflage, Springer Verlag 2001) ein gleichsam vorprogrammierter ungünstiger renaler Verlauf in der terminalen Niereninsuffizienz im 2. Dezennium dann, wenn das Körperwachstum die im Wachstum stark zurückbleibenden Nieren überfordert. Allerdings gibt es derzeit keine verbindliche Graduierung des Klappensyndroms, die den Verlauf zuverlässig voraussagen könnte.

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Lebenslange Kontrolle der Nieren- und Blasenfunktion

Neben dem Postulat der Desobstruktion innerhalb der ersten Lebenstage und der Vermeidung zusätzlicher belastender Infektionen ist es sicher wichtig, wie die Autoren aus Göteborg abschließend resümieren, Nieren- und Blasenfunktion bei ehemaligen Knaben mit hinteren Harnröhrenklappen ein Leben lang zu kontrollieren. Hier ist es vor allem die Blase, die mit den heutigen Möglichkeiten differenzierter Therapieansätze den oberen Harntrakt weiter protegieren kann.

Prof. Günther E. Schott, Erlangen

 
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G. Schott