Jeder Arzt trägt nicht nur eine große Verantwortung für seine Patienten, in seiner
täglichen Arbeit ist er auch erheblichen Haftungsrisiken ausgesetzt. Dabei fürchten
die meisten Mediziner vor allem Klagen aufgrund eines klassischen Behandlungsfehlers.
Probleme aus dem organisatorischen Bereich dagegen werden häufig unterschätzt.
Zunehmend komplexer werdende Behandlungsmethoden, aber auch die Einführung des Arbeitsschutzgesetzes
und der daraus resultierende "Schichtbetrieb", haben dazu geführt, dass immer mehr
Personen an der Behandlung eines Patienten mitwirken. Die Folge ist eine starke Arbeitsteilung
in fast allen medizinischen Bereichen.
Komplexe Strukturen benötigen sorgfältige Überwachung
Komplexe Strukturen benötigen sorgfältige Überwachung
Diese Entwicklung birgt aber Gefahren, weil unter anderem die Planung, die Koordination
und die Kontrolle des klinischen Alltags mehr Umsicht erfordert. Je mehr Ärzte, Techniker
und Hilfskräfte an der Diagnose und Therapie eines Patienten beteiligt sind und je
komplizierter und gefährlicher apparative und medikamentöse Therapien werden, umso
stärker muss die Organisation dieser Zusammenarbeit überwacht werden.
Vor diesem Hintergrund gewinnen ärztliche organisatorische Sorgfaltspflichten in allen
Bereichen des klinischen Alltags eine immer größere Bedeutung. Der umfangreiche Pflichtenkatalog
richtet sich dabei primär an die verantwortlichen Krankenhausträger und Chefärzte,
zum Teil jedoch auch an die Oberärzte. Im Vordergrund stehen dabei vor allem die Überwachungs-,
Auswahl- und Anleitungspflicht. Aber auch die Betriebsleitung bzw. das Direktorium
bestehend aus Ärztlichem Direktor, Verwaltungsdirektor und Pflegedienstleitung können
natürlich in die Pflicht genommen werden.
Wie weit die Verantwortlichkeit jeweils reicht, richtet sich dabei nach den tatsächlichen
Verhältnissen des jeweiligen Krankenhauses. Eine generelle und allgemeingültige Regelung
hierfür gibt es nicht. Maßgeblich können dabei die Größe des Hauses und die personelle
Zusammensetzung des ärztlichen Dienstes sein. Hochschulkliniken müssen sicherlich
höheren Anforderungen genügen als zum Beispiel kleinere Landkrankenhäuser.
Organisationspflichten des Chefarztes sind umfassend
Organisationspflichten des Chefarztes sind umfassend
Chefärzte sind grundsätzlich verpflichtet, ihre Abteilung so zu organisieren, zu leiten
und zu überwachen, dass Patienten bei der Diagnostik und Therapie keinen Gefahren
ausgesetzt sind. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter ausreichend qualifiziert
sind und aufgrund ihrer fachlichen und charakterlichen Qualifikation ein selbstständiges
Arbeiten gewährleisten können. In jeder Behandlungsphase muss ein qualifizierter Arzt
bereitstehen, der - wenn es erforderlich ist - eingreifen kann.
Assistenzärzte dürfen demnach nur solche medizinischen Handlungen verrichten, denen
sie nach ihrer Kenntnis und ihrem Ausbildungsstand gewachsen sind. Mit zusätzlichen
Gefahren für den Patienten darf der Einsatz eines Assistenzarztes nicht verbunden
sein. Daher sind Chefärzte verpflichtet, Assistenzärzte durch regelmäßige Visiten
zu beobachten und zu überprüfen oder sie durch einen Oberarzt überwachen zu lassen.
Dies gilt verstärkt bei noch unerfahrenen Assistenzärzten.
Leisten Assistenzärzte einen Bereitschaftsdienst ab, muss sichergestellt sein, dass
sie über das hierfür erforderliche Fachwissen und die nötige Routine verfügen. Besonders
wichtig ist dies bei den so genannten fachübergreifenden Bereitschaftsdiensten, die
juristisch sicherlich die größten Probleme bereiten.
Assistenzärzte müssen immer (am besten durch eine schriftliche Dienstanweisung) eindeutig
angewiesen werden, bei Unsicherheiten oder Notfällen sofort den in Rufbereitschaft
befindlichen Oberarzt oder Chefarzt telefonisch zu kontaktieren. Die Rufbereitschaft
muss kurzfristig zur Stelle sein, da nur so der von den Gerichten bei jeder Behandlung
von Patienten geforderte Facharztstandard gewährleistet ist.
Personelle Engpässe schon im Vorfeld vermeiden
Personelle Engpässe schon im Vorfeld vermeiden
Zudem verhindern klare Einsatzpläne und Vertretungsregeln Arbeitsüberschneidungen
bei der Kooperation fachübergreifender Ärzte, die zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung
der entsprechenden Kompetenzen führen können.
Kommt es aufgrund von wirtschaftlichen Einsparungen im Krankenhaus zu personellen
Engpässen, ist es nach Auffassung mancher Gerichte ebenfalls Aufgabe des Chefarztes,
insbesondere den Krankenhausträger nachhaltig und wiederholt auf diese Missstände
aufmerksam zu machen: Nur dann muss er sich später selbst nicht dem Vorwurf eines
Organisationsverschuldens aussetzen, wenn aufgrund dieser personellen Situation ein
Schaden entsteht.
Zivilrechtliche und strafrechtliche Beurteilung
Zivilrechtliche und strafrechtliche Beurteilung
Kommt ein Patient im Organisationsbereich des Krankenhauses zu Schaden, haftet neben
dem Arzt, der die Behandlung durchgeführt hat, immer häufiger auch der verantwortliche
Chefarzt und/oder der Krankenhausträger, wenn der Fehler auf einen organisatorischen
Mangel zurückzuführen ist. Sogar strafrechtlich kann gegen die Verantwortlichen vorgegangen
werden.
Zivilrechtlich kann ein Patient Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeld geltend
machen. Im Rahmen des Strafrechts kann ein Organisationsverschulden sogar zu einer
Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder sogar fahrlässiger Tötung des
für die Organisation verantwortlichen Arztes führen.
Bei der fahrlässigen Körperverletzung handelt es sich um ein so genanntes Antragsdelikt.
Damit muss entweder der Patient selbst einen Strafantrag stellen oder die Staatsanwaltschaft
kann von Amts wegen ermitteln, wenn ein so genanntes "öffentliches Interesse" vorliegt.
Ein solches wird gerade bei ärztlichen Behandlungs-, Organisations- und Aufklärungsfehlern
jedoch stets angenommen. Bei fahrlässiger Tötung ist dagegen kein Strafantrag nötig.
Die Verurteilung zu einer Geldstrafe kann neben arbeitsrechtlichen Konsequenzen auch
eine berufsrechtliche und approbationsrechtliche Überprüfung nach sich ziehen. Auch
eine Ermächtigung für den ambulanten Bereich kann eine strafrechtliche Verurteilung
tangieren.
Risikomanagement fußt auf engagierter Mitarbeit aller
Risikomanagement fußt auf engagierter Mitarbeit aller
Bevor es zum Besuch des Staatsanwalts kommt, sollte bereits im Vorfeld versucht werden,
organisatorische Missstände zu erkennen und zu beheben. Ein geeignetes Risikomanagement
kann hierbei helfen.
Primär ist eine ausreichende personelle Besetzung erforderlich. Mitarbeiter sollten
sensibilisiert werden, Organisationsmängel wahrzunehmen und auf diese hinzuweisen.
Dies kann zum Beispiel durch die Bildung einer Risikomanagementgruppe geschehen. Aufgabe
dieser Gruppe kann es sein, nach Möglichkeiten zu suchen, Organisationsmängeln bereits
präventiv zu begegnen oder bestimmte Maßnahmen (z.B. ein "critical incident reporting
system" (CIRS)) zu installieren.
Diese spezielle Computersoftware ist an ein ähnliches System der Berufspiloten angelehnt.
Jeder Arzt kann anonym über kritische Zwischenfälle berichten und sich gleichzeitig
Rat bei Kollegen holen. Die Auswertung dieser Berichte zeigt Missstände auf, die dann
zu beseitigen sind. Viele Kliniken setzen diese Option bereits erfolgreich ein.
Prävention ist "die halbe Miete", wegsehen dagegen verboten
Prävention ist "die halbe Miete", wegsehen dagegen verboten
Der beste Ansatz, um sich dem Vorwurf des Organisationsverschuldens gar nicht erst
auszusetzen, ist Prävention im eigenen Haus. Organisationsabläufe müssen auf Übereinstimmung
mit den juristischen Vorgaben überprüft und gegebenenfalls optimiert werden.
Ein häufiger falscher Ansatz ist, sich "keinen Ärger einhandeln" zu wollen und daher
eine Art Vogelstraußpolitik zu betreiben. Kommt ein Patient aufgrund eines organisatorischen
Mangels zu Schaden, interessiert es die Staatsanwaltschaft und den Strafrichter wenig,
aus welchen Gründen man davon abgesehen hat, auf organisatorische Mängel hinzuweisen
oder diese abzuschaffen. Auch auf die Unterstützung seitens des Krankenhausträgers
oder der Kollegen kann man sich nicht verlassen. Häufig ist leider genau das Gegenteil
der Fall.
Eine gute Organisation ist auch immer im Interesse der Geschäftsführung und des Krankenhausträgers.
Auch dort werden die verantwortlichen Personen immer häufiger strafrechtlich zur Verantwortung
gezogen - insbesondere, wenn sie von ihren Mitarbeitern bereits auf die Missstände
hingewiesen wurden, die dann zu dem Schaden geführt haben.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein
Unerfreulich sind jedoch die Erfahrungen mit den Strafgerichtsverfahren. Denn dort
werden häufig (auch von den gerichtlich bestellten Sachverständigen) Maßstäbe für
die Organisation vertreten, die mit der Klinikrealität nicht mehr übereinstimmen.
Dieses Manko lässt sich letztlich nur beheben, wenn die eingesetzten Sachverständigen
aus vergleichbaren Krankenhäusern mit einem ähnlichen Hintergrund im Klinikalltag
stammen.
Ein Chefarzt eines Universitätskrankenhauses zum Beispiel legt unter Umständen für
ein kleines Landeskrankenhaus unrealistische organisatorische Maßstäbe an. In diesen
Fällen besteht jedoch eine nicht unerhebliche Gefahr, dass es tatsächlich zu einer
Verurteilung kommt.
Dr. iur. Isabel Häser, Rechtsanwältin, Ehlers, Ehlers & Partner, München