Z Orthop Ihre Grenzgeb 2006; 144(4): 351-353
DOI: 10.1055/s-2006-951410
Orthopädie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Operative Orthopädie im Rahmen eines humanitären Einsatzes im Entwicklungsland Tansania

Further Information

Dres. Michael Clarius
Michael Schidelko

Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg

Schlierbacher Landstr. 200A,

69118 Heidelberg

Email: michael.clarius@ok.uni-heidelberg.de

Publication History

Publication Date:
01 September 2006 (online)

 
Table of Contents
Zoom Image

Dr. Michael Clarius

Oft werde ich gefragt, welche Beweggründe es gibt, dass ein Arzt, noch dazu ein Vater von vier Kindern, neben seiner zeitlich hohen Beanspruchung in der Klinik zwei Wochen seines Jahresurlaubes opfert, um seine medizinische Hilfe in weit entfernten Ländern anzubieten.

Zoom Image

Abb.1: Das Interplast-Team in Tansania, von links: Marcus Strottkötter, Helga Schuhmacher, Dr. Andre Zühlsdorf, Dr. Michael Clarius, Dr. Regina Schidelko, Elvira Deinet, Prof. Ingrid Podlesch, Dr. Michael Schidelko.

Es gibt viele Gründe dafür. Fremde Länder, Menschen und Kulturen fernab von jedem Tourismus kennen zu lernen, ist sicher einer der Gründe. Aber auch die Arbeit in einem hoch motivierten, für zwei Wochen einem gemeinsamen Ziel untergeordneten Team ist eine Motivation. Verschont von den Nöten der DRGs, von Kosteneffizienz, Fallschwere, und den Verwaltungstätigkeiten, kann man sich dem eigentlichen Grund seiner Berufswahl widmen. Die Erfahrung einer tief empfundenen Dankbarkeit von Patienten, für die es unter den gegebenen Umständen vor Ort keine Aussicht auf medizinische Hilfe gegeben hätte, ist für mich sicherlich der Hauptbeweggrund.

#

Interplast e.V. - eine internationale Organisation

Schon kurz nach meinem Studium hörte ich fasziniert einen Vortrag von Plastischen Chirurgen, die von ihren Erfahrungen im Rahmen eines Interplast-Einsatzes aus Zentralafrika berichteten. Interplast e.V. ist eine gemeinnützige internationale Organisation, ursprünglich gegründet von erfahrenen Plastischen Chirurgen, Anästhesisten und OP-Assistenten, die unentgeltlich in Entwicklungs- und Schwellenländern ihre medizinische Hilfe anbieten und operieren. Hauptindikationen sind normalerweise plastisch rekonstruktive Operationen nach Verbrennungen und Infektionen sowie die operative Behandlung von Lippen-, Kiefer-Gaumen-Spalten. Da bei solchen Einsätzen in hohem Maße posttraumatische, angeborene und erworbene Deformitäten des Bewegungsapparates diagnostiziert wurden, aber nicht behandelt werden konnten, sind nun auch häufig Orthopäden Bestandteil dieser Teams. Nach der Philosophie von Interplast werden kleine, autarke Einheiten bestehend aus Chirurgen, Anästhesisten, OP-Assistenten und Anästhesiepflegekräften gebildet, die sich für zwei Wochen zusammenschließen, um vor Ort bedürftige Patienten zu behandeln. Das dazu notwendige Material und die Medikamente werden aus Spendenmitteln finanziert und mitgeführt. Aus diesem Grund stellt allein die Vorbereitung auf solch einen Einsatz große logistische Anforderungen.

#

Tradition der Orthopädischen Universitätslinik Heidelberg

In der Heidelberger Orthopädischen Klinik gibt es schon seit langem eine große Tradition, humanitäre Auslandseinsätze durchzuführen. Prof. A. Martini und Prof. L. Bernd widmen sich mit ihrem sehr aktiven Team schon seit Jahren einem Projekt in Afghanistan und Anne von Reumont führt mit ihrer Gruppe häufig Einsätze in Indien durch.

Mein Kontakt zu Interplast wurde von PD Dr. Rainer Abel während seiner Heidelberger Zeit hergestellt. Er leitete 2002 meinen ersten Einsatz in Jordanien. Dabei lernte ich den Plastischen Chirurgen Dr. Michael Schidelko kennen, der als Sektionsleiter von Interplast schon zahlreiche Einsätze in der Dritten Welt geleitet hat. Michael und seine Frau Regina sind lebende Beispiele dafür, dass man, wenn man erst mal von dem "Virus Interplast" infiziert ist, ihn auch nicht mehr so leicht los wird. Neben ihrer Praxistätigkeit haben die beiden bereits mehr als 25 Einsätze in den verschiedensten Regionen der Welt durchgeführt.

Zoom Image
Zoom Image

Abb. 2 und 3: Beidseitige Klumpfußdeformtät und die intraoperative Korrektur durch ChopartArthrodese, Achlillessehnenverlängerung und Sehnentransfers bds.

Zoom Image
Zoom Image

Abb. 4 und 5: Verbrennungskontraktur des Fußes mit fixiertem, ausgeprägtem Hackenfuß eines neunjährigen Mädchens und die intraoperative Korrektur.

#

"Mama Maria" von Puma

Der Kontakt nach Puma, unserem Einsatzort im Zentrum Tansanias, kam durch eine im ganzen Land sehr bekannte, deutsche Ordensschwester zu Stande, die vor Jahrzehnten dort eine Missionsstation gründete. "Mama Maria" wie sie in Tansania liebevoll genannt wird, hat es zum großen Teil aus deutschen Spendenmitteln geschafft, dort ein Krankenhaus zu bauen. Seit Jahren wird dieses Projekt von der Kirchengemeinde Bad Honnef unterstützt, der auch Michael Schidelko und seine Frau Regina angehören.

Tansania, ein Entwicklungsland in Ostafrika, ist bei uns bekannt für seine Nationalparks und den höchsten Berg Afrikas, den Kilimandscharo. Auf einer Fläche von knapp 1 Million Quadratkilometern leben rund 32 Millionen Einwohner, deren Zahl stetig ansteigt. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt zurzeit 46 Jahre und 44 Prozent der Menschen sind unter 14 Jahre alt. Trotz der touristischen Anziehungspunkte findet sich eine weit verbreitete Armut. Medizinische Hauptprobleme sind Infektionserkrankungen wie Malaria und AIDS. Offizielle Schätzungen berichten von einer Infektionsrate mit dem HI-Virus von 5% der Bevölkerung. Inoffizielle gehen allerdings von einem deutlich höheren Anteil von bis zu 20% aus. Die medizinische Versorgung beschränkt sich auf insgesamt 1800 Ärzte, die jedoch fast ausnahmslos in den großen Städten und in den Touristenzentren tätig sind. Abseits der Ballungsgebiete und im Landesinneren werden die Patienten in Krankenstationen von medizinischem Hilfspersonal betreut.

Unser Einsatzort Puma liegt in einem der ärmsten Regionen Tansanias, dem Distrikt Singida. Trotz aller Mühen war es Schwester Maria bis zu unserem Einsatz noch nicht gelungen, einen Arzt für ihr 100-Betten-Krankenhaus zu finden. Michael Schidelko bot seine Hilfe an und besuchte im Sommer 2004 erstmals die Missionsstation und das im Bau befindliche Krankenhaus. Er fand dort für lokale Verhältnisse nahezu ideale Bedingungen für einen Interplast-Einsatz vor und konnte bereits ein entsprechendes Screening der Patienten vornehmen. Deshalb rief er mich an und schnell war ein 8-köpfiges Team zusammengestellt.

Während sich Plastische Chirurgen auf ein relativ überschaubares Repertoire von Instrumenten beschränken können, benötigen wir Orthopäden viele Instrumente, Implantate und Verbrauchsmaterialien, die bei einem solchen Einsatz größtenteils im Flugzeug mitgeführt werden müssen. Die Unnachgiebigkeit der Fluggesellschaft sorgte dafür, dass die Akkubohrmaschine und Narkosegeräte im Handgepäck verschwanden und das persönliche Gepäck auf ein Minimum reduziert wurde.

Zoom Image

Abb.: 6 Lähmungsklumpfußdeformität mit intraoperativer Korrektur durch Tibialis-posterior- und hälftigem Tibialis-anterior-Sehentransfer.

Über eine zweieinhalb Tage dauernde, abenteuerliche Anreise per Flugzeug, Jeep und Buschflieger gelangte unser Team schließlich nach Puma. Wie auch in diesem Jahr herrschte im Oktober 2004 eine Dürre und Wasser war knapp, was unsere hohen zivilisatorischen Ansprüche an die Körperpflege relativierte. Täglich stand ein Zehnlitereimer Wasser zur Dusche zur Verfügung. Ein Luxus, der, wie wir am Ende unseres Einsatzes hörten, nur uns zugestanden wurde.

Das Krankenhaus war in einem sehr gepflegten Zustand, die vorhandene medizinische Ausstattung eher minimal zu nennen. Ein sehr einfaches Röntgengerät lieferte akzeptable Röntgenbilder, allerdings erst, nachdem mit großem logistischen Aufwand Entwicklungsflüssigkeiten besorgt werden konnten, was in Tansania mehrere Tage in Anspruch nahm. Einen für uns Orthopäden zu Hause wichtigen BV zur intraoperativen Kontrolle gab es freilich nicht. Die sehr empfindliche Stromversorgung wäre dadurch sicher noch mehr gestört worden. So musste so manche Operation mit der Stirnlampe zu Ende geführt werden.

Zoom Image
Zoom Image

Abb. 7 und 8: Knöchern fixierte Flexionsstellung des Handgelenkes bei rheumatoider Arthritis und intraoperative Korrektur durch eine Handgelenkarthrodese.

In Erwartung meiner sehr aufwändigen Gipsbehandlung hatte Schwester Maria reichlich Gipsbinden der deutschen Bundeswehr vom Herstellungsjahr 1965 gekauft, die in Dosen luftdicht abgepackt und von ausgezeichneter Qualität waren. Das einzige Sterilisationsgerät hatte leider zunächst eine Betriebstörung. Nach einer Nachtschicht von unserem "McGyver" im Team, Frank Deinet, und nachdem die Elektronik ausgebaut und auf "Handsteuerung" umgestellt war, sterilisierte das Gerät ohne Qualitätseinbußen sehr zuverlässig.

Die tägliche Arbeit begann zunächst mit der Sprechstunde und der Visite auf den Männer-, Frauen- und Kinderstationen. Während im OP die ersten Vorbereitungen liefen, wurden nebenan bereits die Verbands- und Gipswechsel durchgeführt. Zumeist wurde in zwei Räumen parallel operiert, was von einem 8-köpfigen Team ein hohes Maß an Einsatz und Flexibilität fordert und gleichzeitig auch zusammenschweißt.

Insgesamt wurden bei diesem Einsatz 49 Patienten mit zum Teil komplexen Fehlstellungen und Deformitäten operativ behandelt. Dabei wurden mehr als 150 Eingriffe durchgeführt. In den Abbildungen werden einige Patienten und deren Behandlung vorgestellt.

Möglich gemacht wurden diese Eingriffe durch die sehr versierte Anästhesieführung, die auch in Ermangelung der Narkosegase in den meisten Fällen sehr erfolgreich Leitungsanästhesien einsetzten.

Die aufwändige operative Behandlung macht natürlich eine umfangreiche und genau festgelegte Nachbehandlung notwendig. Diese wurde vor Ort durch den deutschen Chirurgen Dr. Albert Hartig gewährleistet, der über eine Anzeige im Ärzteblatt für ein Jahr als ärztlicher Leiter für dieses Krankenhaus gewonnen werden konnte und sich ein wenig später unserem Team anschloss.

Natürlich sind der operativen orthopädischen Therapie durch die Umgebungsbedingungen, die einfache Ausstattung des Krankenhauses und durch das beschränkte Repertoire an mitgeführten Instrumenten und Implantaten Grenzen gesetzt. Der Mangel an technischen Vorraussetzungen kann allerdings häufig durch Engagement, fachliche Kompetenz und insbesondere durch Improvisation ausgeglichen werden.

Jedem, der sich überlegt, sich einem solchen Team anzuschließen, kann ich dies nur empfehlen. Die Erfahrungen eines solchen Einsatzes geben Kraft, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit. Das ist wohl der Grund, warum mir meine Familie dafür grünes Licht gab.

Dres. Michael Clarius
Michael Schidelko

Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg

Schlierbacher Landstr. 200A,

69118 Heidelberg

Email: michael.clarius@ok.uni-heidelberg.de

Dres. Michael Clarius
Michael Schidelko

Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg

Schlierbacher Landstr. 200A,

69118 Heidelberg

Email: michael.clarius@ok.uni-heidelberg.de

 
Zoom Image

Dr. Michael Clarius

Zoom Image

Abb.1: Das Interplast-Team in Tansania, von links: Marcus Strottkötter, Helga Schuhmacher, Dr. Andre Zühlsdorf, Dr. Michael Clarius, Dr. Regina Schidelko, Elvira Deinet, Prof. Ingrid Podlesch, Dr. Michael Schidelko.

Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image