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DOI: 10.1055/s-2006-948113
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Therapie der Varikozele - Cochrane-Metaanalyse besitzt geringe Aussagekraft
Publication History
Publication Date:
08 August 2006 (online)
Varikozelen finden sich bei bis zu 25% der infertilen Männer. Inwieweit eine Behandlung die Schwangerschaftsraten unfruchtbarer Paare erhöht, wird derzeit kontrovers diskutiert. So zeigte ein systematischer Review randomisierter und kontrollierter, nichtrandomisierter Studien einen signifikanten Anstieg der Schwangerschaftsrate nach Varikozelen-Behandlung. Eine Cochrane-Metaanalyse randomisierter klinischer Studien konnte hingegen keinen positiven Effekt belegen. In einer erneuten kritische Analyse klinischer Studien wird dieser Widerspruch erneut diskutiert (Eur Urol 2006; 49: 258-263).
Dazu analysierten V. Ficarra et al. 8 verfügbare randomisierte Studien zu dem Thema "Operation oder Sklerosierung von Varikozelen bei subfertilen Männern". Da laut Empfehlungen der "Amerikanischen urologischen Gesellschaft (AUA)" sowie der "Amerikanischen Gesellschaft für reproduktive Medizin (ASRM)" eine Varikozelen-Behandlung bei Patienten mit normalem Spermiogramm oder subklinischer Varikozele nicht indiziert ist, wurden diese Patienten in der vorliegenden Studie ausgeschlossen. Analysiert wurden die Daten bezüglich der Aufnahmekriterien, klinischer Merkmale der randomerisierten Patienten und Schwangerschaftsraten in Abhängigkeit der Randomisierung.
Heterogener Studienaufbau und mangelhafte Methodik
Die Auswertung der Literaturdaten ergab, dass nur 3 der 8 der Patientenpopulation eine tastbare Varikozele und eine pathologisches Spermiogramm hatten. Insgesamt wurden von 237 Patienten 120 Patienten randomisiert in die "Behandlungsgruppe" und 117 Patienten in die Kontrollgruppe eingeteilt. Der Studienaufbau erwies sich hinsichtlich der Aufnahmekriterien und der klinischen Patientenmerkmale als sehr heterogen. Die methodische Qualität und die statistische Aussagekraft müssen als unzureichend beurteilt werden. Allerdings zeigte die Analyse der behandelten Patienten einen signifikanten Anstieg der Schwangerschaftsraten nach Varikozelen-Behandlung (36,4%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (20%).

Bidirektionales Dopplerbild bei Varikozele vom Druck- (oben) und vom Shunttyp (unten). Ob eine Varikozelenbehandlung die Schwangerschaftsrate erhöht, ist noch umstritten (D. Jocham et al. Praxis in der Urologie, Thieme, 2003).
Fazit
Die Cochrane-Metaanalyse zur Effizienz einer Varikozelen-Behandlung bei subfertilen Paaren eignet sich nicht, um Empfehlungen oder gar Richtlinien zu entwerfen, so die italienische Arbeitsgruppe. Dazu sei die Patientenpopulation zu heterogen gewesen und die statistische Aussagekraft zu gering. Neuere Daten aus laufenden Studien liefern unter Umständen fundiertere Informationen bez. der Indikation zur Therapie einer Varikozele.
Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas
Editorial
Reviews als Meinungsbildner: Ein kritischer Kommentar
Welchen Einfluss auf die Meinungsbildung haben Reviews und wie wirkt sich deren Fehlbarkeit aus? In seinem Kommentar nimmt sich J. P. W. Heaton diesem Thema an (European Urology 2006; 49: 258 - 263). Die Ergebnisse kontrollierter klinischer Studien sind im Zeitalter der evidenzbasierenden Medizin für die ärztliche Meinungsbildung nicht mehr wegzudenken. Um so schwieriger ist es, wenn sich zu einem Thema konträre Aussagen gegenüberstehen. Während der Cochrane-Review zu dem Schluss kommt, dass eine Varikozelen-Korrektur bei subfertilen Männern ineffektiv für die Wiederherstellung der Fertilität ist, behaupten Ficarra et al. in ihrem Review das Gegenteil. Wie kann es zu solchen unterschiedlichen Interpretationen kommen? Hier wirft Heaton ein, dass es Experten seien sollten, die sich mit dem jeweiligen Thema auseinander setzen. Im vorliegenden Fall waren die Cochrane-Reviewer Gynäkologen und Geburtshelfer, Ficarra hingegen ist Urologe. Weiterhin sollten nur die relevanten, randomisierten Studien mit hoher Evidenz in die Literaturauswahl kommen. Ein Nachteil des Cochrane Reviews ist es, dass dieser nicht in seiner ganzer Länge für jeden verfügbar und somit kontrollierbar ist. Wie kann man in Zukunft damit präventiv umgehen? Wichtig ist, so Heaton, dass solche Debatten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Sicher gibt es noch diverse andere "Wackelkandidaten" unter den zahlreichen Reviews, die wir zu lesen bekommen. Vielleicht sollte die evidenzbasierende Medizin selbst von Zeit zu Zeit genaueren Untersuchungen unterzogen werden? Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas |
Kommentar

U. Humke
Cochrane oder der schwierige Weg zur Evidenz
Ficarra und Mitarbeiter sind mit ihrem Review (Eur Urol 2006; 49:258-263) zu beglückwünschen. Als Urologen und Mitglieder der Varikozelen-Studiengruppe der italienischen Gesellschaft für Andrologie haben sie ihre Kompetenz und Expertise gebündelt, um dem Team der Cochrane-Collaboration, bestehend aus 2 holländischen Gynäkologen, zu widersprechen. Letztere publizierten zwischen 2002 und 2004 eine Serie von 3 Reviews zur Frage der Effektivität einer chirurgischen Therapie der Varikozele bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch, wobei randomisierte kontrollierte Studien der Literatur ausgewertet wurden. 2002 lagen 5 Studien vor, welche zu der Schlussfolgerung führten, dass keine ausreichende Evidenz für die Effektivität der Varikozelen-Therapie gegeben ist. 2003 wurde eine weitere Studie hinzugefügt und eine insgesamt fehlende Effektivität der Varikozelen-Therapie abgeleitet. 2004 erfolgte unter Hinzufügung zweier weiterer Studien die Behauptung, dass eine Variko-zelen-Therapie für die Behandlung der männlichen Subfertilität nicht empfohlen werden kann. Die EAU-Leitlinien-Gruppe hat in ihrem letzten Update 2004 diese Feststellung übernommen, nicht so die AUA (American Urological Association) und die ASRM (American Society for Reproductive Medicine).
Diese Uneinigkeit war Grund genug, die Cochrane-Meatanalyse und die 8 darin beurteilten Studien erneut unter die Lupe zu nehmen. Fünf Studien wurden nach intensiver Neubetrachtung ausgeschlossen, da in diesen Männer mit normalen Spemiogrammen, sowie Paare mit weiblichen Fertilitätsrisiken eingeschlossen waren, sowie die Nachbeobachtungszeit nicht ausreichend war. In den verbleibenden 3 Studien konnte nach statistisch aufwändiger Überarbeitung in der "As-treated"-Analyse ein signifikanter Vorteil für die behandelten Paare im Hinblick auf die Schwangerschaftsraten gefunden werden, während die "Intention-to-treat"-Analyse dies nicht nachweisen konnte.
Die Evidenz unterliegt in Wahrheit der subjektiven Beurteilung der Experten, die die Studien nicht ausreichend geprüft haben. |
Die Schlussfolgerung von Ficarra und Mitarbeiter macht deutlich, dass randomisierte kontrollierte Studien die Frage der Wirkung einer Varikozelen-Therapie bislang nicht beantworten können. Dies kann natürlich für künftige, besser konzipierte und durchgeführte Studien nicht ausgeschlossen werden. Gleichwohl wird aber angemerkt, dass nicht kontrollierte Studien trotz letztendlich geringerem Evidenz-Level die praktisch-klinischen Verhältnisse viel besser wiedergeben, da die Effekte einer Randomisierung, die zur Therapie-Ablehnung durch die Patienten führen kann, hier nicht vorkommen. Die Autoren sehen sich ermutigt, bis auf weiteres die Varikozelen-Therapie nicht zu unterlassen und somit den Leitlinien der AUA und ASRM zu folgen.
Zwei Reviews, die Chochrane-Publikation und die Arbeit von Ficarra und Mitarbeitern, beurteilen die Aussagekraft und das Ergebnis der gleichen Studien unterschiedlich. Diese Situation ist ein exemplarisches Beispiel für die Problematik der evidenzbasierten Medizin. Die Evidenz wird in Metaanalysen aus Studien herausgelesen. In Wahrheit unterliegt sie aber der subjektiven Beurteilung der Analysten, der ernannten Experten, die ihrerseits auf das Thema und die Fragestellung bezogen die zur Auswertung herangezogenen Studien hinsichtlich ihrer Qualität nicht ausreichend geprüft haben.
Das sind handwerkliche Fehler, die die Frage nahe legen, wer die Analysten und Experten wiederum auf ihre Qualität und fachliche Kompetenz überprüft. Ob, wie in diesem Fall, Gynäkologen eine urologische Therapie beurteilen sollten, nur weil der Zielpunkt der Studien das Entstehen einer Schwangerschaft darstellte, darf bezweifelt werden. Sicher wäre auch ein rein urologisches Expertenteam nicht frei von Voreingenommenheit, aber ein interdisziplinärer Ansatz hätte in diesem Dilemma doch wohl am ehesten die Chance, Kompetenz und Objektivität zu bündeln, um eine valide Evidenz zu erarbeiten. Diese Frage ist umso bedeutsamer, als die Cochrane-Reviews immer häufiger zur Erstellung von Leitlinien herangezogen werden und somit eine ausgeprägte Funktion der Meinungsbildung in der Fachwelt, aber auch unter Laien bzw. Patienten haben.
Darüber hinaus richtet sich der Zeigefinger aber auch auf die klinische Forschung und die ihr zugrunde liegenden Studien. Alleine die Zuordnung einer Studie zur Kategorie "randomisiert kontrolliert" sichert im Ergebnis nicht die Eignung für hohe Evidenz. Die Studienprotokolle wiesen in diesem Falle in 62,5% methodische Unzulänglichkeiten auf, die die Beantwortung der Fragestellung torpedierten. Also müssen sich auch die klinischen Forscher und Autoren an der Nase packen lassen und handwerkliche Schwächen vorwerfen lassen.
Folgerichtig endet auch der Review von Ficarra und Mitarbeitern mit dem oft gelesenen Hinweis, dass weitere Studien (und dann hoffentlich bessere) in der Zukunft zeigen müssen, nach welchen Kriterien Männer auszusuchen sind, deren Fertilität durch eine wie auch immer geartete Therapie der Varikozele potentiell profitiert. Zurzeit ist dies nicht eindeutig, aber bis wir es besser wissen, sollte die Varikozelen-Therapie den Patienten nicht vorenthalten werden.
Prof. Ulrich Humke, Stuttgart

Bidirektionales Dopplerbild bei Varikozele vom Druck- (oben) und vom Shunttyp (unten). Ob eine Varikozelenbehandlung die Schwangerschaftsrate erhöht, ist noch umstritten (D. Jocham et al. Praxis in der Urologie, Thieme, 2003).

U. Humke