Gastroenterologie up2date 2006; 2(4): 262-265
DOI: 10.1055/s-2006-945008
Klinisch-pathologische Konferenz

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erblicher Darmkrebs (HNPCC): eine wichtige Diagnose auch im höheren Lebensalter

Nicolaus  Friedrichs, Nils  Rahner, Waltraut  Friedl, Verena  Steinke, Sabine  Merkelbach-Bruse, Peter  Propping, Reinhard  Büttner, Constanze  Walldorf
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Publication Date:
05 January 2007 (online)

Einleitung

Sporadische Karzinome. Karzinome des Gastrointestinaltraktes zeigen eine zunehmende Inzidenz in den westlichen Industrienationen (71 000 Neuerkrankungen in Deutschland pro Jahr [1]). Die Häufigkeit nimmt ab dem 5. Lebensjahrzehnt stark zu. Als ursächlich für diese hohe Inzidenz werden u. a. Ernährungs- und Lebensgewohnheiten angesehen. Abhängig vom Differenzierungsgrad des Tumors besteht bei infiltrativ-dissoziierendem Wachstumsmuster eine hohe Wahrscheinlichkeit der Metastasierung sowie ein hohes Tumorstadium bei Erstdiagnose, so dass zurzeit trotz guter Früherkennungsmöglichkeiten ca. 50 % der Tumoren in einem nichtkurablen Stadium erstdiagnostiziert werden. In dieser Patientengruppe besteht statistisch kein stark erhöhtes Risiko für andere Krebserkrankungen.

Familiär gehäuft auftretende Formen. Bei etwa 20 % der Fälle kolorektaler Karzinome liegt jedoch eine familiäre Häufung vor. Zum Teil ist hier eine multifaktorielle Genese, d. h. das Zusammenwirken mehrerer Umwelt- und genetischer Faktoren, und entsprechend ein leicht erhöhtes Erkrankungsrisiko für Verwandte anzunehmen. In etwa 5 % der Fälle liegt jedoch eine monogen bedingte Tumorneigung zu Grunde - mit einer Keimbahnmutation eines einzelnen Gens und einem hohen Erkrankungsrisiko für Verwandte. Hierzu gehören der erbliche Darmkrebs ohne Polyposis (HNPCC/Lynch-Syndrom), die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), das Peutz-Jeghers-Syndrom und die familiäre juvenile Polyposis. Das Risiko in dieser Patientengruppe, in jungem Alter Krebserkrankungen zu entwickeln, ist deutlich erhöht, zusätzlich verbunden mit einem erhöhten Risiko für Zweitneoplasien.

HNPCC. Der erbliche Darmkrebs ohne Polyposis (HNPCC/Lynch-Syndrom) zeigt einen autosomal dominanten Erbgang und führt zumeist vor dem 50. Lebensjahr erstmals zu Tumoren in Kolon, Rektum, Endometrium, Magen, Dünndarm, Ovarien, Ureter/Nierenbecken oder Haut [2] [3] [4]. Hauttumoren, insbesondere Talgdrüsentumoren, in Kombination mit einem Karzinom innerer Organe sind charakteristisch für das Muir-Torre-Syndrom, das als Variante von HNPCC angesehen wird. Prognostisch wichtig ist, dass simultan oder aufeinanderfolgend mehrere dieser Karzinomerkrankungen bei einem betroffenen Patienten auftreten können. Die histologische Wuchsform dieser genetisch determinierten Neoplasien zeigt im Gegensatz zu sporadischen kolorektalen Karzinomen ein plump-invasives Wachstum, seltener Lymphangiosis und Hämangiosis carcinomatosa und ein deutliches lymphoides Begleitinfiltrat als Ausdruck einer angepassten Immunreaktion des Körpers. Die histologische Wuchsform reflektiert den insgesamt etwas günstigeren Verlauf dieser Krebserkrankungen im Vergleich zu sporadischen Kolonkarzinomen.

Genetische Grundlagen. Ursächlich für die Tumorneigung bei HNPCC sind Keimbahnmutationen in den kodierenden Genen für die DNA-Mismatch-Reparaturproteine MSH2, MLH1, MSH6 oder PMS2 bei jungem Erkrankungsalter und schneller Progression von Vorläuferläsionen. Das Fehlen dieser Reparaturproteine hat eine erhöhte Mutationsrate der genomischen DNA zur Folge. Diese kann mittels einer speziellen Analyse auf sog. Mikrosatelliten-Instabilität (MSI) nachgewiesen werden. Sowohl die MSI als auch die Expression der Reparaturproteine können zuverlässig durch spezielle Untersuchungen am Tumorgewebe diagnostisch erfasst werden. Bei auffälligem Ergebnis sollten eine humangenetische Beratung sowie nachfolgend eine Keimbahnanalyse des betroffenen Gens durchgeführt werden, da eine intensivierte Krebsfrüherkennung wichtig ist und ggf. die Möglichkeit einer vorhersagenden genetischen Testung für Risikopersonen in diesen Familien besteht.

Literatur

  • 1 Bertz J, Giersiepen K, Haberland J. et al . Krebs in Deutschland. 5., überarb. aktual. Ausgab.  Robert Koch Institut. 2006;  32-35
  • 2 Vasen H F, Wijnen J. Clinical implications of genetic testing of hereditary nonpolyposis colorectal cancer.  Cytogenet Cell Genet. 1999;  86 136-139
  • 3 Lynch H T, de la Chapelle A. Genetic susceptibility to non-polyposis colorectal cancer.  J Med Genet. 1999;  36 801-818
  • 4 Aarnio M, Mecklin J P, Aaltonen L A. et al . Life-time risk of different cancers in hereditary non-polyposis colorectal cancer (HNPCC) syndrome.  Int J Cancer. 1995;  64 430-433
  • 5 Engel C, Forberg J, Holinski-Feder E. et al . Novel strategy for optimal sequential application of clinical criteria, immunohistochemistry and microsatellite analysis in the diagnosis of hereditary nonpolyposis colorectal cancer.  Int J Cancer. 2006;  118 115-122
  • 6 Vasen H F, Watson P, Mecklin J P. et al . New clinical criteria for hereditary nonpolyposis colorectal cancer (HNPCC, Lynch syndrome) proposed by the International Collaborative group on HNPCC.  Gastroenterology. 1999;  116 1453-1456
  • 7 Umar A, Boland C R, Terdiman J P. et al . Revised Bethesda Guidelines for hereditary nonpolyposis colorectal cancer (Lynch syndrome) and microsatellite instability.  J Natl Cancer Inst. 2004;  96 261-268
  • 8 Mangold E, Pagenstecher C, Friedl W. et al . Tumours from MSH2 mutation carriers show loss of MSH2 expression but many tumours from MLH1 mutation carriers exhibit weak positive MLH1 staining.  J Pathol. 2005;  207 385-395
  • 9 Goecke T, Schulmann K, Engel C. et al . Genotype-phenotype comparison of German MLH1 and MSH2 mutation carriers clinically affected with Lynch syndrome: a report by the German HNPCC Consortium.  J Clin Oncol. 2006;  24 4285-4292

Dr. med. Nicolaus Friedrichs

Institut für Pathologie
Universität Bonn

Sigmund-Freud-Straße 25
53127 Bonn

Email: nicolaus.friedrichs@ukb.uni-bonn.de

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