Während an der thorakolumbalen Wirbelsäule eine hohe Verletzungsfrequenz mit einer
niedrigen neurologischen Komplikationsrate vergesellschaftet ist, finden wir bei Verletzungen
der Halswirbelsäule ein genau umgekehrtes Verhältnis: Hier sind ca. 15 % der Wirbelsäulenverletzungen
lokalisiert, die aber in 70 % der Fälle mit einer neurologischen Begleitsymptomatik
einhergehen. Der Grund dafür ist die hohe Anzahl von diskoligamentären Verletzungen
in diesem Bereich, die translatorische Dislokationen eher zulassen als eine axiale
Stauchung, und natürlich die Gegenwart des Rückenmarkes: Die Cauda equina ab L1 hält
als quasi peripherer Nerv viel eher große Kompressionen aus als die empfindlichen
spinalen Ganglienzellen.
Die Wirbelsäulendiagnostik ist standardisiert: Anamnese, körperliche Untersuchung,
Röntgen in 2 Ebenen und eine Computertomographie mit multiplanarer Rekonstruktion.
Ohne die hoch auflösenden neuen Computertomogramme war ein Übersehen von HWS-Verletzungen
nicht unüblich. Insbesondere bei SCIWORA (Spinal Cord Injury Without Radiological
Anomaly) und bei der sog. HWS-Distorsion („HWS-Schleudertrauma”) kann die Kernspintomographie
(MRT) weiteren Aufschluss über Verletzungslokalisationen und -art geben.
Einer einheitlichen Verletzungsklassifikation der gesamten HWS steht ihr individueller Aufbau, insbesondere im Bereich des Kopf-Hals-Überganges
entgegen: Man hat Verletzungen der oberen (C0 - C2) von Verletzungen der unteren HWS
(C3 - C7) zu unterscheiden.
Lediglich die untere HWS (UHWS) lässt sich wie die thorakolumbale Wirbelsäule klassifizieren, an der oberen HWS (OHWS) ist die Kenntnis der individuellen, sowohl etagen- als auch segmentabhängigen Verletzungsmöglichkeiten
jedoch unabdingbar.
Während die überwiegend knöchernen Verletzungen der oberen HWS häufiger eine konservative
Therapie mit externer Fixation indizieren, wird an der unteren HWS wie an der thorakolumbalen
Wirbelsäule die knöcherne Fusion des betroffenen Bewegungssegments angestrebt, da
die diskoligamentäre Heilung nicht zu einer sicheren Spätstabilität führt. Das Standardvorgehen
insbesondere bei sicheren monosegmentalen Instabilitäten ohne dorsale Fragmentkompression
stellt das ventrale Stabilisationsverfahren mit winkelstabilen Platten dar.
Biomechanisch stabiler als ventrale Implantate sind mit Sicherheit dorsale schraubengestützte
Fixationsmethoden, die aber sehr viel schwieriger zu platzieren sind. Hier ist der
Einsatz einer Computernavigation insbesondere bei der C1/2-Fixation und bei der transpedikulären
C3-7-Fixation dem konventionellen Verfahren bzgl. Strahlenbelastung und Exaktheit
überlegen.
Wie an der thorakolumbalen Wirbelsäule sind Instabilitäten als dringliche und neurologische
Ausfallerscheinungen als Notfallindikationen zu betrachten, denn nur über die Wiederherstellung
des ursprünglichen Spinalkanalkalibers und einer segmentalen Stabilität kann eine
Erholungsfähigkeit eines geschädigten Rückenmarkes in Aussicht gestellt werden kann.
Als Ersatz des zerstörten Diskus können sowohl kleine Cages als auch ein trikortikaler
kortikospongiöser Span intervertebral benutzt werden.
Im Unterschied zu den übrigen Wiederherstellungsoperationen am Bewegungssystem ist
eine systematische Rehabilitation nach HWS-Verletzungen nur bei inkompletten oder
kompletten Querschnittlähmungen erforderlich. Insbesondere Patienten mit einem hohen
Querschnitt brauchen eine rasche Stabilisation, um ein evtl. Aufsteigen der Lähmung
zu verhindern und eine frühzeitige Rehabilisationsbehandlung mit Mobilisation des
Patienten einleiten zu können.
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Prof. Dr. Christoph Ulrich
Unfallchirurg. Klinik
Klinik am Eichert
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