Pneumologie 2006; 60(11): 694-700
DOI: 10.1055/s-2006-944278
Serie: Pharmakologische Therapie (2)
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pharmakotherapie bei Schwerem Akutem Respiratorischem Syndrom (SARS)

Pharmacotherapy of Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS)L.  von Hagen1 , M.  W.  Pletz1 , N.  Dickgreber1 , H.  Golpon1 , T.  T.  Bauer2 , P.  Zabel3 , T.  Welte1 , D.  A.  Groneberg1
  • 1Abteilung Pneumologie, Zentrum Innere Medizin, Medizinische Hochschule Hannover (Direktor: Univ.-Prof. Dr. T. Welte)
  • 2Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie Heckeshorn, Klinik für Pneumologie, HELIOS Emil-von-Behring, Berlin (Chefarzt: PD Dr. T. T. Bauer)
  • 3Forschungszentrum Borstel, Medizinische Klinik, Borstel (Direktor: Univ.-Prof. Dr. P. Zabel)
  • 4Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Universität zu Lübeck (Direktor: Univ.-Prof. Dr. P. Zabel)
Further Information

Univ.-Prof. Dr. med. David Groneberg

Zentrum Innere Medizin, Abteilung Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Str. 1 OE6870

30625 Hannover

Email: groneberg.david@mh-hannover.de

Publication History

eingereicht 10. 7. 2006

akzeptiert 26. 7. 2006

Publication Date:
16 November 2006 (online)

Table of Contents

Zusammenfassung

Das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS) ist die erste bedeutende neue Infektionskrankheit dieses Jahrtausends und wird durch das SARS-Coronavirus (SARS-CoV) hervorgerufen. SARS geht mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität einher und trat erstmals als Epidemie von 2002 - 2003 auf. Bis heute ist noch kein spezifisch wirksames Therapeutikum gegen das SARS-Coronavirus gefunden worden. Aufgrund des schnellen Voranschreitens der Epidemie 2002 - 2003 war es nicht möglich, multizentrierte, kontrollierte, randomisierte Studien durchzuführen. Daher existieren noch keine allgemeingültigen therapeutischen Richtlinien für diese neue Viruserkrankung. Seit dem Ausbruch von SARS untersuchen Wissenschaftler potenziell wirksame Substanzen gegen das Virus hauptsächlich mittels In-vitro-Tests und an Tiermodellen. Die vorliegende Arbeit analysiert die derzeit zur Pharmakotherapie vorhandenen In-vitro- und In-vivo-Ergebnisse.

Abstract

Severe acute respiratory syndrome (SARS) constitutes the first new infectious disease of the current millennium. It is caused by the novel SARS-Coronavirus (SARS-CoV). SARS is related to a high morbidity and mortality and first appeared during an epidemic in 2002 - 2003. To date no specific therapy against the SARS-CoV is available. Due to the rapid spread of SARS during the epidemics in 2002 - 2003, randomised and controlled multicentre studies were not performed. Therefore, general guidelines have not been developed. Since the outbreak, scientists have been testing potential antiviral substances using in vitro and animal models. This study analyses the presently available in vitro and in vivo data on the pharmacotherapy of SARS.

Einleitung

Das schwere akute respiratorische Syndrom (SARS) ist die erste neue Infektionskrankheit dieses Jahrtausends. Es geht mit einer erheblichen Morbidität und Mortalität einher und trat erstmals als Epidemie 2002/2003 in Südchina auf [1] [2] [3] [4] [5]. Aufgrund des internationalen Reiseverkehrs breitete sich die durch das SARS-Coronavirus ausgelöste Erkrankung global aus und führte zu insgesamt 8096 möglichen Fälle von SARS und 774 Toten in 29 Ländern [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15]. Dabei traten über 90 % der Fälle in China und Hongkong auf [3] [4], und die Erkrankung endete oft in einem ARDS [16].

Bis heute ist noch keine spezifisch wirksame Therapie gegen das SARS-Coronavirus gefunden, welches ein RNA-Virus darstellt und die Kochschen Postulate erfüllt [17] [18] [19] [20] [21] [22]. Aufgrund des schnellen Voranschreitens der Epidemie 2002 - 2003 [23] [24] war es nicht möglich, multizentrierte, kontrollierte, randomisierte Studien durchzuführen. Daher existieren noch keine allgemeingültigen therapeutischen Richtlinien für diese neue Viruserkrankung. Seit dem Ausbruch von SARS untersuchen Wissenschaftler potenziell wirksame Substanzen gegen das Virus hauptsächlich mittels in vitro Tests und an Tiermodellen. Die vorliegende Arbeit analysiert die derzeit zur Thematik erschienenen Studien.

Material und Methode

Das Ziel der Arbeit ist es, mithilfe von Literaturrecherche den aktuellen Forschungsstand zu effizienten Pharmakotherapiemöglichkeiten von SARS zusammenzufassen. Die Arbeit soll einen Überblick über die In-vitro- und In-vivo-Daten geben ([Tab. 1]), die die Wirksamkeit bisher eingesetzter oder vorgeschlagener Substanzen gegen SARS evaluieren. Auch die klinischen Erfahrungen, die während der SARS-Epidemie mit verschiedenen Therapeutika gemacht wurden, werden zusammenfassend dargestellt. Außerdem zeigt die Arbeit die Fortschritte, die bis heute in der Entwicklung von Impfstoffen gemacht wurden.

Tab. 1 Anti-SARS-Therapiestrategien (nicht evidenzbasiert, teilweise präklinisch/in vitro). Abk. TCM Traditionelle Chinesische Medizin
Gruppe Substanzen Beispiele
Antibiotika Breitspektrumantibiotika
Virostatika Ribavirin
Proteaseinhibitoren Lopinavir, Ritonavir, Nelfinavir
Bindungsinhibitoren Anti-S1 Antikörper
Fusionsinhibitoren Peptid CP1
RNA-Interferenz Spike Gen iRNA
Immunmodulatoren Steroide
Interferone Interferon alfacon 1
TCM Glycyrrhizin
Andere Stickstoffmonoxid
Niclosamid

Es wurde eine Literatursuche in der medizinischen Datenbank Medline mittels Pubmed durchgeführt (2006-02-25). Als Suchwörter wurden zunächst „SARS AND treatment” in der Freitextsuche eingegeben. Es erfolgte dann eine weitere Analyse aller Abstracts.

Ergebnisse

Die PubMed-Analyse ergab eine Trefferzahl von 1802 Einträgen. Nach der Durchsicht der Abstracts der einzelnen Artikel (Übertragung von Medline in Endnote) wurden die relevanten Arbeiten im Volltext analysiert. Die Pharmakotherapieansätze lassen sich untergliedern in Antibiotika, Virostatika oder Immunmodulatoren ([Abb. 1]). Die meisten Therapiestrategien sind nicht evidenzbasiert und teilweise basierend auf präklinischen bzw. In-vitro-Daten ([Tab. 1]).

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Abb. 1 Klinische und experimentelle Pharmakotherapieverfahren

Antibiotika

Während des Ausbruchs von SARS 2002/2003 wurden potenzielle SARS-Patienten initial mit Breitspektrumantibiotika behandelt, die gegen die typischen bakteriellen Ursachen ambulant erworbener Pneumonien wirksam sind. Die Anwendung eines Breitspektrumantibiotikums plus einem Makrolid wird heute noch bei ersten Anzeichen einer SARS-Erkrankung empfohlen, da die initialen Symptome unspezifisch sind. Seitdem das SARS-Coronavirus identifiziert wurde und es keine Anzeichen dafür gibt, dass Antibiotika zu einer klinischen Verbesserung führen, ist eine Behandlung mit Antibiotika jedoch nicht mehr indiziert.

Virostatika - Ribavirin

Ribavirin wurde bereits vor der Identifikation des SARS verursachenden Erregers empirisch als anti-SARS-Therapeutikum eingesetzt [25]. Bis heute existiert jedoch noch keine Studie, die die Wirksamkeit von Ribavirin in der Therapie von SARS eindeutig nachweist.

Ribavirin ist ein synthetisches Nukleosidanalogon. Es blockiert u. a. das Enzym Guanylyltransferase und hemmt so die Ausbildung der 5Ž-cap-Struktur an viralen und eukaryoten mRNAs. Ribavirin wirkt daher nicht virusspezifisch, so dass es auch zu massiven Schädigungen von Wirtszellen kommen kann. Ribavirin ist gegen ein breites Spektrum von RNA- und DNA-Viren wirksam [26] [27].

Die bisher durchgeführten Fallstudien untersuchten die Wirkung von Ribavirin nur in Kombination mit weiteren Therapeutika. So zeigten Studien radiologische und symptomatische Verbesserungen bei Patienten, die mit einer Kombinationstherapie aus Ribavirin und Steroiden behandelt wurden [28] [29]. Ohne den Einbezug einer Vergleichsgruppe ist es jedoch schwierig festzustellen, ob die Verbesserungen aufgrund der Therapie mit Ribavirin, mit Steroiden, der Kombination aus beiden Präparationen oder dem natürlichen Verlauf der Erkrankung eintraten.

Eine Studie zeigte, dass ein verzögerter Therapiebeginn mit einer Kombination aus Ribavirin und Steroiden einen Risikofaktor für die Entwicklung eines schweren Verlaufes der Erkrankung darstellte. Auch diese Studie unterschied jedoch nicht zwischen einer verzögerten Gabe von Ribavirin und der verzögerten Gabe von Steroiden [30]. Es kann daher keine eindeutige Aussage über die Wirksamkeit von Ribavirin als Einzeltherapeutikum gemacht werden.

Eine randomisierte klinische Studie aus Guangdong kam zu dem Ergebnis, dass die Effektivität einer Therapie mit niedrig dosiertem Ribavirin (400 - 600 mg/dl) deutlich geringer war, als die Effektivität einer frühen aggressiven Therapie mit Steroiden und Interferon alfa [31]. Allerdings fehlte auch bei dieser Studie eine Kontrollgruppe, so dass keine eindeutigen Schlüsse zu der Wirkung einer Ribavirin-Therapie im Vergleich mit einem Therapieverzicht gezogen werden können.

In vitro-Tests zeigten, dass Ribavirin nicht in der Lage war, die Replikation des SARS-CoV in für eine erfolgreiche Therapie benötigter Konzentration zu hemmen [32] [33].

Bei verstorbenen SARS-Patienten, die zuvor mit Ribavirin behandelt wurden, stellte man in Nachuntersuchungen eine hohe Viruslast fest [34].

Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass Ribavirin, wenn überhaupt, nur eine geringe therapeutische Wirkung gegen das SARS-CoV aufzeigt.

Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn man die nicht unerheblichen Nebenwirkungen betrachtet, die durch Ribavirin verursacht wurden. Knowles u. Mitarb. berichteten über ein Kollektiv von 110 möglichen SARS-Patienten, die mit Ribavirin behandelt wurden [35].

61 % dieser Patienten entwickelten Symptome einer hämolytischen Anämie; bei 58 % der Erkrankten wurde eine Hypokalziämie, bei 46 % eine Hypomagnesiämie festgestellt.

Virostatika - Proteaseinhibitoren

Die Kombinationstherapie aus den Proteaseinhibitoren Lopinavir und Ritonavir stellte zu Anfang eine vielversprechende Therapiemöglichkeit dar, nachdem in vitro Studien die antivirale Aktivität dieser Substanzen gegen das SARS-Coronavirus nachgewiesen hatten [36] [37].

Während der Zeit des Ausbruchs von SARS wurde diese Kombinationstherapie seltener eingesetzt als Ribavirin.

Chan u. Mitarb. [37] verglichen die Ergebnisse einer Kombinationstherapie mit Lopinavir/Ritonavir - als initiale Therapie und als Notfalltherapeutikum - mit Kontrollgruppen.

Alle Patienten wurden nach einem standardisierten Schema mit Steroiden und Ribavirin behandelt. Die zusätzliche initiale Therapie mit Lopinavir/Ritonavir zeigte im Vergleich zu den Kontrollgruppen eine statistisch signifikante Reduktion der Mortalitätsrate und der Intubationsrate (p < 0,05). Hingegen zeigte die Patientengruppe mit Lopinavir/Ritonavir als Notfalltherapeutikum keinen statistisch signifikanten Unterschied in diesen Endpunkten. Auch Chu u. Mitarb. [36] verglichen die Therapie mit Lopinavir/Ritonavir mit Kontrollgruppen; allen Patienten wurden, ähnlich dem Schema der Chan-Studie, Ribavirin und Steroide verabreicht. Schwere Krankheitsverläufe (Entwicklung eines akuten Lungenversagens [ARDS] oder Tod innerhalb von 21 Tagen) entwickelten sich signifikant seltener in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe als in den Kontrollgruppen (p < 0,001). Außerdem zeigte die Studie in der Lopinavir/Ritonavir-Gruppe eine statistisch signifikante Reduktion des Einsatzes von Steroiden aufgrund akuter Verschlechterung der Lungenfunktion (p < 0,001) und eine signifikante Reduktion nosokomialer Infektionen im Vergleich zu den Kontrollgruppen (p < 0,043).

Mehrere Untersuchungen zeigten, dass der Verzicht auf eine Therapie mit Lopinavir/Ritonavir, fortgeschrittenes Alter (> 60 Jahre) sowie ein positiver Hepatitis B-Trägerstatus voneinander unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung eines schweren Krankheitsverlaufes waren.

Diese schweren Verläufe gingen einher mit der Entwicklung eines ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrom) oder führten zum Tod [36]. Zusammenfassend zeigen die vorliegenden Studien, dass Lopinavir/Ritonavir ein effektives Kombinationstherapeutikum für die Therapie von SARS zu sein scheint.

Auch andere Proteaseinhibitoren wurden in vitro auf ihre antivirale Aktivität gegen das SARS-CoV geprüft. So testeten Yamamoto u. Mitarb. [38] eine Reihe von in der antiviralen Therapie bereits etablierten Substanzen und fanden heraus, dass Nelfinavir ein starker Replikationshemmer des SARS-CoV ist. Nelfinavir hemmte den durch Coronaviren induzierten zytopathischen Effekt und verringerte die Expression viraler Antigene in mit Nelfinavir therapierten Zellen. Auch Bernard u. Mitarb. [39] entdeckten zwei Proteaseinhibitoren (Calpain inhibitor VI/ III), die gegen das SARS-Coronavirus in vitro Wirksamkeit zeigten.

Proteaseinhibitoren scheinen gegen das SARS-CoV, zumindest experimentell, Wirksamkeit zu besitzen, und man kann davon ausgehen, dass es in diesem Gebiet noch weitergehende Studien geben wird.

Virostatika - Virale Bindungsinhibitoren

Die membranassoziierte Carboxypeptidase ACE2 (Angiotensin Converting Enzyme 2) ist ein zellulärer Rezeptor des SARS-Coronavirus. Er interagiert mit der S1-Domäne des SARS-CoV Spike Proteins [41]. Peptide oder andere Verbindungen, die an ACE2 binden, könnten daher möglicherweise in der Prävention und Therapie von SARS eingesetzt werden [42] [43]. Eine lösliche Form des Rezeptors, Rezeptor-Antikörper oder die rezeptorbindende Domäne des Spike-Proteins könnten weitere Ansätze einer Therapie sein.

Sui u. Mitarb. [44] identifizierten in einer Bibliothek für nichtimmune humane Antikörper einen humanen monoklonalen anti-S1-Antikörper, 80R, der durch Blockade der Virusbindung an den ACE2-Rezeptor der Wirtszelle eine Infektion mit dem SARS-CoV verhinderte. Die Untersuchungen zeigten, dass der Antikörper mit dem löslichen ACE2 um die Bindung der S1-Domäne konkurrierte. Der Antikörper zeigte hierbei eine hohe Affinität zur S1-Domäne des SARS-CoV Spike-Proteins.

Virostatika - Fusionsinhibitoren

In vitro-Testergebnisse sowie theoretische Überlegungen weisen darauf hin, dass Fusionsinhibitoren in der Therapie von SARS effektiv sein könnten [44] [45].

Peptide, die mit den HR („heptad repeat regions”) 1 und 2 des HIV-1 gp41 interagieren, sind die Grundlage der in der HIV-Therapie eingesetzten Fusionsinhibitoren. Gp41 ist ein transmembranes Virusprotein, das bei der Fusion des HIV mit der Wirtszelle eine elementare Rolle spielt. Aufgrund zahlreicher Ähnlichkeiten zwischen den „heptad repeat regions” des gp41 und „heptad repeat regions” des SARS-CoV Spike-Proteins ging man davon aus, dass diese Viren einen gemeinsamen Mechanismus der Fusion mit der Wirtszelle besitzen [44] [45]. Liu u. Mitarb. [44] testeten 2 Reihen von Peptiden, die mit den „heptad repeat regions” des Spike-Proteins interagierten, auf ihre hemmende Wirkung gegen das SARS-Coronavirus. Sie fanden heraus, dass das Peptid CP1 in vitro eine Infektion mit dem SARS-CoV verhindert. Man geht davon aus, dass CP1 an das HR1 des Spike-Proteins bindet und so die für die Fusion mit der Zielzelle benötigten Konformationsänderungen des Proteins verhindert. Erste in vivo Studien stehen noch aus.

Virostatika - RNA-Interferenz

Die Technik der RNA-Interferenz zur Inaktivierung von Genen wurde bereits in der Therapie von HIV, Hepatitis B und Hepatitis C experimentell angewendet [47] [48] [49]. Sie beruht auf der Einführung kurzer doppelsträngiger RNA-Moleküle (small interfering RNAs - siRNA) in eine Zelle oder einen Organismus. Diese RNA-Moleküle entsprechen in ihrer Nukleotidsequenz der Sequenz des zu inaktivierenden Gens. Es kommt zur Hybridisierung der RNA-Moleküle mit der mRNA des Zielgens und in der Folge zum Abbau der mRNA. Um die Möglichkeit der Anwendung einer Gen-Inaktivierung in der SARS-Therapie zu prüfen, wurden spezifische kurze RNA-Moleküle synthetisiert, die dem Spike-Gen des SARS-CoV entsprechen. Diese RNA-Moleküle hemmten effektiv und spezifisch die Expression des Spike-Proteins in SARS-CoV infizierten Zellen [50]. Eine weitere Studie untersuchte in vitro die Wirksamkeit von sechs kleinen RNA-Molekülen, die verschiedenen Abschnitten der Replikase 1A-Region des SARS-CoV entsprachen. Drei der RNA-Moleküle hemmten deutlich die zytopathischen Effekte, die durch eine Infektion und durch die Replikation des Virus hervorgerufen werden [51].

Glycyrrhizin - Traditionelle Chinesische Medizin

Glycyrrhizin ist ein Bestandteil der Lakritzwurzel. Es hemmt die Replikation des HIV in vitro [52] und wurde, teilweise mit Erfolg, bereits in der Therapie von Hepatitis C [53] und Hepatitis B [54] eingesetzt. In vitro-Studien haben gezeigt, dass Glycyrrhizin auch die Replikation des SARS Coronavirus hemmt [33]. Der Mechanismus der durch Glycyrrhizin induzierten Hemmung der Virusreplikation ist bisher jedoch nicht bekannt. Eine wichtige Rolle könnte ein antiviraler Effekt des Stickstoffmonoxid (NO) spielen. Glycyrrhizin erhöht in diesem Zusammenhang die Expression der NO-Synthetase und die Produktion von NO in Mausmakrophagen [55]. Auch Ergebnisse von Cinatl u. Mitarb. [33] zeigen, dass Glycyrrhizin in Affennierenzellen (die zur Kultivierung des SARS-Coronavirus verwendet wurden) die Expression der NO-Synthetase induzierte.

Stickstoffmonoxid (NO)

Cinatl u. Mitarb. [33] zeigten, dass die Replikation des SARS-CoV gehemmt wird, wenn „DETA NONOate” - ein NO-Donor - zum Kulturmedium hinzugefügt wird. Dieses Ergebnis wurde durch Keyaerts u. Mitarb. bestätigt [56], die als NO-Donor S-nitro-N-acetyl-Penicillamin verwendeten. Außerdem untersuchten Keyaerts u. Mitarb. an SARS-Patienten die Wirksamkeit einer Inhalationstherapie mit NO-Gas. Die Erkrankten zeigten sofort nach Verabreichung eine Verbesserung der Oxygenierung. Die Wirkung hielt außerdem über die Beendigung der Inhalation hinaus an. Der zugrunde liegende Effekt beruht wahrscheinlich auf einer NO-bedingten Vasodilatation der pulmonalen Kapillaren im Bereich ventilierter Areale. Dieser Effekt wird generell bei ARDS beobachtet, und die Wirkungen NOs haben deswegen wahrscheinlich weniger mit dem direkten antiviralen Effekt zu tun, der von Cinatl u. Mitarb. in vitro nachgewiesen wurde.

Niclosamid

Wu u. Mitarb. testeten in vitro eine Reihe von Substanzen, die bisher nicht als Virustatika auf dem Markt registriert waren, auf ihre antivirale Aktivität gegen das SARS-Coronavirus. Sie fanden heraus, dass Niclosamid - eigentlich ein Anthelmintikum - die Replikation des SARS-CoV hemmt. Der virustatische Wirkmechanismus ist unbekannt. Die Studie zeigte aber, dass Niclosamid weder die Adsorption oder das Eindringen in die Wirtszelle noch die Aktivität der Protease beeinflusste.

Immunmodulatoren - Steroide

Während des Ausbruchs von SARS Ende 2002 bis Anfang 2003 gehörte die systemische Gabe von Steroiden zu den Hauptmaßnahmen in der SARS-Therapie [58]. Die Gründe hierfür lagen u. a. in der Beobachtung, dass trotz eines Absinkens der Viruslast und Anstiegs der SARS-CoV spezifischen IgG-Ak in der 3. Krankheitswoche bei einigen Patienten paradoxerweise eine Verschlechterung des Krankheitszustandes eintrat [30]. Pathologische Untersuchungen zeigten Bronchitis-obliterans-Pneumonien und akutes Lungenversagen. Diese Befunde führten zu der Hypothese, dass es während einer SARS-CoV-Infektion zu einer immunologischen Hyperaktivität des Wirtes und so zu einer zytokinvermittelten Lungenschädigung kommt. Diese Hyperaktivität des Immunsystems könnte durch eine Steroidtherapie reduziert werden [59].

In den meisten Fällen wurden Steroide ergänzend zu einer Ribavirintherapie verabreicht. Verschlechterte sich die Lungenfunktion des Patienten, wurden außerdem hoch dosierte Steroide gegeben. Studien, die die Effektivität einer Therapie mit Steroiden untersuchten, beinhalteten fast immer die gleichzeitige Gabe von mehreren Therapeutika. Außerdem enthielt keine der Studien eine Kontrollgruppe. Inwieweit Steroide also tatsächlich in der Therapie von SARS wirksam sind, kann noch nicht eindeutig festgestellt werden.

In einigen Studien schienen Therapieregime, die Steroide enthielten, mit Verbesserungen der Thorax-Röntgen Befunde, Fieberabfall und einer schnelleren Verbesserung der Oxygenierung im Zusammenhang zu stehen [31] [60] [61].

In einer Studie von Hsu u. Mitarb. [61] zeigte die zusätzliche Gabe von Steroiden jedoch keine klinischen Verbesserungen. Allerdings wurde in dieser Studie eine niedrigere Steroiddosis verabreicht als in den Studien, die eine klinische Besserung aufzeigten.

Ho u. Mitarb. [62] verglichen in einer retrospektiven Studie die klinischen und radiologischen Daten von möglichen SARS-Patienten, die mit Ribavirin behandelt wurden. Siebzehn dieser Patienten bekamen zusätzlich initial eine Stoßtherapie mit hoch dosierten Steroiden, 55 der Patienten bekamen initial niedrig dosierte Steroide. Hoch dosierte Steroide wurden außerdem an Patienten mit einer akuten Verschlechterung der Lungenfunktion verabreicht. Die kumulative Steroiddosis, die Zahl der Intensivstationsaufnahmen, der Bedarf an künstlicher Beatmung sowie die Mortalitätsrate waren nach 21 Tagen in beiden Patientengruppen gleich. Allerdings benötigten die Patienten, denen initial eine Hochdosis-Stoßtherapie verabreicht wurde, weniger Sauerstoff und zeigten früher eine Verbesserung der radiologischen Befunde. Außerdem hatten diese Patienten deutlich weniger Bedarf an einer Notfallmedikation mit Steroiden. Das Ergebnis dieser Studie zeigt, dass durch eine frühe Gabe von Steroiden in Form einer Hochdosis-Stoßtherapie möglicherweise eine deutliche Verbesserung im Krankheitsverlauf von SARS-Patienten erreicht werden kann.

Allerdings werden Studien mit eindeutigeren Ergebnissen und einem Einbezug von Kontrollgruppen benötigt. Außerdem sollte zwischen dem Nutzen einer Steroidtherapie und den damit verbundenen Risiken, wie der Entwicklung avaskulärer Nekrosen, einer sekundären Sepsis oder einer disseminierten Aspergillose abgewogen werden. Einige dieser verheerenden Nebenwirkungen wurden bei SARS-Patienten bereits beobachtet [63] [64]. Hong u. Mitarb. [65] untersuchten zwischen März und Mai 2003 in Beijing 67 SARS-Patienten, die mit Ribavirin und Steroiden behandelt wurden und an starken Gelenkschmerzen litten, die wahrscheinlich durch avaskuläre Nekrosen hervorgerufen wurden. Bei 28 Patienten (42 %) zeigten die Röntgen- und MRT-Aufnahmen eine Bestätigung des Verdachtes. Die Diagnose der avaskulären Nekrose wurde im Durchschnitt 4 Monate nach Beginn der Steroideinnahme gestellt.

Immunmodulatoren - Interferone

In vitro-Studien haben gezeigt, dass Typ 1-Interferone die Replikation des SARS-Coronavirus hemmen [32] [66] [67] [68]. Da diese Studienergebnisse bereits während der SARS-Epidemie vorlagen, wurden Interferone im weiteren Verlauf der Epidemie klinisch eingesetzt.

Loutfy u. Mitarb. [69] dokumentierten ihre klinischen Erfahrungen, die sie mit der Therapie mit Interferon alfacon 1 (einem rekombinanten synthetischen Typ 1-Interferon) bei 22 SARS-Patienten in einer Studie in Toronto machten. 13 Patienten, die nur mit Steroiden behandelt wurden, wurden mit 9 Patienten, die Steroide und Interferon alfacon 1 erhielten, verglichen. Die Patientengruppe, die zusätzlich mit Interferon alfacon 1 behandelt wurde, zeigte eine signifikante Verbesserung der Sauerstoffsättigung (p = 0,02) und bessere radiologische Befunde. Außerdem zeigte diese Patientengruppe deutlich geringere Anstiege der Kreatinkinase und eine schnellere Normalisierung der Lactatdehydrogenasekonzentration [69]. Jedoch erhielt die Interferon alfacon-Gruppe auch höhere Dosen an Steroiden, so dass nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob die besseren Ergebnisse dieser Gruppe tatsächlich auf die Wirkung des Interferon alfacon 1 zurückgeführt werden können.

Haagmans u. Mitarb. [70] untersuchten die prophylaktische Anwendung von Interferonen in einem Affenmodell. 3 Tage vor der Einimpfung des SARS-CoV wurde einem Teil der Affen pegyliertes Interferon alfa verabreicht. Diese Affen zeigten im Gegensatz zu den nicht behandelten Affen eine deutliche Reduktion der Replikation und Freisetzung des Virus, eine verminderte Expression viraler Antigene in Typ 1-Pneumozyten und eine geringere Schädigung der Lunge. Postexpositionelle Behandlungen mit pegyliertem Interferon alfa zeigten weniger deutliche Ergebnisse.

Diskussion

Die zentrale Frage der heutigen Forschung ist die nach Strategien für den Fall einer neuen SARS-Epidemie. In der Zeit des Ausbruchs von SARS wurden zahlreiche Therapeutika gegen SARS eingesetzt, jedoch erfolgte dies in keinem Fall klinisch kontrolliert.

Basierend auf den bis heute vorliegenden Daten über Substanzen mit guten klinischen Ergebnissen scheinen - von den sofort verfügbaren Therapeutika - Typ 1-Interferone, Steroide und die Kombinationstherapie aus Lopinavir/Ritonavir die größte Wirkung gegen eine SARS Coronavirus Infektion zu zeigen.

Idealerweise sollten alle potenziell wirksamen Substanzen in kontrollierten klinischen Studien evaluiert werden. Jedoch kam es bereits während der SARS-Epidemie zu zahlreichen Schwierigkeiten in der Gestaltung und Ausführung klinischer Studien, die u. a. von Muller u. Mitarb. [71] zusammengefasst wurden. Im Falle eines plötzlichen Ausbruchs einer neuen Erkrankung durch einen unbekannten Erreger stehen viele Daten und Informationen, die zur Durchführung klinischer Studien benötigt werden, nicht zur Verfügung. Hierzu gehören u. a. spezifische mikrobiologische Tests zur Identifizierung einer geeigneten Studienpopulation und Richtlinien, die Dosis, Frequenz und Dauer einer therapeutischen Intervention festlegen. Ein weiteres Problem besteht darin, eine ausreichende Zahl an Patienten zu rekrutieren, bevor eine Epidemie endet bzw. Patienten frühzeitig aus der Studie herausfallen. Die Möglichkeit, eine Studie schnell planen und durchführen zu können, ist jedoch abhängig von der Zeit, die benötigt wird, bis eine Bewilligung durch die Ethikkommission erfolgt ist und ausreichende Fördermittel zur Verfügung stehen.

Die Gründung einer international zusammenarbeitenden Arbeitsgruppe zur Planung und Durchführung klinischer Studien mit Zugriff auf einen Hilfsfonds und der Basis international akzeptierter ethischer Grundsätze könnte eine schnelle Ausführung klinischer Studien im Fall einer neuen Epidemie erleichtern.

Fazit für die pneumologische Praxis

SARS ist eine neu entdeckte Viruserkrankung, die sich im Jahre 2002/2003 von Südchina ausgehend weltweit ausbreitete und zu über 700 Todesfällen führte. Innerhalb kürzester Zeit konnte ein neues Coronavirus - das SARS-Coronavirus - als auslösender Erreger identifiziert werden. Eine spezielle Katzenart aus Südchina wurde als mögliches tierisches Reservoir des Virus bestimmt. Eine Infektion mit dem SARS-Coronavirus führt zu relativ unspezifischen Symptomen wie Myalgien, Fieber, Husten und Dyspnoe. Die am meisten gefürchtete Komplikation ist eine schwere Lungenentzündung und die Entwicklung eines akuten Lungenversagens.

Im Verlauf der Epidemie wurden verschiedene Substanzen gegen SARS eingesetzt, jedoch ohne Einbezug in kontrollierte klinische Studien. Daher ist noch keine zuverlässige Therapie gegen das SARS-Coronavirus gefunden. Seit dem Ausbruch wurden zahlreiche Studien zur Evaluierung neuer Therapiemöglichkeiten durchgeführt. Ergebnisse von In-vitro-Tests und Tiermodellen zeigten bei einigen Substanzen eine gute Wirksamkeit gegen das SARS-Coronavirus.

Ganz praktisch sollten im Fall eines erneuten Ausbruchs von SARS viel versprechenden Substanzen und Impfstoffe in kontrollierten klinischen Studien evaluiert werden. Dies könnte durch die Gründung einer internationalen Arbeitsgruppe für klinische Studien erleichtert werden. Diese sollte spezielle Privilegien besitzen, um auch während einer schnell voranschreitenden Epidemie die Planung und Durchführung klinischer Studien zu ermöglichen. Im Falle von Verdachtsmomenten sollten die jeweils aktuellen Informationen des Robert Koch-Instituts abgerufen werden unter http://www.rki.de und die Empfehlungen zum Umgang mit Probenmaterial von Patienten mit Verdacht auf SARS strikt beachtet werden ([Tab. 2]). Hilfreich ist auch eine Konsultation des US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (http://www.cdc.gov).

Tab. 2 Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zum Umgang mit Probenmaterial von Patienten mit Verdacht auf schweres akutes Atemwegssyndrom (SARS)
Bei Blutproben grundsätzliches Vorgehen zunächst wie bei HBV-, HCV-, HIV-Infektion.
Alle Maßnahmen, die mit Eröffnung von Probengefäßen verbunden sind, sollten unter einer Laminar-Air-Flow-Sicherheitswerkbank Klasse 2 durchgeführt werden. Dabei sind Schutzkittel, Handschuhe sowie Mund- und Nasenschutz (FFP2/FFP3) und Schutzbrille zu tragen.
Nach allen Arbeiten abschließend Händedesinfektion.
Dekontamination der Analysegeräte, falls erforderlich, nach Vorgaben des Herstellers. Bei fehlenden Angaben am ehesten unter Verwendung von 90 % Äthanol.
Im Übrigen Beachtung der TRBA 100 (Schutzmaßnahmen für gezielte und nicht gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen).
Abfallentsorgung gemäß der Richtlinie über die ordnungsgemäße Entsorgung von Abfällen aus Einrichtungen des Gesundheitswesens (LAGA).

Literatur

Univ.-Prof. Dr. med. David Groneberg

Zentrum Innere Medizin, Abteilung Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Str. 1 OE6870

30625 Hannover

Email: groneberg.david@mh-hannover.de

Literatur

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Abb. 1 Klinische und experimentelle Pharmakotherapieverfahren