Der Klinikarzt 2006; 35(4): XII-XIII
DOI: 10.1055/s-2006-939834
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zielgerichtete Krebstherapie - Fünf Monate Lebensgewinn durch Hemmung der Angiogenese

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Publication Date:
10 May 2006 (online)

 
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Seit Anfang 2005 ist der bisher erste und einzige Angiogenese-Hemmer Bevacizumab (Avastin®) zur First-line-Therapie des fortgeschrittenen kolorektalen Karzinoms in Deutschland zugelassen. Patienten, die Bevacizumab in Kombination mit einer Standardchemotherapie erhalten, leben im Median fünf Monate länger als Patienten, die nur mit der Chemotherapie allein behandelt werden - damit stimmen die Studienergebnisse hoffnungsvoll. Denn für diese Patienten ist ein Lebensgewinn von fünf Monaten eine Menge Zeit, vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Patient mit fortgeschrittenem Darmkrebs trotz Chemotherapie vor zehn Jahren nur noch eine Lebenserwartung von zwölf Monaten hatte.

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Antiangiogenese ist ein wirksames Therapieprinzip

Mit Bevacizumab sei es erstmals gelungen, eine Substanz mit antiangiogenem Wirkprinzip zur Zulassung zu bringen, betonte Dr. H. Hurwitz, Durham (USA). Das sei ein Meilenstein in der Krebstherapie und habe diese nachhaltig verändert. "Unsere Studie hat gezeigt, dass Bevacizumab in Kombination mit einer First-line-Standardchemotherapie alle Ergebnisparameter signifikant verbessert. Das heißt, die Ansprechraten sind besser, die Zeit bis zum erneuten Tumorwachstum ist länger und die Patienten leben länger. Die grundlegende Bedeutung von Bevacizumab für die Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms wurde durch diese Studie validiert."

Das neue Therapieprinzip basiert auf der Hemmung der Tumorangiogenese - der Grundlage für das Wachstum und die Metastasierung von Tumoren - die entscheidend über den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF; "vascular endothelial growth factor") gesteuert wird. Genau gegen diesen Wachstumsfaktor ist der Angiogenese-Hemmer Bevacizumab gerichtet: Der Wirkstoff bindet an VEGF und verhindert so dessen Andocken an die Endothelzellen benachbarter Blutgefäße. Der Tumor wird damit nicht vaskularisiert und sogar bereits entwickelte Gefäße bilden sich zurück, sodass das Tumorwachstum und die Metastasierung gehemmt werden.

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First-line-Therapie verlängert das Leben um fast fünf Monate

Die Zulassungsstudie ([1]) hat belegt, wie gut das neue Therapieprinzip funktioniert: 813 Patienten mit nicht vorbehandeltem, metastasiertem kolorektalen Karzinom erhielten hier randomisiert und doppelblind entweder Irinotecan plus 5-Fluorouracil/Folinsäure (5-FU/FS) plus Plazebo oder 5-FU/FS/Irinotecan plus Bevacizumab. Primärer Studienendpunkt war die Überlebensdauer.

Unter 5-FU/FS/Irinotecan plus Bevacizumab überlebten die Patienten im Median 20,3 Monate, im Kontrollarm dagegen nur 15,6 Monate, ein signifikanter Unterschied (p < 0,001) mit einer Steigerung um rund 30% (Abb. [1]). Auch die mediane progressionsfreie Zeit wurde durch die Kombinationstherapie signifikant um 4,4 Monate verlängert (10,6 versus 6,2 Monate; p < 0,001). Dies entspricht sogar einer Steigerung um etwa 71%. Die Gesamtansprechraten lagen bei 44,8% in der Verumgruppe im Vergleich zu 34,8% unter Plazebo (p = 0,004).

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Dieser therapeutische Effekt des Angiogenese-Hemmers sei in allen Subgruppen gleich hoch, hob Hurwitz hervor, und somit unabhängig vom ECOG[1]-Performance-Status, von der Zahl der Metastasen-Lokalisationen, von der Lokalisation des Primärtumors, vom Alter der Patienten sowie auch von der Krankheitsdauer und von der Dauer der Krankheit im metastasierten Stadium. Das Risiko zu sterben sank durch Bevacizumab um 34%.

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Praktisch keine additiven Nebenwirkungen

Diese Vorteile mussten jedoch kaum mit vermehrten Nebenwirkungen erkauft werden. Die Kombinationstherapie war gut verträglich, additive Nebenwirkungen durch die Kombination mit 5-FU/FS/Irinotecan wurden nicht beobachtet. Mit Ausnahme einer mit oralen Antihypertensiva gut beherrschbaren arteriellen Hypertonie (Grad 3) unterschied sich das Nebenwirkungsprofil der Dreifachkombination mit dem Angiogenese-Hemmer nicht signifikant von der Kontrollgruppe der Zulassungsstudie. Hurwitz riet daher, den Blutdruck von Patienten, die Bevacizumab erhalten, regelmäßig zu kontrollieren - auch wenn kein Patient der Zulassungsstudie wegen Hypertonie die Bevacizumab-Therapie abbrechen musste. Bei 1,5% Prozent der Patienten kam es in der Verumgruppe jedoch zu gastrointestinalen Perforationen.

Wundheilungsstörungen oder Blutungen, die infolge einer größeren Operation während der Einnahme von Bevacizumab auftraten, haben zur Empfehlung geführt, dass man etwa sieben Wochen vor der Operation die Behandlung mit Bevacizumab absetzen sollte. Häufigstes Blutungsereignis unter Bevacizumab ist das Nasenbluten (etwa 5% der Patienten).

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Alternative Konzepte sind gefordert

In den USA erhalten inzwischen mehr als zwei Drittel aller Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom heute Bevacizumab in der First-line-Therapie, konstatierte Dr. A. Grothey, Rochester (USA), wobei der Angiogenese-Hemmer in über der Hälfte der Fälle mit einer oxaliplatinhaltigen Chemotherapie kombiniert wird. Nachdem man sich bis Anfang der 1990er-Jahre fast ausschließlich mit der Optimierung 5-FU-basierter Therapieregime beschäftigte, wurden ab etwa 1995 Irinotecan und Oxaliplatin zunehmend in klinische Studien und danach in die klinische Praxis integriert. Durch diese neuen Substanzen lassen sich signifikant höhere Ansprechraten und ein längeres progressionsfreies Überleben erzielen, konstatierte Grothey.

Doch in den USA sei auch deutlich geworden, dass die Effektivitätssteigerung der konventionellen Chemotherapie ausgereizt ist, wenn alle drei aktiven Substanzklassen - Fluoropyrimidine, Irinotecan und Oxaliplatin - im Verlauf der Behandlung nacheinander eingesetzt werden. "Mit der Chemotherapie allein kommen wir nicht mehr weiter!", so Grothey.

Eine weitere Steigerung der Effektivität, insbesondere hinsichtlich der weiteren Verlängerung des Überlebens verlange geradezu nach alternativen Konzepten, die über den Einsatz konventioneller Chemotherapeutika hinausgingen. An dieser Stelle seien Angiogenese-Hemmer wie Bevacizumab zu nennen. "Die Studie von Hurwitz hat gezeigt, dass mit den drei Substanzen der Chemotherapie plus Bevacizumab die Patienten über 25 Monate überleben können, damit ist die Zweijahresgrenze endlich überwunden", so Grothey.

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Sicher auch im klinischen Alltag

Um das Sicherheitsprofil von Bevacizumab unter Alltagsbedingungen zu evaluieren, wurde die BRITE[2]-Studie initiiert. In diese große Beobachtungsstudie flossen Daten von rund 2000 Patienten ein, die Bevacizumab plus Chemotherapie in der First-line-Therapie erhielten. Die Patienten sollten alle drei Monate untersucht und über insgesamt drei Jahre beobachtet werden. Inzwischen liegen erste Ergebnisse von 1987 Patienten aus 248 US-amerikanischen Zentren vor. Danach erhielten

  • 54% der Patienten Bevacizumab in Kombination mit infusionalem 5-FU/FS/Oxaliplatin (FOLFOX-Regime)

  • 24% der Patienten Bevacizumab mit i.v. 5-FU/FS/Irinotecan (FOLFIRI-Regime)

  • 22% eine andere bevacizumabhaltige Kombination.

Laut der Analyse zur Sicherheit des Angiogenese-Hemmers in Kombination mit verschiedenen Chemotherapeutika unterscheidet sich das Sicherheitsprofil von Bevacizumab im klinischen Alltag nicht von dem in der Zulassungsstudie und wird insgesamt als sehr gut bezeichnet, führte Grothey aus. Auch die gute Wirksamkeit der bevacizumabhaltigen Therapie konnte bestätigt werden. Nach der ersten Auswertung liegt das mediane progressionsfreie Überleben derzeit bei 12,2 Monaten und ist sogar länger als in der Zulassungsstudie.

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Überlebensvorteil spricht für Bevacizumab

In der Primärtherapie eingesetzt, verlängert Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie das Überleben von Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom median um fünf Monate.

Nach Ansicht von Grothey ist es angesichts des gezeigten Überlebensvorteils durch den Angiogenese-Hemmer nicht zu vertreten, Bevacizumab einem Patienten vorzuenthalten. "Die vorgelegte wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig, und deshalb darf heute nicht mehr gefragt werden 'Wer sollte Bevacizumab erhalten?', sondern man muss fragen, wer es nicht erhalten sollte."

Ines Landschek, Berlin

Quelle: Satellitensymposium und Pressegespräch "Angiogenese-Hemmung mit Bevacizumab (Avastin®): Zielgerichtete Therapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom" im Rahmen des Deutschen Krebskongresses, veranstaltet von der Hoffmann-La Roche AG, Grenzach-Wyhlen

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Literatur

  • 03 Hurwitz H . Rehrenbacher L . Novotmy W . et al . Bevacizumab plus irinotecan, fluorouracil, and leucoverin for metastatic colorectal cancer.  N Engl J Med. 2004;  350 2335-2342
  • 04 Kozloff M . Cohn A . Christiansen N . et al . Safety of bevacizumab (BV) among patients (pts) receiving first-line chemotherapy for metastatic colorectal cancer: updated results from a large observational study in the U.S. (BRITE). GI ASCO 2006; abstract 247. 

08 Eastern Cooperative Oncology Group

09 Bevacixumab Regimes Investigation of Treatment Effects and Safety

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Literatur

  • 03 Hurwitz H . Rehrenbacher L . Novotmy W . et al . Bevacizumab plus irinotecan, fluorouracil, and leucoverin for metastatic colorectal cancer.  N Engl J Med. 2004;  350 2335-2342
  • 04 Kozloff M . Cohn A . Christiansen N . et al . Safety of bevacizumab (BV) among patients (pts) receiving first-line chemotherapy for metastatic colorectal cancer: updated results from a large observational study in the U.S. (BRITE). GI ASCO 2006; abstract 247. 

08 Eastern Cooperative Oncology Group

09 Bevacixumab Regimes Investigation of Treatment Effects and Safety

 
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