Aktuelle Urol 2006; 37(2): 102-103
DOI: 10.1055/s-2006-939827
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Radikale Prostatektomie - Nutzen des Beckenbodentrainings bewertet

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Publication Date:
20 April 2006 (online)

 
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Eine Harninkontinenz nach einer Prostatektomie wird hauptsächlich mit Beckenbodentraining, Biofeedback und Elektrostimulation behandelt. Dabei besteht jedoch kein Konsens darüber, wann mit der konservativen Therapie begonnen werden soll.

Jürgen Pannek von der Ruhr-Universität Bochum und Jens E. König vom Marienhospital Herne verglichen den Nutzen eines früh nach der Operation einsetzenden Trainings mit dem eines erst später vorgenommenen Programms in einer Rehabilitationsklinik. 58 Patienten begannen 7 Tage nach der radikalen retropubischen Prostatektomie unter der Anleitung eines Physiotherapeuten mit dem Training, 55 Männer wählten 4 Wochen nach dem Eingriff das Rehabilitationsprogramm.

46 Patienten erhielten kein Beckenbodentraining, 28 nahmen nur an dem späteren Programm teil, 27 erhielten das frühe Training und das spätere Programm und 31 nur das frühe Training. Der Kontinenzstatus wurde bei 132 Patienten ein Jahr nach der Prostatektomie mit einem standardisierten Fragebogen ermittelt (Urol Int 2005: 74: 38-43).

87 Männer waren demnach kontinent, 37 gaben eine mäßige Inkontinenz an und 8 Patienten waren schwer inkontinent. Die Autoren konnten keinen statistisch signifikanten Einfluss eines Beckenbodentrainings jeglicher Art auf den Kontinenzstatus, die Zeit bis zum Eintreten einer Kontinenz, die Häufigkeit oder die Menge des Harnverlusts oder den Gebrauch von Vorlagen beobachten.

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Kaudale Aufsicht auf den Beckenboden des Mannes (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2002).

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Fazit

Solange der Nutzen nicht eindeutig geklärt ist, sollte eine physikalische Therapie, zu der auch Biofeedback und Elektrostimulation gehören, aus Kostengründen nur zur Behandlung einer durch eine Prostatektomie verursachten Inkontinenz eingesetzt werden, folgern die Autoren. Der routinemäßige prophylaktische Einsatz des gesamten Programms der physikalischen Therapiemaßnahmen bei allen Patienten nach einer radikalen Prostatektomie scheint nicht gerechtfertigt zu sein. Daten aus der Literatur und aus dieser Studie deuten jedoch darauf hin, dass ein 7 bis 8 Tage nach der Operation begonnenes Beckenbodentraining die Zeit bis zur Wiedergewinnung der Kontinenz verkürzen kann.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Kommentar

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S. Corvin

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Eine weiterhin ungelöste Frage

Die Studie von Pannek und König beschäftigt sich mit der interessanten und bisher nicht gelösten Frage des Einflusses eines Beckenbodentrainings auf den Kontinenzstatus nach radikaler Prostatektomie. Ein relativ großes Kollektiv von 132 Patienten wurde mit unterschiedlichsten Kombinationen bestehend aus Beckenbodentraining, anticholinerger Medikation, Video-Feedback und Elektrostimulation therapiert. In Anbetracht einer fehlenden Einteilung in definierte Behandlungsarme und der damit verbundenen möglichen Überlappung der Wirkung der verschiedenen Therapieansätze erscheint es mir doch sehr problematisch, den Einfluss eines einzelnen Faktors statistisch zu evaluieren. Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Randomisierung des vorliegenden Patientenkollektivs. Soweit aus der Arbeit hervorgeht, blieb es den Patienten z.T. selbst überlassen, sich für eine der Therapieoptionen zu entscheiden. So ist es z.B. auffällig, dass sich immerhin 77 Patienten weigerten in der Rehabilitationsklinik an einem Beckenbodentraining teilzunehmen. Auf diese Weise entstand möglicherweise eine entscheidende Selektion innerhalb des Kollektivs: Patienten mit guter postoperativer Kontinenz unterziehen sich keinem Beckenbodentraining, wodurch der falsche Eindruck entstehen könnte, dass ein Verzicht auf diese Therapie mit einer besseren Kontinenz einhergeht. Diese Problempunkte wurden von den Autoren durchaus erkannt und selbstkritisch diskutiert. Trotz der genannten potenziell störenden Einflussfaktoren deutet aber auch diese Studie an, dass durch ein frühes Beckenbodentraining zumindest das Intervall bis zur Erlangung der Kontinenz verkürzt werden kann.

In der Diskussion ihrer Ergebnisse haben die Autoren die verfügbare Literatur zum Thema umfassend aufgearbeitet. Allerdings müssen auch hier die einzelnen Studien kritisch analysiert werden, da z.T. die Patientenkollektive sehr klein sind bzw. eine Randomisierung fehlt. Lediglich die Arbeit von van Kampen, die interessanterweise einen signifikanten Benefit für das Beckenbodentraining zeigt, erfüllt die Kriterien einer prospektiv randomisierten Studie mit einer ausreichend großen Zahl von Patienten. Die Autoren bemerken aber auch kritisch, dass die verschiedenen Arbeiten aufgrund unterschiedlicher Konzepte bei der Evaluation der Harninkontinenz z.T. nur mit Einschränkungen vergleichbar sind.

Auch die vorliegende Studie zeigt erneut, dass die Frage nach dem Nutzen eines Beckenbodentrainings nach radikaler Prostatektomie weiterhin ungelöst ist. Gerade in einer Zeit zunehmend schwindender finanzieller Ressourcen ist eine weitere Evaluation dieses Problems aber nötig. Vermutlich kann diese Frage nur mit Hilfe prospektiv randomisierter Studien beantwortet werden. Eine solche Untersuchung könnte auch, wie von den Autoren richtig angemerkt, möglicherweise Faktoren identifizieren, die eine Selektion von Patienten für die Physiotherapie erlaubt.

Literatur beim Autor

PD. Dr. Stefan Corvin, Tübingen

 
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Kaudale Aufsicht auf den Beckenboden des Mannes (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2002).

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S. Corvin