Harald Hefter
Botulinumtoxin erweist sich als effektiv, wo Spastiken auf andere Therapien nicht
ansprechen. Es gehört jedoch unbedingt in die Hand des erfahrenen Spezialisten, fordert
Prof. Dr. Dr. Harald Hefter von der neurologischen Universitätsklinik, Düsseldorf.
Hoffnungen setzt der Experte insbesondere auf den Einsatz von Xeomin®, einem Botulinum-Neurotoxin-Präparat
vom Typ A, das im letzten Jahr zugelassen wurde. Da bei dieser Präparation die Komplexproteine
fehlen, scheint die Gefahr der Antigenität relativ gering zu sein, wie auch tierexperimentelle
Daten vermuten lassen. Wenn sich dies in der klinischen Praxis jetzt tatsächlich bestätigen
kann, könnte man mit kleineren Dosierungen, die häufiger verabreicht werden, die Kontinuität
der antispastischen Therapie deutlich steigern. Im Gespräch mit Martin Bischoff gab
Prof. Hefter praktische Tipps für den Umgang mit Botulinumtoxin in der klinischen
Praxis.
klinkarzt: Herr Professor Hefter, wann setzen Sie Botulinumtoxin bei einem Patienten mit einer
Spastik ein? Bereits als Erstmaßnahme oder erst im zweiten Schritt zusammen mit einer
funktionellen Therapie?
Prof. H. Hefter: Es gibt natürlich bei der Spastizität ganz verschiedene Ausprägungsgrade. Wir setzen
Botulinumtoxin ein, wenn der Patient in seiner Funktion deutlich beeinträchtigt ist,
wenn ihn seine Spastik behindert und wenn konservative Maßnahmen, Medikamente und
Physiotherapie alleine nicht zum Ziel führen. Wir verwenden diese Substanz also erst
im zweiten Schritt.
Zurzeit existiert keine Zulassung für die Beinspastik, sondern allein für die Armspastik.
Die meisten Patienten sind jedoch von einer Beinspastik betroffen. Deshalb verbietet
es sich alleine aus der Zulassungssituation heraus, diese Substanz als Erstmaßnahme
einzusetzen. Wir verwenden also Botulinumtoxin erst, wenn andere Maßnahmen nicht greifen.
klinikarzt: Bei der Dosierung von Botulinumtoxin spielt offenbar die Erfahrung eine wichtige
Rolle. Wie sollte jemand vorgehen, der diese Erfahrung noch nicht hat?
Hefter: Die Dosierung hängt vom Schweregrad ab. Generell kann ich nur empfehlen, die Therapie
mit Botulinumtoxin in erfahrenen Zentren durchführen zu lassen. Es macht keinen Sinn,
dass der Hausarzt dann und wann Botulinumtoxin spritzt - auch wenn es rein theoretisch
möglich wäre. Aber derjenige, der damit arbeitet, muss einfach einige Erfahrung besitzen.
Denn wenn das Medikament wirkt, wirkt es in der Regel über drei Monate, und mit dieser
Steuerbarkeit muss man umgehen können. Man muss auch einen Blick dafür entwickeln,
wer von der Therapie profitieren könnte und wer nicht.
Wenn jemand den festen Willen hat, Botulinumtoxin konsequent anzuwenden, sollte er
daher im Rahmen einer Hospitation in einem Zentrum mit vielen Patienten entsprechende
Erfahrungen sammeln.
klinikarzt: Wegen des Antigenitätsrisikos sollten bisher Booster-Injektionen ebenso vermieden
werden wie eine weitere Injektion innerhalb der Drei-Monats-Frist. Wie gehen Sie damit
um, wenn die Wirkung bereits nach acht Wochen nachlässt?
Hefter: Ich führe meine Patienten sehr straff. Die Ambulanz ist so organisiert, dass die
Patienten alle drei Monate bei uns erscheinen. Wenn die Wirkung nach nur acht Wochen
nachlässt, lässt sie nach - und ich bleibe dabei, dass erst in drei Monaten nachgespritzt
wird.
Mittlerweile haben wir in unserem Zentrum mehr als 50 Patienten mit neutralisierenden
Antikörpern. Diese Patienten sind in einer ganz schwierigen Lage. Um Menschen mit
einer Spastik möglichst zu ersparen, dass das Botulinumtoxin nicht mehr wirkt, halten
wir uns strikt an den Drei-Monats-Zeitraum.
klinkarzt: Was erhoffen Sie sich durch die Einführung von Xeomin®, das sich ja offenbar relativ
zu anderen Botulinumtoxinpräparaten durch eine deutlich geringere Antigenität auszeichnet?
Prof. H. Hefter: Ob Xeomin® tatsächlich so wenig antigen ist, dass man sich von der Hypothese, dass
Booster-Injektionen zu einer höheren Antikörperrate führen, verabschieden kann, muss
sich in der klinischen Praxis erst noch zeigen. Aber das ist der Silberstreifen, den
wir uns am Horizont erhoffen.
Man weiß mittlerweile, dass die Hüllproteine, die das eigentliche Neurotoxin umgeben,
die Antigenität fördern. Xeomin® besitzt diese Hüllproteine nicht mehr. Somit sprechen
theoretische Argumente und auch Tierversuche dafür, dass dieses neue Botulinumtoxin
vom Typ A eine sehr geringe Antigenität aufweist.
Das würde unser Spritzverhalten revolutionieren, weil wir dann niedrige Dosen öfter
anwenden und eine größere Kontinuität in die Behandlung bringen könnten.
Herr Professor Hefter, wir bedanken uns für dieses Gespräch!