Die Behandlung der AIDS-Virusinfektion bringt ständig neue Herausforderungen für den
Behandler mit sich. Die Erfolge der modernen antiretroviralen Therapie sind beeindruckend
und das Leben mit HIV, dem humanen Immunodefizienzvirus, hat sich dramatisch gewandelt.
Einst eine Krankheit, die fast immer nach kurzer Zeit tödlich war, diskutiert man
heute die Probleme bei jahrelanger Therapie, deren Erfolg manchmal schon gar nicht
mehr infrage gestellt wird.
Trotzdem bleibt die HIV-Forschung ständig in Bewegung, und die HIV-Infektion bzw.
HI-Infizierte benötigen ständige Aufmerksamkeit. Dies gilt insbesondere für die Länder
mit extrem hohen Infektionszahlen ("resource poor areas"), die versuchen, die lebensrettenden
Standardtherapien zu implementieren. Für andere Regionen bereiten gerade diese etablierten
Therapien verstärkt Probleme. Die Spanne reicht hier von mangelnder Adhärenz über
die Entwicklung von Resistenzen und Toxizitäten bis hin zu Interaktionen.
Ein humanes Protein im Visier der Therapeuten
Ein humanes Protein im Visier der Therapeuten
Die Lösung dieser Herausforderungen erfordert eine intensive Suche nach neuen Möglichkeiten.
Inzwischen sind allerdings neue Behandlungsoptionen vom Stadium der molekularen Grundlagenforschung
in den Bereich der potenziellen Therapiemodalitäten gerückt. Das Verständnis um das
Andocken von Viren an Rezeptoren, das Verstehen der Funktion von Rezeptoren und die
Entdeckung der Blockademöglichkeiten dieser Rezeptoren hat jetzt ihren vorläufigen
Höhepunkt in der Anwendung eines CCR5-Rezeptorenblockers gefunden.
Ein interessanter Ansatzpunkt, denn der CCR5-Rezeptor ist ein chemokiner Rezeptor,
den das HI-Virus benutzt, um sich in CD4-Zellen einzuschleusen. Unter Umständen ist
dieser Rezeptor der wichtigste unter den bekannten HIV-Korezeptoren, meinen Experten,
da die am häufigsten übertragenen HIV-Stämme, die so genannten R5-Viren, eben an diesen
Rezeptor binden. X4-Viren dagegen, die meist erst nach Fortschreiten der Erkrankung
häufiger auftreten und während der primären HIV-Infektion meist nicht im Blut nachgewiesen
werden können, bevorzugen den CXCR4-Rezeptor zur Infiltration in die Wirtszelle.
Je höher die CD4-Zellzahl und je niedriger die Virusmenge im Blut, umso häufiger liegen
nur R5-Viren vor. Schreitet die Erkrankung fort, treten ohne Behandlung immer mehr
X4-Viren auf. So haben mehr als 90% der HIV-Patienten mit einer CD4-Zellzahl von über
300 Zellen pro Mikroliter Blut - einem noch immer relativ guten Immunstatus - nur
R5-Viren. Verschlechtert sich der Immunstatus (< 25 CD4-Zellen/µl), erhöht sich der
Anteil der X4-Viren auf 50%.
Aus der großen Zahl neuer Therapieoptionen mit Substanzen mit alternativen Wirkungsansätzen
ist der Ansatz der CCR5-Rezeptorblockade sicherlich einer der Interessantesten, der
derzeit in Blick auf das Therapieprinzip und die Anwendung im Rahmen einer wissenschaftlichen
Veranstaltung zum Thema gemacht werden kann. Denn über diesen CCR5-Antagonismus wird
zum ersten Mal ein menschliches Protein zum Angriffspunkt für ein HIV-Medikament.
Der CCR5-Antagonist, ein Wirkstoff aus der Gruppe der so genannten "Entry-Inhibitoren",
verändert die Konformation des Chemokinrezeptors und verhindert so, dass das HI-Virus
daran binden und in die Wirtszelle gelangen kann. Dies ist insbesondere von Bedeutung,
da im Rahmen einer chronischen HIV-Infektion die Expression des CCR5-Rezeptors hochreguliert
ist. Eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) kann die Expression zwar wieder
verringern - allerdings nicht bis zurück zum Ausgangsniveau, so die Studiendaten.
Erste Studiendaten stimmen hoffnungsvoll
Erste Studiendaten stimmen hoffnungsvoll
Im letzten Jahr wurden klinische Daten zu drei verschiedenen Entry-Inhibitoren veröffentlicht:
Maraviroc, Aplaviroc und Vicriviroc. Alle drei Substanzen wurden in Phase-I/II-Studien
als Kurzzeitmonotherapie getestet und zeigten hierbei - bei guter Verträglichkeit
- eine sehr gute virologische Wirksamkeit. Alle Wirkstoffe wurden deshalb in Phase-II-
und -III-Studien klinisch weiter entwickelt.
Derzeit wird jedoch nur Maraviroc weiter evaluiert, zum Beispiel in einer Phase-III-Studie
bei therapienaiven Patienten, die Maraviroc in unterschiedlichen Dosierungen erhalten.
Allerdings wurde inzwischen ein Dosierungsarm (300 mg einmal täglich) beendet, da
bei einer Zwischenauswertung die 300-mg-Dosis der Standardtherapie unterlegen war.
Auch für bereits vorbehandelte Patienten mit CCR5-tropem oder gemischt CXCR4/CCR5-tropem
Virus sind inzwischen Phase-III-Studien initiiert. Die Ergebnisse dieser Studien werden
entscheidende Aussagen über die zukünftige Wirksamkeit und Verträglichkeit der CCR5-Inhibitoren
liefern.
Durchhalten Tag für Tag, 365 Tage im Jahr
Durchhalten Tag für Tag, 365 Tage im Jahr
Wie in jedem Jahr hat auch der Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember 2005 in der breiten Öffentlichkeit
Wellen geschlagen. Die Weltgesundheitsorganisation meldet sich Jahr für Jahr mit Daten
und Fakten zur Entwicklung der Neuinfektionen zu Wort. Dann rücken die HIV-Infektion
und die Erkrankung AIDS kurz in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Doch
genauso schnell versandet die Welle wieder und die Sorglosigkeit hält erneut Einzug.
So sieht es auch Rainer N., der seit 16 Jahren mit der HIV-Infektion bzw. mit AIDS
lebt und am Welt-AIDS-Tag im Rahmen einer Veranstaltung des Seminarwerks AIDS e.V.
in Aachen über seine Erkrankung sprach. Seit der Diagnose hat das Jahr für ihn 365
AIDS-Tage. Davor war das Thema HIV weit weg - in USA vielleicht oder sonst wo, aber
hier doch nicht und bei ihm doch nicht. Dabei gehört er als schwuler Mann zur Risikogruppe.
"Es wurde einfach nicht wahrgenommen und auch viel zu wenig darüber gesprochen." In
seinem Freundes- und Bekanntenkreis starben junge Männer an "Lungenentzündung" oder
"Hirnbluten". Dass es AIDS war, darüber redete man nicht.
Fundamentaler Eingriff in das Leben der Patienten
Die Erkrankung hat sein Leben grundlegend verändert und in alle Bereiche eingegriffen:
Familie, Freundeskreis, Beruf. Allgegenwärtig ist die Einnahme der Medikamente. Sie
beherrscht den Tagesablauf - nicht nur deshalb, weil das Timing mit den Mahlzeiten
geplant werden muss. "Die Nebenwirkungen sind erheblich", sagt Rainer N. Dementsprechend
sind engmaschige Kontrollen und Dosisanpassungen oder der Einsatz anderer Medikamente
notwendig, ebenso wie viele Krankenhausaufenthalte und Operationen im Lauf der Jahre.
AIDS zu haben heißt durchhalten, sich immer wieder aufrichten, verzweifeln, dennoch
weitermachen und zwischen Hoffnung und Angst und Wege suchen, die dabei helfen. Maßgebliche
Unterstützung fand Rainer N. auf diesem Weg bei Dr. H. Knechten, der mittlerweile
für ihn mehr ist, als nur sein Arzt. Er gibt neben der medizinisch optimalen Versorgung
Hoffnung, Vertrauen und Zuversicht. Für Rainer N. liegt darin der größte Verdienst
von Knechten, der im letzten Jahr für sein Engagement im Kampf gegen AIDS mit dem
Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde, und dem gesamten Praxisteam, dass
sie alle gemeinsam mit den Patienten "durchhalten". "Es gibt ja keine Heilung", sagt
Rainer N.
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Gabriele Henning-Wrobel, Erwitte
Quelle: Satellitensymposium "Rezeptoren, Resistenzen, Wirkstoffe - im Blick neuer
Therapieziele", unterstützt von der Pfizer Pharma GmbH, Karlsruhe