Der Klinikarzt 2006; 35(2): VIII-IX
DOI: 10.1055/s-2006-933583
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Bakterien auf dem "Kriegspfad" - Schwere nosokomiale Infektionen - Gefahr für Mensch und Klinik

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Publication Date:
23 February 2006 (online)

 
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Einer von zehn Patienten entwickelt im Rahmen seines Krankenhausaufenthalts als "Nebenprodukt" seiner Behandlung eine nosokomiale Infektion, konstatierte Prof. M.H. Wilcox, Leeds (UK) - mit nicht unbeträchtlichen Folgen. Denn nicht nur die Dauer des Krankenhausaufenthaltes steigt dadurch im Schnitt um das 2,5fache, auch die Mortalität der Patienten erhöht sich signifikant.

War der erste Therapieversuch dann noch erfolglos, das eingesetzte Antibiotikum in dieser Situation also nicht effektiv, verdoppelt sich das Mortalitätsrisiko zum Beispiel im Falle einer beatmungsassoziierten Pneumonie, einer Sepsis oder auch bei kritisch Kranken noch einmal. Setzt man dagegen von Beginn an die richtige Substanz ein, lassen sich die Überlebensraten um 30-40% anheben, fügte Prof. D.A. Webber, Birmingham (UK), hinzu. "Antibiotika sind also tatsächlich lebensrettende Medikamente!"

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Circulus vitiosus bei häufigem Einsatz von Antibiotika

Eine adäquate antimikrobielle Therapie zu initiieren klingt jedoch einfacher als es in der Praxis ist, denn häufig sind die verursachenden Keime zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Dazu kommt die inzwischen angespannte Resistenzsituation bei vielen Bakterienstämmen, wie die aktuellste PEG-Resistenzstudie aus dem Jahr 2004 auch für Deutschland erneut belegt, an der überwiegend Labors an Krankenhäusern der Maximalversorgung beteiligt waren.

Demnach scheint sich zwar die Situation bei methicillinresistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen etwas zu stabilisieren - allerdings auf hohem Niveau: 22,6% der getesteten MRSA-Stämme aus Blutkultur-Isolaten waren resistent gegen Oxacillin. 10,6% der untersuchten E.-faecium-Isolate waren gegen Vancomycin resistent. Immer angespannter ist auch die Lage bei Escherichia coli: Hier gibt es immer mehr Fluorchinolonresistenzen und auch ESBL-produzierende Stämme ("extended spectrum beta lactamase").

Zwei der wichtigsten Faktoren, die dazu beitragen, dass sich die Resistenzsituation immer weiter verschärft, ist ein oft unsachgemäßer und immer häufigerer Einsatz von Antibiotika. "In den USA bekommen etwa 90% der Patienten auf Intensivstationen eine Antibiose. Dabei kommt es schon einmal vor, dass ein Patient bis zu sechs unterschiedliche Substanzen erhält", konstatierte Webber. Und da inzwischen immer mehr immunsupprimierte und auch kränkere Patienten behandelt werden, können sich resistente Keime immer leichter im Krankenhaus ausbreiten. Unsachgemäße Hygienemaßnehmen, angefangen bei der Handhygiene, tragen ebenfalls maßgeblich dazu bei, so Prof. D.J. Hoban, Winnipeg (Kanada).

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Kombinationstherapien haben keinen Vorteil

Die Rationale, warum häufig "Antibiotikacocktails" eingesetzt werden, reicht von erhofften oder nachgewiesenen Synergismen der Substanzen, einer reduzierten Toxizität (da unter Umständen geringe Dosierungen eingesetzt werden können) bis hin zum Versuch, das Auftreten resistenter Stämme wenn nicht zu verhindern, dann zumindest zu verzögern. "Wenn wir ganz ehrlich sind, versuchen wir in Wahrheit nur, das Spektrum zu erweitern", sagte Prof. R.C. Moellering, Boston (Massachusetts, USA).

"Wir treiben dies aber viel zu weit. Bislang gibt es keine einzige kontrollierte Studie, die belegt, dass wir mit diesem Verfahren richtig liegen!" So hat zum Beispiel eine Metaanalyse aus 17 Studien keinen Mortalitätsvorteil für die Kombinationstherapie bei gramnegativer Bakteriämie ergeben - außer wenn ein starker Verdacht auf Pseudomonas aeruginosa vorliegt ([3]).

Ähnliches berichten auch Paul et al., die bei einer empirischen Kombinationstherapie (Betalaktam plus Aminoglykosid) von Sepsispatienten eher mehr Patienten sahen, die nicht auf die Therapie ansprachen als bei einer Betalaktam-Monotherapie ([1]). Bei gramnegativen Keimen oder einer Psodomonasinfektion war die Kombinationstherapie ebenfalls nicht von Vorteil, und auch die Resistenzentwicklung unterschied sich nicht zwischen den beiden Behandlungsarmen. "Das einzige was Sie bekommen ist eine höhere Nephrotoxizität", berichtete Moellering.

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Wenn Substanzen nicht mehr wirken ...

Was also ist zu tun? Grundvoraussetzung ist natürlich, Antibiotika überlegt und kontrolliert einzusetzen und sich an den aktuellen Richtlinien zu orientieren, um möglichst wenige Resistenzen zu induzieren. Immer häufiger diskutiert wird auch ein zyklischer Gebrauch von Antibiotika ("antimicrobial cycling"). Denn die Ressourcen sind begrenzt: Noch vor etwa 20 Jahren wurden innerhalb von vier Jahren 16 neue Antibiotika zugelassen, seit dem Jahr 2003 waren es gerade einmal vier, so Prof. T.M. File, Akron (Ohio, USA). Und auch bei den relativ neuen Substanzen, die zweifellos hervorragende Aktivitäten besitzen, wird inzwischen über erste aufgetretene Resistenzen berichtet, konstatierte Hoban.

Große Hoffnung setzt File daher auf Tigecyclin, dem ersten Vertreter der neuen Substanzklasse der Glycylcycline, das in den USA bereits zur Therapie komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen und komplizierter intraabdomineller Infektionen zugelassen ist. In Deutschland wird die Zulassung in Kürze erwartet. "Diese Substanzklasse ist speziell dafür entwickelt worden, die derzeit bekannten Resistenzmechanismen zu bewältigen", berichtete File. "Bislang greift keiner der bekannten Mechanismen - auch nicht die Tetrazyklinresistenz."

Dabei ist die neue Substanz breit wirksam, angefangen bei den meisten grampositiven und gramnegativen bis hin zu anaeroben und atypischen Erregern. Eine so genannte "Wirklücke" ist nur für Pseudomonas ssp. bekannt. Exzellente In-vitro-Testergebnisse lieferte kürzlich auch das T.E.S.T.[1]-Programm, erklärte File. Hier war Tigecyclin sehr effektiv gegen Pathogene, die auf Intensivstationen häufig vorkommen und oft bereits Resistenzen aufweisen, wie zum Beispiel S. aureus, Enterococcus spp., Acinetobacter spp. oder Klebsiella spp. Die minimale Hemmkonzentration lag bei 91% der Stämme bei maximal 1 µg/ml, also im hochempfindlichen Bereich.

Tigecyclin ist also eine interessante neue Option für die Zukunft. Doch bei aller Euphorie sollte man nicht vergessen: "Egal um welches Antibiotikum es geht, es ist kein Ersatz für ein optimales Management in der Klinik", schloss Moellering.

sts

Quellen: Tygacil Media Workshop und Symposium "The microbiological basis for choice in empiric therapy of seroius hospital infection", veranstaltet von Wyeth im Rahmen der 45th Interscience Conference on antimicrobial Agents and Chemotherapy (ICAAC)

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Literatur

  • 01 Paul M . Benuri Silbiger I . Soares-Weiser K . Leibovici L . Beta lactam monotherapy versus beta lactam-aminoglycoside combination therapy for sepsis in immunocompetent patients: systematic review and meta-analysis of randomized trials.  BMJ. 2004;  328(7441) 668-681 .  Erratum in BMJ. 2004;  328(7444) 884
  • 02 Sader HS . Jones RN . Dowzicky Mj . Fritsche TR . Antimicrobial activity of tigecycline tested against nosokomial bacterial pathogens from patients hospitalized in the intensive car unit.  Diagn Microbiol Infect Dis. 2005;  52(3) 203-208
  • 03 Safdar N . Handelsman J . Maki DG . Does combination antimicrobial therapy reduce mortality in gram-negative bacteraemia? A meta-analysis.  Lancet Infect Dis. 2004;  4(8) 519-527

05 Tigecyclin Evaluation and Surveillance Trial

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Literatur

  • 01 Paul M . Benuri Silbiger I . Soares-Weiser K . Leibovici L . Beta lactam monotherapy versus beta lactam-aminoglycoside combination therapy for sepsis in immunocompetent patients: systematic review and meta-analysis of randomized trials.  BMJ. 2004;  328(7441) 668-681 .  Erratum in BMJ. 2004;  328(7444) 884
  • 02 Sader HS . Jones RN . Dowzicky Mj . Fritsche TR . Antimicrobial activity of tigecycline tested against nosokomial bacterial pathogens from patients hospitalized in the intensive car unit.  Diagn Microbiol Infect Dis. 2005;  52(3) 203-208
  • 03 Safdar N . Handelsman J . Maki DG . Does combination antimicrobial therapy reduce mortality in gram-negative bacteraemia? A meta-analysis.  Lancet Infect Dis. 2004;  4(8) 519-527

05 Tigecyclin Evaluation and Surveillance Trial