Die funktionellen Symptome der benignen Prostatahyperplasie können mit a-Blockern
wie Tamsulosin gelindert werden. Malcom G. Lucas vom Morriston Hospital in Swansea,
Großbritannien, und Mitarbeiter bewerteten die Effektivität von Tamsulosin bei der
Behandlung von Patienten mit benigner Prostatahyperplasie und akutem Harnverhalt.
In die randomisierte, doppelblinde und plazebokontrollierte Multizenterstudie waren
Männer einbezogen. Sie wurden katheterisiert und erhielten Tamsulosin 0,4 mg Retardkapseln
einmal täglich oder Plazebo. Nach bis zu acht Dosen wurde der Katheter entfernt (BJU International 2005; 95: 354-357).
34 Männer (48%) in der Tamsulosin- und 18 in der Plazebo-Gruppe (26%) benötigten nach
dem Auslassversuch keinen erneuten Katheter am selben Tag. Die mit Tamsulosin behandelten
Patienten konnten in der akuten Phase auch erfolgreicher urinieren (52 vs. 34%). Dies
definierten die Autoren als eine Harnflussrate > 5 ml/s, ein Harnvolumen > 100 ml
und ein Restharnvolumen ≤ 200 ml.
Die Patienten konnten ihre Medikation bis zu 26 Wochen lang einnehmen. Bei einer erneuten
Katheterisierung wurden sie aus der Studie ausgeschlossen. Die Ausschlussrate, in
der Hauptsache wegen einer notwendigen Re-Katheterisierung (60%), war mit insgesamt
81% (120 Männer) sehr hoch. Die Inzidenz der Nebenwirkungen war in beiden Gruppen
ähnlich. Tamsulosin kann zur Behandlung von Männern mit akutem Harnverhalt empfohlen
werden. Der α-Blocker verringert die Wahrscheinlichkeit, dass erneut ein Katheter
gesetzt werden muss, signifikant, schließen die Autoren.
Fazit
Dies gilt jedoch nur für die akute Phase. Eine valide Analyse der Langzeitwirkung
von Tamsulosin war wegen der hohen Ausschlussrate von Patienten nicht möglich. Viele
Fragen bleiben noch offen, bemerken die Autoren weiter. So ist es nicht möglich vorherzusagen,
welche Männer auf a-Blocker ansprechen und welche nicht.
Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt
Kommentar
Ch. Gratzke
Beleg für den Einsatz von Tamsulosin nur in der Akutphase erbracht
Ziel der vorliegenden Studie war es, die Wirksamkeit des α-Blockers Tamsulosin in
der Behandlung von Patienten mit akutem Harnverhalt (AHV) bei benignem Prostatasyndrom
(BPS) zu untersuchen. In der randomisiert, doppelblind und plazebokontrolliert geführten
multizentrischen Studie wurden 149 Männer mit einem Durchschnittsalter von 69,4 Jahren
nach AHV zunächst mit einem Harnblasenkatheter versorgt und anschließend mit Tamsulosin
0,4 mg/Tag oder Plazebo für 3 bzw. 8 Tage behandelt (akute Phase). Anschließend wurde
der Katheter entfernt und der Erfolg beider Gruppen hinsichtlich Re-Katheterisierung
und Miktionsverhältnissen verglichen. Insgesamt war bei 48% der Tamsulosingruppe und
bei 26% der Plazebo-Gruppe eine Katheterisierung nach Auslassversuch nicht mehr erforderlich;
auch zeigten sich in der Verum-Gruppe bessere Ergebnisse bezüglich des maximalen Harnstrahls,
der Restharnvolumina sowie der Miktionsvolumina als in der Vergleichsgruppe. Im Verlauf
sollte die Medikation für weitere 26 Wochen eingenommen werden (Langzeitphase). Dabei
war die Rate der Studienabbrecher mit 81% außergewöhnlich hoch. Eine sinnvolle Auswertung
der Langzeitdaten war somit nicht möglich. Das Nebenwirkungsspektrum entsprach dem
der aktuellen Literatur.
Die Autoren schließen daraus, dass aufgrund dieser Ergebnisse der Einsatz von Tamsulosin
nach Katheterisierung bei akutem Harnverhalt empfohlen werden und so die Wahrscheinlichkeit
eines erneuten Harnverhaltes in der Akutphase signifikant reduziert werden kann.
Diese Untersuchung ist insofern von großem Interesse, als eine Verbesserung der medikamentösen
Begleit-Therapie beim AHV die Notwendigkeit einer operativen Sanierung der Prostata
hinauszögern bzw. sogar verhindern könnte. Bemerkenswert ist außerdem, dass sie randomisiert,
doppelblind, plazebokontrolliert und multizentrisch aufgebaut wurde. Allerdings scheint
sie wenig geeignet zu sein, den Stellenwert des α-Blockers Tamsulosin in der Begleittherapie
des akuten Harnverhaltes herauszustellen. Folgende Umstände sprechen dagegen:
Primärer Endpunkt der Studie war ein erfolgreicher Katheterauslassversuch. Dieser
wurde definiert durch einen maximalen Harnstrahl von > 5 ml/sec, einem Restharnvolumen
von ≤ 200 ml sowie einem Miktionsvolumen ≥ 100 ml nach Katheterentfernung. Gemessen
an diesen Kriterien unterschied sich Tamsulosin gegenüber Plazebo nicht signifikant
(34 vs. 24%). Daher wurde die Definition eines erfolgreichen Auslassversuches zugunsten
"weicherer" Kriterien geändert. Eine Subanalyse verglich beide Gruppen hinsichtlich
der Fähigkeit des Patienten, das Krankenhaus nach Auslassversuch nach der "subjektiven
Meinung des Untersuchers" ohne Katheter verlassen zu können. Hier fand sich im Gegensatz
zu den primär angelegten Kriterien nun ein signifikanter Unterschied zwischen den
Gruppen (48 vs. 26%, s.o.). Für weitere Unteranalysen wurde von den Parametern maximaler
Harnstrahl, Restharnvolumen und Miktionsvolumen nur noch die Kombination von zwei
dieser Parameter gefordert. Der Grenzwerte des tolerierten Restharnvolumens wurde
auf _ 250 ml angehoben. Erst dann erreichten die Unterschiede statistische Signifikanz
(52-58% vs. 34-41%).
Bei genauerer Betrachtung der Daten muss der Behandlungserfolg durch Tamsulosin nach
AHV selbst nach diesen Kriterien zurückhaltend bewertet werden. Bei mehr als der Hälfte
der Patienten unter Behandlung durch Tamsulosin gestaltete sich der Auslassversuch
nicht erfolgreich (37/71 Patienten bzw. 52%, 52/70 Patienten bzw. 74 % unter Placebo).
Über den weiteren Verlauf der Patienten mit erfolgreichem Auslassversuch wird nicht
berichtet, da die Zahl der Studienabbrecher mit 120 Teilnehmern (81%) extrem hoch
war (s.o.). Dies war zum größten Teil (60%) bedingt durch die Notwendigkeit einer
Re-Katheterisierung zum Ende der akuten Phase. Daher kann keine Beurteilung der Langzeitwirkung
von Tamsulosin gegenüber Plazebo getroffen werden, wobei gerade diese Ergebnisse von
besonderer Bedeutung gewesen wären. Bei unbehandelten Patienten nach akutem Harnverhalt
war in einer 5-Jahres-Studie eine Re-Katheterisierungsrate bzw. die Notwendigkeit
einer operativen Intervention mit 84% nach 5 Jahren beschrieben worden. Diese Daten
belegen die hohe Wahrscheinlichkeit, nach AHV unbehandelt ein Rezidiv zu erleiden.
Nur Langzeitdaten können Aufschluss darüber geben, ob das Präparat einen sinnvollen
Nutzen bei der Behandlung eines Akuten Harnverhaltes erbringt.
Eine Stratifizierung in verschiedene Altersgruppen war in der Analyse nicht möglich.
Ein erfolgreicher Auslassversuch in der Gruppe der Männer > 80 Jahre konnte nur je
einmal durchgeführt werden, insgesamt waren in allen Altersgruppen der Tamsulosin-Gruppe
lediglich 24 (34%) erfolgreiche Auslassversuche zu verzeichnen gegenüber 17 in der
Plazebo-Gruppe (24%).
Nahezu zeitgleich mit der vorliegenden Arbeit wurde von der ALFAUR-Gruppe (ALFuzosin
in Acute Urinary Retention) eine in Aufbau und Fragestellung sehr ähnliche Studie
veröffentlicht (McNeill et al., Urology 2005). Hier wurde der Effekt des α-Blockers
Alfuzosin auf einen erfolgreichen Katheterauslassversuch nach erstmaligem AHV bei
BPS in der akuten Phase und 1,3 sowie 6 Monate später bei 360 Männern untersucht.
Sowohl in der akuten Phase als auch nach bis zu 6 Monaten Behandlungsdauer konnten
die Autoren signifikant bessere Ergebnisse nach Behandlung mit Alfuzosin gegenüber
Plazebo feststellen. Größter Vorteil dieser Studie gegenüber der Tamsulosin-Studie
ist zweifellos der Beobachtungszeitraum einer ausreichend hohen Zahl an Studienteilnehmern
von 6 Monaten nach Auftreten des akuten Harnverhaltes. Somit konnten auch Risikofaktoren
für das erneute Auftreten eines akuten Harnverhalts wie das Restharnvolumen und die
Höhe des PSA-Werts identifiziert werden.
Gegenwärtig ist in Europa nur der α-Blocker Alfuzosin zur Behandlung des akuten Harnverhalts
zugelassen. Die vorliegende Studie kann allenfalls eine Empfehlung geben für den Einsatz
von Tamsulosin in der akuten Phase eines AHVs. Studien mit längeren Laufzeiten und
höheren Fallzahlen sind für eine abschließende Beurteilung erforderlich.
Verschiedene Wachstumsrichtungen bei benigner Prostatahyperplasie (Bild: Praxis der
Urologie, Thieme, 2003).
Literatur beim Autor
Dr. Christian Gratzke, München