Einleitung
Die rechtzeitige Erkennung und angemessene Behandlung psychischer Störungen hat große
Bedeutung für den Verlauf von körperlichen Erkrankungen. Bengel & Jäckel (2002) [1 ] fassen die Bedeutung komorbider psychischer Probleme bei körperlich Kranken zusammen:
„Komorbide psychische Probleme erhöhen die somatische Morbidität und Mortalität, führen
zu höherer Inanspruchnahme und damit zu erhöhten Kosten im medizinischen Versorgungssystem”.
Dies vorausgesetzt, ergibt sich auch für die pneumologische Rehabilitation die Aufgabe,
begleitende psychische Störungen zu identifizieren und einer angemessenen Behandlung
zuzuführen [2 ]
[3 ]
[4 ]. Derzeit kann die Frage des Ausmaßes und der Art begleitender psychischer Störungen
bei pneumologischen Patienten sowie der Notwendigkeit der Indikationsstellung zu psychologischen
und psychotherapeutischen Hilfen empirisch nicht zufriedenstellend beantwortet werden,
wenngleich sich zunehmend der Blick auf diese Frage richtet [5 ]
[6 ]. Verschiedene Autoren berichten über relevante Prävalenzraten psychischer Störungen
bei pneumologischen Patienten, z. B. [5 ]
[6 ]
[7 ]
[8 ]
[9 ]. Härter u. Mitarb. [6 ]
[13 ] kommen in ihrer Studie über Prävalenz und Art psychischer Störungen in der medizinischen
Rehabilitation zum Schluss, dass jeder dritte Rehabilitand in der somatischen Rehabilitation
(untersuchte Indikationsbereiche: Orthopädie, Kardiologie, Onkologie) eine erhöhte
psychische Belastung aufweist, wobei affektive und Angststörungen im Vordergrund stehen.
Die vorliegende Studie widmet sich folgenden Fragestellungen:
In welchem Ausmaß liegen bei Patienten mit chronischen Erkrankungen der Atmungsorgane
in stationärer Rehabilitation psychische Belastungen oder Komorbiditäten vor?
Wie wirken sich Behandlungsmotivation und psychischer Leidensdruck der Patienten auf
die Indikationsstellung zu psychologischen Hilfen aus?
Gibt es einen Zusammenhang zwischen testdiagnostisch erhobener psychischer Belastung
und klinischer Belastungseinschätzung seitens des behandelnden Arztes?
Durch Berücksichtigung dieser Faktoren soll langfristig eine rationale Begründung
psychologischer Hilfen/Psychotherapie in pneumologischer Rehabilitation geleistet
werden, da nach Bengel & Jäckel (2002) [1 ] derzeit „in der Rehabilitationspraxis (...) ein großer Teil der psychisch beeinträchtigten
Patienten und Patientinnen weder diagnostiziert noch ausreichend behandelt [wird]”.
Ein Screening psychischer Belastungen und Komorbiditäten stellt eine notwendige Basis
für entsprechende Indikationsentscheidungen in stationärer pneumologischer Rehabilitation
dar. Vorrangiges Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Deskription des Ausmaßes psychischer
Belastung und des psychologischen Beratungs-/psychotherapeutischen Behandlungsbedarfs
und damit eine Validitätsprüfung der Indikationsstellung zu psychologischen Hilfen
(Beratung, Psychotherapie), die in der Fachklinik Allgäu, an der die vorliegende Studie
durchgeführt wurde, durch das klinische Urteil des behandelnden Arztes erfolgt.
Für die vorliegende Studie stellt sich neben der Deskription von Bedarf und Indikationsstellung
zusätzlich die Frage, welche Faktoren den Prozess der Indikationsstellung beeinflussen.
Material und Methoden
Die Studie strebte an, etwa 15 % der pneumologischen Patienten der Fachklinik Allgäu
eines Jahres zu rekrutieren. Um den sich ergebenden Stichprobenumfang von ca. 200
Patienten zu erreichen, wurden alle stationären pneumologischen Rehabilitationspatienten
der Fachklinik Allgäu im Zeitraum 14. 4. 03 - 4. 7. 03 in die Stichprobe aufgenommen,
soweit sie in der Lage waren, die Fragebogenbatterie vollständig auszufüllen.
Zur Abschätzung des psychologischen Beratungs- und/oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarfs
sind vor allem solche Messinstrumente geeignet, die Schwellenwerte für die Einschätzung
der psychischen Belastung der Patienten angeben. Im Rahmen eines Screenings ist damit
eine relativ schnelle Unterscheidung zwischen wahrscheinlich gesunden und möglicherweise
erkrankten Personen möglich [10 ].
Als Screeningverfahren wurden das Brief Symptom Inventory (BSI) [11 ] und die HADS-D [12 ] ausgewählt. Das BSI erfasst die subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch körperliche
und psychische Symptome. Sie stellt eine Kurzform der Symptom-Checkliste SCL-90-R
dar und erfasst die psychische Belastung in 9 Skalen (u. a. Depressivität, Ängstlichkeit,
Zwanghaftigkeit, Somatisierung) sowie in drei globalen Kennwerten. Die HADS-D wurde
zum gezielten Einsatz zur Erfassung von Angst und Depressivität bei somatischen Patienten
entwickelt. Angst und Depressivität werden mit je 7 Items erfasst. Indikationsstellung,
Behandlungsmotivation und psychischer Leidensdruck wurden in einem von den Autoren
entwickelten Rating von den behandelnden Ärzten und Psychologen erfragt. In die Studie
wurden weitere Informationen zur pneumologischen Diagnose sowie eine Einschätzung
des Schweregrades der Erkrankung aufgenommen.
Ausgehend von Korrelationsanalysen wurden auffällige Werte in den beiden Screeninginstrumenten
BSI und HADS [11 ]
[12 ] nach dem in Tab. [1 ] dargestellten Algorithmus zu dem Kennwert „Psychischer Status” zusammengefasst,
der in 3 Abstufungen zwischen „unbelastet” (0) bis „deutlich komorbid” (2) unterscheidet.
Tab. 1 Schwellenwerte der verwendeten Screeninginstrumente
Unauffällig (0)
Auffällig (1)
HADS-D Angst
0 - 10
11 - 21
HADS-D Depression
0 - 8
9 - 21
HADS-D gesamt
HADS-D Depression oder HADS-D Angst auffällig
BSI (Franke, 2000, S. 20)
TGSI ≥ 63 oder T2
Skalen ≥ 63
Die Normwerte zur Berechnung der T-Werte im BSI sind der Normtabelle für Erwachsene
im Manual von Franke (2000) [11 ] entnommen (S. 93 ff). Da BSI nur eine Aufteilung ja (1)/nein (0) und nicht hinsichtlich vielleicht (0,1,2)
vorsieht, wurde in Anlehnung an eine von Frau Reusch in Absprache mit Herrn PD Dr.
Hermann erstellte Syntax für die HADS-D ebenfalls nur eine dichotome Erfassung vorgenommen
[12 ].
Tab. [1 ] zeigt die Operationalisierung der Auffälligkeit in den beiden Fragebögen, während
Tab. [2 ] die Operationalisierung des Kennwertes Psychischer Status - der sich aus diesen
beiden Fragebogen zusammensetzt - beschreibt.
Tab. 2 Algorithmus zur Operationalisierung des Kennwerts „Psychischer Status”
BSI unauffällig
HADS-D Angst unauffällig
HADS-D Depression unauffällig
Psychischer Status (0)
BSI unauffällig
HADS-D Angst unauffällig
HADS-D Depression auffällig
Psychischer Status (1)
BSI unauffällig
HADS-D Angst auffällig
HADS-D Depression unauffällig
Psychischer Status (1)
BSI unauffällig
HADS-D Angst auffällig
HADS-D Depression auffällig
Psychischer Status (1)
BSI auffällig
HADS-D Angst unauffällig
HADS-D Depression unauffällig
Psychischer Status (1)
BSI auffällig
HADS-D Angst unauffällig
HADS-D Depression auffällig
Psychischer Status (2)
BSI auffällig
HADS-D Angst auffällig
HADS-D Depression unauffällig
Psychischer Status (2)
BSI auffällig
HADS-D Angst auffällig
HADS-D Depression auffällig
Psychischer Status (2)
Der Kennwert „Psychischer Status” gibt das Maß auffälliger Werte in den verwendeten
Screeningskalen an. 0 = nicht auffällig: unauffällige Werte in allen drei Skalen 1 = tendenziell auffällig: - unauffällige Werte im BSI und auffällige Werte in einer der beiden oder beiden Skalen
der HADS - auffällige Werte im BSI und unauffällige Werte in beiden Skalen der HADS 2 = auffällig: auffällige Werte im BSI und in einer der beiden oder beiden Skalen
der HADS
Statistische Methode
Neben deskriptiven Statistiken werden Zusammenhangsmaße und Unterschiedsprüfungen
gerechnet. Da für die Kennwerte Psychischer Status, Behandlungsmotivation und Leidensdruck
nicht von einem Intervallniveau der Daten ausgegangen werden kann, werden bei diesen
Parametern der Χ2 -Test bzw. der Mann-Withney-U-Test herangezogen.
Ergebnisse
Stichprobenbeschreibung
In die Stichprobe gingen 193 Probanden ein, davon wurden 47 von Psychologen gesehen,
dies entspricht einem Prozentsatz von 24 %. 159 füllten die Fragebogenbatterie aus.
34 Non-Responder (18 %) sind zu verzeichnen.
Die Altersspanne der Probanden liegt zwischen 32 und 90 Jahren; der Mittelwert beträgt
66 Jahre (SD 10,0). Mit einem Anteil von 62 % sind mehr weibliche Patienten vertreten.
Abb. [1 ] zeigt die Verteilung der pneumologischen Diagnosen in der untersuchten Stichprobe.
Abb. 1 Pneumologische Diagnosen in der Stichprobe.
COPD und Asthma bronchiale stellen mit 44 % resp. 35 % die häufigsten Diagnosen dar.
Unter „sonstige pneumologische Diagnose” (17,4 %) fallen u. a. chronische Sinusitiden,
Lungenfibrose, Z. n. Pneumonien, Atempumpenschwäche.
Die Patienten, die die Fragebogenbatterie ausgefüllt haben, unterscheiden sich nicht
hinsichtlich der Indikationsstellung von den Non-Respondern.
Behandlungsbedarf, psychischer Leidensdruck, Behandlungsmotivation und Indikationsstellung
31 % der Patienten werden von den Ärzten als psychologisch behandlungsbedürftig eingeschätzt,
und bei 29 % der Patienten erfolgt eine Indikationsstellung zu psychologischer Beratung/Psychotherapie.
Bei annähernd allen als behandlungsbedürftig eingeschätzten Patienten erfolgt eine
Indikationsstellung zu psychologischer Beratung/Psychotherapie (Χ2 -Test, p = 0,000).
Von den 47 von Psychologen betreuten Patienten werden 79 % von diesen als eindeutig
beratungsbedürftig/psychotherapiebedürftig angesehen. Bei 19 % liegt nach ihrer Einschätzung
ein optionaler Beratungsbedarf vor und 2 % der Patienten zeigen nach psychologischer
Einschätzung keinen Beratungsbedarf.
Ärzte und nachfolgend behandelnde Psychologen sehen bei den indizierten Patienten
übereinstimmend einen deutlichen psychischen Leidensdruck.
Die Abb. [2 ] und [3 ] zeigen die ärztliche bzw. psychologische Einschätzung der Verteilung des psychischen
Leidensdrucks, Abb. [4 ] und [5 ] die ärztliche bzw. psychologische Einschätzung der Verteilung der Behandlungsmotivation.
Abb. 2 Verteilung der ärztlichen Einschätzung des psychischen Leidensdrucks für die indizierten
Patienten.
Abb. 3 Verteilung der psychologischen Einschätzung des Leidensdrucks.
Abb. 4 Verteilung der ärztlichen Einschätzung der Behandlungsmotivation bei indizierten Patienten.
Abb. 5 Verteilung der psychologischen Einschätzung der Behandlungsmotivation.
Für die Gruppe der Patienten, die neben der ärztlichen Betreuung auch psychologisch
gesehen wurde, besteht zwischen den Einschätzungen der beiden Fachgruppen von Leidensdruck
und Behandlungsmotivation ein hoher und signifikanter Zusammenhang (Kontingenzkoeffizient
= 0,526; p = 0,026 resp. 0,643; p = 0,002).
Zusammenhänge zwischen Bedarf, psychischem Leidensdruck, Behandlungsmotivation und
Indikationsstellung
Die behandelnden Ärzte sehen bei den indizierten Patienten einen deutlich höheren
Leidensdruck und eine deutlicher vorliegende Behandlungsmotivation als bei der Gesamtstichprobe
der pneumologischen Patienten.
Tab. [3 ] zeigt die Mittelwertsunterschiede in Leidensdruck und Behandlungsmotivation zwischen
indizierten und nicht-indizierten Patienten[1 ].
Tab. 3 Mittelwertsunterschiede in psychischem Leidensdruck und Behandlungsmotivation zwischen
indizierten und nicht indizierten Patienten
Indizierte Patienten
Nicht-indizierte Patienten
Signifikanz
Leidensdruck
2,68
0,97
0,000
Behandlungsmotivation
2,48
0,64
0,000
Tab. [4 ] zeigt die korrelativen Zusammenhänge zwischen Leidensdruck, Behandlungsbedarf, Behandlungsmotivation
und Indikationsstellung.
Tab. 4 Korrelative Zusammenhänge zwischen psychischem Leidensdruck, Behandlungsbedarf, Behandlungsmotivation
und Indikationsstellung
Leidensdruck
Behandlungsmotivation
Behandlungsbedarf
Behandlungsmotivation
0,704
Behandlungsbedarf
0,596
0,569
Indikationsstellung
0,585
0,611
0,687
Die berechneten Werte sind Kontingenzkoeffizienten
Deskriptive Ergebnisse zu psychischer Belastung/Komorbidität
Tab. [5 ] zeigt den Anteil von Patienten mit auffälligen Werten in den beiden Screening-Instrumenten
HADS und BSI.
Tab. 5 Anteil auffälliger Werte in den Screening-Skalen
Screening-Skala
Auffällig
BSI
40,5 %
HADS-D Depressivität
53,0 %
HADS-D Angst
57,8 %
HADS-D insgesamt auffällig
71,1 %
40,5 % der Patienten zeigen eine psychische Auffälligkeit, gemessen mit der BSI, je
über die Hälfte der Patienten (53 % resp. 57,8 %) erreichen auffällige Werte in einer
der beiden HADS-Skalen „Angst” oder „Depression”. Fasst man beide Skalen zusammen,
so erreichen über 70 % der Patienten auffällige Werte. Für die HADS muss berücksichtigt
werden, dass eine grenzwertige Auffälligkeit als Schwellenwert herangezogen wurde.
Damit wurde einer Maximierung der Sensitivität Rechnung getragen.
Beide Screeningverfahren beinhalten zum Teil Redundanzen. Daher wurden die beiden
Verfahren zum Kennwert „Psychischer Status” (siehe Tab. [2 ]) zusammengefasst.
Bereits eine der Subskalen „Angst” oder „Depression” mit einem auffälligen Wert wurde
als ausreichend erachtet, um für den Kennwert „Psychischer Status” den Wert „tendenziell
auffällig” (1) zu vergeben. Damit wurde ebenfalls einer Maximierung der Sensitivität
Rechnung getragen, genaueres ist Tab. [1 ] und [2 ] zu entnehmen.
Die Verteilung des Kennwerts „Psychischer Status” zeigt, dass 51 % der Patienten entweder
in HADS-D oder BSI auffällig sind, und 30 % in beiden Fragebögen. Bei den Patienten,
die in beiden Screeningverfahren auffällig sind, kann davon ausgegangen werden, dass
eine konsiliarische psychologische/psychotherapeutische Sichtung zumindest unter diagnostischen
Gesichtspunkten vonnöten ist.
Validierung des klinischen Urteils über den Zusammenhang von testdiagnostisch erhobenem
„Psychischem Status” und klinischem Urteil
Die Gruppe der zu psychologischer Beratung/Psychotherapie indizierten Patienten weist
auffälligere Werte im „Psychischen Status” auf als die Gruppe der nicht indizierten
Patienten: Der Unterschied zwischen dem mittleren Rang von 62,44 für die Gruppe der
nicht indizierten Patienten und dem mittleren Rang von 82,72 für die Gruppe der indizierten
Patienten ist hoch signifikant (asymptotische Signifikanz = 0,003). Der korrelative
Zusammenhang zwischen Indikationsstellung und „Psychischem Status” beträgt 0,309 (Spearman)
bzw. 0,368 (Pearson) (P = 0,000).
Tab. 6 illustriert die deskriptiven Ergebnisse.
Tab. 6 Kreuztabelle Kennwert „Psychischer Status” und Indikationsstellung
Indikationsstellung durch Arzt
Psychischer Status
Nein
Ja
Gesamt
0
21
4
25
1
54
14
68
2
23
19
42
gesamt
98
37
135
Da Behandlungsmotivation und psychischer Leidensdruck als wichtige Prädiktoren des
Kennwertes „Psychischer Status” vermutet werden, wird weiterhin der Zusammenhang zwischen
der ärztlichen Einschätzung (über alle Patienten) für diese Variablen und dem Kennwert
„Psychischer Status” geprüft. Die Spearman-Rang-Korrelation zwischen Leidensdruck
und „Psychischem Status” fällt bei einem Wert von 0,242 signifikant aus (Signifikanz
= 0,017). Für Behandlungsmotivation zeigt sich bei einem Wert von 0,127 kein signifikanter
Zusammenhang (Signifikanz = 0,213).
Die Indikationsstellung hängt sehr deutlich mit dem klinisch eingeschätzten Leidensdruck
und der Behandlungsmotivation zusammen (siehe Tab. [5 ]). Damit stellen Leidensdruck und Behandlungsmotivation die Variablen dar, die zwischen
dem testdiagnostischen „Psychischen Status” und der erfolgten Indikationsstellung
vermitteln. Falls dies so ist, müsste sich zeigen lassen, dass diejenigen Patienten,
die trotz auffälligem psychischen Status nicht zu psychologischen Hilfen indiziert
wurden, geringeren Leidensdruck und/oder eine fehlende Behandlungsmotivation aufweisen.
Dabei handelt es sich um eine Gruppe von 23 Patienten.
Tab. [7 ] zeigt, wie sich die ärztliche Einschätzung der Behandlungsmotivation bei diesen
Patienten verteilt: 87 % dieser Patienten mit einem hohen testdiagnostisch ermittelten
Kennwert „Psychischer Status” zeigen eine nach ärztlicher Einschätzung (sehr) geringe
Behandlungsmotivation. Dies stützt die Annahme der Behandlungsmotivation als vermittelnder
Variable zwischen psychischer Belastung und Indikationsstellung.
Tab. 7 Behandlungsmotivation der nicht indizierten Patienten mit auffälligem psychischem
Status
Behandlungsmotivation
Häufigkeit
Prozent
Gültige Prozente
0 (wenig)
9
39,1
60,0
1
4
17,4
26,7
3
1
4,3
6,7
4 (sehr hoch)
1
4,3
6,7
gültige Werte
15
65,2
100
fehlend
8
34,8
gesamt
23
Kommentar: Der Wert „2” trat nicht auf.
Diskussion
Die pneumologischen Patienten der untersuchten Stichprobe zeigen psychische Belastungen
- operationalisiert durch den Kennwert „Psychischer Status” - in einer Häufigkeit
zwischen 30 % und 81 %. Legt man eine strenge Interpretation des Kennwerts „Psychischer
Status” an, dann kann von einem Anteil von 30 % pneumologischer Patienten ausgegangen
werden, bei denen eine Indikation zur psychologischen/psychotherapeutischen Mitbehandlung
gegeben ist. 31 % der Patienten werden von den Ärzten als psychologisch behandlungsbedürftig
eingeschätzt und bei 29 % der Patienten erfolgt eine Indikationsstellung zu psychologischer
Beratung/Psychotherapie.
Damit bestätigt die vorliegende Studie auch für pneumologische Patienten das von der
Freiburger Arbeitsgruppe [6 ]
[13 ] vorgefundene Ausmaß psychischer Beeinträchtigungen bei Patienten in medizinischer
Rehabilitation. Sie belegt gleichzeitig die Relevanz der Betrachtung der psychischen
Situation in der stationären pneumologischen Rehabilitation. Die eingesetzten Screening-Instrumente
können keine diagnostische Differenzierung leisten zwischen psychischen Störungen
nach ICD mit eigenständigem Krankheits- und Behandlungswert (z. B. Angsterkrankungen,
Störungen aus dem depressiven Formenkreis) und psychischen Beeinträchtigungen, die
als abhängig von der pneumologischen Erkrankung zu fassen sind (z. B. Angst vor Atemnot
und nachfolgend phobische Vermeidung spezifischer Situationen oder depressive Anpassungsreaktion
bei eingeschränkter sozialer Teilhabe). Bei einer solchen Differenzierung dürfte sich
der Anteil der Patienten mit während des Aufenthalts vorliegender behandlungsbedürftiger
psychischer Störung mit eigenständigem Krankheitswert geringer darstellen. Dies zeigen
auch Ergebnisse von Härter u. Mitarb. [13 ].
Gleichwohl ist eine Einbeziehung krankheitsabhängiger psychischer Beeinträchtigungen
im Rahmen eines biopsychosozialen Rehabilitationsverständnisses und unter der Annahme,
dass psychische Komorbiditäten den Verlauf der pneumologischen Erkrankung ungünstig
beeinflussen können [1 ], geboten. Ihre Erhebung und fachgerechte Behandlung ist Teil einer leitliniengemäßen
Rehabilitation [14 ]
[15 ].
Unter diesem Gesichtspunkt weist der Vergleich zwischen der Bedarfsschätzung aufgrund
des Screenings mit der Indikation zu psychologischen Hilfen in der betrachteten pneumologischen
Reha-Klinik auf eine solide Validität dieser Indikationspraxis hin: Die Gruppe, bei
der ärztlicherseits eine psychologische/psychotherapeutische Mitbehandlung indiziert
wurde, unterscheidet sich signifikant im Kennwert „Psychischer Status” von denjenigen
Patienten, bei denen diese Indikationsstellung nicht erfolgte. Die ärztliche Indikationsstellung
erklärt sich weiter gut aus den Variablen psychischer Leidensdruck und Behandlungsmotivation.
Die Indikationsstellung integriert als pragmatische Entscheidung des behandelnden
Arztes die Einschätzung der Behandlungsmotivation des Patienten, woraus sich Diskrepanzen
zwischen Test- und klinischem Urteil erklären lassen.
Die Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit der regelhaften diagnostischen Erhebung der
psychischen Situation bei pneumologischen Rehabilitationspatienten und die Bedeutung
der Vorhaltung von psychologischen und psychotherapeutischen Ressourcen, um psychische
Belastungen und psychische Komorbidität angemessen behandeln zu können.