Einleitung
Einleitung
Rückenschmerzpatienten zeigen häufig ein angst- und depressionsvermitteltes soziales
Rückzugverhalten mit reduzierter Aktivität und verminderter körperlicher Belastbarkeit.
Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zeigen Rückenschmerzpatienten signifikant erhöhte
Angst- und Depressionswerte. Die betroffenen Personen und häufig auch die behandelnden
Ärzte sind auf die Schmerzsymptomatik fixiert.
Um die Symptome zu lindern, werden in erster Linie Schmerzmittel verschrieben, so
auch das Opioid Tramadol. Es ist verschreibungspflichtig, unterliegt aber nicht dem
Betäubungsmittelgesetz. Bei diesem Medikament handelt es sich um einen teilweisen
Agonisten an den µ-Opiatrezeptoren. Ferner wird die präsynaptische Aufnahme von Noradrenalin
und Serotonin blockiert, wodurch gleichzeitig eine schmerzstillende und leicht antidepressive
Wirkung erzielt wird. Die Entwicklung einer körperlichen und psychischen Abhängigkeit
ist eine bekannte, aber unterschätzte Nebenwirkung, obschon sie als Warnhinweis in
der Roten Liste geführt wird. Die hier vorgestellte Kasuistik beschreibt die Möglichkeit
eines qualifizierten Tramadolentzugs mit medikamentöser Unterstützung durch L-Polamidon
und Duloxetin.
Anamnese und Aufnahmebefund
Anamnese und Aufnahmebefund
Die 35-jährige Frau T. kommt zur Aufnahme in Begleitung des Ehemannes nach telefonischer
Voranmeldung durch den Hausarzt, der die Patientin zur stationären Therapie motiviert
hatte und Tramadol nicht weiter verschreiben wollte. Türkischstämmige Patientin, in
Deutschland geboren. Nach dem Realschulabschluss habe Frau K. zwei Jahre eine Lehre
als Hauswirtschafterin gemacht, anschließend eine Lehre als Schneiderin, ansonsten
habe sie verschiedene Jobs ausgeübt. Seit neun Monaten sei sie Hausfrau. Sie sei verheiratet
und habe 2 Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren.
Bei der Aufnahme berichtet die Patientin, dass sie „seit Jahren” an Rückenschmerzen
leide, trotzdem sei es zu keiner fachärztlichen Behandlung, keiner bildgebenden Diagnostik,
Krankengymnastik usw. gekommen. Vor 5 Jahren habe sie von ihrer Mutter, die auch an
Rückenschmerzen leide, Tramadol „geschenkt” bekommen. Nach der Einnahme sei es nicht
nur zu einer deutlichen Schmerzlinderung, sondern auch zu angenehmen Gefühlen mit
Antriebssteigerung und Stimmungsverbesserung gekommen. Ohne Einnahme von Tramadol
habe sie sich hilflos und antriebsgemindert gefühlt, nach der Einnahme habe sie sich
„sehr wohl” gefühlt. Es sei zur regelmäßigen Einnahme von Tramadol in immer steigernden
Dosierungen gekommen, vor Aufnahme in unserem Klinikum bis zu 550 mg Tramadol am Tag.
Da sie vom Hausarzt nicht so große Mengen Tramadol verschrieben bekommen habe, habe
sie das Medikament auf dem Schwarzmarkt gekauft, bis zu 10 Flaschen auf einmal. Ohne
einen ausreichenden Vorrat zu Hause habe Frau K. sich unsicher gefühlt.
Seit einigen Monaten hätten Familienangehörige und der Hausarzt gemerkt, dass Frau
K. tramadolabhängig sei und hätten sie damit konfrontiert. Bei dem Versuch, mit dem
Tramadolkonsum aufzuhören, seien vermehrtes Schwitzen, Unruhe, Antriebsminderung und
Rückenschmerzen aufgetreten. Frau K. habe vom Hausarzt ersatzweise Doxepin verschrieben
bekommen, nach vier Wochen habe sie das Medikament aber abgesetzt, da sie darunter
sehr schläfrig geworden sei.
Die letzte Tramadoleinnahme (120 mg) sei ca. 1,5 Stunden vor der Aufnahme im Klinikum
gewesen. In der Aufnahmesituation imponierte die Patientin durch Unruhe und leichte
Antriebssteigerung, war ängstlich, angespannt und unsicher. Sie äußerte die Befürchtung,
dass es ihr nach dem Absetzen von Tramadol schlecht gehen würde. Die körperliche Aufnahmeuntersuchung
ergab bis auf eine leichte Adipositas einen unauffälligen internistischen und neurologischen
Befund.
Therapieverlauf
Therapieverlauf
In der Anfangsphase wurde eine L-Polamidon-gestützte Entgiftung durchgeführt. In den
ersten drei Tagen bekam die Patientin L-Polamidon in absteigender Dosierung (1 ml,
0,75 ml, 0,25 ml). Ab dem zweiten Tag wurde mit einer antidepressiven Behandlung mit
Duloxetin angefangen, zuerst mit 30 mg pro Tag, nach 5 Tagen erhöhten wir auf 60 mg.
Wir konnten im Verlauf keine vegetative Entzugssymptomatik beobachten. Die Patientin
war zuerst deutlich antriebsgemindert und auf ihre körperliche Schmerzsymptomatik
fixiert, verlangte oft eine analgetische Bedarfsmedikation (Novaminsulfon). Unter
Behandlung mit dem Antidepressivum kam es zu einer langsamen Antriebssteigerung und
Verbesserung des allgemeinen Befindens (Appetit, Schlaf, körperliche Aktivität) und
zur Abnahme der Schmerzsymptomatik.
Frau T. konnte vollständig am hochstrukturierten Therapieprogramm der Entzugsstation
teilnehmen. Sie wurde bei den Therapien zunehmend aktiver. In den Einzel- und Gruppengesprächen
konnten wir mit Frau K. über ihr Suchtverhalten sprechen. Zusätzlich konnte die Patientin
von einer Einzelkrankengymnastik profitieren. Im Verlauf zeigten sich keine Bewegungseinschränkungen.
Nach der dreiwöchigen stationären Behandlung wurde Frau K. in deutlich stabilisiertem
Zustand entlassen. Medikamentös wurde die Einnahme von Duloxetin mit 60 mg pro Tag
sowie die Fortführung der Krankengymnastik und die Einleitung einer ambulanten Psychotherapie
von uns empfohlen.
Diskussion
Diskussion
Eine Depression kann außer durch psychische Symptome auch durch körperliche Symptome
wie diffuse oder fokussierte Schmerzsymptome in Erscheinung treten. Das in unserem
Fall zur Monobehandlung verordnete Schmerzmittel Tramadol wirkt neben der Analgesie
über Opiatrezeptoren durch die Hemmung der präsynaptischen Aufnahme von Noradrenalin
und Serotonin auch antidepressiv. Wie der exemplarische Verlauf von Frau T. zeigt,
können Patienten durch eine gezielte „Antidepressiva-Umstellung” von Tramadol auf
das Antidepressivum Duloxetin profitieren. Duloxetin wirkt durch seinen dualen serotonergen
und noradrenergen Mechanismus auf die gleichen Rezeptorsysteme wie Tramadol ein. Die
Patienten sind über die Gefahr der gleichzeitigen Einnahme von Tramadol und einem
serotonerg wirkenden Medikament aufzuklären, da die Interaktion zu einem Serotoninsyndrom
führen kann.
Unsere Behandlungshypothese ist, dass sich über die Einnahme des dual wirkenden Antidepressivums
Duloxetin ein spezifischer Effekt bei missbräuchlich oder abhängig Tramadol einnehmenden
Patienten erzielen lässt, bei denen die Schmerzsymptomatik ein depressiver Affekt
begleitet oder ihr zugrunde liegt.