Schon heute sind viele Anästhesisten weit über die eigentliche Aufgabe hinaus dafür
verantwortlich, den Patienten vor dem operativen Schmerz und Stress zu bewahren und
ihn in den Bereichen Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie einschließlich
der prosperierenden Palliativmedizin zu betreuen. Eine große Zahl von Anästhesisten
ist in Steuerungs- und Leitungsfunktionen engagiert, die das ganze Krankenhaus betreffen.
Qualitätssichernde und ökonomische Aufgaben kommen hinzu.
Ein Berufsbild im Wandel
Ein Berufsbild im Wandel
Bereits Ende der 80er Jahre haben sich die Aufgaben des Anästhesisten aus dem Operationssaal
hinaus entwickelt, weg von der alleinigen Applikation von Anästhetika hin zu den so
genannten „Critical Care Units”, den Schmerz- und Prämedikationsambulanzen, dem Aufwachraum
und anderen nicht operativen Bereichen, zuletzt der Palliativmedizin.
Während dem Operateur die Verbesserung der Diagnostik, der prä- und postoperativen
Therapie des Grundleidens und speziell der Operationstechnik obliegt, ist der Anästhesist,
teils in Kooperation mit anderen Spezialdisziplinen, dafür verantwortlich, die entscheidende
Voraussetzung für ein positives postoperatives Ergebnis zu erzielen: Er sorgt dafür,
dass der Patient überhaupt erst operations- und narkosefähig ist. Nur noch 50 % seiner
Arbeitszeit verbringt der Anästhesist heute im OP-Saal, den überwiegenden Rest arbeitet
er auf der Aufwach-, der Intermediate-Care- sowie der Intensivstation und mit wechselnden
Anteilen in der Notfallmedizin, der Schmerztherapie und der Palliativmedizin.
Ökonomischer Druck - auch auf das Fach der Anästhesie - entstand durch die Auffassung,
dass das wirtschaftliche Wachstum am besten zu fördern ist, indem die Ressourcen zu
einem großen Teil der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben (einschließlich des
Gesundheitssystems) und weniger für die Produktion von Verbrauchsgütern eingesetzt
werden sollte. Ungeachtet der Kosten sollte das Gesundheitssystem jedem Bürger zur
Verfügung stehen. Extrem hohe Personalkosten, ein Überangebot an Hospitalbetten und
eine Explosion von medizinischen Interventionen sowie ein erhebliches wirtschaftliches
Wachstum im Gesundheitssektor waren die Folge. Shapiro beschreibt diese Entwicklung
als eine „risikofreie ökonomische Szene” unabhängig von marktwirtschaftlichen Einflüssen
[9]. Die Anästhesie partizipierte an diesem System in vielerlei Hinsicht.
Ende der 70er Jahre fand in den USA ein Paradigmenwechsel hinsichtlich der ökonomischen
Auffassungen statt: Marktwirtschaftliche Kräfte sollten hier die allmächtige Rolle
des Staates für die Sozialgesellschaft ersetzen. Gegenwärtig haben diese Auffassungen
auch in Deutschland Hochkonjunktur, und das deutsche Gesundheitswesen erlebt aufgrund
der so genannten Kostenexplosion einen ökonomisch bedingten Wandel bisher ungeahnten
Umfangs, der nicht mehr allein durch die Sozialabgaben der Bevölkerung und staatliche
Subventionen befriedigt werden kann. Die Anästhesiologie hat ihren Anteil an dieser
Entwicklung.
Finanzierung sicherstellen
Finanzierung sicherstellen
Die Voraussetzung für die weitere Finanzierung der Anästhesieleistungen ist die Ausweitung
und Verbesserung unseres Angebots [9]. Die Anästhesie soll ökonomischer werden. Dazu gehören qualifizierte perioperative
Leistungen wie
-
präoperative Risikoeinschätzung und adäquate Vorbereitung des Patienten
-
Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzip durch adäquate (reduzierte) präoperative
Untersuchungen
-
psychologische Führung der Patienten
-
Einflussnahme auf die effektive OP-Saalnutzung
-
ambulanter Anästhesieservice mit kurzen Aufwachzeiten
-
Optimierung des Patientenflusses im Krankenhaus: Poliklinik - Normalstation - OP -
Aufwachraum - Intermediate Care/Intensivstation - Normalstation
-
Optimierung der postoperativen Schmerztherapie.
Dabei ersetzt der perioperative Anästhesist den früheren individuellen Anästhesisten,
der durch seine eigenen Individualleistungen existierte und am weiteren komplexen
Prozess im Krankenhaus kaum Anteil hatte. Dieser Ausweitung des „anästhesiologischen
Angebots” stehen natürlich die begrenzten Ressourcen im Wege. Es kann immer nur darum
gehen, an den unabweisbaren perioperativen Aufgaben zu partizipieren und dafür ein
entsprechendes Konzept zu unterbreiten. Im Vordergrund steht das interdisziplinär
zu erzielende, optimale Ergebnis.
Auch in Deutschland ist die für manch andere Disziplin bedrohlich erscheinende, wachsende
Rolle des Anästhesisten in der perioperativen Medizin in der Diskussion. Prien und
van Aken [8] schreiben dazu: „Bei vielen Operationen kann mittlerweile von der Notwendigkeit
einer intraoperativen Intensivbehandlung gesprochen werden, gegenüber der das eigentliche
Betäubungsverfahren an Bedeutung verliert und in den Hintergrund tritt. Die intraoperativ
eingeleiteten Maßnahmen müssen fließend in die unmittelbar postoperative Versorgung
übergehen. (...) Der Anästhesist wird also in Zukunft die perioperative Betreuung
des Patienten im OP-Bereich übernehmen, die sich in drei Phasen gliedert:
-
frühe Risikoeinschätzung (Anästhesie-Ambulanz) und Risikooptimierung
-
präoperative Vorbereitung in der „Aufwacheinheit” (z.B. hämodynamische Optimierung,
Einleitung von kontinuierlichen Regionalanästhesieverfahren)
-
Anästhesie und Sicherung der Vitalfunktionen im Operationssaal
-
unmittelbare postoperative Betreuung in der Aufwacheinheit.”
Qualitätsmanagement
Qualitätsmanagement
Qualität ist in der Anästhesie multidimensional zwischen Patient, Operateur, Krankenhaus
und Kostenträger angesiedelt. Dabei hat die Qualität jeweils unterschiedliche Inhalte:
Erste Priorität ist die optimale Betreuung der Patienten, in zweiter Linie sollten
für den Operateur intra- und postoperativ die besten Arbeitsbedingungen geschaffen
werden. Letztendlich gilt es, optimale klinische Ergebnisse zu einem vertretbaren
Preis zu produzieren, der für viele komplexe Leistungen durch die Diagnosis Related
Groups (DRGs) vorgegeben ist.
Neben den prä-, intra- und postoperativen Maßnahmen des jeweiligen operativen Fachs
ist für den Patienten - insbesondere, wenn er mit Risiken belastet ist und/oder großen
operativen Eingriffen entgegen sieht - die lückenlose perioperative Versorgungskette
besonders wichtig. Neben dem Operateur, der in allen Versorgungsbereichen für das
Grundleiden zuständig ist, muss der Anästhesist für die vitalen Funktionen verantwortlich
sein.
Hierbei sollte es nur eine perioperative Zuständigkeit geben, die nicht in Phasen
aufteilbar ist [1]. Der Anästhesist ist kein „peripatetic trouble-shooter” [7]. Als perioperativer Mediziner trägt er vielmehr dazu bei, das perioperative Management
eines Patienten unfragmentiert, standardisiert und eingebunden in multiple, effektiv
kommunizierende Gruppen mit einem gemeinsamen Ziel umzusetzen [2].
Präoperative Versorgung
Präoperative Versorgung
Der erste Kontakt mit dem Anästhesisten findet heutzutage entweder notfallmäßig in
der präklinischen Rettungsmedizin oder routinemäßig bei der präoperativen Untersuchung
statt. Vor der eigentlichen Prämedikationsvisite wird immer häufiger ein anästhesiologisches
Konsil angefordert. Hierin wird festgelegt, welche Untersuchungen zur Prämedikationsvisite
vorliegen müssen, um beispielsweise ein komplexes oder multimorbides Krankheitsprofil
eines Patienten abzuklären.
Das präoperative Prämedikationsgespräch hat die wichtige Aufgabe, durch die Evaluation
der Anamnese und die körperliche Untersuchung die Verfassung des Patienten für die
Narkose und die Operation zu ermitteln. Zudem muss das anästhesiologische intra- sowie
postoperative Prozedere inklusive der postoperativen Schmerztherapie festgelegt, dem
Patienten erläutert und erklärt werden. Nur so wird die Angst reduziert und die schriftliche
Einwilligung kann eingeholt werden. Gleichzeitig ist die medizinische Behandlung des
Patienten so zu koordinieren, dass die Kosten verringert und die sechs negativen „D's”
des Outcomes verbessert werden - „death, disease, disability, discomfort, dissatisfaction
and dollars” (Klafka und Rolzen, zitiert nach [3]).
Diese Aufgabe obliegt naturgemäß dem Anästhesisten, da er den Patienten in der Regel
den gesamten Weg begleitet und aus seiner breit gefächerten Erfahrung heraus das perioperative
Risiko des Patienten gut abschätzen und ihn entsprechend fundiert beraten und aufklären
kann.
Bereits seit längerem übernimmt der Anästhesist zunehmend die übergeordnete Aufgabe
des Managements und der Koordination der Behandlung des Patienten in der Komplexität
seiner Krankheit [3]. Er beurteilt präoperativ die Laborbefunde des Laborarztes, die Lungenfunktion,
das EKG und die Echokardiografie. Bisher nimmt der Anästhesist jedoch seine Aufgaben
noch eher als Anästhesist wahr [11].
Als perioperativer Mediziner wird er jedoch notwendige Zusatzuntersuchungen selbst
anfordern oder die Behandlung beginnen und den Chirurgen bei dem weiteren Prozedere
beraten. Damit könnte die Anästhesieambulanz zukünftig zu einem immer wichtigeren
perioperativen Anästhesieplanungs- und Management-Zentrum werden, in dem Anästhesievoruntersuchungen,
Aufklärung, Prämedikation, Anästhesieplanung, OP-Ablaufplanung, akute und chronische
Schmerztherapie festgelegt und koordiniert werden. Allerdings wird sie nicht die Aufgaben
der gesamten perioperativen Medizin übernehmen können.
Intraoperative Phase
Intraoperative Phase
Die Aufgabe des Anästhesisten während der Operation ist die Durchführung der Narkose,
das Monitoring und die Dokumentation des Narkoseverlaufs. Nicht selten übernimmt er
auch die Koordination verschiedener anderer Aufgaben im Operationssaal oder auch die
Kontrolle über das Zeitmanagement für den Chirurgen, indem er beispielsweise an das
Zeitlimit der angelegten Blutsperre bei Extremitäteneingriffen erinnert. Zudem koordiniert
er die internen Abläufe der verschiedenen Berufsgruppen wie beispielsweise des anästhesiologischen
und operativen Pflegepersonals, der Operateure, der Transportpfleger und der Reinigungskräfte.
Postoperative Phase
Postoperative Phase
Seit langem ist der Anästhesist insbesondere in die postoperative Betreuung der Patienten
vom Aufwachraum oder der Intensivstation bis hin zur postoperativen akuten oder chronischen
Schmerztherapie inklusive der Palliativmedizin involviert oder führt sie gemeinsam
mit den operativen Disziplinen durch. Dabei ist der Anästhesist nicht der einzige
Arzt, der sich diesem Themengebiet qualifiziert widmen kann.
Organisation der postoperativen Nachbetreuung
Prinzipiell sollte die jeweils qualifizierteste Fachrichtung die Betreuung der Patienten
übernehmen und nicht zwangsweise derjenige Arzt, auf dessen Station der Patient liegt
- zumal sich erst kürzlich gezeigt hat, dass die perioperative Schmerztherapie in
Deutschland aus organisatorischen und fachlichen Gründen bislang ineffektiv und inadäquat
ist [6].
Häufig legt der Anästhesist in der postoperativen Phase die intravenöse Flüssigkeitstherapie
fest, veranlasst bestimmte Röntgenaufnahmen, Laborabnahmen und die antithrombotische
Prophylaxe. Allerdings ist die postoperative Nachbetreuung durch einen Anästhesisten
bisher nur dann unkompliziert möglich, wenn sich der Patient im Aufwachraum oder auf
der interdisziplinären anästhesiologischen Intensivstation befindet.
Oft kann der Anästhesist die Nachbetreuung des Patienten auf der chirurgischen Station
im Sinne der perioperativen Medizin jedoch nicht umfassend gewährleisten, weil er
nur punktuell und in eingeschränktem Maße in die postoperative Betreuung des Patienten
auf der Normalstation involviert ist. Vielfach ist nach einschlägiger Erfahrung seine
Mitwirkung auch gar nicht erwünscht.
Es ist darüber hinaus lange bekannt, dass die perioperative Mortalität der Patienten
in den ersten drei postoperativen Tagen am höchsten ist [4]. Die frühzeitige Verlegung von Patienten birgt zusätzliche Gefahren durch mögliche
Kommunikationsdefizite zwischen den Ärzten und Pflegern verschiedener Stationen: Oft
werden Befunde zeitverzögert nachgeschickt oder die weitere Diagnostik durch unterschiedliche
Organisationsstrukturen unkoordiniert in die Wege geleitet. Daraus lässt sich der
Bedarf für eine kontinuierliche perioperative Überwachung und Therapie der Patienten
durch den Anästhesisten ableiten.
Die perioperative Anästhesiestation (PAS)
Bereits in den letzten Jahren haben sich die Aufgaben des Aufwachraums in Richtung
einer „perioperativen Anästhesiestation (PAS)” weiterentwickelt [8]. Ursprünglich dienten die Aufwacheinheiten vor allem dem Zweck, bei rationeller
Nutzung personeller und apparativer Ressourcen die Inzidenz postoperativer Komplikationen
zu verringern. Inzwischen sind jedoch weitere Aufgaben hinzugekommen:
-
die kurzfristige Übernahme intensivmedizinischer Funktionen
-
unmittelbare präoperative Maßnahmen
-
postoperative Initialstellung der Analgetikatherapie
-
Platzierung von zentralvenösen Kathetern
-
die Betreuung unerwartet hospitalisierter Patienten nach ambulanten Narkosen.
Der Anästhesist ist als verantwortlicher Mediziner für diese Station gut geeignet,
weil die intraoperativ eingeleiteten Maßnahmen fließend in die unmittelbar postoperative
Versorgung übergehen müssen. Diese Kontinuität durch eine willkürliche Zäsur zu unterbrechen,
wäre kontraproduktiv. Eine klare Zuständigkeit und Struktur der perioperativen Medizin
könnte auch die juristische Lage vereinfachen - zumal sich viele Behandlungs- und
Organisationsfehler in der unmittelbaren postoperativen und postanästhesiologischen
Phase ereignen [10].
Der Anästhesist als Team-Manager
Der Anästhesist als Team-Manager
Nicht nur die Tätigkeit als Narkosearzt, Intensivmediziner, Rettungsmediziner und
Schmerztherapeut macht den Anästhesisten in logischer Konsequenz zu einem interdisziplinären
Bindeglied, auch seine multimodale Funktion hat bereits traditionell interdisziplinären
Charakter. Hilfreich und im Interesse des gesamten Krankenhauses ist dabei der Versuch,
die Grenzen zwischen den beteiligten Fachdisziplinen aufzuweichen und interdisziplinäre
Stationen und Arbeitsgruppen zu bilden, um so die vergangene uni-disziplinäre und
unkoordinierte Entscheidungsfindung des perioperativen Managements durch eine verbesserte
interdisziplinäre Zusammenarbeit zu ersetzen. Hierdurch können Frustrationen reduziert
und das Patienten-Outcome verbessert werden.
Eine Möglichkeit der interdisziplinären Teambildung sind interdisziplinäre Schulungsprogramme
[2] mit Anästhesisten, Chirurgen und/oder anderen perioperativ beteiligten Medizinern.
Die Fähigkeiten, die hier erlernt werden sollen, setzen die Anästhesisten jedoch bereits
seit langem um. Dazu zählen die Logistik, Planung und Koordination, die Patienteninformation,
das präoperative Risikomanagement und dessen Optimierung, prozedurenspezifische Managementprotokolle
für die Risikominimierung, stressreduzierende anästhesiologische und chirurgische,
teilweise evidenzbasierte Prozeduren, Analgesie, Flüssigkeitsmanagement sowie die
Therapie von „little big problems”, wie etwa postoperative Übelkeit und Erbrechen.
Darüber hinaus kann der Anästhesist auch ökonomische Vorteile für das Krankenhaus
erzielen, indem er ein adäquates präoperatives Assessment mit minimalen Laboranforderungen
und anderen klinischen Befunden durchführt und lediglich die essenziell notwendigen
diagnostischen Prozeduren anordnet. Hierdurch fühlt sich nicht nur der Patient sicher
und zufrieden. Zum einen muss der Operateur weniger Zeitverzögerungen in Kauf nehmen.
Zum anderen fallen für die Krankenkassen weniger Kosten an, und die Krankenhausleitung
kann eine effizientere Nutzung der OP-Kapazität nachweisen. Jede Komplikation verlängert
den Krankenhausaufenthalt und führt zu unerwünschten Kosten für das Krankenhaus.
Interdisziplinäre Führungsaufgaben - im Sinne der Aufgabe als Teammanager im Team
- sind der Persönlichkeit eines Anästhesisten häufig „auf den Leib geschrieben”. Er
steht von Beginn seiner beruflichen Tätigkeit an in engem Kontakt mit den unterschiedlichsten
Menschen, angefangen von den Patienten über die ärztlichen Kollegen, Krankenpflegepersonal,
Labor- und radiologischem Personal bis hin zu Lagerungs-, Reinigungs- und technischem
Personal.
In der Intensiv-, Notfall- und Rettungs- und Schmerztherapie kommt ihm darüber hinaus
noch eine zentrale Bedeutung im Gespräch und Umgang mit Angehörigen zu. Anästhesisten
finden sich überwiegend auch oft in der Position des OP-Managers und sind dabei meist
direkt der Krankenhausleitung unterstellt.
Personalsituation in der Anästhesie
Personalsituation in der Anästhesie
Die repräsentative Umfrage des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten (BDA) im Dezember
2001 zur „Arbeitsmarktsituation in der Anästhesiologie” ergab, dass in den letzten
zwölf Monaten vor der Umfrage 75 % freie Stellen zu besetzen waren, davon 21 Stellen
für Chefärzte, 412 für Fachärzte, 461 für Assistenten und 295 Stellen für Ärzte im
Praktikum. In nur 27 % der Fälle konnten die Stellen nahtlos besetzt werden, bei 11
% der Stellen dauerte es über zwölf Wochen, und 22 % blieben weiterhin vakant.
Die Situation hat sich bis zum heutigen Zeitpunkt erheblich verschärft, viele Kollegen
haben weitaus besser dotierte Positionen im Ausland angenommen und auch die Ost-Westwanderung
in Deutschland hat unübersehbar zu teilweise dramatischen Defiziten an qualifizierten
Anästhesiologen, insbesondere an kleinen Krankenhäusern, geführt. Die Reduktion der
Nettoeinkommen durch eine Verlängerung der Arbeitszeit oder die Streichung von Urlaubs-
und Weihnachtsgeld fördern ebenfalls die Abwanderungstendenzen. Laut dem Berufsverband
Deutscher Anästhesisten ist der befürchtete Nachwuchsmangel für das Fachgebiet tatsächlich
feststellbar. Betroffen sind hiervon nahezu alle Gebiete, wobei die Situation in den
Ballungsräumen noch relativ entspannt ist.
Assistenzberufe in der Anästhesie
Assistenzberufe in der Anästhesie
Der programmierte Mangel an ärztlichem Personal zwingt auch die Anästhesiologen zu
neuen, häufig bereits bekannten Überlegungen. Die Rede ist hier von einer Änderung
der Qualifikationswege für das anästhesiologische Assistenzpersonal mit erweiterter
Delegation von Tätigkeiten im Rahmen der Patientenbetreuung. Mit den höchstrichterlich
abgesegneten Grundsatzurteilen „Die Narkose ist eine ausschließlich ärztliche Leistung”
und dem Verbot der Parallelnarkose ist die vertraute und qualifizierte Zusammenarbeit
mit den Anästhesie- und Intensivschwestern, die in den Anfangsjahren des Faches einen
Großteil der praktischen Verrichtungen übernahmen, zu Ende gegangen. Diese Situation
verstärkt den angesprochenen Mangelzustand noch erheblich.
Obwohl die Weiterbildung für das Anästhesie- bzw. Intensivpersonal einschließlich
der Grundausbildung insgesamt fünf Jahre dauert und damit der Dauer des Medizinstudiums
entspricht und das zweijährige Curriculum praktische und zahlreiche theoretische Abschnitte
der Anästhesie und Intensivmedizin enthält und mit einem staatlichen Examen endet,
haben die Anästhesieschwestern und -pfleger danach - drastisch ausgedrückt - die Funktion
von Reinigungs-, Transport- und Handreichungspersonal. Einfache Überwachungstätigkeiten
können zwar unter strenger Aufsicht schon jetzt an das Anästhesie-Pflegepersonal delegiert
werden, tatsächlich ist aber aufgrund des Ärztemangels die Schwestern-/Pflegernarkose
unter Aufsicht eines Arztes längst in vielen Operationssäle wieder üblich - ein rechtlich
bedenklicher Zustand.
Qualifizierte Anästhesieassistenz
Überlegungen, anästhesiologische Assistenten mit eigenverantwortlich wahrgenommenen
Aufgaben in das Anästhesie-Team einzubinden, sind erstens nicht neu und zum Zweiten
auch international sehr aktuell. Die Rede ist hier nicht von den bereits etablierten
Verhältnissen wie etwa in Skandinavien oder den Niederlanden. Vielmehr wird auch in
Ländern wie den USA und Großbritannien die Schaffung eines neuen Typus von Anästhesieassistenz
vorangetrieben.
Es ist an der Zeit, auch in unserem Land, in der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie
und Intensivmedizin (DGAI) und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten das Thema
der qualifizierten Anästhesieassistenz neu zu beleben. Erste, unterschiedlich weit
reichende Pilotprojekte in Frankfurt und Halle sowie im Bereich des Krankenhauskonzerns
Helios laufen bereits.
Schon mit der Etablierung der Anästhesie- bzw. Intensiv-Pflegerweiterbildung hat die
Anästhesie seinerzeit Maßstäbe gesetzt. Es gilt, in eine offene Diskussion einzutreten,
die über die Einführung von entsprechend veränderten Curricula und Weiterbildungsgängen
eine neue Qualität des Assistenzpersonals zum Ziel hat. Dabei ist durchaus eine zumindest
teilweise Trennung der Curricula Intensivschwester und Anästhesieassistent denkbar.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Es wird hier nicht der selbstständigen Schwester-/Pflegernarkose
das Wort geredet. Die Anästhesiologie ist und bleibt eine akademische Disziplin mit
ärztlichen Aufgaben, die aber auch ein entsprechend motiviertes und speziell ausgebildetes
Assistenzpersonal verdient.
Der Anästhesist in Führungspositionen
Der Anästhesist in Führungspositionen
Anästhesisten mit Mehrfachqualifikationen über ihr Fach hinaus, wie beispielsweise
als Qualitätsmanager oder „Master of Public Health”, sind nicht ungewöhnlich und tragen
dazu bei, dass Führungspositionen in Krankenhäusern häufig von Anästhesisten besetzt
werden [5].
Die Anästhesie muss sicherstellen, dass die Rolle im OP ebenso wie in der Intensivmedizin,
der präklinischen Medizin und in der Schmerztherapie mit einer hohen Fachkompetenz
ausgefüllt wird. Um den interdisziplinären Ansatz zu wahren, sollen die Internisten,
Chirurgen, Radiologen, Laborärzte und alle anderen medizinischen Fachkollegen ohnehin
enge Partner des Anästhesisten bleiben. Die zukünftigen Herausforderungen im Krankenhaus
können dabei nur gemanagt werden, wenn alle Berufsgruppen als multiprofessionelles
und -funktionales Team zusammenarbeiten.
Im Rahmen der Fülle an neuen Aufgaben und Veränderungen, die durch die Einführung
der DRGs auf die Krankenhäuser zukommen, wird die Anästhesiologie ihre strategische
Ausrichtung überdenken und ihre Daseinsberechtigung im Gesamtunternehmen Krankenhaus
neu definieren müssen. Von ganz entscheidender Bedeutung ist dabei eine effiziente
Planung des Ressourceneinsatzes und eine optimierte medizinische Dokumentation.
Die Diagnosendokumentation nach ICD 10 ist für den Anästhesisten in unterschiedlichen
Bereichen erforderlich. So ist der Anästhesist regelmäßig mit der Diagnosenerhebung
in den Bereichen präoperative Diagnostik, Intensivmedizin und Schmerztherapie befasst.
Diese Bereiche tragen nicht unerheblich zur Erhöhung der Anzahl von Nebendiagnosen
sowie durch deren Schweregrad zur adäquaten Abbildung eines Patientenfalles und damit
letztlich zum Erlös des Krankenhauses bei.
In Zukunft wird der zielgerichteten Steuerung von Patienten und der Vermeidung von
langen präoperativen Verweildauern für noch ausstehende Diagnostik eine immer größere
Bedeutung zukommen. Die Anästhesie kann sich hier mit ihren Leistungen im Rahmen der
Anästhesieambulanzen in die Patientensteuerung und in die Diagnosendokumentation einbringen.
Auch in diesem Zusammenhang wird der Anästhesist also ein wichtiges Bindeglied im
Krankenhaus sein.
Im European Journal of Anesthesiology kommen Dahmen und Albrecht (3) zu dem Ergebnis,
die Qualität in der Anästhesie sei multidimensional. Unser Fach dient einmal dem Patienten,
dem Chirurgen und dem Krankenhaus, muss gleichzeitig aber den Ansprüchen der Krankenkassen
und der Gesellschaft (Kostenreduktion) genügen. Jeder dieser Aspekte erfordert eine
separate Qualitätsanalyse. Das Qualitätsmanagement hat nach den Autoren demnach die
drei Aspekte
-
Vermeidung unnötiger Belastungen und Schäden für den Patienten
-
Schaffung optimaler Bedingungen für die operative Medizin und perioperative Versorgung
-
Begründung von Behandlungsalgorithmen für eine optimale Patientenversorgung (evidenzbasierte
Medizin).
In diesem kontinuierlichen kooperativen Konzept lassen sich dann auch zeit- und kostensparende
Aufgaben wie die OP-Planung und Saalnutzung lösen. Darüber hinaus werden Patientenwünsche
nach Komfort und Sicherheit sowie eine unangemessen hohe Morbidität und Mortalität
vermieden. Letztere haben wiederum erhebliche Auswirkungen auf Verweildauer, Therapiekosten
und das Krankenhausbudget. Es ist durchaus möglich, durch die Einführung einer multimodalen
postoperativen Schmerztherapie, die frühe Extubation und Mobilisation substanzielle
Einsparungen in der Intensivmedizin zu ermöglichen.
Um die Versorgungsqualität zu optimieren, müssen die Organisationsstrukturen im Krankenhaus
radikal verändert werden: Die Barrieren zwischen den Fächern müssen verschwinden und
ein wirklich interdisziplinärer Ansatz an deren Stelle treten. Der Anästhesist ist
aus seiner bisherigen Position heraus bestens vorbereitet, hier eine führende Rolle
zu spielen.