Pneumologie 2005; 59(12): 901-909
DOI: 10.1055/s-2005-919097
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Architektur von Volksheilstätten um 1900

Architecture of Sanatoriums around 1900D.  Tracht1
  • 1Ritterhaus Bubikon, CH-Bubikon
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Daniela Tracht

Ritterhaus Bubikon · Museumsleiterin

Allmenstr. 9

8608 Bubikon

Schweiz

Email: daniela.tracht@gmx.de

Publication History

Publication Date:
27 December 2005 (online)

Table of Contents #

Einleitung

Wer kennt ihn nicht? Den Roman „Der Zauberberg” von Thomas Mann. Hierin schildert Mann die gängige Methode der Behandlung von Lungentuberkulose im 19. Jahrhundert und zeichnet ein lebendiges Bild der Gäste und Patienten eines Sanatoriums auf. [1] Und tatsächlich ist dieser Roman bis heute grundlegend für das Verständnis der Tuberkulosebehandlung dieser Zeit. Von medizinischer Seite wurde die Entwicklung der medikamentösen Tuberkulosetherapie bereits mehrfach bearbeitet. Da im 19. Jahrhundert etwa ⅓ der Bevölkerung infiziert war, stellte die Krankheit eine ernste Gefahr dar und nach einer Schweizer Statistik lagen 39 % aller Sterbefälle im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Es war also dringend notwendig, für viele Menschen die Therapiemaßnahmen bereit zu stellen. Einen ersten Schritt bildete im Deutschen Reich die Änderung der Sozialversicherungsgesetzgebung, in deren Folge spezielle Therapieeinrichtungen gebaut wurden. Insofern war auch der öffentliche Bausektor betroffen, was mir nun die Möglichkeit bietet, von bau- und kunsthistorischer Seite interessante Aspekte der Tuberkulosetherapie vorzustellen. [2] Es werden in diesem Beitrag sicherlich einige Begriffe auffallen, die aus heutiger Sicht verstaubt oder antiquiert klingen, wie beispielsweise „Anstalt”, „Pflegling” etc. Ich habe diese bewusst aus der zeitgenössischen Literatur übernommen, da sie den damaligen Sprachgebrauch widerspiegeln und in der heutigen Sprache oft keine exakte Entsprechung mehr finden.

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Historischer Hintergrund/Entwicklung der Tuberkulosetherapie

Der industriellen Revolution und dem Fortschritt der Wissenschaften im 18. Jahrhundert folgten im 19. Jahrhundert eine rasante Zunahme der städtischen Bevölkerung, ohne dass die notwendigen Infrastrukturen vorhanden gewesen wären. Knapper Wohnraum, ohne hygienische Einrichtungen, sowie hohe Mieten erforderten, dass sich mehrere Personen ein Bett teilten, das tagsüber noch an schichtarbeitende „Schlafgänger” vermietet werden konnte. Hinzu kamen schlechte und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, permanenter Schlafmangel, Mangel- und Unterernährung, was in den Großstädten immer wieder zu Epidemien führte, die auch durch den Abriss zahlreicher Stadtmauern und der Anlage großer Straßenzüge und Plätze zur besseren Stadtdurchlüftung nicht aufgehalten werden konnten. Nach einer Choleraepidemie in Deutschland 1831 wurden zunächst Absonderungshäuser errichtet, doch erließ 1835 der Preußische Staat sanitätspolizeiliche Vorschriften, die gezielte Maßnahmen zur Verhütung und Beschränkung ansteckender Krankheiten beinhalteten. [2]

Das 1881 von Kaiser Wilhelm I. geänderte Sozialversicherungsgesetz ermöglichte erstmals versicherten Arbeitern eine kostenfreie Behandlung, die 1900 auch auf Angehörige ausgeweitet wurde. [3]

Die Behandlung der Lungentuberkulose durch klimatische Kuren, Wasserheilverfahren und ausgewogene Ernährung war bereits in der Antike bekannt und blieb bis ins 19. Jahrhundert die einzige Behandlungsmöglichkeit. Doch sie war sehr teuer! Im 19. Jahrhundert versuchte man die Klimaveränderung durch das Reizklima der europäischen Mittelgebirgslagen zu ersetzen und im letzten Viertel des Jahrhunderts setzte sich allmählich die Liegekur in Verbindung mit militärisch strengen Vorschriften, wie sie auch im Zauberberg beschrieben ist, durch. [1] [4]

Der Arzt Hermann Brehmer (1826 - 1889) hatte, selbst an Tuberkulose erkrankt, im Himalaja Heilung gefunden und nahm dies zum Anlass, über die Heilbarkeit der Krankheit zu promovieren, womit er der offiziellen Lehrmeinung widersprach. Nach seiner Meinung war allein an „immunen Orten” Heilung zu finden. Er entwickelte ein Therapiekonzept nach der These „Tuberkulosis primis in stadiis semper curabilis”, bei dem Körper und Herz durch eine hygienisch-klimatische Behandlung, unterstützt durch frische Luft, Bäder und Ernährung, gekräftigt werden sollten. Zur zusätzlichen Anregung des Stoffwechsels empfahl er insbesondere Cognac. [5] Zur Durchführung seiner Therapie eröffnete er 1854 in Görbersdorf in Schlesien das „erste Sanatorium für Lungenkranke” in Deutschland, das zunächst in einem umgebauten Bauernhof untergebracht war. [6] Wegen des großen Zulaufs konnte zwischen 1862 und 1878 eine neue Anstalt errichtet werden. (Abb. [1]) Bereits 1863 war das „alte Kurhaus” fertig gestellt, wobei „Kurhaus” ein Gebäude mit öffentlichem Festraum, Beherbergungs- und Therapieräumen bezeichnete. 1870 - 71 folgten ein Wintergarten, 1875 die Wirtschaftsgebäude und 1878 das „Neue Kurhaus”. Alle Gebäude waren durch gedeckte Gänge verbunden und eine großzügige Parkanlage umschloss die Bauten. Die Einrichtung mit stilechten Möbeln, „gotischen Tapeten” und entsprechenden Salons traf den Geschmack der Klientel, die aus dem reichen Bürgertum Deutschlands, Polens, Russlands und Schwedens stammte. [7]

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Abb. 1 Ansicht des 1862 - 78 errichteten „Alten Kurhauses” in Görbersdorf, Schlesien (Ortmann, 1899).

Diese erste Phase der gezielten Tuberkulosebehandlung vollzog sich parallel zur Entwicklung des Privatsanatoriums, in dem die positive Wirkung des Höhenklimas in Kombination mit Erholung und Kräftigung des Körpers angestrebt wurden. [2] [5] [7]

Peter Dettweiler (1837 - 1904), nach seinem Medizinstudium ebenfalls an Tuberkulose erkrankt, fand in Görbersdorf nicht nur Heilung, sondern wurde auch Assistent Brehmers. 1874 kam es jedoch zum Bruch zwischen den beiden Ärzten und bereits 1876 wurde Dettweiler als leitender Arzt an die Heilanstalt in Falkenstein im Taunus berufen. Dieses Haus war 1874 vom „Ärztlichen Verein” zur Behandlung Frankfurter Bürger gegründet worden. Dettweiler führte schon bald die Liegekur und einen streng geregelten Tagesablauf ein, der seinem Sanatorium die Bezeichnung „Zuchtanstalt” einbrachte. Um die Übertragung der Krankheit durch das damals übliche Ausspucken auf den Boden zu unterbinden, erhielt jeder Patient einen Spucknapf, der regelmäßig desinfiziert werden konnte. Das 1889 von Dettweiler entwickelte Modell wurde wegen seiner Farbe schon bald mit dem Spitznamen „Blauer Heinrich” bezeichnet. [2] [5]

Das in einer Höhe von 400 m N.N. liegende Falkensteiner Sanatorium bestand aus einem Haupthaus mit stumpf ansetzenden Flügeln und zwei Nebengebäuden, die über gedeckte Galerien zugänglich waren. (Abb. [2]) In einem dieser Gebäude befand sich der Speisesaal, der etwa 200 Personen Platz bot. Im Hauptgebäude waren im Parterre Gesellschaftsräume wie Bibliothek, Büro und Postamt untergebracht und in den Obergeschossen die nach Süden ausgerichteten Patientenzimmer. Die Funktionsräume wie Dusch- und Baderäume, Arzt- und Wartezimmer waren in dem westlichen Nebengebäude untergebracht. Eine entscheidende Neuerung bildete der Anbau von Liegehallen an der Südseite des Hauptgebäudes, die allein der von Dettweiler entwickelten Freiluftliegekur dienten, bei der die Patienten etwa 10 Stunden des Tages auf Stühlen liegend - im Winter in dicke Decken gewickelt - ohne Anstrengung frische Luft atmen sollten. [2] [5]

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Abb. 2 Falkenstein im Taunus. Haupthaus der Heilanstalt (DIT).

Die Falkensteiner Anstalt zeigte bereits wesentliche Charakteristika von Lungenheilstätten, die sich auch in späteren Bauten wieder finden: Dies waren die Mittelgebirgslage, die relative Stadtnähe, der Park mit Spazierwegen sowie die Ausrichtung des Gebäudes in Ost-West-Richtung mit nach Süden weisenden Liegehallen und Patientenzimmern.

Der Karlsruher Arzt Karl Turban (1856 - 1935) eröffnete 1889 in Davos das erste Etablissement zur Behandlung der Tuberkulose in der Schweiz. Der im Westen von Davos Platz in einer Höhe von 1570 m N.N. liegende Hauptbau war nach Süden ausgerichtet. Zwei separate Villen, die als Wohnungen des Arztes und des Direktors dienten, standen über gedeckte Gänge mit dem Hauptbau in Verbindung. Ebenso wie in Falkenstein waren die Service- und Funktionsräume im Erdgeschoss untergebracht, die Patientenzimmer hingegen in den Obergeschossen. [7]

Das Therapiekonzept Turbans basierte ebenfalls auf strengster Disziplin nach dem Prinzip „Surveiller et punir”, das eine bedingungslose Unterwerfung unter den Arzt forderte. 5 bis 7 Stunden am Tag hatten die Pfleglinge zu liegen, ansonsten drohte der sofortige Anstaltsverweis. Neben der absoluten Geschlechtertrennung auch in den Aufzügen und Treppenhäusern sahen die autoritären Hausordnungen Dettweilers und Turbans absolute Ruhe vor. In den 1893 vorgelegten „Normalien für die Erstellung und Leitung von Heilstätten für Lungenkranke in der Schweiz” erachtete er Gesellschaftsräume sogar als überflüssig, da allein die Liegekur als „Aufgabe” wahrgenommen werden sollte. [8]

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Heilstättenbewegung und Sozialversicherungsgesetz

Im Deutschen Reich spielten die ab 1891 von Brehmer und Dettweiler eingeleiteten Therapieformen sowie die „Heilstättenbewegung” entscheidende Rollen. Man muss sich aber bewusst machen, dass nur Patienten im „1. Stadium” Aufnahme fanden; alle anderen wurden weiterhin in Siechenhäuser abgeschoben.

Der eigentliche Beginn der Heilstättenbewegung fällt in das Jahr 1882 und ist an die Forderung des Arztes Carl Driver (1841 - 1909) nach „Sanatorien für Minderbemittelte” geknüpft. In der Zeitschrift „Gartenlaube”, die etwa 5 Millionen Leser erreichte und somit das erste erfolgreiche deutsche Massenblatt darstellte, rief er 1882 zur Errichtung von „Volksheilstätten” auf. [9] Seinem Beispiel folgten zahlreiche Ärzte, die in solchen Einrichtungen einen Gewinn für die Volksgesundheit und die humanitären Aufgaben sahen. Im gleichen Jahr konnte mit der Entdeckung des Mykobakteriums durch Robert Koch die Ätiologie der Krankheit geklärt werden. Dennoch waren zunächst außer der Isolierung der Erkrankten keine Möglichkeiten der Seuchenbekämpfung erkennbar. In abgelegenen Stationen konnten viele Patienten aufgenommen und gleichzeitig kontrolliert werden - nur so bestand Aussicht auf Heilerfolg. Neben der Isolierung spielte auch die „Ausbildung… zur Prophylaxe für sich und andere” eine wesentliche Rolle, die den Einrichtungen zunehmend den Charakter von Erziehungsanstalten verlieh. Gleichzeitig begann auch die Diskussion über Art und Organisation der geplanten Einrichtungen. Die Disputanten waren sich einig, dass diese am Vorbild der Sanatorien auszurichten seien, um gleichzeitig die Isolierung als auch die Behandlung zu gewährleisten. Darüber hinaus konnte das Gefühl des Ausgleichs sozialer Ungerechtigkeit geweckt werden. Da die Krankenkassen noch keine finanziellen Mittel bereitstellten, war man darauf angewiesen, dass Vereine und Stifter als Träger zum „Volkswohl” beitragen wollten. Die Diskussion um die Errichtung von Heilstätten breitete sich auf kommunaler und Landesebene aus und führte 1888 zur Gründung einer Heilstätte in Hannover durch den „Ärztlichen Verein”. [2] [5]

Die 1890 von Robert Koch in Aussicht gestellte medikamentöse Tuberkulosebehandlung hielt die Heilstättenbewegung nicht auf: 1892 wurde in Falkenstein im Taunus vom „Frankfurter Verein für Reconvalescentenanstalten” die erste „Volksheilstätte” eröffnet, die an das bereits bestehende Sanatorium angegliedert wurde. (Abb. [3]) Bis 1894/95 wurde diese Einrichtung eher skeptisch betrachtet. Mit der Änderung der Alters- und Invaliditätsversicherung 1894/95 übernahmen die Kassen auch die Kosten für die Behandlung zur Wiederherstellung der Arbeits- und Erwerbstätigkeit und sorgten nun ihrerseits für die Errichtung von Heilstätten. [2] [5]

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Abb. 3 Ruppertshain im Taunus, Ansicht der 1892 eröffneten Volksheilstätte (DIT).

Einen weiteren wesentlichen Schritt bildete die Gründung des „Deutschen Zentralkommitees zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke” am 21. November 1895. Das Ziel des Vereins bestand in der Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit durch Errichtung von Volksheilstätten auf Grundlage des Arbeitsversicherungsgesetztes. Die finanziellen Mittel des Vereins sollten jedoch allein zur Errichtung der Heilstätten verwendet werden, nicht zu deren Unterhalt! Somit sollte der Verein, der von Kaiserin Auguste Viktoria protegiert und unter dem Ehrenvorstand des Reichsministers des Inneren stand, als übergeordnete Institution fungieren, die Heilstättenbewegung koordinieren und den Informationsaustausch sicherstellen. Des Weiteren sollten vom Verein herausgegebene Aufklärungsschriften und Hinweise über die Ursachen und vor allem vorbeugende Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit informieren.

Als weitere Sammelpunkte der Heilstättenbewegung wurden Heilstättenvereine gegründet, die jeweils die Errichtung einer eigenen Heilstätte für ihre Region auf kommunaler, städtischer oder Landesebene ermöglichten. Meist wurden sie von Ärzten initiiert und standen unter dem Protektorat des zuständigen Landesherren. So spannte sich in kurzer Zeit ein regelrechtes Heilstättennetz über Deutschland. [2]

Im Jahr 1899 fand in Berlin der „Internationale Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit” statt. Hier wurde der Neubau spezieller Anstalten für Tuberkulosepatienten diskutiert, da weder Raumkapazität noch Einrichtung der bestehenden Krankenhäuser und Einrichtungen geeignet waren. Gleichzeitig wurden von Baurat Schmieden bauliche Vorschriften vorgelegt, die die bewährte hygienisch-diätetische Therapie ermöglichen sollten. Von ärztlicher und verwaltungstechnischer Seite hingegen erläuterte Stabsarzt Schulzen die Erfordernisse, die solche Heilstättenbauten zu erfüllen hatten. Neben dem strengen hierarchischen Tagesablauf waren dies die absolute Geschlechtertrennung sowie das Unterbinden politischer sowie religiöser Agitationen. Zur Auflockerung des Tagesablaufs durfte manuelle oder musische Beschäftigung angeboten werden, die jedoch hinter den Kurvorschriften zurückzustehen hatte. Die Kosten zur Behandlung eines Patienten wurden auf 3 Mark am Tag beziffert, wobei 1,56 Mark allein für die Verpflegung gerechnet werden mussten. Der Kongress bildete einen Glanzpunkt in der Heilstättenbewegung, hatte er doch das hohe Ziel, „die Tuberkulose als Volkskrankheit, ihr Wesen, ihre Gefahren und die zurzeit vorhandenen Mittel zu ihrer Bekämpfung weitesten Kreisen vor Augen zu führen”. [10]

Wie wichtig die Errichtung von Volksheilstätten für das Deutsche Reich war, verdeutlich die Zeitschrift „Deutsche Industrie und Technik bei Errichtung und Betrieb von Sanatorien und Krankenhäusern” aus dem Jahr 1899, in der ausführlich Musterbeispiele von bereits bestehenden Volksheilstättenbauten des In- und Auslandes beschrieben wurden. [6]

Robert Koch zweifelte an der Wirksamkeit der Heilstättenbehandlung und deren Funktionalität, gestand ihr jedoch eine gewisse Berechtigung in bezug auf Eindämmung und Kontrolle zu. Nach dem Kongress entstand im Deutschen Reich eine regelrechte Heilstättenhysterie - es gehörte in gehobenen Kreisen quasi zum „guten Ton”, sich für den Bau einer Heilstätte in großen Umfang zu engagieren. Die Zahl wuchs ständig an, so dass zu den im Jahr 1899 bestehenden Heilstätten im Folgejahr bereits 7 hinzugekommen waren. 1902 bestanden dann 69 und 1908 verfügten die 99 bestehenden Bauten über 10 539 Betten. Ab 1904 sank der anfängliche Optimismus, da die Ausbreitung der Krankheit nicht eingedämmt werden konnte. Das Zentralkomitee wechselte daher mit seinem Namen in „Zentralkomitee zur Behandlung der Tuberkulose” auch seine Aufgabe und konzentrierte sich in Form von Artikeln in der Zeitschrift „Heilstättenkorrespondenz” auf die Prophylaxe. [5]

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Richtlinien zum Bau von Volksheilstätten unter Bezugnahme auf Grundrissvorbilder von Kurhaus und Krankenhaus

Ab 1894 wurde in Ruppertshain im Taunus der erste Neubau einer Volksheilstätte im Deutschen Reich errichtet. (s. Abb. [3]) Bereits 1899 wurde diese als „alma mater” bezeichnet und somit die Vorbildhaftigkeit für alle weiteren Heilstättenbauten betont. Und tatsächlich erfüllte der Bau dieser Heilstätte bereits „intuitiv” zahlreiche Bedingungen, die 1899 vom Deutschen Zentralkomitee unter dem Titel „Gesichtspunkte zum Bau einer Volksheilstätte für 100 männliche Lungenkranke” zusammengefasst und in der Zeitschrift „Deutsche Industrie und Technik bei Errichtung und Betrieb von Sanatorien und Krankenhäusern” veröffentlicht wurde. [6] Im Handbuch der Architektur wurden dann in der Ausgabe von 1903 erstmals allgemeine Richtlinien für den Bau von Lungenheilstätten aufgeführt, die von dem Arzt Stefan Ingerle aus medizinischer Sicht und Baurat Heino Schmieden aus architektonisch-technischer Sicht erarbeitet worden waren. [3] Allgemein schien den Medizinern eine Mittelgebirgslage in einer Höhe zwischen 200 und 700 m über N.N. aufgrund der günstigen Luftbedingungen als geeignet für den Heilstättenbau. Bei der Auswahl des Bauplatzes war aber darüber hinaus darauf zu achten, dass kein extremes Klima mit Regen, Dürre, Schnee, Nebel oder Insekten auftrete. Die bereits erläuterte Therapieform hatte besonderen Einfluss auf die Bauform und die Einrichtung von Liegehallen, Bade- und Inhalationsräumen. Die Größe des zu bebauenden Geländes, die Frage der Klientel, die möglichen Maßnahmen zur Trennung der Geschlechter und die zur Verfügung stehenden Geldmittel beeinflussten natürlich Größe und Qualität der Bauausführung. Die baulichen Richtlinien stellten demnach ein Mindestmaß dar und zwar auch in Hinblick auf Größe, Technik und hygienischen Anforderungen. Zur Sicherung der Rentabilität der Anstalt empfahl man mindestens 80 Patienten, maximal jedoch 200. Als Mindestsumme sollten für den Bau ohne Grunderwerb 2500 Mark pro Bett veranschlagt werden.

Die „Gesichtspunkte” regelten neben dem Bauplatz auch den Plan der Gesamtanlage und die Art der einzelnen Gebäude, wie die Patientengebäude mit Schlaf-, Aufenthalts- und Speiseräumen; aber auch die Wirtschafts- und Versorgungsbauten. Darüber hinaus wurden technische und räumliche Bestimmungen erlassen, die Material und Bauart der Fußböden, Decken, Wände, Heizungen, Fenster, Beleuchtung, Wasserversorgung, Feuersicherheit etc. festlegten. Letztendlich wurde aber auch für den Charakter der Bauten eine Empfehlung ausgesprochen: wurden die Volksheilstätten doch im Volksmund als „Zuchtanstalten” bezeichnet und die Patienten oftmals gegen ihren Willen therapiert, da die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch nicht geregelt war, sollten sie Gemütlichkeit ausstrahlen und die Patienten sich dort so wohl fühlen „wie…am eigenen Herde” - auf keinen Fall durften sie im Äußeren Krankenhäusern gleichen. Dies erreichte man oft durch die Verwendung von Fachwerk, das aber aus hygienischen Gründen auf die Obergeschoss- und Dachgestaltung beschränkt wurde.

Prinzipiell sollten die Bauten in der Nähe von Städten errichtet werden, damit sich die Patienten dort der Therapie unterziehen konnten, wo sie auch lebten und arbeiteten: also in ihrer eigenen Heimat. Mit dieser Forderung hing natürlich auch die Finanzierbarkeit durch die Ortskrankenkassen eng zusammen, die keine Reisekosten tragen konnten! [2]

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Idealpläne, Wettbewerbe und Weltausstellung Grundrisse

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Der Idealplan von Sigmund Adolphe Knopf (1895)

Im Jahr 1895 veröffentlichte der Arzt Siegmund Adolphe Knopf erstmals den Plan eines „Idealsanatoriums”. [7] Nach seinem Studium der Medizin in Kalifornien arbeitete er als praktischer Arzt zunächst in New York, später in Paris. Die hohe Tuberkulosesterblichkeit, die er in beiden Großstädten erlebte, veranlasste ihn, in seiner Promotion nicht nur die Ursachen und Auswirkungen der Krankheit zu untersuchen, sondern sich vielmehr auch deren Therapie zu widmen. Bei seinen zahlreichen Reisen durch Europa und die USA überzeugten ihn die Erfolge der hygienisch-diätetischen Therapie in verschiedenen Heilstätten. Daher griff er diese Therapieform auf und entwarf gemeinsam mit dem befreundeten Architekten van Pelt einen Bauplan, der sowohl den medizinischen Erfordernissen als auch den baulichen in Hinblick auf Therapie, Tagesablauf, Hygiene etc. gerecht wurde: also einen „Idealplan”, der den Höhepunkt seiner Arbeit bildete, die bereits im Jahr 1900 in zweiter Auflage erschien.

Knopf bevorzugte als Bauplatz ebenfalls die klimatisch gemäßigte Mittelgebirgslage mit einer Höhe zwischen 300 und 700 m über N.N. Als Bautypus selbst empfahl er ein durch Galerien verbundenes Pavillonsystem, das aus Gründen der Rentabilität zwischen 70 und 100 Patienten aufnehmen sollte. Bei der Konzeption des Gebäudes rückte er die Zweckmäßigkeit der Architektur in den Vordergrund, zu deren Gunsten die Möglichkeiten der ästhetischen Wirkung vernachlässigt werden durften.

Der Plan (Abb. [4]) zeigt das aus drei Pavillons bestehende Sanatorium (A). Die einzelnen Pavillons sind durch verglaste Galerien (B) verbunden und an der Südseite befinden sich die Liegehallen. Das Service-Gebäude mit Küche (E) und Speisesaal (C) befindet sich hingegen nördlich hinter dem mittleren Pavillon, der Zugang erfolgt ebenfalls über gedeckter Galerien (B). Weiter nördlich grenzt ein Wintergarten (D) an. Die Verwaltungsgebäude mit den notwendigen Büros sind von Knopf in einem weiter nördlich liegenden, separaten Gebäudeteil (F) vorgesehen und werden vom Ärztewohntrakt (G) und einem Besucherhaus (H) flankiert. Um gegebenenfalls Patienten isolieren zu können, sieht der Plan Knopfs eine Isolierstation (K) vor. Aus symmetrischen Gründen empfiehlt Knopf im Osten einen Erholungspavillon (L).

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Abb. 4 Idealplan für ein Sanatorium nach Knopf und van Pelt (Knopf, 1900).

Die Kuh- und Pferdeställe (N) befinden sich in unmittelbarer Nähe des Besucherhauses und finden ihre Entsprechung im westlich gelegenen Desinfektionsgebäude (M), in dem außerdem eine Leichenkammer und ein Sezierraum eingerichtet werden können. Nach Norden schließen Wärter- und Gartenhäuschen (I, J) die Anlage ab.

Die für den täglichen Verkehr und die Versorgung notwendigen Wirtschaftsgebäude scheinen auf diesem Plan zu fehlen. Knopf plante vermutlich, diese in einem Seitental unterzubringen, um die Krankengebäude von Lärm- und Geruchsbelästigungen zu verschonen. Nähere Angaben zu Bau und Umfang der Wirtschaftsbetriebe formulierte Knopf nicht, sondern konzentrierte sich auf den Kernbereich der zur Therapie notwendigen Bauten.

In ihrem Inneren sollten die Pavillons gleichartig ausgebaut werden: im Erdgeschoss waren jeweils ein Salon, eine Bibliothek, Therapieräume und Bäder vorgesehen. In dem mittleren Pavillon konnten darüber hinaus das ärztliche Untersuchungszimmer sowie ein Inhalationsraum untergebracht werden. Die nach Süden gerichteten Krankenzimmer lagen in den Obergeschossen und sollten jeweils ein Volumen von 65 m3 Luft fassen. Außerdem verfügte jedes Zimmer über einen nach Süden weisenden Balkon. (Abb. [5]) Für die Krankenpfleger waren Zimmer in Annexbauten der Krankenpavillons eingerichtet. Die gesamte Anlage sowie weitere Hallen leichterer Bauart legte Knopf in die Mitte einer großzügigen Parkanlage.

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Abb. 5 Grundriss der ersten Etage eines Pavillons nach Knopf und van Pelt (Knopf, 1900).

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Abb. 6 Liegesessel für ein Sanatorium nach Knopf (Knopf, 1900).

Für die Innenausstattung forderte Knopf hohe hygienische Ansprüche, die sich auch auf das Mobiliar erstrecken. Wie der Entwurf eines Liegesessels in Abb. [6] zeigt. Außerdem verlangte er breite und feuersichere Treppen und setzte elektrische Beleuchtung voraus, was 1895 als Novum gelten kann, wenn man bedenkt, dass erst nach der Jahrhundertwende elektrische Beleuchtung als Standardeinrichtung für Luxushotels eingeführt wurde. [7]

Der Plan von Knopf zeigt eine konsequent durchgehaltene Symmetrie, die sich auch auf die Position sowie die Anlage der Nebengebäude erstreckt. Diese sind so angelegt, dass sie sowohl ihrer Funktion gerecht werden als auch keine unnötigen Wege verursachen.

Trotz der zahlreichen Räume, die der Bequemlichkeit dienen, wie Balkone, Bibliotheken etc. legte Knopf hohen Wert auf eine möglichst einfache und kostengünstige Realisierung des Heilstättenbaus. Möglicherweise erfolgten diese Forderungen in Hinblick auf die Anwendbarkeit bei einem Volksheilstättenbau; im Jahr 1895 befand sich die Volksheilstätte Ruppertshain im Taunus bereits im Bau und Knopf war über den mit Dettweiler gepflegten Briefkontakt über die Notwendigkeiten, Anforderungen und auch Probleme sicherlich informiert.

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Der Entwurf von Hannotin (1898)

Der französische Architekt Paul-Henri Hannotin wurde im Jahr 1898 von der bedeutendsten Kunstausstellung, dem Pariser Salon, für seinen Entwurf eines Sanatoriums ausgezeichnet, der jedoch nicht zur Ausführung gelangte. Der gleichzeitig vorgestellte und ebenfalls ausgezeichnete Theaterbau wurde hingegen in Amiens verwirklicht. Die Auszeichnung des Sanatoriums-Entwurfs erfolgte aufgrund seiner „erstrangigen und durchdachten” Konzeption. [11] Hannotin legte seinem Entwurf das Serviceprogramm zugrunde, das sich im Bau von Sanatorien bereits bewährt hatte und mit den neuesten Therapien der Tuberkulosebehandlung und der funktionalen Benutzung übereinstimmte.

Die Grundriss der verschiedenen Etagen (Abb. [7]) zeigten einen gestreckten Bau im Korridor-System. Nach Norden springt aus dem von Flügeln flankierten Mittelbau ein rechteckiger Baukörper hervor, der einen mit Glas überdeckten Innenhof umgibt.

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Abb. 7 Grundriss der verschiedenen Etagen eines Sanatoriums nach Hannotin (Le Moniteur des Architectes, 1898).

Nach einer Beschreibung aus dem Jahr 1899 sollten in der Eingangsetage an der Südseite entlang Räume liegen, die über den nördlich verlaufenden Korridor begehbar waren. Im vorspringenden Mitteltrakt wären nach Norden hin die Küchenräume, der Speisesaal für das Personal und die Verwaltung untergebracht worden. Im westlichen Pavillon sollten sich der Haupteingang und der Servicebereich befinden, wohingegen zu beiden Seiten des Mittelbaus die Treppenhäuser mit Zugängen zu den oberen Etagen untergebracht werden sollten. An der Südfassade würde eine ebenerdig angelegte Säulenhalle der Aufstellung von Liegesesseln dienen und das kompositorische Hauptmotiv bilden. Eine dahinter liegende verglaste Galerie sollte die Versorgung der Patienten durch das Personal ermöglichen.

Zum Speisesaal sollten die Patienten durch eine große, verglaste Halle gelangen, die gleichzeitig für die danebenliegenden Arzt- und Verwaltungsräume als Warteraum genutzt werden konnte. Der Speisesaal war im Obergeschoss des Mittelbaus vorgesehen, in den Seitenflügeln nördlich der Korridore hingegen die Baderäume, wobei sich im Westflügel die für die männlichen und im Ostflügel die für die weiblichen Patienten befinden sollten. Im Westpavillon erkennt man den ovalen Gesellschaftsraum, der von Billardzimmer, Raucherzimmer und Damensalon an der Nordseite begleitet wird.

Als Besonderheit und entscheidende Neuerung heben die zeitgenössischen Fachzeitschriften hervor, dass Hannotin seine Konstruktion mit einem der modernsten Materialien, dem Eisenbeton (armierter Zement), geplant hatte. So sollte durch optimale Nutzung der Materialeigenschaften sich stets in Winkeln und Ecken ablagernder Staub und Unrat vermieden werden. Dies zeigt das Fortschrittsbewusstsein der Klientel, von dem die Bauten der Volksheilstätten besonders in technischer Hinsicht profitierten. [11]

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Die Weltausstellung (1900)

Am 14. April 1900 eröffnete Präsident Loubet in Paris die Weltausstellung. Auf dieser wurden in 18 Gruppen und 121 Klassen Werke von insgesamt 100 000 Ausstellern gezeigt. Das Deutsche Reich stellte in der Haupthalle des Landwirtschaftsgebäudes auf dem Marsfeld Pläne von Hospital- und 39 der 49 existierenden deutschen Heilstättenbauten aus. Hiermit zeigte Deutschland einzigartig Pläne solcher Heilstätten. Andere Länder beschränkten sich lediglich auf die Präsentation von Hospitalbauten. England zeigte beispielsweise ein Transport-Ambulanzschiff, ein als Isolierspital ausgebautes Boot sowie die Pläne eines provisorischen Spitals für Fieberkranke. Selbst Österreich, das zu dieser Zeit über eine Reihe hervorragender Heilstätten verfügt haben soll, stellte diese nicht vor.

Zu den ausgestellten deutschen Heilanstalten zählten unter anderem Edmundsthal bei Hamburg, die Dr. Brehmersche Heilstätte in Görbersdorf, Falkenstein im Taunus, Sandbach im Odenwald, Ruppertshain im Taunus, Loslau, Hohenhonnef am Rhein und Sülzenhayn. Dies zeigt, dass die ersten Bauten für Tbc-Therapie noch immer als vorbildlich und repräsentativ angesehen wurden. Außerdem verdeutlicht es, dass man in den Heilstättenbauten eine große nationale Aufgabe sah. Die Präsenz auf der Weltausstellung lässt auch die Bedeutung erkennen, die der Errichtung, Planung und Ausführung derartiger Anlagen in bezug auf Industrie, Technik, Ingenieurwesen und Architektur zukam. [12]

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Die Idealpläne von Turban (1902)

Der Arzt Karl Turban arbeitete 1902 im Rahmen einer Ausschreibung für ein Tuberkulose-Sanatorium in England zwei Idealentwürfe aus, gemeinsam mit dem Hotelarchitekten Jaques Gros, die jedoch beide nicht zur Ausführung gelangten. Die Ausschreibung sah eine Anstalt für 88 Minderbemittelte und 12 Wohlhabende vor. Da für den Wettbewerb keine konkrete Bauplatzsituation vorgegeben war, entstanden die Entwürfe unter folgender Voraussetzung, die auch im Handbuch der Architektur von 1903 zugrunde gelegt wurden: „Ein Sanatorium für Tuberkulöse muss so angelegt sein, dass erstens die Behandlungsmethode darin leicht und vollkommen durchgeführt werden kann, dass zweitens die Art des Baues und der Einrichtung des Haftens und die Verbreitung von Infektionsstoffen verhindert und dass drittens eine Anpassung an die topografischen und klimatischen Verhältnisse des Bauplatzes möglich ist.” [13]

Der erste Plan Turbans zeigt ein im Korridor-System errichtetes Hauptgebäude mit nach Süden gerichteter, konkav gebrochener Front. (Abb. [8]) Der Bau besteht aus drei untereinander verbundenen Krankenpavillons, wobei der westliche der Beherbergung weiblicher, der östliche hingegen der männlicher Patienten dient. Die Liegehallen sind auch hier der Fassade im Süden vorgelagert und erstrecken sich über die gesamte Front. Nach Westen schließt sich an den Außenbau eine Wandelhalle an, die als gedeckter Gang zum Arzthaus führt, während eine zweite im Osten mit einem nicht weiter definierten Rundbau endet.

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Abb. 8 Entwurf I für ein Tuberkulose-Sanatorium nach Turban und Gros (Turban, 1909).

Ein Gang verbindet das Hauptgebäude mit dem Nordbau. Bei diesem handelt es sich um einen ebenfalls in Ost-West-Richtung gestreckten, schmalen Bau im Korridor-System, der jedoch kürzer ist und den Korridor auf der Südseite führt. In seiner Mitte liegt der Haupteingang, im westlichen Flügelteil die nach Norden ausgerichteten medizinischen und der Therapie dienenden Räume. Im östlichen Teil sind die Wirtschaftsräume mit Küche und danebenliegendem Speisesaal untergebracht.

Im Norden schließt eine Kapelle die Anlage ab, die aufgrund ihres polygonalen Abschlusses als Sakralbau zu erkennen ist. Neben der Apsis sind zwei Räume vorgesehen, die als Leichenkammer und Sezierraum genutzt werden sollen. [4]

Der zweite Plan Turbans sieht einen kreuzförmigen Grundriss vor. (Abb. [9]) Die zuvor beschriebenen Gebäudeteile werden hier in Aufbau und Funktion weitgehend übernommen, jedoch kreuzförmig übereinander gesetzt. Somit durchdringt der vorherige Trakt mit Wirtschafts- und Behandlungsbereich den Hauptbau in Nord-Süd-Richtung. Im Kreuzungspunkt dieser beiden Bauteile liegt die Empfangshalle. Auch bei diesem Plan befinden sich die Liegehallen vor den Krankenpavillons, doch sind weitere drehbare Hallen vor der Südseite im Garten untergebracht. [4]

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Abb. 9 Entwurf II für ein Tuberkulose-Sanatorium nach Turban und Gros (Turban, 1909).

Beide Grundrisse zeigen in ihrer Dreiteiligkeit die Trennung der Funktionen in Krankenbau, Wirtschaftsbau und medizinisch-therapeutischen Trakt, wobei letzterer im zweiten Plan aufgrund der Drehung an der Südseite des Komplexes zu liegen kommt. Bei den Entwürfen kann die Aufteilung der Geschlechter in verschiedene Gebäudeabschnitte nachvollzogen werden, da diese in den sich gegenüberliegenden Seitenflügeln untergebracht werden sollten. Eine genaue Trennung der Bemittelten und Minderbemittelten ist hingegen anhand des Grundrisses nicht feststellbar. Vermutlich war die Unterscheidung anhand der mehr oder weniger luxuriösen Ausstattung und der Zimmerbelegung geplant.

Die Gestaltung der Fassade und auch die Außenform können aus den vorliegenden Plänen nur skizzenhaft erahnt werden. Es existieren jedoch Beschreibungen Turbans, die sich auf die Inneneinrichtung beziehen. Als Besonderheit sollten die Südwände von Wohn- und Schlafzimmern mit beweglichen Glaswänden versehen werden, um eine bessere Belichtung zu ermöglichen. Im Erdgeschoss sollten diese außerdem ins Souterrain versenkbar sein. Die Inneneinrichtung wurde von Turban besonders hervorgehoben: Weiß angestrichene Stahlrohrmöbel, elektrische Beleuchtung und freistehende Betten vor den Wänden. Zusätzlich sollte ein Bodenbelag aus Euböolith und mit Ripolin gestrichene Wände über die hygienischen Anforderungen hinausreichen und den hohen Standard der Anstalt repräsentieren. [4]

Obwohl keiner der Pläne ausgeführt wurde, hatten die Entwürfe entscheidenden Einfluss auf den Heilstättenbau in Hinsicht auf Licht, Luft und Hygiene als bestimmende Faktoren der Sanatoriumsarchitektur.

Als Arzt hatte der „Tuberkulose-Tyrann” Karl Turban auch an der Idee für ein Volkssanatorium gearbeitet und die bereits beschriebenen „Normalien” von 1893 als Ergebnis veröffentlicht. Ein solches Volkssanatorium konnte mit der Zürcher Höhenklinik Wald realisiert werden, dessen Pläne ebenfalls von Turban ausgearbeitet worden waren und die 1898 eröffnet wurde.

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Betrachtung der Idealpläne und Auswertung

Die oben beschriebenen Idealpläne zeigen in der Grundrissdisposition Übereinstimmungen mit Hotel- und Kurhotelbauten. Bei allen Entwürfen sind die Krankengebäude im Korridor-System ausgeführt und erstrecken sich in Ost-West-Richtung mit nach Süden ausgerichteten Krankenzimmern. Diese liegen stets in den Obergeschossen des Gebäudes, wohingegen in den Erdgeschossen die Räume für Verwaltung, ärztliche Behandlung und Therapie angelegt werden sollten. Haupteingang und Speisesaal findet man fast immer im Norden, wobei es sich hierbei entweder um einen vorspringenden Bauteil oder auch um ein separates und durch gedeckte Gänge verbundenes Gebäude handeln konnte.

Ein wesentliches Element der Heilstättenbauten stellten die gedeckten Gänge dar, da sie sowohl der Verbindung zweier Gebäude als auch dem Lustwandeln der Patienten bei schlechter Witterung dienen konnten. Mit Unterbringung der Versorgungsbauten im Norden des Gebäudes wurden Geräusche und Ausdünstungen von den Fenstern der Krankenzimmer und den Liegehallen ferngehalten.

Die Zweckmäßigkeit in bezug auf die Versorgung der Wirtschaftsgebäude kann leider nicht beurteilt werden, da in keinem der vorgestellten Pläne Versorgungs- und Fahrwege eingezeichnet sind. Besonders bei Plan I von Turban kann man anmerken, dass die Versorgung des nördlichen Wirtschaftsbaus zwischen den Gebäuden hätte erfolgen müssen, und somit die Ruhe der Patienten vermutlich gestört worden wäre.

Die Anlagen der Liegehallen entsprechen jedoch in keinem der Pläne dem Rat aus dem Architektur-Handbuch, das sie vor den Hauswänden liegend empfiehlt. Möglicherweise bewerteten die Entwerfer an das Hauptgebäude ansetzende Liegehallen als nicht notwendig, da stets zusätzliche, freistehende und auch drehbare Hallen in den Garten- und Parkanlagen vorgesehen waren.

Die Fassaden der Entwürfe von Knopf und Hannotin zeigten wuchtige und massive Fronten, wohingegen bei dem Entwurf Turbans diese aufgrund der geschwungenen Form graziler und einladender wirkte.

Einen weiteren wichtigen Unterschied bildeten die Intentionen der Entwerfer. Obwohl weder zu dem Salonentwurf Hannotins noch zu den Idealplänen Turbans die genauen Ausschreibungstexte bekannt sind, lässt der Beruf der Planer einige Schlüsse zu. Das Interesse des Arztes Knopf lag primär in der Heilung der Kranken. Daher ging er von medizinischen Grundlagen aus und war zur zeichnerischen Umsetzung auf die Hilfe des Architekten van Pelt angewiesen. Vermutlich formulierte Knopf die hygienischen Grundlagen und zog Rückschlüsse aus den besichtigten Sanatorien und Heilstätten, die dann von van Pelt unter Zuhilfenahme von Grundrissvorbildern aus Hotel- und Sanatoriumsbauten umgesetzt wurden.

Ähnlich wird es bei Turban gewesen sein. Seine Position als anerkannter Tuberkulosearzt gestattete es ihm jedoch, die Hilfe eines ebenso bekannten Hotel-Architekten in Anspruch zu nehmen. Weshalb seine Entwürfe nicht realisiert wurden, ist unbekannt.

Bei Hannotin hingegen handelte es sich um einen rein architektonischen Entwurf, so dass dieser auch am ehesten an ein Kurhotel erinnert. Die für eine Lungenheilanstalt notwendigen Versorgungseinrichtungen wie Wasch- und Desinfektionsräume, Arzthaus etc. finden hier keine Erwähnung. Sein Entwurf war jedoch aufgrund der technischen Neuerungen von Bedeutung.

Es bleibt noch die Frage zu stellen, weshalb keiner der Pläne umgesetzt wurde. Vermutlich liegt dies daran, dass keiner auf eine konkrete Geländesituation bezogen war, es sich also in keinem Fall um einen „Bauplan” handelte. Auf diese Schwierigkeit hatte Turban hingewiesen und deshalb alternative Vorschläge ausgearbeitet. Auch die Anforderung für den Bau einer Volksheilstätte im Handbuch der Architektur verdeutlichen dies: Der Bauplatz sollte, wie beschrieben, von einem Gremium, bestehend aus Architekt, Arzt und Ingenieur, ausgewählt werden. [3] Außer diesen örtlichen Bedingungen waren dann auch noch die Wünsche und Ansprüche der Auftraggeber und die zur Verfügung stehenden Geldmittel zu beachten, die meistens einen limitierenden Faktor, besonders hinsichtlich der Ausstattung, bildeten.

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Literatur

  • 1 Mann T. Der Zauberberg. Berlin; 1924 (1997)
  • 2 Tracht D. Die Volksheilstätte Ruppertshain im Taunus ( = Rad und Sparren, Nr. 33 Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus e. V.). Kelkheim (Taunus); 2004
  • 3 Handbuch der Architektur, III. Teil, 5. Halbband, Gebäude für Heil- und sonstige Wohlfahrts-Anstalten, 2. Heft, Verschiedene Heil- und Pflegeanstalten. Darmstadt; 1903
  • 4 Miller Q. Le Sanatorium. Architecture d'un Isolement sublime. Lausanne; 1992
  • 5 Langerbeins I. Lungenheilstätten in Deutschland (1854 - 1945). Köln: Diss.-Med. Köln 1979
  • 6 Deutsche Industrie und Technik bei Einrichtung und Betrieb von Sanatorien und Krankenhäusern (DIT) .Denkschrift für den Deutschen Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, Berlin 24. bis 27. Mai 1899, hrsg. von G. Pannwitz. Berlin; 1899
  • 7 Knopf S A. Les Sanatoria. Traitement et Prophylaxie de la Phtisie Pulmonaiere. Thèse pour le Doctorat en Médecine. 1895, Paris 1895; 1900
  • 8 Turban K. Normalien für die Erstellung und Leitung von Heilanstalten für Lungenkranke in der Schweiz, o. O. 1893
  • 9 Driver K. Volksheilstätten für Lungenkranke. In: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt. 1890: 570-572
  • 10 Einrichtung und Betrieb von Volksheilstätten und Heilerfolge. In: Berichte über den Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, Berlin 24. bis 27. Mai 1899, hrsg. von G. Pannwitz. Berlin; 1899: 510-515
  • 11 Fugairon J. Explication des Planches. In: Le Moniteur des Architectes. 1899: 80
  • 12 Katalog Weltausstellung Paris .Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches. Berlin; 1900
  • 13 Turban K. Tuberkulose-Arbeiten 1890 - 1909 aus Dr. Turbans Sanatorium. Davos; 1909

Daniela Tracht

Ritterhaus Bubikon · Museumsleiterin

Allmenstr. 9

8608 Bubikon

Schweiz

Email: daniela.tracht@gmx.de

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Literatur

  • 1 Mann T. Der Zauberberg. Berlin; 1924 (1997)
  • 2 Tracht D. Die Volksheilstätte Ruppertshain im Taunus ( = Rad und Sparren, Nr. 33 Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus e. V.). Kelkheim (Taunus); 2004
  • 3 Handbuch der Architektur, III. Teil, 5. Halbband, Gebäude für Heil- und sonstige Wohlfahrts-Anstalten, 2. Heft, Verschiedene Heil- und Pflegeanstalten. Darmstadt; 1903
  • 4 Miller Q. Le Sanatorium. Architecture d'un Isolement sublime. Lausanne; 1992
  • 5 Langerbeins I. Lungenheilstätten in Deutschland (1854 - 1945). Köln: Diss.-Med. Köln 1979
  • 6 Deutsche Industrie und Technik bei Einrichtung und Betrieb von Sanatorien und Krankenhäusern (DIT) .Denkschrift für den Deutschen Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, Berlin 24. bis 27. Mai 1899, hrsg. von G. Pannwitz. Berlin; 1899
  • 7 Knopf S A. Les Sanatoria. Traitement et Prophylaxie de la Phtisie Pulmonaiere. Thèse pour le Doctorat en Médecine. 1895, Paris 1895; 1900
  • 8 Turban K. Normalien für die Erstellung und Leitung von Heilanstalten für Lungenkranke in der Schweiz, o. O. 1893
  • 9 Driver K. Volksheilstätten für Lungenkranke. In: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt. 1890: 570-572
  • 10 Einrichtung und Betrieb von Volksheilstätten und Heilerfolge. In: Berichte über den Kongress zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, Berlin 24. bis 27. Mai 1899, hrsg. von G. Pannwitz. Berlin; 1899: 510-515
  • 11 Fugairon J. Explication des Planches. In: Le Moniteur des Architectes. 1899: 80
  • 12 Katalog Weltausstellung Paris .Amtlicher Katalog der Ausstellung des Deutschen Reiches. Berlin; 1900
  • 13 Turban K. Tuberkulose-Arbeiten 1890 - 1909 aus Dr. Turbans Sanatorium. Davos; 1909

Daniela Tracht

Ritterhaus Bubikon · Museumsleiterin

Allmenstr. 9

8608 Bubikon

Schweiz

Email: daniela.tracht@gmx.de

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Abb. 1 Ansicht des 1862 - 78 errichteten „Alten Kurhauses” in Görbersdorf, Schlesien (Ortmann, 1899).

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Abb. 2 Falkenstein im Taunus. Haupthaus der Heilanstalt (DIT).

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Abb. 3 Ruppertshain im Taunus, Ansicht der 1892 eröffneten Volksheilstätte (DIT).

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Abb. 4 Idealplan für ein Sanatorium nach Knopf und van Pelt (Knopf, 1900).

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Abb. 5 Grundriss der ersten Etage eines Pavillons nach Knopf und van Pelt (Knopf, 1900).

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Abb. 6 Liegesessel für ein Sanatorium nach Knopf (Knopf, 1900).

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Abb. 7 Grundriss der verschiedenen Etagen eines Sanatoriums nach Hannotin (Le Moniteur des Architectes, 1898).

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Abb. 8 Entwurf I für ein Tuberkulose-Sanatorium nach Turban und Gros (Turban, 1909).

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Abb. 9 Entwurf II für ein Tuberkulose-Sanatorium nach Turban und Gros (Turban, 1909).