In dem Editorial zum 30. Band der Forschungsergebnisse der pädiatrischen Onkologie
und Hämatologie/Berichte der GPOH ist an den Schritt von der Pilotstudie zur kooperativen
prospektiven Multizenterstudie mit möglichst flächendeckender Erfassung aller Patienten
erinnert worden [3]. Die konsequente Weiterentwicklung dieser Form der klinischen Forschung hat zum
Kompetenznetz der GPOH und zu Konzepten der Qualitätssicherung in der Pädiatrischen
Onkologie geführt [1]. Parallel sind Fragestellungen aus den klinischen Studien heraus entwickelt worden,
die zu einer intensiven therapiebegleitenden Laborforschung und konsekutiv zur Einrichtung
von speziellen Forschungsprofessuren für die experimentelle bzw. präklinische Onkologie/Hämatologie
geführt haben [2]. Beispielhaft für diese Entwicklungen sind die ersten beiden Beiträge.
Bei der akuten lymphatischen Leukämie gilt allgemein ein Alter über 10 Jahre als prognostisch
ungünstiger Risikofaktor, so dass diese Patienten eine intensivere Chemotherapie erhalten.
Mit dem Beitrag von Möricke u. Mitarb. zeichnet die BFM-Gruppe erstmals in einer retrospektiven
Analyse an 4 356 Patienten ein differenzierteres Bild dieser Globalaussage: Nicht
das Alter an sich ist der Risikofaktor, sondern die mit dem Alter zunehmende Zahl
der weniger gut zu behandelnden Leukämieformen, die unter dem Begriff ALL subsumiert
werden. Diese Information ist in zweifacher Weise stimulierend: Die prätherapeutische
Diagnostik gewinnt eine weiter zunehmende Bedeutung für die Therapiestratifizierung,
um sowohl Über- als auch Unterbehandlungen zu vermeiden. Längerfristig wird die Erforschung
der Tumorbiologie auf molekularer Ebene für verschiedene ALL-Formen sehr spezifische
Behandlungsverfahren eröffnen, wie es bei Erwachsenen mit chronisch-myeloischer Leukämie
und dem Tyrosinkinaseinhibitor Imatinib schon gelungen ist [7].
Als bisher einziges ALL-spezifisches Medikament gilt die Asparaginase, da die pathologischen
Lymphoblasten Asparagin nicht synthetisieren können, aber als Wachstumsfaktor benötigen.
Die beiden zur Verfügung stehenden biologischen Präparate besitzen eine hohe Antigenität,
die zu akuten allergischen Reaktionen, aber auch zu einer stummen Inaktivierung des
Zytostatikums führen kann. Wenner u. Mitarb. haben bei Patienten der COALL-Studiengruppe
die Asparagindepletion in Abhängigkeit von der Zahl und Höhe der verabreichten Asparaginasedosen
und dem verwendeten Präparat untersucht. Die dargelegten Ergebnisse zeigen, dass 2
500 IE/m² der mit Polyethylenglykol konjugierten Asparaginase bei einem höheren Anteil
der Patienten zu einer lang dauernden Asparagindepletion führen als 45 000 IE/m² des
nativen Präparates. Diese hoch dosierte Therapie war aufgrund von frühen Produktinformationen
zur Halbwertzeit der E.-coli-Asparaginase gewählt worden. Ob aufgrund der selbst generierten
pharmakokinetischen Daten vorgenommene Therapieumstellungen zu einem besseren Überleben
führen, kann nur die Langzeitbeobachtung zeigen.
Ein Beispiel der interdisziplinären therapiebegleitenden Diagnostik stellt die Positronenemissionstomographie
mit radioaktiv markierter Glukose dar. Zurzeit wird bei Patienten mit M. Hodgkin im
Rahmen der Therapieoptimierungsstudie HD 2003 die prognostische Bedeutung dieses Untersuchungsverfahrens
prospektiv geprüft [6]. Amthauer u. Mitarb. berichten hier von einer Pilotstudie bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen.
Trotz der limitierten Fallzahl wird erkennbar, dass die zu beantwortenden Fragestellungen
bei NHL-Lymphomen völlig andere sind als bei Patienten mit Hodgkin-Lymphomen [6]
[10]. Dies zeigt, wie wichtig es ist, standardisierte Verfahren bei vermeintlich ähnlichen
Erkrankungen differenziert zu evaluieren.
Bei Kindern mit lebensbedrohenden Bluterkrankungen und Versagen der konventionellen
Therapiemaßnahmen bietet die hämatopoetische Stammzelltransplantation kurative Chancen.
Trotz der in Deutschland im Allgemeinen sehr intensiven Vorbehandlungen mit ihren
hohen Heilungsraten ermöglicht diese sehr eingreifende Salvage-Therapie bei etwa der
Hälfte der Kinder mit refraktärer Erkrankung ein langfristiges Weiterleben. Da zunehmend
weniger Kinder ein HLA-identisches Geschwister für diese potenziell lebensrettende
Therapie haben, werden im Bedarfsfall alternative Verfahren eingesetzt. Drei Möglichkeiten
stehen zur Verfügung, die ihre unterschiedlichen Limitierungen, aber auch speziellen
Vorteile haben:
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Mit HLA-kompatiblen unverwandten Stammzellspendern lassen sich auch bei den in Deutschland
vorbehandelten Patienten vergleichbare Heilungsraten erzielen wie mit verwandten Spendern
[9]. Allerdings wird nur für etwa zwei Drittel der Patienten ein gut passender Fremdspender
gefunden, obwohl mittlerweile in den miteinander vernetzten Spenderdateien mehr als
acht Millionen freiwillige Stammzellspender bereit stehen.
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Diese Spenderlücke kann zu einem erheblichen Teil durch Cord Blood geschlossen werden,
da bei Einsatz von neonatalen Blutstammzellen auch bei Nichtübereinstimmung von 1
bzw. 2 der wichtigsten 6 Transplantationsantigene bei Kindern vergleichbar gute Behandlungsergebnisse
wie mit adulten Zellen von HLA-kompatiblen Spendern erreichen lassen [8].
-
Die haploidente Stammzelltransplantation ist dagegen immer möglich, da in der Regel
jedes Kind zumindest einen Elternteil hat. Das besondere Risiko stellt die lebensbedrohende
Spender-gegen-Empfänger-Krankheit dar, zu deren Vermeidung die T-Zellen aus dem Transplantat
vor seiner Verabreichung eliminiert werden. T-Zellen andererseits sind aber erforderlich,
um ein Anwachsen der transplantierten Stammzellen zu ermöglichen und vor Infektionen
bzw. Rezidiven zu schützen.
Drei Publikationen haben die haploidente Transplantation zum Inhalt.
Lang u. Mitarb. berichten über drei verschiedene Vorgehensweisen, um die haploidenten
Transplantate in geeigneter Weise zu bearbeiten. Bei Kindern mit ALL werden inzwischen
vergleichbare Behandlungsergebnisse wie mit voll kompatiblen Familienspendern erzielt.
Feuchtinger u. Mitarb. weisen auf die für diese Patienten besonders gefährliche Adenovirusinfektion
hin und berichten von einer Reduktion der infektionsbedingten Letalität von 16 auf
8 % in ihrem Patientengut. Entscheidend für das Überleben sind Adenovirus-spezifische
T-Zellen.
Köhl u. Mitarb. haben ein Verfahren unter den Bedingungen der good manufactoring practice
entwickelt, um natürliche Killerzellen aufzureinigen und ex vivo zu expandieren. Durch
ihre Applikation nach haploidenter Transplantation soll die Rezidivrate der Grunderkrankung
gesenkt werden. Das proof of principle dieses attraktiven Konzeptes wird an drei Patienten
gezeigt.
Rössig u. Mitarb. wollen mit Hilfe von genetisch modifizierten T-Lymphozyten Rezidive
einer CD19-positiven ALL behandeln, die trotz einer allogenen Stammzelltransplantation
aufgetreten sind.
Nach diesen vier Originalbeiträgen der translationalen Forschung wird eine Erhebung
zu alternativen und komplementären Behandlungsmethoden präsentiert.
Zu diesem Themenkomplex hat die International Society of Pediatric Oncology kürzlich
grundlegend Stellung bezogen [4] und sehr kritische Warnhinweise gegeben. Wegen der Wichtigkeit dieses Themas hat
der Vorstand der GPOH dieses Statement in deutscher Sprache veröffentlichen lassen
[5]. Längler u. Mitarb. berichten nun, wie häufig derartige alternative oder komplementäre
Behandlungsverfahren in Deutschland bei krebskranken Kindern zum Einsatz kommen.
Ein gänzlich anderes Thema sind die schwer zu stillenden Blutungen bei Patienten mit
Thrombasthenie Glanzmann. Bei dieser seltenen, aber potenziell lebensgefährlichen
angeborenen Thrombozytenfunktionsstörung wird der Einsatz von rekombinantem Faktor
VII a propagiert, wodurch das Krankenhausbudget in nicht unerheblicher Weise belastet
werden kann. Insofern ist es verdienstvoll, dass Hennewig u. Mitarb. ihre Patienten
retrospektiv analysiert und relevante Kriterien für eine prospektive klinische Prüfung
bei gleichzeitiger Einschränkung der Indikation herausgearbeitet haben.
Abschließend nimmt ein Expertengremium, gebildet aus Mitgliedern der Gesellschaft
für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie sowie der Arbeitsgemeinschaft Knochenmark-
und Blutstammzelltransplantation, zur Indikation für die Gewinnung und zur Dauer der
Lagerung von autologen Blutstammzellen Stellung. Diese für die Gesundheitsökonomik
wichtige Expertenmeinung stützt sich auf die aktuellen klinischen Studien hinsichtlich
der Gewinnung von Stammzellen und die international verfügbaren Erkenntnisse zur Vitalität
langfristig tiefgefrorener Konserven.
Die Beiträge ergeben insgesamt ein lebhaftes Bild der vielfältigen Aktivitäten innerhalb
der GPOH. Darüber hinaus informieren sie auch, wie inzwischen theoriegeleitete Fragestellungen
im Rahmen von klinischen Studien überprüft werden und zu neuen Anforderungen bzw.
Qualitätssicherungsmaßnahmen auf Laborebene oder in der Wirkstoffentwicklung führen.