Die historischen Erfahrungen mit der Grippe im 20. Jahrhundert mahnen zur äußersten
Wachsamkeit. Ist die Vogelgrippe eine echte Gefahr? Wie können wir uns auf eine entsprechende
Pandemie vorbereiten?
Zur Einschätzung des Risikos
Bekanntlich gibt es bei Influenzaviren 16 Hämagglutinin-Typen und 9 Neuraminidase-Typen,
die sich unterschiedlich kombinieren können. Alle bekannten Subtypen der Influenzaviren
kommen bei Vögeln vor. Als „Vogelgrippe”-Viren werden diejenigen Influenzaviren bezeichnet,
die im Wesentlichen bei Vögeln auftreten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht
auch pathogen für Menschen (und andere Säugetiere) werden können. Heute wird angenommen,
dass wesentliches genetisches Material der menschenpathogenen Influenzaviren (H1N1,
H2N2, H3N2) von vogelpathogenen Viren stammt. Gesichert ist dies für die Pandemien
der Jahre 1957 - 1958 („asiatische Grippe”, ca. 70 000 Tote allein in den USA) sowie
1968 - 1969 („Hong-Kong-Grippe”, ca. 34 000 Tote allein in den USA).
Die große Sorge besteht darin, dass Vogelgrippe-Viren (vor allem H5N1) sich verhältnismäßig
rasch so verändern könnten, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch eröffnet wird.
Eine Rekombination des Virusgenoms wäre bei gleichzeitiger Infektion mit humanen und
aviären Influenzaviren leicht möglich. Ein solches Virus würde dann auf immunologisch
ungeschützte Wirte stoßen und könnte somit Ursache einer verheerenden Pandemie werden.
Ausbrüche hochpathogener Vogelgrippe-Erkrankungen unter Federvieh traten seit Ende
2003 bisher in 8 Ländern auf (China, Indonesien, Japan, Kambodscha, Laos, Südkorea,
Thailand, Vietnam). Mehr als 100 Millionen Federvieh starb oder wurde getötet. Obwohl
es zwischenzeitlich gelungen war, die Epidemien zu kontrollieren, flammen immer neue
Herde in Südostasien auf.
Die Website der CDC führt in sieben Gebiete mit einzelnen Erkrankungen und drei mit
größeren Ausbrüchen der Vogelgrippe bei Menschen auf [1]. Dabei waren sechsmal Länder in Südostasien, dreimal Nordamerika (USA/Kanada) und
einmal Europa (Niederlande) betroffen. In den meisten Fällen erfolgte die Übertragung
von Vogel zu Mensch im Rahmen eines Kontaktes zu infiziertem Geflügel bzw. kontaminierten
Oberflächen. Einzelfälle einer Übertragung von Mensch zu Mensch sind jedoch berichtet,
wiewohl die Übertragung jeweils auf einzelne Personen beschränkt blieb.
Noch während diese Zeilen verfasst werden, läuft ein weiterer Ausbruch der Vogelgrippe-Erkrankung
bei Menschen in Indonesien ab. Bis zum 23.9. sind dort 28 Personen mit entsprechenden
Symptomen in Behandlung gewesen, bisher wurden vier Todesfälle registriert. Allein
in Indonesien sind nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums seit Ende 2003 mehr
als 16 Millionen Stück Federvieh verendet oder wurden notgeschlachtet, die Verbreitung
des Erregers erstreckt sich aktuell über 22 der 33 Provinzen des Landes [2].
Da sich die Ausbrüche der Vogelgrippe innerhalb des Geflügels in Südostasien zunehmend
häufen, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Überspringens von Vogelgrippe-Viren auf
Menschen. Es ist somit kein Alarmismus, wenn die CDC das Entstehen einer neuen Grippe-Pandemie
mit Varianten der Vogelgrippe-Viren lediglich für eine Frage der Zeit hält.
Maßnahmen im Falle einer neuen Viruspandemie
Die Website des Robert-Koch-Instituts (www.rki.de) bietet drei Dokumente zum Umgang
mit der Vogelgrippe [3]
[4]
[5] und hat damit eine wichtige Orientierung geliefert. Erstaunlicherweise wurden jedoch
bisher offensichtlich von keiner Fachgesellschaft Empfehlungen zum praktischen Vorgehen
in der Behandlung akut Erkrankter im Rahmen einer Influenza-Pandemie vorgelegt. Der
Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin unter der Federführung
ihres Präsidenten Prof. D. Köhler kommt das Verdienst zu, mit den in dieser Nummer
der Zeitschrift „Pneumologie” erscheinenden „Empfehlungen zur Behandlung respiratorischer
Komplikationen bei einer Viruspandemie” zeitgerecht ein Dokument vorgelegt zu haben,
das diese Lücke schließt. Was ist der Kern dieser Empfehlungen?
Vorgelegt wird ein Konzept im Umgang mit einer solchen Pandemie, das sowohl Fragen
der Unterbringung, des erforderlichen Personals und der Diagnostik als auch Hygienemaßnahmen
im Detail behandelt. Der Situation einer Pandemie entsprechend handelt es sich dabei
stets um elementare, auf das allernötigste beschränkte Handlungspläne, die in jedem
Krankenhaus - entsprechende Vorbereitung vorausgesetzt - ohne Probleme umgesetzt werden
können. Die Empfehlungen konzentrieren sich somit darauf, das Einfache, das bekanntlich
das Schwere ist, auch einfach werden zu lassen. Wo soll eine Kohortenisolation stattfinden,
wer soll in das Arzt- und Pflegeteam aufgenommen werden, wie wird ohne Risiko einer
Infektionsverbreitung das Röntgen des Thorax durchgeführt, werden genug EKG-Geräte,
Fieberthermometer und Blutdruckgeräte bereitgehalten? Die empfohlenen Hygiene-Maßnahmen
kommen denen der MRSA-Prävention sehr nahe; der wichtigste Unterschied liegt entsprechend
dem führenden Übertragungsweg der Influenza über Aerosole in der Notwendigkeit des
Tragens einer Nasen-Mund-Maske vom Typ FFP3.
Bemerkenswert sind besonders die Empfehlungen zur Therapie. Den Autoren ist es gelungen,
ein bestechend einfaches und praktisches System zur Therapie und Überwachung von Patienten
mit akuter respiratorischer Insuffizienz zu entwickeln. Benötigt werden: Sauerstoff,
Geräte zur nichtinvasiven Beatmung (Systeme für häusliche Beatmung), die Pulsoxymetrie,
Morphin. Benötigt wird aber auch Erfahrung im Umgang mit der akuten respiratorischen
Insuffizienz: die Sauerstoffsättigung sollte bei 85 - 90 % liegen, niedrigere Werte
von 70 - 80 % können jedoch bei ansonsten gesunden Patienten auch über Tage toleriert
werden. Die Therapie kann somit weitgehend auf Normalstation erfolgen; nur Fälle mit
schwerster respiratorischer Insuffizienz sowie instabiler kardialer Komorbidität müssen
auf der Intensivstation beatmet werden. Im Falle einer Knappheit von Sauerstoffquellen
oder Beatmungsgeräten werden wichtige praktische Hinweise gegeben. Somit würden gerade
im Rahmen einer Viruspandemie die großen Fortschritte durch die Konzepte der nichtinvasiven
Beatmung, die unter geistiger Federführung von Pneumologen entwickelt wurden, zum
Besten der Patienten zum Tragen kommen. Die Pneumologie übernimmt somit wieder die
führende Rolle in der Behandlung von Massenanfällen von akuter respiratorischer Insuffizienz:
so, wie in den 50er Jahren im Rahmen der Polio-Epidemie die Pneumologie durch das
System der Unterdruckbeatmung Leben retten half, so könnte ihr ein vergleichbares
Verdienst im Rahmen der Vogelgrippe-Pandemie durch die nichtinvasive Beatmung zufallen.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Beatmungstherapie der Polio-Epidemie Ausgangspunkt
der Intensivmedizin wurde, aus der in vielen Ländern die Pneumologie ausgeschlossen
wurde, und sich nun abzeichnet, dass das Szenario einer Vogelgrippe-Pandemie die Entwicklung
zurück zu einer Beherrschung der akuten respiratorischen Insuffizienz auf der Normalstation
widerspiegelt.
Nicht vernachlässigt sollten allerdings auch untypische Manifestationen der Vogelgrippe.
Insbesonders im Rahmen des Ausbruchs in Holland war eine Konjunktivitis führend. Atypische
Verläufe in Südostasien waren gekennzeichnet durch eine „grippale” Allgemeinsymptomatik,
zu der erst im späteren Verlauf respiratorische Symptome hinzukamen sowie durch die
Entwicklung einer Enzephalitis.
Im Rahmen einer großen Epidemie würden antivirale Substanzen möglicherweise ihre wichtigste
Funktion in der prophylaktischen Behandlung der Ärzte- und Pflegeteams haben; denn
es ist nicht vorstellbar, dass im Rahmen einer Pandemie weltweit ausreichend antivirale
Medikamente zur Verfügung stehen würden. Die Empfehlungen führen auch antibakteriell
wirksame Medikamente auf, die bevorratet werden sollten. Hier werden Clarithromycin,
Levofloxazin und Moxifloxacin genannt. Amoxycillin, ggf. plus β-Laktamase-Inhibitor
sollte in dieser Liste mit erwähnt werden, da „atypische” Superinfektionserreger bei
Erwachsenen praktisch keine Rolle spielen. Substanzen mit gleich guter oraler wie
parenteraler Verfügbarkeit wie den respiratorischen Fluorchinolonen sollte der Vorzug
gegeben werden, da parenterale Therapien im Rahmen eines massenhaften Anfalls von
Erkrankten aus praktischen Gründen wo immer möglich vermieden werden sollten. Für
gezielte Therapien nach Erregernachweis wird in einem solchen Szenario kaum ein Platz
sein.
Schließlich: kann man (muss man) auf Vogelgrippe-Virus testen? Ein entsprechender
selektiver Test steht noch nicht zur Verfügung. Der aktuell verfügbare Schnelltest
der Fa. BINAX auf Influenza A umfasst jedoch auch H5N1, so dass im Falle eines positiven
Ergebnisses in spezialisierten Labors auf dieses Virus hin untersucht werden kann.
Testen muss man aktuell noch nicht, zu Zeiten von Pandemien nicht mehr; meine Empfehlung
lautet, schwer kranke Patienten mit dem klinischen Bild einer Influenza zu testen.
Die kommenden Herbst/Winter-Zeiten erfordern eine erhöhte Aufmerksamkeit im Umgang
mit Influenzavirus-Infektionen.