Psychiatr Prax 2005; 32(6): 308-310
DOI: 10.1055/s-2005-915501
Fortbildung und Diskussion
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Zersetzung: Machtmittel des Ministeriums für Staatssicherheit in der ehemaligen DDR

Dissolution: Power Tool of the Ministery of State Security in the Former GDRHartmut Holz
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Publication Date:
23 August 2005 (online)

 

Einleitung

In diesem Diskussionsbeitrag stelle ich für mich wichtige Veröffentlichungen über die "Zersetzung" genannte Methode der Machtausübung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor.

Der Wahrig [1] versteht zum einen unter zersetzen das lösen und spalten chemischer Verbindungen. Zum anderen wird dem Verb in einem weiteren Gebrauch eine übertragene Bedeutung gegeben: man nutzt es, um die (Zer-)Störung einer Moral zu benennen.

So sprachen und urteilten die Nationalsozialisten über die Zersetzung der "Wehrkraft". Für viele Betroffene war ein solcher Vorwurf eine Tod bringende Gefahr.

Die Störung oder Zerstörung von Persönlichkeiten in ihren Lebenskreisen mit Hilfe psychologischer und psychiatrischer Kenntnisse "Zersetzung" zu nennen ist eine sprachliche Schöpfung des MfS. Die Wortwahl des Staatssicherheitsdienstes übertrug eine auf Sach- (oder Moral-)veränderungen gerichtete Beschreibung auf die gezielte Kränkung von Menschen. Die Verdinglichung von Menschen ist ein Charakteristikum der Sprache des Staatssicherheitsdienstes [2].

"Zersetzung" ist zum dritten das von MfS-Mitarbeitern genutzte Wort, um ihr Eindringen in das Leben politisch missliebiger Menschen zu beschreiben. Das MfS wollte mit diesem Vorgehen, Bürgern, die sich um Selbstbestimmung bemühten, Misserfolge in möglichst vielen Lebensbereichen bereiten. Ein wichtiger Teilerfolg solcher Bemühungen des MfS bestand darin, die Moral von Opponenten durch Enttäuschungen zu verstören und schließlich "umzudrehen". Derartige Misserfolge wurden u.a. folgendermaßen angestrebt: das MfS setzte den öffentliche Ruf oppositioneller Menschen durch Gerüchte herab, ihr finanzieller Ruin wurde angestrebt, deren Freundschaften und Familien möglichst weit gehend beschädigt, Psychoterror wurde ausgeübt, Misserfolge im Beruf organisiert, Kriminalisierungen eingefädelt und Mitglieder oppositioneller Gruppen wurden zum Schweigen gebracht [3]-[9].

Ca. 1960 begann in der Amtszeit von Nikita Chruschtschow in der Sowjetunion eine Ausweitung der Politik der Psychiatrisierung von politisch oder religiös eigenständigen und gesunden Menschen. Der als antistalinistischer Reformer bekannte Parteichef wollte mit dieser Politik die Anzahl Aufsehen erregender politischer Prozesse im Lande reduzieren [10]. Ähnliche Motive waren auch die Voraussetzung für die Politik mit heimlichen "Zersetzungsaktivitäten", die die damals regierende SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) zu verantworten hat [3],[4].

Eine öffentliche Diskussion der psychischen Misshandlungsmethoden in Deutschland begann nach der Besetzung der Archive des Staatssicherheitsdienstes durch Bürger im Jahre 1990 [11]-[13].

Literatur

  • 1 Wahrig G . Deutsches Wörterbuch.  München: Verlagsgruppe Berthelsmann GmBH. 1986; 
  • 2 Bergmann Ch . Die Sprache der STASI: ein Beitrag zur Sprachkritik.  Göttingen: Vandenhoeck Ruprecht. 1999; 
  • 3 Pingel-Schliemann S . Zersetzen Strategie einer Diktatur.  Berlin: Robert-Havemann-Ges.. 2002; 
  • 4 Walter J . Sicherungsbereich Literatur Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik.  Berlin: Ch. Links Verlag. 1996; 
  • 5 Offner H . Schroeder K (Hrsg) . Eingegrenzt-Ausgegrenzt: Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961-1989.  Berlin: Akademie-Verlag. 2000; 
  • 6 Wanitschke M . Methoden und Menschenbild des MfS der DDR.  Köln: Böhlau. 2001; 
  • 7 Richter H . Die operative Psychologie des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.  Frankfurt am Main: Mabuse. 2000; 
  • 8 Behnke K . Fuchs J (Hrsg) . Zersetzung der Seele Psychologie und Psychiatrie im Dienste der STASI.  Hamburg: Rotbuch. 1995; 
  • 9 Fricke KW . Die DDR Staatssicherheit.  Köln: Verlag Wissenschaft und Politik. 1982; 
  • 10 Bloch S . Reddaway P . Dissident oder geisteskrank? Mißbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion.  München: Piper. 1978; 
  • 11 Fuchs J . Magdalena. MfS, Memfisblues, Stasi, Die Firma VEB Horch Gauck - ein Roman.  Berlin: Rowohlt Berlin Verl.. 1998; 
  • 12 Fuchs J . und wann kommt der Hammer? Psychologie, Opposition und Staatssicherheit.  Berlin: BasisDruck Verlagsgesellschaft. 1996; 
  • 13 Fuchs J . Unter Nutzung der Angst. Die "leise Form" des Terrors - Zersetzungsmaßnahmen des MfS (Ministerium für Staatssicherheit).  BStU Berlin. 1994; 
  • 14 Behnke K . Lernziel Zersetzung. In: Behnke K, Fuchs J (Hrsg): Zersetzung der Seele. Psychologie und Psychiatrie im Dienst der STASI.  Hamburg: Rotbuch. 1995; 
  • 15 Förster G . Bibliographie der Diplomarbeiten und Abschlussarbeiten an der Hochschule des MfS.   Reihe A: Nr1. Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) Berlin. 1998; 
  • 16 Plog U . Vertrauen ist gut. Über den Missbrauch der Psychiatrie durch den Staatssicherheitsdienst der DDR. In: Behnke K, Fuchs J (Hrsg): Zersetzung der Seele.  Hamburg: Rotbuch. 1995; 
  • 17 Fuchs J . Bearbeiten, dirigieren, zuspitzen. Die "leisen" Methoden des MfS.  In: Behnke K, Fuchs J: Zersetzung der Seele. Hamburg: Rotbuch. 1995; 
  • 18 Knabe H . Die unterwanderte Republik: Stasi im Westen.  Berlin: Propylen-Verlag. 2000; 
  • 19 Müller-Ensbergs H . Das Zusammenspiel von Staatssicherheitsdienst und SED nach der Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz aus Rippicha am 18. August 1976.   Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Reihe B. 1993;  Nr. 2
  • 20 Everly GS Jr . Latiny JM . Everly GS Jr, Latiny JM. A Clinical Guide of the Treatment of the Human Stress Response.  New York: Plenum Press. 1981; 
  • 21 Johnson EH . Johnson EH. The Deadly Emotions The Role of Anger, Hostility and Aggression in Health and Emotional Well-being.  New York: Praeger Pub.. 1990; 
  • 22 Bauer M . Priebe S . Psychopathology and long-term adjustment after Crises in refugees from East Germany.  Int J Soc Psychiatry . 1994;  40 (3) 165-176
  • 23 Peters VH . The Stasi persecution.  Forschr Neurol Psychiatr. 1991;  59 (7) 251-265
  • 24 Eisenfeld B . Zur Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung.  In: Henke KD, Engelmann R ( Hrsg): Aktenlage. BStU Berlin. 1995; 
  • 25 Ullmann G (Hrsg) . Der Greizer Kreis.  Vechta-Langförden: Geest. 2002; 
  • 26 Furian G (Hrsg) . Mehl aus Mielkes Mühlen. Berichte Briefe, Dokumente.  Berlin: Das Neue Berlin. 1991; 
  • 27 Röhrle B . Prävention. Psychologische Modelle, Theorien und Anwendungsgebiete.  Berichte aus dem Fachbereich Psychologie der Phillips-Universität Marburg.. 1992;  Nr. 105

Dr. Hartmut Holz

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