Der Schlaganfall hat sich in den letzten Jahren vom Stiefkind der Medizin zu einer
Erkrankung entwickelt, für die wichtige, nicht-invasive diagnostische Methoden entwickelt
und effektive Behandlungs- und Prophylaxeverfahren erarbeitet und etabliert wurden.
Dabei hat sich das alte Basiswissen, dass neurologische Symptome zwar lokalisations-
aber niemals ätiologiespezifisch sind, als unerlässliche Leitlinie erweisen. Anamnese
und klinische Symptomatik erlauben dem Arzt keine sichere klinische Diagnose. So ist
es nicht möglich, sicher zwischen ischämischem Insult und Hirnblutung zu differenzieren.
Gleiches gilt für anamnestische Daten, wie den charakteristischen Kopfschmerz der
Subarachnoidalblutung, der auch Initialsymptom einer Hirnvenenthrombose sein kann
oder als Kohabitationskopfschmerz ungeklärter Genese vorkommt. Der Arzt ist daher
vor jeder spezifischen Therapieentscheidung auf die modernen diagnostischen Methoden
angewiesen. Unter ihnen spielen die bildgebenden Verfahren im Akutstadium die wichtigste
Rolle. Unmittelbare Verfügbarkeit von CT- und MRT ist Grundvoraussetzung jeder Schlaganfallbehandlung.
Dabei ist es für jeden behandelnden Arzt essentiell, Grundkenntnisse der Technik und
vor allem der Aussagefähigkeit und -grenzen der Methoden zu kennen. Nur dann ist er
in der Lage, das optimale Verfahren zu wählen und Diagnoseversäumnisse, Fehldiagnosen
und unnötige Kosten zu vermeiden.
Der Schlaganfall ist ein akuter Notfall, für dessen diagnostische Abklärung und die
daraus folgende Behandlung jede Minute zählt. Dies gilt nicht nur für die Thrombolyse
beim ischämischen Insult, sondern auch für die Behandlung von Hirnblutungen, Subarachnoidalblutungen
und Hirnvenenthrombosen. All diesen Krankheiten ist gemein, dass sie ein hohes Verschlechterungspotential
im Frühstadium haben und der betroffene Patient durch eine Vielzahl von Komplikationen
gefährdet ist.
Das Konzept der Stroke Units, auf denen Schlaganfallpatienten von spezialisierten
Teams unter intermediären intensivmedizinischen Bedingungen betreut werde, trägt diesen
Gesichtspunkten Rechnung.
Leider erreichen viele Patienten eine Stroke Unit nicht oder erst, wenn der optimale
Zeitpunkt für Interventionen schon verstrichen ist. Dies liegt zum einen an den Patienten
selber, die ihre Symptome nicht als Folge eines Schlaganfalls verstehen und in der
Hoffnung auf spontane Besserung zunächst einmal abwarten. Ein zweiter Grund ist die
Wahl des falschen Rettungsweges: das Warten auf den Bereitschaftsdienst oder der Besuch
beim Hausarzt kosten Zeit und therapeutische Chancen für die Restitution. In einer
eigenen Untersuchung zeigte sich, dass die Patienten, die unmittelbar den Notruf 112
des Rettungsdienstes wählten, die kürzesten Verzögerungszeiten hatten.
Der Rettungsorganisation in der prähospitalen Phase kommt somit entscheidende Bedeutung
zu. Neben der Aufklärung der Öffentlichkeit über Grundtatsachen des Schlaganfalls
haben Organisationsverbesserungen der Rettungsdienste Fortschritte gemacht. So werden
z.B. vom Bereitschaftsdienst der kassenärztlichen Vereinigung in Berlin bei Notrufen
regelmäßig Schlaganfallsymptome gezielt erfragt und bei Verdacht auf Schlaganfall
sofortige Einlieferung per Rettungsdienst angeraten. Ein ähnliches Verfahren praktizieren
viele Hausärzte.
Die Zeiten, in denen Schlaganfallpatienten Stunden auf dem Flur warten mussten, sind
glücklicherweise vorbei. Dies ändert aber nichts daran, dass die Logistik in der Aufnahme
von Krankenhäusern nicht verbesserungsfähig wäre. In gut organisierten Krankenhäusern
mit Stroke Units sollten Zielzeiten von < 10 Minuten von Aufnahme bis erstem Arztkontakt,
von 25 Min. bis zum Beginn der CT-Untersuchung und 60 Min. bis zum Therapiebeginn
die Regel sein.
Im vorliegenden Heft werden in erster Linie klinische Symptomatik, Diagnose, Therapie
und Prophylaxe ischämischer Schlaganfälle abgehandelt. Wegen der in den letzten Jahren
erheblich gewachsenen Kenntnisse über Epidemiologie, Klinik und Prognose zerebraler
Gefäßmalformationen und der immer spezieller werdenden therapeutischen Möglichkeiten
ist den zerebralen Gefäßmissbildungen ein spezielles Kapitel gewidmet. Die Vielfalt
der klinischen Symptomatik, die notwendigen Strategien für effektive und Kosten sparende
Diagnostik, Therapie und Prophylaxe erfordern nicht nur neurologische, sondern auch
internistische und allgemeinmedizinische Kenntnisse. Der Schlaganfall ist ein interdisziplinäres
Problem, das eine enge Kooperation von Neurologen, Neuroradiologen, Internisten, Neurochirurgen
und Gefäßchirurgen erfordert. Unglücklicherweise geschieht das meist auf dem Wege
eines Konsildienstes, der eher einer Weitergabe der Verantwortung als einem interdisziplinären
Diskurs gleicht. Gerade Letzterer aber ist das beste Mittel, optimale Lösungen für
einen Patienten zu finden. Das vorliegende Heft möchte deswegen nicht nur dazu beitragen,
die eigenen Kenntnisse zu erweitern, sondern den Neurologen auch für das Gespräch
mit den Vertretern der Nachbardisziplinen zu ermuntern.
Mein Dank gilt den Koautoren, die sich mit ihren kompetenten Beiträgen dem Ziel dieses
Heftes angeschlossen haben.