In Deutschland wissen wahrscheinlich weit weniger als die Hälfte von vermutlich einer
Million Betroffenen von ihrer Infektion mit den Hepatitisviren B und C, und schätzungsweise
nur 10-20 % der Patienten werden derzeit adäquat behandelt. Verlässliche Quellen zu
Daten zur Prävalenz, Morbidität und Mortalität viraler Hepatitiden für Deutschland
sind zurzeit kaum verfügbar. Die Virushepatitiden sind jedoch aufgrund der möglichen
Folgeerkrankungen wie die Leberzirrhose und das hepatozelluläre Karzinom sowie aufgrund
der teilweise notwendig werdenden Lebertransplantationen auch von hoher volkswirtschaftlicher
und sozioökonomischer Relevanz. Zudem geht die Erkrankung - meist aufgrund von Fehlinformationen
in der Bevölkerung und auch in der Ärzteschaft - mit oftmals massiven sozialen Diskriminierungen
und einer herabgesetzten Lebensqualität der Patienten einher.
Angesichts dieser verbesserungswürdigen Ausgangssituation entschied sich das Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) im Februar 2002, das Kompetenznetz Hepatitis (Hep-Net,
www.kompetenznetz-hepatitis.de) im Rahmen seiner Großfördermaßnahmen von vernetzten Forschungsprojekten als eines
von zurzeit 18 Kompetenznetzen in der Medizin mit jährlich rund 2,5 Millionen Euro
für zunächst fünf Jahre zu fördern. Hauptantragsteller des Projekts war die Medizinische
Hochschule Hannover.
Forschung für den Patienten
Forschung für den Patienten
Grundgedanke von Hep-Net ist, durch zentrale „Infrastrukturprojekte” Synergien und
Plattformen zu schaffen, auf die sich die thematisch orientierten Forschungsprojekte
im „klassischen” Sinne aufpfropfen. Hierzu zählen - neben der zentralen Geschäftsstelle
- die Konzepte zur Qualitätskontrolle in der Virologie und Pathologie, die Einrichtung
von geografisch umgrenzten Modellregionen, in denen epidemiologische Fragestellungen
und die Versorgungsqualität der Hepatitispatienten untersucht werden, die Einrichtung
eines virtuellen Forums zur Planung, Zertifizierung und Durchführung von klinischen
Studien („Study House”) und die Etablierung von zentralen Datenbanken und Biomaterialbanken
(Serum- bzw. DNA-Proben, Lebergewebeproben) [9].
Anders als in Sonderforschungsbereichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
bilden die in das Netzwerk eingebetteten Projekte aus der Grundlagenforschung nicht
unbedingt den Mittelpunkt des Netzwerks. Vornehmlich geht es hier darum, dass Ergebnisse
zumindest mittelfristig in für den Patienten relevanten Verbesserungen bei Diagnose
und/oder Therapie der Erkrankung münden. Schwerpunktthemen sind dabei neben der Erforschung
der Fibroseprogressionshemmung und der Virusresistenz auch immunologische Fragestellungen,
die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Hepatitis-C-Virus sowie die Etablierung
von In-vitro- und Tiermodellen der Virushepatitiden B und C.
Die zentralen Einrichtungen des Netzwerks, wie beispielsweise die Telepathologie und
die Biomaterialbanken, verfolgen insbesondere den Zweck, klinischen Forschern und
Grundlagenwissenschaftlern gleichermaßen als wichtige Datenbasis zu dienen und beide
Gruppen stärker miteinander zu vernetzen. Anders als in klinischen Studien sind konkrete
Forschungsfragen nicht immer von vornherein fest umrissen.
Hep-Net bietet durch seine prospektive und pseudonymisierte Datenerhebung von Hepatitispatienten
die Chance, neue Erkenntnisse zum natürlichen Verlauf der Erkrankung zu sammeln sowie
die in der täglichen Praxis außerhalb von Studien angewendeten Therapiestrategien
zu evaluieren und potenzielle Risikofaktoren für schwere Krankheitsverläufe oder Therapie-Nichtansprechen
zu identifizieren. Dabei werden alle relevanten Hepatitispatienten eingeschlossen:
Responder, Nonresponder oder Relapser und therapienaive Patientengruppen.
Interessant und auch ethisch bedeutsam ist, dass es aufgrund der pseudonymisierten
Datenerhebung (ausschließlich) über den jeweils behandelnden Arzt möglich ist, individuelle
Patienten erneut zu identifizieren, damit auch der einzelne Patient aus der Bereitstellung
seiner Daten, Serum- und Gewebeproben möglicherweise einen Nutzen ziehen kann - zum
Beispiel, wenn man ihn über ein besonderes erbliches Risiko für die Entwicklung eines
hepatozellulären Karzinoms informieren wollte.
Um die Patienteninteressen im Hep-Net wahren zu können, wurde ein „Ausschuss Datenschutz”
aus Datenschutz-Experten und klinisch erfahrenen Hepatologen etabliert. Dieser Ausschuss
entscheidet bei Anfragen von einzelnen Forschern aus dem Netzwerk darüber, welche
konkreten Datensätze diesen in anonymisierter oder pseudonymisierter Form weitergeben
werden dürfen.
Versorgungsqualität verbessern
Versorgungsqualität verbessern
Hep-Net muss sich in den nächsten zwei Förderjahren insbesondere daran messen lassen,
ob tatsächlich Synergien und ein Mehrwert entstanden sind, die eine solch umfassende
Förderung von vernetzter Forschung im Bereich der Hepatologie rechtfertigen können.
Als Erfolgskriterium hat Hep-Net zwei Teilziele definiert, die durch den Aufbau der
Infrastruktur des Netzwerks vor allem mit vertikalen Netzpartnern wie Ärzten in Arztpraxen
und nichtuniversitären Krankenhäusern realisiert werden:
-
eine signifikant höhere Identifizierungsrate von Hepatitispatienten in Arztpraxen
mit allgemeinmedizinischem bzw. hausärztlichem Schwerpunkt, zum Beispiel in Form von
signifikant häufigeren Abklärungen von erhöhten Leberwerten
-
stärker leitlinienkonforme Diagnostik- und Therapieentscheidungen [3]
[13] in fachärztlichen Praxen mit gastroenterologischem Schwerpunkt [Abb. 2].
Um diese wichtigen Ziele zu erreichen, hat das Hep-Net auch Aufgaben, die über eine
reine Forschungstätigkeit hinausgehen, beispielsweise die Aufklärung der allgemeinen
Bevölkerung durch eine gesteigerte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und eine sachliche
Informationspolitik. Das Netzwerk ist auch Mitausrichter des jährlich am 20. November
stattfindenden Deutschen Lebertags.
Grundsätzlich steht Hep-Net jedem Arzt, Apotheker oder Wissenschaftler aus anderer
Disziplin, der sich mit Virushepatitiden befasst, offen. Hep-Net bietet unter anderem
individuelle Beratungsangebote im Sinne eines „Case Managements” an (Anfrage-Service
per eMail oder über die Telefonsprechstunde von Montag bis Donnerstag, 14.00-16.00
Uhr, Tel.: 01805/450060). Jedes der mittlerweile rund 1000 Mitglieder erhält unter
anderem Zugang zu aktuellen Informationen und Forschungsergebnissen.
Außerdem können assoziierte Mitglieder Patienten in die klinischen Studien des „Study
House” - das mittlerweile bedeutsamste nationale Gütesiegel für Studien in der Hepatologie
- einbringen und mitbetreuen. Mittlerweile konnten über 2000 Patienten im Rahmen von
klinischen Studien behandelt werden, die dort zertifiziert wurden. Vornehmlich handelt
es sich dabei um so genannte Therapieoptimierungsstudien mit bereits zugelassenen
Medikamenten. Dennoch sind diese Studien gerade bei der Hepatitis C besonders wichtig,
da man trotz zahlreicher direkt antiviraler Substanzen, die in den nächsten Jahren
erwartet werden, weiterhin auf die interferonbasierten, nebenwirkungsreichen Therapien
angewiesen ist.
Das Hep-Net „Study House” mit der aktiven Einbindung von Prüfzentren außerhalb des
universitären Bereichs ist eine ideale Voraussetzung für die Durchführung von groß
angelegten Phase-IV- und Therapieoptimierungsstudien sowie von Studien zu sehr speziellen
Erkrankungen, die eher selten diagnostiziert werden (z.B. akute Hepatitis C, Delta-Hepatitis,
Hepatitis-B/C-Koinfektion).
Internationalisierung des „Hep-Net Konzepts”
Internationalisierung des „Hep-Net Konzepts”
Die Forschungsinfrastruktur des Hep-Net und der enge Informationsfluss von und zu
„vertikalen” Netzpartnern ist nun zum Ausgangspunkt für die Internationalisierung
auf europäischer Ebene geworden: Hep-Net hat durch seine Vorarbeiten in zahlreichen
Projektbereichen maßgeblich zum Entstehen des EU-geförderten Netzwerks VIRGIL (www.virgil-net.org) beigetragen.
Ziel von Virgil ist die Bekämpfung von - medikamenteninduzierten - Resistenzentwicklungen
im Bereich der Hepatitis B und C sowie bei der Influenza-A-Virusinfektion. Es ist
hinlänglich bekannt, dass bei der Hepatitis B pro Therapiejahr bei etwa 20 % der mit
Lamivudin behandelten Patienten Resistenzen zu erwarten sind und dass dies vermutlich
mit einer signifikant stärkeren Krankheitsprogression im Vergleich zu Patienten ohne
Entwicklung einer solchen „YMDD”-Mutation” einhergeht [7].
Mittlerweile liegen auch entsprechende Daten zum Nukleotidanalogon Adefovirdipivoxil
vor, welche eine Resistenzentwicklung mit etwa 3,9 % der Fälle nach drei Jahren Therapie
angeben [12]. Ähnlich wie im HIV-Bereich werden zukünftig vermutlich die Kombinationen mehrerer
antiviraler Substanzen die Therapieerfolgschancen deutlich verbessern und Resistenzentstehungen
vermeiden können.
Innerhalb von VIRGIL sollen durch Bündelung von Forschungsaktivitäten Daten- und Biomaterialbanken
sowie Meldesysteme entstehen, die es zukünftig besser ermöglichen sollen, bei Resistenzentwicklungen
zeitnahe Gegenmaßnahmen zu ergreifen und neue Therapieleitlinien für betroffene Patienten
zu entwickeln. Dazu ist VIRGIL in sieben thematische Plattformen unterteilt, die sich
mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten beschäftigen:
-
Die SURVEIL-Plattform wird ein Melde- und Patientenregister aufbauen, um Daten zur
Prävalenz, Inzidenz und zur Verbreitung von Virusresistenzen bei Hepatitis B und C
zu sammeln.
-
CLINVIR wird eine zentrale virologische Diagnostik-Plattform für klinische Studien
etablieren und Virusresistenzen in vitro charakterisieren.
-
Die MODEL-Plattform entwickelt Testsysteme für neue antivirale Substanzen weiter und
soll Zellkultur- und Tiermodelle etablieren, um die Mechanismen der viralen Resistenz
zu analysieren.
-
HOST untersucht Wirtsfaktoren und ihre Einflüsse auf den Krankheitsverlauf.
-
Im Rahmen der INNOTECH-Plattform werden Methoden entwickelt, um die Resistenzentwicklung
im klinischen Alltag überwachen zu können.
-
Die DRUGPHARM-Gruppe dagegen entwickelt neue antivirale Substanzen.
-
Sozioökonomische Fragen und Analysen der Lebensqualität der Patienten werden innerhalb
des IMPACT-Programms bearbeitet.
Eine weitere wichtige Aufgabe von VIRGIL wird außerdem die Analyse sein, in welchen
Fällen eine zum Beispiel durch Sequenzierung nachgewiesene Mutation und Resistenzentwicklung
des Virus klinisch tatsächlich relevant ist und einen Handlungsbedarf bezüglich des
aktuellen Therapieregimes nach sich zieht. Bisher gibt es keinen publizierten Konsens
darüber, was aus klinischer Sicht konkret unter „Resistenzentwicklung” oder „Nichtansprechen”
auf eine antivirale Therapie zu verstehen ist. Daher gehen die Bestrebungen von VIRGIL
dahin, die Definition der Virusresistenz auf unterschiedlichen Ebenen zu vollziehen
[Tab. 1].
Fazit
Fazit
Bisher konnte Hep-Net durch die aktive Beteiligung zahlreicher Netzpartner eine funktionierende
Kommunikationsstruktur aufbauen, um entscheidend dazu beizutragen, praxisrelevante
Standards und Algorithmen zur Diagnostik und Therapie der akuten und chronischen HCV-
und chronischen HBV/HDV-Infektionen zu etablieren. In einer gemeinsam durchgeführten
Konsensuskonferenz haben die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
und das Hep-Net aktuelle Standards zum Management der Virushepatitiden in Form einer
nationalen Leitlinie verabschiedet [1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[8]
[10]
[11]
[13]
[14]
[15]. Außerdem konnten zahlreiche klinische Studien im Hep-Net initiiert und teilweise
auch bereits erfolgreich abgeschlossen sowie ein nationales Hepatitis-Studienregister
aufgebaut werden.
Um auch über den Förderzeitraum durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung
hinaus die Strukturen des Netzwerks zu erhalten und die Arbeit des Hep-Net nachhaltig
weiterzuführen, wird momentan die Gründung der „Deutschen Leberstiftung” vorbereitet.
Auch auf internationaler Ebene konnte das Kompetenznetz Hepatitis durch seine bisherigen
Leistungen den Aufbau anderer Forschungsnetze mit ermöglichen und damit zu der Vision
beigetragen, durch Bündelung der Expertise unterschiedlicher Forschergruppen und durch
Präventionsstrategien auf den Ebenen Infektionsvermeidung, Aufhalten der Krankheitsprogression
und Resistenzentwicklung, die Hepatitisviren langfristig auszurotten.
Abb. 1
Abb. 2
Tab. 1 Klinische Definition von primärem und sekundärem Therapieversagen im Sinne von „Nichtansprechen/Resistenz”
|
„primäres” Therapieversagen
[*]
|
„sekundäres” Therapieversagen
[*]
|
Hepatitis B
|
(im Sinne von „keine Therapieantwort/Nonresponse”)
Primäres Therapieversagen ist definiert als ein Abfall der HBV-DNA-Viruslast (IU/ml)
im Serum von weniger als einer logarithmischen Stufe nach zwölf Therapiewochen im
Vergleich zum Baselinewert am Therapiestart. |
(im Sinne einer „Resistenzentwicklung”)
Sekundäres Therapieversagen ist definiert durch einen an zwei unterschiedlichen Zeitpunkten
nachgewiesenen Anstieg der HBV-DNA-Viruslast (IU/ml) im Serum während der Therapie
von wenigstens einer logarithmischen Stufe verglichen mit dem erreichten Tiefstwert
der Viruslast unter Therapie und bei primärem Ansprechen auf die antivirale Substanz.
Primäres Ansprechen bedeutet, dass zumindest ein initialer Viruslastabfall unter der
Therapie beobachtet wurde. |
Hepatitis C
|
-
Primäres Therapieversagen kann im klinischen Setting vorhergesagt werden durch einen
HCV-RNA-Viruslastabfall (IU/ml) im Serum von weniger als zwei logarithmischen Stufen
in der Therapiewoche zwölf im Vergleich zum Baselinewert
-
Patienten mit einer bis zur Therapiewoche 24 fortgesetzten Behandlung („slow responder”)
gelten als Nonresponder, wenn sie in Woche 24 nicht HCV-RNA-negativ im Serum getestet
werden.
|
(im Sinne eines „breakthrough”)
Sekundäres Therapieversagen ist definiert durch einen an zwei unterschiedlichen Zeitpunkten
nachgewiesenen Anstieg der HCV-RNA-Viruslast (IU/ml) im Serum von mindestens einer
logarithmischen Stufe während der interferonbasierten Therapie nach primärem Therapieansprechen.
Primäres Therapieansprechen bedeutet, dass initial zumindest ein Abfall der Viruslast
um zwei logarithmischen Stufen beobachtet wurde. |
nach: Arbeitsgruppenergebnis von Virgil-SURVEIL, Stand 08.03.2005, Publikation in
Vorbereitung |
1 Die Definitionen gelten ausschließlich für Patienten mit ausreichender Compliance
zum Therapieregime