Jahrzehntelang galt die Chemotherapie - zuerst mit 5-Fluorouracil (5-FU), dann mit
neueren Substanzen wie Irinotecan, Oxaliplatin oder Capecitabin - als Behandlung der
Wahl bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom. Mit der Zulassung des
ersten Angiogenesehemmers Bevacizumab (Avastin®) zur Kombination mit einer intravenösen
Chemotherapie als Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem kolorektalen
Karzinom ist nun ein weiterer wesentlicher Fortschritt gelungen.
In der Kombination mit 5-FU, Leukovorin und Irinotecan verlängert der monoklonale
Antikörper das Leben der Patienten hochsignifikant um fast fünf Monate (von 15,6 auf
20,3 Monate, p < 0,001) - immerhin eine Steigerung um 30%! Erhielten die Patienten
im Anschluss an die 5-FU/Leukovorin/Irinotecan/Bevacizumab-Therapie noch eine oxaliplatinbasierte
Zweitlinientherapie, profitierten sie sogar noch stärker. In dieser Subgruppe konnte
sogar eine mediane Gesamtüberlebenszeit von 25,1 Monaten erreicht werden, berichtete
Prof. H.J. Schmoll, Halle. "Dies ist eine enorme Steigerung, wenn man bedenkt, dass
wir beim metastasierten Kolonkarzinom noch vor kurzem mit einer durchschnittlichen
Überlebenszeit von rund zwölf Monaten zufrieden sein mussten."
Lebensverlängerung bei guter Lebensqualität
Lebensverlängerung bei guter Lebensqualität
Neben dem erfreulich großen Effekt auf das Gesamtüberleben der Patienten verbesserte
sich unter der Therapie mit dem monoklonalen Antikörper in der Zulassungsstudie von
Hurwitz et al. zudem das progressionsfreie Überleben der Patienten hochsignifikant.
"Ohne Bevacizumab betrug das mediane progressionsfreie Überleben 6,2 Monate", so Schmoll.
Das sei auch in etwa das, was man von dem einfachen Therapieschema mit Irinotecan
(125 mg/m2), dem Fluorouracil-Bolus (500 mg/m2), Leucovorin (20 mg/m2) - dem damaligen US-Standard der Erstlinientherapie - erwarte. "Doch mit der Gabe
des neuen Angiogenesehemmers stieg das progressionsfreie Überleben überraschend stark
auf 10,6 Monate an", sagte Schmoll. Zudem erhöhte Bevacizumab die Ansprechrate von
35 auf 45% (p = 0,004) und die Dauer des Ansprechens von 7,1 auf 10,4 Monate (p =
0,001).
"Eine weitere gute Botschaft ist, dass durch die zusätzliche Gabe des monoklonalen
Antikörpers die Nebenwirkungen der Therapie nur geringfügig ansteigen", so Schmoll.
Bis auf eine mit oralen Antihypertensiva gut beherrschbare arterielle Hypertonie unterschied
sich das Nebenwirkungsprofil der Dreifachkombination mit Bevacizumab praktisch nicht
von der Kontrollgruppe der Zulassungsstudie. Der Angiogenesehemmer führt nicht zu
einer Knochenmarkschädigung und verursacht auch keine Übelkeit, kein Erbrechen und
keinen Haarausfall.
Tendenziell waren jedoch etwas mehr Grad-3/4-Diarrhöen zu verzeichnen. Zudem kam es
unter der bevacizumabhaltigen Therapie bei 1,5% der Patienten zu gastrointestinalen
Blutungen. "Im Einzelfall kann eine solche gastrointestinale Blutung natürlich gefährlich
sein, reagiert man aber richtig, hat sie keine Konsequenzen", meinte Schmoll.
Option auch bei Irinotecan-Kontraindikation
Option auch bei Irinotecan-Kontraindikation
"Auch bei Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom, bei denen aufgrund ihres
Alters oder eines schlechten Allgemeinzustands (ECOG-performance-Status 1 oder 2,
Baseline Albumin < 3,5 g/dl, vorherige Bestrahlung des Beckens oder Abdomens) die
Firstline-Therapie mit Irinotecan kontraindiziert ist, stehen wir mit einer Bevacizumab-Therapie
gut da", berichtete Schmoll. In Kombination mit einer 5-FU/Leukovorin-Therapie verlängert
Bevacizumab das progressionsfreie Überleben der Patienten signifikant von 5,5 auf
9,2 Monate (p = 0,0002), so das Ergebnis einer randomisierten plazebokontrollierten
Phase-II-Studie mit 209 Patienten.
Unter der zusätzlichen Gabe von Bevacizumab lebten die Patienten im Schnitt 3,7 Monate
länger als im Vergleichsarm (16,6 versus 12,9 Monate). "Leider war dieser Unterschied
nicht signifikant", bemerkte Schmoll. "Bei 200 Patienten war dies jedoch auch nicht
zu erwarten. Wären 400 Patienten involviert gewesen, wäre die Differenz sicherlich
hochsignifikant."
Gezielter Angriff auf die Tumorangiogenese
Ein entscheidender Prozess beim Wachstum und Überleben eines Tumors ist die tumorinduzierte
Angiogenese, erklärte Prof. W. Schmiegel, Bochum. Dabei wiederum hat der vaskuläre
endotheliale Wachstumsfaktor VEGF ("vascular endothelial growth factor") - der beim
kolorektalen Karzinom wie bei anderen Tumorentitäten verstärkt exprimiert wird und
mit einer ungünstigen Prognose assoziiert ist - eine Schlüsselrolle inne.
Die Tumorzelle sezerniert VEGF in die Blutgefäße, wo der Wachstumsfaktor spezifisch
an drei bekannte Rezeptoren auf Endothelzellen bindet. Dies ermöglicht die Phosphorylierung
der Tyrosinkinasedomäne, und die angiogene Kaskade wird in Gang gesetzt. Bevacizumab
jedoch erkennt freies VEGF und bildet mit diesem einen Komplex. Daher kann der Wachstumsfaktor
nicht mehr an die Rezeptoren binden, die Aktivierung der angiogenen Kaskade und die
Bildung neuer Gefäße unterbleiben. Da so die Versorgung des Tumors mit Sauerstoff
und Nährstoffen nicht gewährleistet ist - das Diffusionslimit von Sauerstoff liegt
bei 200 µm - wird der Tumor regelrecht "ausgehungert".
Gleichzeitig trägt Bevacizumab dazu bei, die Tumorgefäße wieder zu normalisieren,
berichtete Schmiegel. Anders als normale Gefäße sind diese diffus organisiert, erweitert
und durchlässiger (für Metastasenzellen und andere Substanzen). Der monoklonale Antikörper
trägt zur Restrukturierung der Tumorgefäße bei, sodass die eingesetzte Chemotherapie
aufgrund des niedrigeren Perfusionsdrucks den Tumor besser erreichen kann. "Bevacizumab
wirkt also praktisch wie ein Katalysator", so Schmiegel.
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Quelle: Pressekonferenz "Avastin bringt Hoffnung bei der Volkskrankheit Darmkrebs:
Der erste Angiogenesehemmer eröffnet eine neue Ära in der Krebstherapie", veranstaltet
von der Hoffmann-la Roche AG, Grenzach-Wyhlen