Die diesjährige wissenschaftliche Sitzung der Jahrestagung der AGDV stand unter dem
Motto „Dermatologie und Kunst” . Die große Anzahl Zuhörer bestätigte die Attraktivität des diesjährigen Arbeitsthemas.
Die ebenso vielseitigen wie spannenden und eindrücklich illustrierten Beiträge zeigten
das große Interesse am Thema. Am Ende zeigte sich, dass sehr viele verborgene Tatsachen,
nicht bekannte Verbindungen und neue innovative Zugänge zum Thema „Dermatologie und
Kunst” auf weitere Bearbeitung warten!
Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft, Herrn Prof. A.
Scholz aus Dresden, führte uns dieser in das nicht weit entfernte Breslau, in eine
Zeit vor 100 Jahren, als Albert Neisser 1907 in der damals deutschen Stadt das erste
deutsche ordentliche Ordinariat für Haut- und Geschlechtskrankheiten erhielt. In einem
virtuellen Rundgang durch die von der Familie Neisser bewohnte großzügige Villa konnten
die Zuhörer einzelne Werke aus der umfangreichen Kunstsammlung betrachten. Humorvoll
wurden von den Werken wiederum Brücken zur Person und zum Umfeld des berühmten Gonokokken-Entdeckers
geschlagen.
M. Irmisch aus Köln weckte das Interesse und die Bewunderung für die Persönlichkeit
des Düsseldorfer Ordinarius Aloys Greither. Es war kein Leichtes, die vielseitigen
künstlerischen Begabungen des Kunstsammlers, Musikers, Malers und Lyrikers, den wir
überwiegend als Dermatologen kennen, zu präsentieren. Der enge Zeitrahmen verunmöglichte
es, das begonnene Portrait abzurunden, so dass das nun angelockte Publikum auf eine
baldige Fortsetzung hofft.
G. Hansel aus Dresden erläuterte die Persönlichkeit des Gründers der Dresdner Universitäts-Hautklinik,
H. E. Kleine-Natrop, der eine umfangreiche Kunstsammlung aufgebaut hatte. Über Kleine-Natrop
als Förderer von bereits damals bekannten, aber auch von jungen noch unbekannten sächsischen
Künstlern erlebten die angereisten Zuhörer einen Einblick in die Kunstszene der Gastgeberstadt
dieses Kongresses.
Frau E. Stoiber, ehemalige Moulageuse und Konservatorin der Moulagensammlung der Dermatologischen
Universitätsklinik in Zürich zeigte, wie der Kunstmaler Adolf Fleischmann als wissenschaftlicher
Zeichner und Moulageur der Chirurgischen Klinik am Kantonsspital Zürich hervorragende
Moulagen von chirurgischen Krankheitsbildern hergestellt hatte. Seine Hingabe galt
aber der Malerei. In seinem von Kriegserlebnissen geprägten Leben, wandelte Fleischmann
seinen Stil von gegenständlichen Aquarellen hin zu den neuartigen von ihm entwickelten
vibrierenden Raumdarstellungen mit horizontalen und senkrechten Farbstreifen und Linien,
die sein Spätwerk prägen.
M. Geiges aus Zürich referierte über Forschungen zum Einfluss der Krankheit Sklerodermie
auf das Werk des Malers Paul Klee. Dabei ergab die genaue Untersuchung der Biographie
und des künstlerischen und politischen Umfeldes im Vergleich zu den Bildern, dass
viele scheinbare Zusammenhänge fragwürdig sind. Bereits die erst Jahrzehnte nach dem
Tod des Künstlers gestellte Diagnose wurde in der Regel als periphere Form der Sklerodermie
fehlgedeutet. Die Werke wurden mehr intuitiv als aufgrund von Fakten „pathologisiert”.
Gerade wenn sich ein Werk so einfach medizinisch zuordnen lässt, sollte dies mit besonderer
Vorsicht geschehen.
Einen Einblick in die blaue Periode von Pablo Picasso wurde von M. Braun-Falco aus
München unter dem Aspekt der dargestellten Frauen präsentiert. Überzeugend wurden
ikonographische Merkmale von Prostituierten in den Bildern gezeigt. Durch die Hinweise
auf die möglichen Beweggründe der künstlerischen Wende hin zur blauen Periode und
mit dem Vermerk der bekannten Angst Picassos vor Syphilis wurde das ganze Kapitel
in einen anschaulichen biographischen Rahmen eingebettet.
Das Ärztepaar V. und U. Wendt aus Westerende präsentierte ein bisher unter den Dermatologen
nicht bekanntes Bild einer Vitiligo, gemalt von Adolph von Menzel aus dem Jahre 1861.
Über äußerliche Details des Bildes konnte eine Objektgeschichte aus dem 19. Jahrhundert
bis heute präsentiert werden. Der fesselnde Vortrag war ein hervorragendes Beispiel
für die wertvolle Interdisziplinarität bei medizinhistorischen Forschungen, in dem
die beiden Kunstkenner dank ihrem unterschiedlichen medizinischen Hintergrund spannende
Überlegungen zur psychologischen Motivation des Künstlers bei der Darstellung dieser
Dermatose diskutieren konnten.
Das Portrait von Dr. Hans Koch, gemalt von Otto Dix, provoziert immer wieder die an
Kunst interessierten Dermatologen und Urologen. In Dresden, am Entstehungsort des
Bildes, berichtete die Historikerin M. Frank aus Köln über die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe
in der Erforschung der Aussagen und Hintergründe dieses Bildes. Der neuartige Zugang,
von heuristischen Impulsen getrieben, detaillierte Recherchen zu dem auf dem Bild
Erkennbaren anzustellen, vermochte zu überzeugen. Lebendig und sogar mit Objekten
aus dem Bild wurde dabei der Werdegang des Arztes Koch in seiner Zeit kritisch dargestellt.
Der erfreulich großen Anzahl von Zuhörern war es zu verdanken, dass G. Plewig aus
München ein zu seinem Thema passendes tropisches Klima im Saal vorfinden konnte. Der
Zuhörer wurde über die Bedeutung der eingenagelten Gegenstände und über versteckte
Receptacula von Fetisch-Figuren aus dem Kongo aufgeklärt. Auch beim bisher völlig
unwissenden Laien wurde das Interesse an den Fetischen und ihrer magischen Wirkung
geweckt. Das behutsame Vorgehen sowohl in der Darstellung wie auch in den nichtinvasiven
Untersuchungen durch den Dozenten lenkte das Bewusstsein auf die Frage nach dem Schutz
und dem Respekt vor diesen wichtigen kulturellen Bedeutungsträgern.
S. Scholz aus Graz rief mit einer reichhaltig illustrierten Präsentation die Leidensgeschichte
des Peregrinus Latiosus in Erinnerung. In der Folge des ständigen Stehens als Bußübung
entwickelte sich bei dem Serviten eine chronisch venöse Insuffizienz. Die anwesenden
Dermato-Phlebologen konnten den Spekulationen über die Ursachen und Diagnosen des
Leidens des Schutzpatrons der Ulkuskranken gut zustimmen. Beeindruckend waren darüber
hinaus die enorm realistischen Ulkusdarstellungen aus Kirchen, welche die Referentin
mit Bildern zeigen konnte.
Wer bisher geglaubt hatte, dass Dermatologie kaum etwas mit Musik zu tun haben könnte,
wurde durch C. Löser aus Ludwigshafen in einer sehr unterhaltsamen Präsentation eines
Besseren belehrt. An die Berufskrankheiten von Musikern hätten wohl die meisten noch
gedacht. Spezieller schon waren die Hinweise auf mögliche Krankheiten, welche Virtuosen
wie Paganini in ihrer Begabung unterstützt haben könnten. Auf Hörproben des bisher
den meisten Anwesenden unbekannten Dermatologen-Ensembles „the 4skins” aus den 20er
Jahren oder der Vertonung einer Blasensteinoperation musste dann leider verzichtet
werden, doch das Interesse ist geweckt.
Abgeschlossen wurde die wissenschaftliche Sitzung mit der erstmaligen Verleihung des
Paul Caesar Richter-Preises für richtungsweisende Arbeiten auf dem Gebiet der Fachgeschichte
der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Ausgezeichnet wurde Herr Dr. M. Geiges aus Zürich
für die medizin- und kulturhistorische Betrachtung „Gebräunte Haut - gefährlich gesund”.
Ein Ehrendiplom wurde Herrn Dr. S. Eppinger aus Dresden für die Veröffentlichung „Das
Schicksal der jüdischen Dermatologen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus”
verliehen.
Nach einem intensiven kulturgeprägten Nachmittag fand die wissenschaftliche Aktivität
der AGDV am 21. April in Form eines Frühstückseminares seine Fortsetzung. Wiederum
zeigte die große Anzahl von Teilnehmern zu der doch frühen Morgenstunde, dass ein
breites Interesse an der Geschichte unseres Spezialfaches besteht. Der Seminartitel
„Junge Dermatologen entdecken die Geschichte ihres Faches” war in Fortsetzung zum 42. DDG-Kongress wiederum die Bestätigung, dass Geschichte
der Dermatologie kein vorrangiges Thema für Pensionäre ist, sondern junge Kollegen
ebenso herausfordert. N. Kuner präsentierte Ausschnitte aus seiner Doktorarbeit über
die Wunderheilungen in der katholischen Kirche, den Forschungen zu den Wunderheilungen
in Lourdes und schlug schließlich den Bogen zum kaum bekannten Atlas des Dermatologen
Marie Nicolas Devergie.
E. Weisshaar aus Heidelberg stellte in ihrem Referat fest, dass erstaunlicherweise
bisher sehr wenig zur Geschichte des Pruritus geforscht wurde. Über die Biographie
des von Juckreiz geplagten Revolutionärs Jean Paul Marat wurde ein Einblick in die
Leidenswelt von Prurituskranken in früheren Jahrhunderten ermöglicht. Besonders spannend
waren dabei auch die Mutmaßungen über Einflüsse der Krankheit und Stigmatisierung
auf Charakter und Popularität dieser Führerpersönlichkeit.
A. Krebs aus Dresden stellte ihre bisherigen Forschungen im Rahmen der Dissertation
über die Geschichte der Dermatologie in Polen vor. Es gelang ihr sofort, aufzuzeigen,
dass für diese Arbeit nicht nur die nötige Zweisprachigkeit sondern auch ein starker
persönlicher Bezug zu beiden Ländern, wie ihn die Referentin besitzt, nötig ist. Wenig
oder nichts ist bisher bekannt über die standhaften und erfolgreichen Bemühungen der
polnischen Dermatologen, ihr Fach inmitten einer enormen Krise nicht nur zu erhalten
sondern auch unter den widrigsten Umständen weiterzuentwickeln. Umso mehr faszinierte
der Vortrag und weckte ein Interesse an den weiteren Forschungen über die viel engeren
Beziehungen der beiden Ländern, als allgemein bewusst ist.
Mitglieder der AGDV im Banne des „gläsernen Menschen” bei der an die Tagung anschließenden
Führung im Hygienemuseum in Dresden (Bild: C. Löser).