Fallbericht
Anamnese
Bei Erstvorstellung im Februar 2005 berichtet der 76-jährige Rentner und Hobby-Landwirt,
dass er im Jahr 2004 zwei Stunden nach Genuss von „saure Nierle” mit Spätzle und Kroketten
sowie Pfefferminztee in einem Landgasthaus mit einer generalisierten Urtikaria, Quincke-Ödem
sowie mit Atemnot mit anschließendem Herz-Kreislauf-Stillstand reagiert habe. Im Jahr
zuvor habe er „saure Nierle” mehrfach gegessen und problemlos vertragen. Der sofort
verständigte Notarzt habe den Patienten erfolgreich reanimiert und zur intensivmedizinischen
Weiterbetreuung ins Krankenhaus eingeliefert.
Schweinefleisch, Rindfleisch, Geflügel und Lamm seien seither mehrfach problemlos
verzehrt worden.
Unter Würdigung der Anamnese bestand der Verdacht, dass ein Inhaltsstoff der „sauren
Nierle” für die Beschwerden des Patienten verantwortlich sein könnte. Daher entschieden
wir uns zur Prick- und Intrakutantestung von Nutritiva sowie von mitgebrachter Niere
roh und gekocht (nativ) und nach oben genanntem Rezept (Tab. [1]) selbst zubereiteten „saure Nierle” (nativ). Außerdem bestimmten wir spezifische
IgE-Antikörper gegen Rindfleisch, Schweinefleisch, Hammelfleisch und Hühnerfleisch
im Serum mittels EAST.
Allergologische Befunde
Pricktestung
Die Pricktestung wurde nach Standardverfahren durchgeführt [1]. Die Ablesung erfolgte nach 20 und 40 Minuten.
Dreifach-positive Pricktestreaktionen (Quaddel: 4 - 6 mm/Rötung: 11 - 20 mm) waren
nachweisbar auf: Schweineniere roh (nativ), Schweineniere gekocht (nativ), „saure
Nierle” (nativ). Zweifach-positive Pricktestreaktionen (Quaddel: 3 mm/Rötung: 6 -
10 mm) waren nachweisbar auf: Kuhmilch (Allergopharma), Bettfedern (ALK Scherax).
Ansonsten negativ, insbesondere zwei Fleischmischungen (Schwein, Hammel, Huhn, Gans,
Ente, Pute, Rind) (Allergopharma), Schweinefleisch (Allergopharma), Weizenmehl (Allergopharma),
Hühnerei (Allergopharma), Kartoffel (Allergopharma), Tomate (Allergopharma), Pfeffer
(Allergopharma), Tomatenmark (nativ), Fleischbrühe (nativ), Pfefferminztee (nativ),
Katzenepithelien (Allergopharma). Dreifach-positive Histaminkontrolle, negative 0,9
% NaCl-Kontrolle (Abb. [1]).
Abb. 1 Pricktest: positiver Hautbefund auf Schweineniere roh und gekocht sowie auf „saure
Nierle”.
In-vitro-Untersuchungen
EAST/spezifische IgE-Antikörper: Negativ waren (< 0,35 kU/l (Klasse 0)): Rindfleisch,
Schweinefleisch, Hammelfleisch, Hühnerfleisch.
Diskussion
Im vorliegenden Fall kam es zu einer anaphylaktischen Reaktion mit Urtikaria, Quincke-Ödem
und Herz-Kreislauf-Stillstand nach Verzehr von „saure Nierle” mit Kroketten, Spätzle
und Pfefferminztee. In den durchgeführten allergologischen Testungen konnten wir dreifach-positive
Pricktest-Reaktionen auf Schweineniere roh, gekocht, sowie auf „saure Nierle” nachweisen
(Abb. [1]). Die weiteren Inhaltsstoffe der „sauren Nierle” (Tomatenmark, Fleischbrühe, Pfeffer,
Zwiebel (Tab. [1])) sowie Kartoffel, Weizenmehl und Hühnerei (Inhaltsstoffe der Beilagen) und der
zeitgleich getrunkene Pfefferminztee waren in der Pricktestung negativ. Der Nachweis
von spezifischen IgE-Antikörpern im Serum ist nach den Empfehlungen der American Academy
of Allergy and Immunology nicht unbedingt erforderlich, wenn durch einen positiven
Pricktest die IgE-vermittelte Immunantwort nachgewiesen ist [2]
[3]. Somit stellten wir die Diagnose einer Typ I-Allergie auf Schweineniere.
Tab. 1 Übersicht der Inhaltsstoffe von „saure Nierle”
Saure Schweinenierle (nach alter Familientradition) |
Zutaten:
250 g Schweinenieren
30 g Butter (oder etwas mehr),
Prise Salz und Pfeffer
Etwas Tomatenmark
1/3 Tasse Fleischbrühe (oder Soßenrest vom Sonntagsbraten)
1 guter Schuss Essig (nach Geschmack)
1 Zwiebel 2 Gewürzgurken |
Zubereitung:
Die Schweinsnieren gut wässern, sonst „soichelts”. In Scheiben schneiden und in gut
heißem Fett kurz anbraten. Mit Salz und Pfeffer und Tomatenmark würzen und mit der
Fleischbrühe ablöschen. Essig je nach Geschmack zugeben (lässt sich nachdosieren).
Nun die in Scheiben geschnittene Zwiebel rösten und diese über die Nieren geben. Die
Gewürzgurken in Streifen schneiden und das Ganze damit garnieren. Dazu reicht man Spätzle & Salat. TIP: Geröstete Spätzle vom Vortag sind spitze dazu! |
In der Literatur sind nur sehr wenige Fälle von Typ I-Allergien auf Schweineniere
beschrieben [4]
[5]
[6]. Sehr selten sind diese Patienten nicht ausschließlich auf Schweineniere, -darm
und -leber allergisch, sondern auch auf Schweinefleisch [6]. Im vorliegenden Fall wurde Schweine-, Rind- und Lammfleisch sowie Geflügel nach
dem allergischen Ereignis mehrfach problemlos verzehrt, außerdem waren Pricktestung
und EAST auf Schweine-, Rind-, Hammelfleisch sowie auf Huhn und Pute negativ.
Kreuzreaktionen zwischen Schweineniere und Lammdarm sind beschrieben [4]. Eine Allergie auf Lammfleisch konnte im speziellen Fall bei negativem EAST und
Pricktest auf Hammelfleisch und fehlender Klinik ausgeschlossen werden.
Außerdem sind Kreuzallergien zwischen Schweineniere und Katzenepithelien nachgewiesen
worden [7]. Auch diese konnten wir bei negativem Pricktest und fehlender Klinik ausschließen.
Die molekulare Charakterisierung und rekombinante Expression des/der Schweinenierenallergene,
insbesondere (parziell) hitzestabiler Transferfaktoren, steht bislang aus.
Neben der Typ I-Allergie auf Schweineniere fielen in der durchgeführten Pricktestung
positive Reaktionen auf Kuhmilch und Bettfedern auf. Die Anamnese unseres Patienten
war negativ bezüglich klinischer Symptome beim häufigen Verzehr von Kuhmilchprodukten.
Außerdem bestand keine Rhinokonjunktivitis allergica perenniales oder ein allergisches
Asthma bronchiale bei positivem Pricktest auf Bettfedern und Verwendung von Federbetten.
Somit ist für beide positive Reaktionen nicht von einer klinischen Relevanz auszugehen.
Kreuzallergien zwischen Schweineniere und Kuhmilch oder Bettfedern sind ebenfalls
nicht beschrieben.
Fazit für die Praxis
Zusammenfassend sollte bei einer Typ I-Reaktion auf Fleischgerichte, insbesondere
auf Innereien, eine mögliche Schweinenierenallergie mitbedacht werden.