I. Einleitung
I. Einleitung
Das BSG hat in der oben genannten Grundsatz-Entscheidung eine Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung für eine im Krankenhaus durchgeführte klinische Studie
vollständig abgelehnt. Nach Ansicht des Senats müsse der Sponsor einer solchen Studie
neben den Kosten für die Abgabe des noch nicht zugelassenen Arzneimittels auch die
sonstigen stationären Behandlungskosten tragen. Die Entscheidung widerspricht der
klinischen Praxis, welche gesetzlich durch § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V sowie §§
8 I 2, 17 III Nr. 2 KHEntgG abgesichert ist und setzt sich über den Willen des Gesetzgebers
hinweg, so dass Anlass zu einer kritischen Würdigung besteht. Der Entscheidung lag
folgender Sachverhalt zugrunde:
II. Sachverhalt
II. Sachverhalt
Der Kläger betreibt eine psychiatrische Klinik. In der Zeit von Januar 1994 bis Mai
1995 führte der Kläger an 12 bei der beklagten Krankenkasse versicherten Patienten
eine Arzneimittelstudie in Form einer sog. "Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie"
mit dem in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittel "Duloxetin" sowie eine sog.
"Dosisfindungsstudie" mit dem für die Behandlung von Depressionen nicht zugelassenen
Arzneimittel "Pramipexol" durch. Die Beklagte zahlte zunächst die der jeweiligen Gesamtdauer
der stationären Krankenhausaufenthalte entsprechenden Pflegesätze. Nach kritischen
Presseberichten über Arzneimittelstudien beauftragte sie den Medizinischen Dienst
der Krankenkassen (MDK) und bat um Aufklärung, an welchen Tagen der stationären Behandlung
Maßnahmen der Arzneimittelstudien und an welchen Tagen die anderen Therapieformen
im Vordergrund gestanden hätten. Der MDK ermittelte während der Gesamtbehandlungsdauer
der 12 Versicherten insgesamt 459 Tage, die Arzneimittelstudien gedient hatten.
Im Juni 1998 forderte die Beklagte vom Kläger die bereits erbrachten Pflegekosten
für 459 Tage in Höhe von 90 524,22 Euro zurück. Als der Kläger die Rückzahlung ablehnte,
rechnete die Beklagte im März 1999 mit laufenden anderweitigen Krankenhausrechnungen
in entsprechender Höhe auf. Im Mai 1999 erhob der Kläger Zahlungsklage, die letztlich
erfolglos blieb.
III. Entscheidungsgründe
III. Entscheidungsgründe
Das BSG hielt die im Wege der Aufrechnung geltend gemachten Ansprüche der Beklagten
für begründet, nach Ansicht der Richter hätte die Beklagte sogar jegliche Bezahlung
der Krankenhausbehandlung ablehnen können.
Der Rückforderungsanspruch der Beklagten beruht auf einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.
Maßgeblich war die Frage, ob die streitbefangene Zahlung der Beklagten ohne Rechtsgrund
erfolgte, der Kläger also keinen Anspruch auf Erstattung der Pflegesätze hatte.
Ein etwaiger Anspruch des Klägers hätte sich einzig aus § 39 I 2 SGB V ergeben können.
Danach haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen
Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist.
Dabei umfasst die Krankenhausbehandlung im Rahmen des Versorgungsauftrags alle Leistungen,
die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung
der Versicherten notwendig sind, § 39 I 3 SGB V. Ausgenommen sind aber solche Behandlungsformen,
die nicht den in §§ 2 I, 12 I und 28 I SGB normierten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien
genügen. Demnach müssen die Leistungen einerseits dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen,
andererseits zweckmäßig, wirtschaftlich sowie notwendig sein. Klinische Studien sollen
grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durchgeführt
werden, allerdings sei verschiedentlich eine Beteiligung an der Entwicklung neuer
Behandlungsmethoden vorgesehen wie etwa für Modellvorhaben in §§ 63 ff. oder für klinische
Studien in § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V. Daraus folgert das BSG, dass klinische
Studien gerade nicht der Standardbehandlung und damit auch nicht dem Qualitätsmaßstab
des § 2 I 3 SGB V entsprechen.
Eine Verpflichtung der GKV zur Übernahme der Kosten einer Krankenhausbehandlung könne
nicht dem vom Kläger angeführten, in §§ 40, 41 AMG niedergelegten Grundsatz entnommen
werden, wonach die GKV zumindest anteilig die Kosten einer klinischen Prüfung zu tragen
habe. Klinische Prüfungen seien nämlich keine klinische Studien im Sinne des § 137c
II 2, 2. Halbsatz SGB V. Darüber hinaus würden es die unterschiedlichen Zielrichtungen
von Arzneimittelrecht und dem Recht der GKV verbieten, von der Zulässigkeit eines
Arzneimittelversuchs auf etwaige Finanzierungspflichten durch die GKV zu schließen.
Zweck des AMG sei es, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von
Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für
deren Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu sorgen (§ 1 AMG); die GKV habe
demgegenüber die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen
oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 I 1 SGB V). Inhaltlich regele das AMG
demnach nur, in welchen Bahnen sich der medizinische Fortschritt im Bereich der Arzneimittelentwicklung
zu bewegen habe; ob und inwieweit dies von Seiten der GKV ganz oder teilweise zu finanzieren
sei, bleibe im Arzneimittelrecht unentschieden.
Auch liege kein Modellversuch nach § 63 IV 2 SGB V vor, da weder Fragen der biomedizinischen
Forschung noch - wie vorliegend der Fall - Forschungen zur Entwicklung und Prüfung
von Arzneimitteln Gegenstand solcher Vorhaben sein können.
Eine Verpflichtung der Beklagten folge schließlich auch nicht aus § 137 II 2, 2. Halbsatz
SGB V, §§ 8 I 2, 17 III Nr. 2 KHEntgG. Zwar sei die Krankenkasse danach verpflichtet,
Entgelte für die allgemeinen Leistungen des Krankenhauses zu entrichten, jedoch gemindert
um die Kosten für wissenschaftliche Forschung und Lehre, die über den normalen Krankenhausbetrieb
hinausgehen. Damit sei nach Ansicht des Senats aber keine anteilige Finanzierung von
faktisch trennbaren Teilen einer Behandlung gemeint, da eine Krankenhausbehandlung
zu komplex sei, als dass sie in Standard- und Forschungsbehandlung aufgeteilt werden
könne. § 137 II 2, 2. Halbsatz erfasse nur Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
nicht aber klinische Studien mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln. Dies lasse
sich bereist aus § 47 I Nr. 2 g) AMG ableiten, wonach Arzneimittel, die zur klinischen
Prüfung bestimmt sind, an Krankenhäuser und Ärzte nur abgegeben werden dürfen, sofern
sie kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Darin sei der Grundsatz verwurzelt, klinische
Prüfungen nicht auf Kosten der Krankenkassen durchzuführen. Ferner rechtfertige sich
diese Überlegung dadurch, dass die pharmazeutischen Unternehmen über die Gestaltung
der Arzneimittelpreise die aufgewandten Kosten amortisieren könnten.
Aufgrund dieser Erwägungen - so das BSG - sei die stationäre Krankenhausbehandlung
eines Versicherten nicht von der GKV zu vergüten, "solange sie der klinischen Prüfung
eines nicht zugelassenen Arzneimittels dient, ohne dass es darauf ankommt, ob die
Arzneimittelstudie dabei im Vordergrund steht oder nicht".
Ob die Beklagte durch die klinische Studie die Kosten einer Standardbehandlung gespart
hat, hielt der Senat für nicht mehr feststellbar. Zudem sei die versuchsweise durchgeführte
Behandlung anderer Qualität, da sie möglicherweise wirkungslos sei oder den Patienten
sogar schade. Das BSG kommt insoweit zu der rechtlich nicht näher begründeten Feststellung:
"Angesichts der Komplexität der Behandlung, bei der begleitende Maßnahmen nicht isoliert
betrachtet werden können, kommt auch eine Vergütung für nichtärztliche Leistungen
sowie Unterkunft und Verpflegung nicht in Betracht, weil die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
der Krankenhaus-behandlungen insgesamt nicht festzustellen ist."
Nach Ansicht des BSG war daher der Rückforderungsanspruch der Beklagten begründet,
die Klageforderung durch die im Übrigen zulässige Aufrechnung erloschen, so dass die
Klage abzuweisen war.
IV. Kritische Würdigung
IV. Kritische Würdigung
Die Entscheidung des BSG beruht auf einer fragwürdigen Auslegung der §§ 137 SGB V,
8, 17 KHEntgG, die dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspricht und die bisherige
klinische Praxis unbeachtet lässt.
Zunächst lehnt das BSG zu Recht eine Übertragung der Prinzipien des AMG auf die GKV
ab. AMG und SGV V verfolgen eigenständige Zielrichtungen, die jedenfalls für die vorliegende
Problematik der GKV-Leistungspflicht für klinische Studien in Krankenhäusern nicht
aussagekräftig sind. Umso mehr überrascht es, wenn der erkennende Senat auf § 47 I
Nr. 2 g) AMG zurückgreift, um die restriktive Auslegung des § 137 SGB V zu rechtfertigen.
Auch ist dem AMG der Grundsatz, klinische Studien seien nicht auf Kosten der Krankenkassen
durchzuführen, jedenfalls nicht in der Weise zu entnehmen, wie ihn das BSG interpretiert.
Wie die erkennenden Richter selbst ausführen, bestimmt § 47 I Nr. 2 g) lediglich,
dass die zur klinischen Prüfung bestimmten Arzneimittel kostenlos zur Verfügung gestellt
werden müssen; ob und inwieweit die Kosten der stationären Unterbringung von der GKV
zu tragen sind, regelt das AMG demgegenüber nicht. Insoweit vermag die Argumentation
des BSG nicht zu überzeugen.
Ein weiterer Ansatz des Senats ist ebenfalls nur im Ausgangspunkt richtig: Klinische
Studien sind keine Standardbehandlung und können damit auch nicht dem Qualitätsmaßstab
des § 2 I 3 SGB V entsprechen. Dieser unbestrittenen Tatsache aber tragen sowohl das
SGB V als auch das KHEntG Rechnung. § 137c SGB V ermächtigt den gemeinsamen Bundesausschuss,
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch Richtlinien zu untersagen, die für eine
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung des Versicherten unter Berücksichtigung
des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht notwendig sind.
§ 137 II 2 2. Halbsatz SGB V nimmt klinische Studien von einer Bewertung durch den
Gemeinsamen Bundesausschuss aus ("die Durchführung klinischer Studien bleibt unberührt")
und verdeutlicht dadurch, dass klinische Studien von den Kriterien des § 137 I SGB
V unabhängig sein sollen. Noch evidenter ist dieser Gedanke im KHEntgG niedergelegt:
Nach § 8 I 2 KHEntgG sind bei Patienten, die im Rahmen einer klinischen Studie behandelt
werden, die allgemeinen Krankenhausleistungen zu berechnen, abzuziehen sind gemäß
§ 17 III Nr. 2 KHEntgG Kosten für wissenschaftliche Forschung und Lehre, die über
den normalen Krankenhausbetrieb hinausgehen.
Der Senat argumentiert nunmehr mit dem Wortlaut und einer teleologischen Reduktion,
um den - eigentlich doch klaren - Gesetzeszweck zu widerlegen: § 137 II 2, 2. Halbsatz
SGB V erfasse nur Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, nicht aber klinische Studien
mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln: Die Beteiligung der GKV an klinischen Studien
"beschränkt sich aber auf die Anwendung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
und gilt nicht auch für klinische Studien mit noch nicht zugelassenen Arzneimitteln.
Als Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind zwar alle professionellen heilkundlichen
- medizinischen - Verrichtungen anzusehen, die zur Erreichung der Behandlungsziele
nach § 27 I 1 SGB V vorgenommen werden. Trotz dieser weiten Formulierung ist die klinische
Prüfung von noch nicht zugelassenen Arzneimitteln - Doppelblindstudien ebenso wie
Dosisfindungsstudien - aber davon auszunehmen."
Zur Begründung dieser restriktiven Auslegung führt der Senat zunächst den oben bereits
erläuterten unzutreffenden Rückgriff auf § 47 AMG an. Es folgt eine Bezugnahme auf
§ 63 IV SGB V, der die Besonderheiten bei der Entwicklung und Prüfung von Arzneimitteln
dokumentiere und darauf schließen lasse, dass der Gesetzgeber keine Finanzierung klinischer
Studien durch die GKV wolle. Dieser Ansatz ist indes untauglich, weil die in § 63
SGB V erfassten "Modellvorhaben" einen anderen Forschungsinhalt haben als "klinische
Studien" im Sinne des § 137c II 2, 2. Halbsatz SGB V. Daher schließt § 63 IV SGB V
- was der Senat auch anerkennt - Forschungen zur Entwicklung und Überprüfung von Arzneimitteln
von den Modellvorhaben aus. Zudem stellt sich die Frage, was nach Ansicht des Senats
als klinische Studie im Sinne des § 137 II 2, 2. Halbsatz SGB V verbleibt, wenn die
Arzneimittelforschung, insbesondere im Rahmen von Doppelblind- und Dosisfindungsstudien,
ausgenommen wird. Letztlich greift der Senat auf eine ergänzende Erwägung zurück:
Pharmazeutische Unternehmen könnten die erhöhten Kosten über die Gestaltung der Arzneimittelpreise
amortisieren. Der Senat führt freilich nicht aus, wer im Weiteren die "erhöhten Arzneimittelpreise"
zu zahlen hat.
Das BSG übersieht, dass der Gesetzgeber die Problematik erkannt hat und eine Beteiligung
der GKV an der arzneimittelrechtlichen Forschung in Ansätzen für gerechtfertigt hält,
da die Forschungsergebnisse letztlich den Versicherten zugute kommen. Wie in §§ 7,
18 KHEntgG niedergelegt, soll die GKV aber nur die Kosten tragen, die im Rahmen einer
klinischen Studie über den normalen, also ohnehin anfallenden Pflegesatz hinausgehen.
Die Kostentragungspflicht soll also nur dann bestehen, wenn und solange der Versicherte
ohnehin stationär versorgt werden muss. Diese Wertung ist sowohl dem Gesetzestext
als auch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. In letzterer wird ausgeführt: "Insbesondere
bei Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die im Rahmen klinischer Studien (...)
angewandt werden, bleibt es dabei, dass die Krankenkassen die notwendige stationäre
Versorgung der in die Studien einbezogenen Patienten mit den Krankenhausentgelten
vergüten" (vgl. BT-Drucks. 14/1245, S. 90). Das Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung hat auf die vom BSG geschaffene, politisch jedoch nicht gewollte
Situation zwischenzeitlich reagiert und angekündigt, eine gesetzliche Klarstellung
in die Wege zu leiten. Diese sollte zügig erfolgen, da das Urteil des BSG nicht der
Gesetzeslage entspricht und zu einer erheblichen Verunsicherung bei Patienten, Ärzten
und pharmazeutischer Industrie geführt hat.
Nach der Gesetzeslage hätte eine Leistungspflicht der Beklagten jedenfalls insoweit
bestanden, als der stationäre Aufenthalt während der klinischen Studie notwendig gewesen
ist. Diese Frage hätte gutachterlich geklärt werden müssen, so dass insoweit keine
Entscheidungsreife vorlag. Es verwundert doch sehr, wenn der Senat diesbezüglich ohne
nähere Begründung und ohne Kenntnis der medizinischen Hintergründe ausführt, dass
"die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlungen insgesamt nicht festzustellen ist".