Immer noch verstirbt jeder zweite Bundesbürger in Deutschland an einer Erkrankung
des Kreislaufsystems. Nach Daten des Statistischen Bundesamts erlagen im Jahr 2003
fast 70000 Personen, davon fast 55% Männer einem Herzinfarkt.
Prof. Christian Hamm, Bad Nauheim, erläuterte im Gespräch mit Dr. Angelika Bischoff
moderne Strategien, die dazu beitragen, die Mortalität und Morbidität bei Herzinfarkt
zu verringern.
klinikarzt: Wie sieht heute eine optimale Akuttherapie des akuten Myokardinfarkts aus?
Prof. Chr. Hamm: Die Evidenz verdichtet sich immer mehr, dass die interventionelle Reperfusionstherapie
des Myokardinfarkts im Katheterlabor der Fibrinolyse überlegen ist. Das gilt zunehmend
auch für die Frühphase des Herzinfarkts. Häufig werden jedoch Zeitvorgaben für den
Beginn einer Behandlung, die in den Leitlinien festgelegt sind, nicht eingehalten.
Die contact-to-balloon-time sollte nicht mehr als 90 Minuten, die door-to-ballon-time
nicht mehr als 30 Minuten betragen.
klinikarzt: Mit welchen Parametern lässt sich das Risiko der Patienten stratifizieren?
Hamm: Zur Risikostratifikation gehört neben den klassischen Risikofaktoren in jedem Fall,
die linksventrikuläre Funktion durch eine Echokardiografie zu bestimmen. Davon hängt
auch das weitere Vorgehen ab, zum Beispiel, ob der Patient auch ein Kandidat für die
Implantation eines Defibrillators ist.
klinikarzt: Welche Medikamente sollten in der Nachbehandlung nach Herzinfarkt eingesetzt werden?
Gibt es neue Erkenntnisse?
Hamm: An die akute Reperfusionstherapie muss sich immer eine leitliniengerechte medikamentöse
Sekundärprävention anschließen. Es wird für jeden Patienten eine Standardtherapie
empfohlen, die sich aus Acetylsalicylsäure (ASS), einem ACE-Hemmer - oder bei Unverträglichkeit
- einem AT1-Antagonisten, einem Betarezeptorenblocker und einem Statin zusammensetzt. Alle diese
Bausteine verbessern die Überlebensprognose der Patienten. Zwei neue Studien, deren
Ergebnisse auf dem ACC vorgestellt wurden, machen die Zeit reif für die Überlegung,
den Patienten zusätzlich zu ASS auch Clopidogrel zu geben.
Als weiterer lebensrettender Baustein hat sich bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer
Funktion (Ejektionsfraktion ≤40%) und klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz in
der EPHESUS[1]-Studie der Aldosteronantagonist Eplerenon erwiesen. Besonders hat uns beeindruckt,
dass es hier zu einer signifikanten Abnahme der frühen Mortalität und insbesondere
des plötzlichen Herztods bereits in den ersten 30 Tagen kam, wenn die Patienten zusätzlich
zu ihrer Standardtherapie den Aldosteronantagonisten erhielten. Man sollte Eplerenon
deshalb bei Herzinfarkt-Patienten mit Zeichen einer Herzinsuffizienz in die sekundärpräventive
Strategie einschließen. Dieses Auswahlkriterium erfüllt ein großer Teil aller Herzinfarktpatienten.
klinikarzt: Wann sollte die Medikation mit den verschiedenen Substanzen beginnen?
Hamm: Bisher vertraten wir die Auffassung, dass alle Medikamente so früh wie möglich nach
dem Herzinfarkt eingesetzt werden sollten. Das gilt mit Sicherheit uneingeschränkt
für die Gerinnungshemmer und auch für ACE-Hemmer. Auch bei den Statinen gibt es Hinweise,
dass ein früher Therapiebeginn sinnvoll ist. Zweifel sind jedoch inzwischen entstanden,
ob man sehr früh mit Betarezeptorenblockern beginnen sollte, da sich dies in der COMMIT[2]-Studie nicht als vorteilhaft erwiesen hat. Bei Aldosteronantagonisten sollte man
sich an die Einschlusskriterien der EPHESUS-Studie halten und mit der Therapie innerhalb
von drei bis 14 Tagen nach dem Herzinfarkt beginnen.
klinikarzt: Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die aktuelle Versorgungssituation in
Deutschland inhaltlich und strukturell zu optimieren?
Hamm: Deutschland hat für eine Herzinfarkt-Versorgung auf hohem Niveau eigentlich optimale
Voraussetzungen, weil das Rettungssystem mit Notärzten besetzt ist und wir eine hohe
Dichte von Katheterlabors haben. Trotzdem hapert es noch an der Qualität der Versorgung,
weil viele Katheterlabors nicht 24 Stunden besetzt sind oder sich nicht an entsprechenden
Netzwerken beteiligen. Deshalb kann die Forderung, möglichst viele Patienten interventionell
zu behandeln, in vielen Regionen gar nicht umgesetzt werden.
Um die Vorgaben in den Leitlinien besser umsetzen zu können, wurden in Deutschland
bereits einige Netzwerke wie zum Beispiel das Herzinfarkt-Netzwerk Wetterau-Kreis
initiiert. Wir brauchen noch mehr Netzwerke dieser Art, damit Krankenhäuser untereinander
und mit den Rettungsdiensten besser zusammenarbeiten. Wir brauchen mehr Katheterlabors,
die rund um die Uhr verfügbar sind. Und nicht zuletzt muss die ambulante Nachversorgung
leitliniengetreuer ablaufen.
Herr Professor Hamm, wir bedanken uns für dieses Gespräch!