Einleitung
Einleitung
Seit Mitte der 90er-Jahre wurde der Beobachtung, dass die Partikel nicht nur einen
negativen Effekt auf die Atemwege, sondern auch auf das Herz-Kreislauf-System haben
könnten [1], mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Es konnte ein Zusammenhang zwischen Krankenhauseinweisungen
aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und erhöhten Konzentrationen von Partikeln
in der Außenluft nachgewiesen werden [2]. Seaton und Kollegen publizierten die Hypothese [3], dass ultrafeine Partikel zu Entzündungsreaktionen in der Lunge führen, die wiederum
die Koagulation des Blutes fördern und somit akute Herzinfarkte oder plötzliche Todesfälle
auslösen können. Des Weiteren stellten Godleski und Stone die Hypothese auf, dass
die Partikel die autonome Kontrolle des Herzens modifizieren könnten [4].
Diese Hypothesen wurden systematisch anhand der Daten des MONICA-Surveys 1984/85 (S1),
einer zufälligen Stichprobe der Augsburger Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 64
Jahren, untersucht. Der erste MONICA-Survey koinzidierte während des Winters 1984/85
durch Zufall mit der letzten großen Smogepisode in Zentraleuropa. Daher gab es einen
deutlichen Expositionsunterschied zwischen den Untersuchungen, die innerhalb und außerhalb
der Schadstoffepisode durchgeführt worden waren. Konkret wurden folgende Fragestellungen
untersucht:
-
Gibt es einen Anstieg der Koagulabilität des Blutes während der Schadstoffepisode,
so wie von Seaton und Kollegen [3] vorhergesagt wurde?
-
Gibt es einen Anstieg von Akute-Phase-Proteinen, die sowohl auf eine Entzündungsreaktion
in der Lunge als auch eine systemische Reaktion hindeuten würden?
-
Gibt es eine Veränderung der autonomen Kontrolle des Herzens, wie Stone und Godleski
[4] basierend auf Experimenten an Hunden postulierten?
-
Gibt es einen Anstieg des Blutdrucks?
Methoden
Methoden
Die Daten von S1 boten eine ideale Quelle, um die Auswirkungen der Schadstoffepisode
1985 auf Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu untersuchen. Im Rahmen
der MONICA-Studien wurde 1984/85 der erste bevölkerungsbezogene Survey durchgeführt
[5]. Dabei wurden Personen im Alter zwischen 25 und 64 Jahren auf ihre Herz-Kreislauf-Risikofaktoren
hin untersucht. Von zufällig ausgewählten Personen der Stadt Augsburg und der Landkreise
Augsburg und Aichach-Friedberg nahmen 4022 Personen teil (Response 79 %). Im Winter
1987/88 wurde eine zweite Untersuchung mit den gleichen Methoden an dem Probandenkollektiv
wiederholt.
Wichmann und Kollegen hatten gezeigt, dass es während dieser Episode zu einem Anstieg
von Sterbefällen und von Krankenhauseinweisungen im Ruhrgebiet gekommen war [6]. Dabei waren insbesondere die Auswirkungen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum damaligen
Zeitpunkt verwunderlich. In Augsburg stiegen die Schadstoffkonzentrationen während
der Schadstoffepisode, die in Augsburg vom 7. Januar bis zum 19. Januar 1985 dauerte
und während der Tagesmittelwerte der SO2-Konzentrationen über 150 µg/m3 gemessen wurden [7]. Die mittlere SO2-Konzentration lag bei 200 µg/m3 mit einem Maximum von 238 µg/m3 (Tab. [1]).
Tab. 1 Luftschadstoffe[1], Temperatur1 sowie Plasmaviskosität, CRP-Konzentrationen, Herzraten und systolischer Blutdruck
im MONICA-Survey S1 (1984/85) und der Follow-up-Untersuchung 1987/88 [7]
[16]
[18]
[19]
|
Winter 84/852
|
Winter 87/883
|
|
außerhalb der Schadstoffepisode |
Schadstoffepisode4
|
|
|
|
|
n |
Mittelwert (h5) |
Minimum - Maximum |
n |
Mittelwert (h) |
Minimum - Maximum |
n |
Mittelwert (h) |
Minimum - Maximum |
Schwefeldioxid [µg m - 3] |
116 |
48,1 (23,1) |
13 - 103 |
10 |
200,3 (26,6) |
160 - 238 |
158 |
23,6 (12,2) |
6 - 71 |
TSP [µg/m3] |
112 |
47,4 (28,7) |
7 - 135 |
11 |
97,7 (31,7) |
62 - 176 |
142 |
48,3 (22,1) |
12 - 134 |
Temperatur |
133 |
3,4 (5,9) |
- 18,0 - 14,5 |
11 |
- 15,5 (6,1) |
- 24,8-(- 5,1) |
153 |
6,0 (6,5) |
- 11,3 - 18,7 |
Plasmaviskosität |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Männer [mPa s] |
1 235 |
1,257 (0,064) |
1,09 - 1,53 |
148 |
1,267 (0,071) |
1,11 - 1,46 |
|
|
|
Frauen [mPa s] |
1 180 |
1,244 (0,064) |
1,10 - 1,53 |
118 |
1,258 (0,079) |
1,12 - 1,53 |
|
|
|
C-reaktives Protein |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Männer [mg/l] |
576 |
2,84 (4,08) |
0,05 - 56,4 |
55 |
4,64 (11,64) |
0,27 - 80,2 |
631 |
2,88 (5,08) |
0,02 - 83,2 |
Herzrate |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Männer [Schläge min - 1] |
1 235 |
66,0 (10,9) |
40 - 111 |
148 |
66,8 (10,5) |
46 - 101 |
1 383 |
64,9 (10,2) |
40 - 107 |
Frauen [Schläge min - 1] |
1 180 |
66,9 (9,9) |
42 - 115 |
118 |
69,4 (9,9) |
46 - 106 |
1 298 |
65,8 (9,7) |
42 - 108 |
systolischer Blutdruck |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Männer [mm Hg] |
1 235 |
133 (16) |
92 - 222 |
148 |
134 (14) |
99 - 190 |
1 383 |
132 (16) |
89 - 211 |
Frauen [mm Hg] |
1 180 |
126 (18) |
91 - 204 |
118 |
125 (18) |
94 - 220 |
1 298 |
125 (18) |
90 - 223 |
124-Stunden-Mittelwerte (Mitternacht - Mitternacht); 2 Untersuchungen an 144 Tagen
zwischen dem 9. Oktober 1984 und dem 24. Mai 1985; 3 Untersuchungen an 158 Tagen zwischen
dem 12. Oktober 1987 und dem 24. Juni 1988; 4 7. Januar bis 19. Januar 1985; 5 Standardabweichung
|
Damit waren die Konzentrationen viermal so hoch wie an den anderen Tagen des MONICA-Surveys
(Mittelwert: 48 µg/m3). Die Gesamtschwebstaub-Konzentrationen (total suspended particles [TSP]) stiegen
im Laufe der Episode an. Der Mittelwert der Episode lag mit 98 µg/m3 doppelt so hoch wie an den anderen Tagen (Mittelwert: 48 µg/m3). Obwohl die Werte der Episode deutlich über den normalen Winterkonzentrationen lagen,
waren sie nicht hoch genug, um einen Smogalarm auszulösen. Mitte der 80er-Jahre wurden
keine Messungen von feinen oder ultrafeinen Partikeln durchgeführt. Man kann allerdings
davon ausgehen, dass neben Partikeln aus lokalen Quellen auch feine Partikel von östlichen
Winden nach Augsburg transportiert wurden [8].
Für die Untersuchungen des Einflusses der Schadstoffepisode wurden die folgenden Herz-Kreislauf-Risikofaktoren
ausgewählt aufgrund der aktuell diskutierten pathophysiologischen Mechanismen: Plasmaviskosität,
C-reaktives Protein, Herzrate und Blutdruck (Tab. [1]). Ausgewertet wurden die Effekte der Schadstoffepisode mit Hilfe von Regressionsanalysen,
die, basierend auf generalisierten linearen Modellen, sowohl für Herz-Kreislauf-Risikofaktoren
als auch für meteorologische Einflüsse korrigierten. Zu den Herz-Kreislauf-Risikofaktoren,
die in allen Analysen berücksichtigt wurden, zählen Geschlecht, Alter, Bodymass-Index
(definiert als Körpergewicht/Größe2), Serum-Cholesterin- und HDL-Cholesterin-Werte, Rauchen und medikamentöse Behandlung
von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Einfluss der Meteorologie wurde durch die Berücksichtigung
der Außentemperatur, der relativen Luftfeuchtigkeit und des barometrischen Drucks
am Tage der Untersuchung abgebildet. In den Fällen, in denen die wiederholten Messungen
aus der Erstuntersuchung von S1 (1984/85) und der Zweituntersuchung (1987/88) zur
Verfügung standen, wurde dies mit Hilfe von „Generalized Estimating Equations” [9]
[10] berücksichtigt.
Ergebnisse
Ergebnisse
Anstieg der Plasmaviskosität
Wie bereits aufgeführt, hatten Seaton und Kollegen 1995 die Hypothese aufgestellt
[3], dass Partikelexpositionen zu einem Anstieg der Koagulabilität des Blutes führen
können und damit einen Pathomechanismus postulieren, der die Inhalation von Partikeln
mit akuten Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems in Verbindung bringt. Ein Maß für
die Koagulabilität des Blutes, das auf der Beschreibung der physikalischen Eigenschaften
des Blutes beruht, ist die Messung der Viskosität des Plasmas [11]
[12].
Im Rahmen von S1 wurde bei 3256 Personen der 4022 zufällig ausgewählten Personen im
Alter von 25 bis 64 Jahren die Plasmaviskosität untersucht [7]
[13]. Diese Personen hatten vollständige Informationen zu den klassischen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren,
keine akuten Infektionen am Tag der Untersuchung im Rahmen des MONICA-Surveys und
ihre Blutprobe wurde am Tag der Befragung abgenommen (Tab. [1]). Anhand dieser Daten wurde untersucht, ob erhöhte Plasmaviskositätswerte während
der Schadstoffepisode aufgetreten waren [7]. Vergleicht man die Verteilungen der Plasmaviskosität während der Episode mit der
Verteilung der Plasmaviskosität außerhalb der Episode, so ist eine Häufung hoher Werte
(oberhalb von 1,3 mPa s) während der Episode festzustellen. Dieses Ergebnis wird nicht
nur durch die kumulativen Verteilungen bestätigt, sondern auch durch die Analyse der
Plasmaviskositätswerte oberhalb der 80sten, der 90sten und der 95sten Perzentile mit
Hilfe von logistischen Regressionsmodellen. Adjustiert man in diesen Analysen für
die bekannten Einflussfaktoren auf die Plasmaviskosität, wie Alter, Bodymass-Index,
diastolischen Blutdruck, die Einnahme von Herz-Kreislauf-Medikamenten, Rauchen, Gesamtcholesterinwerte
und HDL-Cholesterinwerte im Blut, so sind die Schätzer etwas kleiner, bleiben aber
nach wie vor statistisch signifikant. Weitere mögliche Störeinflüsse können die Wetterbedingungen
sein, da die Episode mit sehr kalten Temperaturen, im Mittel - 15,5 °C, assoziiert
war. Nach Adjustierung für Herz-Kreislauf-Risikofaktoren und meteorologische Parameter
konnten Odds Ratios von 2 bis 3 für Plasmaviskositätswerte oberhalb der 95sten Perzentile
beobachtet werden (Tab. [2]). SO2- und TSP-Konzentrationen waren ebenfalls assoziiert mit einem Anstieg der Plasmaviskosität.
Diese Effekte waren aber deutlich reduziert, wenn gleichzeitig die Schadstoffepisode
in dem Modell berücksichtigt wurde.
Tab. 2 Zusammenfassung der Änderungen der Risikofaktoren im Rahmen des MONICA-Surveys S1
(1984/85) und der Follow-up-Untersuchung 1987/88 in Abhängigkeit von den Luftschadstoffen,
adjustiert für die klassischen Herz-Kreislauf-Risikofaktoren und meteorologischen
Einflüssen [7]
[16]
[18]
[19]
|
|
Männer |
Frauen |
|
|
OR |
95 %-Konfidenzintervall |
OR |
95 %-Konfidenzintervall |
Plasmaviskosität über der 95sten Perzentile |
Episode |
|
3,62 |
(1,61, 8,13) |
2,26 |
(0,97, 5,26) |
SO2
|
100 µg/m3
|
1,54 |
(0,90, 2,61) |
2,03 |
(1,17, 3,53) |
TSP |
100 µg/m3
|
1,75 |
(0,79, 3,89) |
2,30 |
(0,92, 5,79) |
CRP über der 95sten Perzentile |
Episode |
|
24,5 |
(2,48, 242,1) |
|
|
SO2
|
100 µg/m3
|
2,93 |
(1,19, 7,20) |
|
|
TSP |
100 µg/m3
|
3,60 |
(1,46, 8,86) |
|
|
|
|
mittlere Änderung |
95 %-Konfidenzintervall |
mittlere Änderung |
95 %-Konfidenzintervall |
Herzrate [Schläge pro min] |
Episode |
|
1,38 |
(- 0,08, 2,83) |
2,29 |
(0,71, 3,88) |
SO2
|
100 µg/m3
|
1,28 |
(0,52, 2,04) |
1,34 |
(0,51, 2,17) |
TSP |
100 µg/m3
|
1,79 |
(0,42, 3,16) |
1,66 |
(0,29, 3,03) |
Systolischer Blutdruck [mm Hg] |
Episode |
|
0,20 |
(- 1,83, 2,24) |
0,61 |
(- 1,73, 2,96) |
SO2
|
100 µg/m3
|
1,20 |
(0,09, 2,31) |
1,20 |
(- 0,58, 2,98) |
TSP |
100 µg/m3
|
1,37 |
(- 0,34, 3,08) |
2,48 |
(0,54, 4,41) |
Auslösung einer Akute-Phase-Reaktion
Der Anstieg der Plasmaviskosität könnte so interpretiert werden, dass die Partikel
nach Deposition in der Lunge Entzündungsreaktionen auslösen, die über eine Akute-Phase-Reaktion
zum Anstieg der Plasmaviskosität führen [14]. Das C-reaktive Protein (CRP) ist ein sensitiver Marker für Entzündungen, Gewebeschäden
und Infektionen [15]. Es ergab sich die Möglichkeit, diese Hypothese in Daten der MONICA-Studie zu testen
[16], da die CRP-Konzentrationen der 45- bis 64-jährigen Männer des MONICA-Surveys S1
(1984/85) bestimmt worden waren, um ihre Auswirkungen auf Herzinfarkte und plötzliche
Todesfälle zu untersuchen [17]. Mit Hilfe des sehr sensitiven CRP-Assays konnte gezeigt werden, dass CRP-Konzentrationen
der fünften Quintile (oberhalb von 4,6 mg/L) mit einem Anstieg der Risikorate um das
2,6fache assoziiert waren. Für die Analyse der Luftschadstoffeffekte standen zusätzlich
wiederholte CRP-Messungen des Jahres 1987/88 für jeden der 631 Probanden zur Verfügung
(Tab. [1]). Logistische Regressionsmodelle basierend auf „Generalized Estimating Equations”
[9]
[10] adjustierten für die klassischen Risikofaktoren Alter, Bodymass-Index, diastolischen
Blutdruck, Gesamt- und HDL-Cholesterin, Herz-Kreislauf-Medikamente, Rauchen und meteorologische
Parameter. Die Zielgröße waren CRP-Konzentrationen oberhalb von 8,7 mg/l, was der
95sten Perzentile der CRP-Verteilung entspricht. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang
konnte zwischen den TSP- und SO2-Konzentrationen in der Außenluft und erhöhten CRP-Konzentrationen ermittelt werden
(Tab. [2]). Ein Anstieg des Fünf-Tage-Mittelwertes des TSP um 100 µg/m3 war assoziiert mit einer 3,6fachen Odds Ratio. Der Effekt der Partikel war unabhängig
von der Schadstoffepisode zu beobachten, während der sich die Häufigkeit erhöhter
CRP-Konzentrationen mehr als verzwanzigfachte.
Anstieg der Herzrate
Während des ersten MONICA-Surveys war ein Ruhe-EKG abgeleitet worden, wodurch Herzratenmessungen
gemittelt über 20 Sekunden zur Verfügung standen. In einer Untergruppe von 2681 Männern
und Frauen wurde daher der Einfluss der Schadstoffepisode 1985 auf eine Erhöhung der
Herzrate als Marker für eine modifizierte autonome Kontrolle untersucht [18]. Diese Untergruppe hatte an der Untersuchung 1984/85 sowie 1987/88 teilgenommen,
hatte valide Plasmaviskositätswerte und zu beiden Zeitpunkten ein vollständiges EKG.
Die Herzrate war während der Schadstoffepisode im Vergleich zu anderen, weniger durch
Luftschadstoffe belasteten Zeiten erhöht (Tab. [1]). Anders als bei der Plasmaviskosität [7] oder den CRP-Messungen [16] wurde in den Daten kein Hinweis auf eine Häufung von extrem erhöhten Herzraten während
der Episode festgestellt, sondern alle grafischen wie statistischen Analysen deuteten
auf eine Verschiebung des Mittelwertes hin. Daher wurden lineare Regressionsmodelle
bei den endgültigen Analysen verwendet. Die Herzrate stieg während der Schadstoffepisode
im Mittel um 1,8 Schläge pro Minute an, wenn man den Einfluss der Meteorologie sowie
klassischer Herz-Kreislauf-Risikofaktoren berücksichtigt (Tab. [2]). Analysen, die die gemessenen SO2- und TSP-Konzentrationen berücksichtigten, bestätigten dies. Die Ergebnisse belegten
sowohl eine Auswirkung der Episode auf die Herzrate als auch die Auswirkungen von
Partikeln außerhalb der Episode in zusätzlichen Analysen.
Anstieg des Blutdrucks
Einen zusätzlichen Beleg dafür, dass in Abhängigkeit von der Partikelexposition eine
Verschlechterung des kardiovaskulären Risikofaktorenprofils auftreten kann, lieferten
die Analysen zur Auswirkungen der Luftschadstoffe auf den Blutdruck [19]. In den Rohdaten wurde beobachtet, dass der systolische Blutdruck während der Schadstoffepisode
erhöht war (Tab. [1]). Anders jedoch als bei den vorherigen Analysen scheint dieser Anstieg auf die meteorologischen
Bedingungen zurückzuführen zu sein. Denn nach Adjustierung für die Temperatur, die
relative Luftfeuchte und den Luftdruck konnte kein Unterschied mehr zwischen den Blutdruckwerten
bei Probanden, die während der Episode untersucht wurden, im Vergleich zu den Probanden,
die außerhalb der Episode untersucht wurden, festgestellt werden (Tab. [2]). Nichtsdestotrotz konnte eine statistisch signifikante Assoziation in Abhängigkeit
von den TSP- und SO2-Konzentrationen ermittelt werden. Diese Beziehungen waren robust gegenüber der Einbeziehung
der meteorologischen Faktoren in die Modelle. Auch hier zeigte sich wieder, dass Probanden
mit erhöhter Plasmaviskosität oder erhöhten Herzraten auch einen stärkeren Anstieg
im systolischen Blutdruck in Abhängigkeit von der Partikelexposition hatten.
Diskussion
Diskussion
Die hier zusammengefassten Ergebnisse von S1 (1984/85) [7] und der zwei Jahre später durchgeführten Follow-up-Untersuchung [16]
[18]
[19]
[20] weisen darauf hin, dass die Partikel in der Lage sind, sowohl eine systemische Reaktion
auszulösen, als auch eine Modulation der autonomen Kontrolle des Herzens zu bewirken.
Leider lagen keine Messwerte zu den Konzentrationen der feinen und ultrafeinen Partikel
während der Schadstoffepisode vor. Zwar legen Modellrechnungen eine starke Erhöhung
feiner Partikel während der Schadstoffepisode nahe, aber ein formaler Nachweis lässt
sich nicht führen.
Mit dieser Studie konnte erstmals gezeigt werden, dass Schadstoffe einen systemischen
Effekt haben können. Erhöhte Plasmaviskositätswerte sind in prospektiven Kohortenstudien
als Risikofaktoren für akute koronare Ereignisse identifiziert worden [21]
[22]
[23]
[24]. Die Plasmaviskosität wird von großen asymmetrischen Makromolekülen wie Fibrinogen
und Immunoglobulinen [11] bestimmt. Fibrinogen und Akute-Phase-Proteine sind selbst mit einem Anstieg von
koronaren Herzerkrankungen assoziiert [25].
In der Untergruppe der Männer im Alter zwischen 45 und 64 Jahren, die an S1 teilgenommen
hatten, konnten Koenig und Kollegen zeigen, dass Plasmaviskositätswerte oberhalb von
1,35 mPa s mit einem 2,6fachen Risiko assoziiert waren, während eines 8-Jahre-Follow-ups
einen Herzinfarkt zu erleiden [24]. Das bedeutet, dass während der Episode die doppelte Anzahl der Probanden genau
in diese Kategorie fiel. Die erhöhte Plasmaviskosität während der Schadstoffepisode
könnte daher Teil der Kette von Pathomechanismen sein, die hohe Konzentrationen von
Luftschadstoffen mit einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen und der Sterblichkeit
aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbindet [14]
[26].
Die Arbeit zur Plasmaviskosität [7] repräsentiert bis heute die stärkste Evidenz für einen systemischen Effekt der Partikel
in der Außenluft. Bestätigt werden konnten diese Ergebnisse von Pekkanen und Kollegen,
die die Fibrinogenkonzentrationen von Probanden der Whitehall-Studie in London untersuchten
und einen Anstieg des Fibrinogens in Abhängigkeit von NO2 und PM10 zeigen konnten [27]. Diese Daten deuten auf den Verkehr als mögliche Quelle für die Partikel, die für
diese physiologischen Veränderungen verantwortlich waren, hin. Seaton und Kollegen
konnten in einer Kohortenstudie mit Senioren keine Änderungen der Plasmaviskosität
oder des Fibrinogens beobachten [28]. Analysen des „National Health und Nutrition Examination Survey” (NHANES) bestätigen
die Ergebnisse, da sie einen Anstieg des Fibrinogens in Assoziation mit PM10 zeigen [29].
Die Effekte der Partikel und der Episode auf das CRP waren noch deutlicher ausgeprägt
als auf die Plasmaviskosität [7]
[16]. Diese Zusammenhänge wurden in einer zufälligen Stichprobe von gesunden Männern
im Alter zwischen 45 und 64 Jahren gezeigt, die zu Beginn der Studie im Winter 1984/85
keine koronaren Herzerkrankungen hatten. Die Halbwertszeit des CRP beträgt 19 Stunden.
Die Plasmakonzentrationen hängen von der Syntheserate der Leber, induziert durch Interleukin-1,
Interleukin-6 und Tumor-Nekrose-Faktor alpha, ab [30]. Es wird postuliert, dass Partikel die Aktivierung von Alveolarmakrophagen [31], Epithelzellen [32] und die Rekrutierung von Leukozyten [33] induzieren, die daraufhin ihrerseits die oben genannten Zytokine freisetzen und
damit die CRP-Synthese auslösen. Damit konnten im Rahmen dieser Untersuchung die Ergebnisse
zur Plasmaviskosität bestätigt und der vermutete Pathomechanismus konnte weiter untermauert
werden [14].
Die Versuche von Godleski und Kollegen an Hunden, die in Expositionskammern konzentrierten
Partikeln der Bostoner Luft ausgesetzt waren, deuteten auf eine Veränderung der autonomen
Kontrolle des Herzens in Abhängigkeit von den Partikeln hin [34]. Dieser Mechanismus wird von Godleski und Kollegen als unabhängig von einem systemischen
Effekt der Partikel angenommen [4]
[34]. Daher wurde die Herzrate in den MONICA-Daten als ein Marker für die autonome Kontrolle
des Herzens untersucht. Die Ergebnisse der MONICA-Studie stimmen mit einer Studie
von Pope und Kollegen überein, die einen Anstieg des Pulses in Abhängigkeit von PM10-Konzentrationen bei gesunden Senioren beobachteten [35]. Inzwischen haben Pilotstudien zu Auswirkungen der Luftschadstoffe auf die Herzratenvariabilität
einen möglichen Einfluss der Partikel auf die autonome Kontrolle des Herzens weiter
untermauert [36]
[37]
[38]
[39]. Bei dem Anstieg des Blutdrucks im Rahmen der MONICA-Studie könnte es sich um einen
indirekten Effekt handeln, der als Konsequenz des Anstiegs der Herzrate auftritt.
Es ist aber auch möglich, dass die von den Partikeln ausgelösten Entzündungsreaktionen
zur Freisetzung von Endothelin führen und damit eine Kontraktion der Arterien und
einen Anstieg des Blutdrucks bewirken. In Instillationsversuchen konnten Bouthillier
und Kollegen dies an Ratten belegen [40].
Momentan werden drei mögliche Wirkmechanismen der Partikel diskutiert [41]
[42]. Abb. [1] fasst die postulierten pathophysiologischen Mechanismen schematisch nach Partikelexposition
zusammen:
Abb. 1 Postulierte Wirkungen von Partikeln auf die Lunge und das Herz-Kreislauf-System (modifiziert
nach [42]).
-
Die Deposition der Partikel in der Lunge führt zur Aktivierung des autonomen Nervensystems
[34]. Dabei ist insbesondere eine Aktivierung von C-Fasern und juxtakapillaren Rezeptoren
denkbar.
-
Partikel, insbesondere die ultrafeinen Partikel, passieren das Alveolarepithel und
gelangen in die Blutbahn [43]
[44]. Sie könnten damit direkte Effekte auf das Endothel der Arterien, die Leber und
das Herz haben.
-
Partikel lösen Entzündungsreaktionen in der Lunge aus, die zur Freisetzung von Interleukinen
führen und eine Akute-Phase-Reaktion zur Folge haben [3].
Alle drei Mechanismen bieten Erklärungsansätze dafür, dass die Deposition von Partikeln
in der Lunge zu Effekten führen kann, die über eine Schädigung des Organs Lunge hinausgehen.
Die Studie zum Anstieg der Plasmaviskosität [7] war die erste Studie, die systemische Effekte der Luftschadstoffe belegte. Die weitergehenden
Analysen der CRP-Konzentrationen im Serum der gleichen Probanden [16] legten nahe, dass dies auf eine Akute-Phase-Reaktion zurückzuführen ist. Damit unterstützen
die Daten den unter Punkt 3. beschriebenen Mechanismus. Zusätzlich wurden Hinweise
auf einen Anstieg der Herzrate gefunden [18], der direkt durch eine Modulation der autonomen Kontrolle des Herzens ausgelöst
werden könnte [34] und damit den unter Punkt 1. beschriebenen Mechanismus stützen könnte. Allerdings
könnten der Anstieg der Herzrate wie auch der Anstieg des Blutdrucks [19] eine Konsequenz einer Akute-Phase-Reaktion sein und damit auf den unter Punkt 3.
genannten Mechanismus zurückzuführen sein. Die gleichzeitige Betrachtung der Effekte
der Episode auf die Herzrate und die Plasmaviskosität [20] deutete darauf hin, dass möglicherweise beide Mechanismen unabhängig voneinander
existieren. Spekulationen über die Bedeutung des unter Punkt 2. beschriebenen Mechanismus
scheinen, basierend auf den epidemiologischen Daten, verfrüht.
Die zeitliche Abfolge der hypothetischen Mechanismen ist bisher ungeklärt. Es wäre
zu erwarten, dass entzündliche Prozesse sich erst mit einer Verzögerung bis zu mehreren
Tagen manifestieren, während die Aktivierung des autonomen Nervensystems innerhalb
von Minuten denkbar wäre. Im Rahmen der vorliegenden Analysen konnte nicht zwischen
sofortigen und über fünf Tage kumulierten Effekten unterschieden werden, sondern es
fanden sich Evidenzen sowohl für sofortige als auch für verzögerte Effekte. Epidemiologische
Untersuchungen sind auch nur bedingt geeignet, Induktionszeiten zu bestimmen, da die
Zeit der maximalen individuellen Exposition vor Bestimmung des Risikomarkers unbekannt
ist. Es werden zukünftige toxikologische Untersuchungen und kontrollierte Expositionsexperimente
an Probanden notwendig sein, um die zeitliche Abfolge der Ereignisse nach Partikelexposition
als auch die relative Bedeutung der drei hypothetischen Mechanismen abzuklären.
Die während der Schadstoffepisode beobachteten Veränderungen des Herz-Kreislauf-Risikoprofils
konnten mit einem Anstieg des Risikos sowohl für plötzliche Todesfälle als auch von
Herzinfarkten (im Rahmen des Herzinfarktregisters Augsburg) in Verbindung gebracht
werden [17]
[24]. Entzündliche Reaktionen unterschiedlichster Provenienz werden momentan als Auslöser
von Ischämien diskutiert [45]. Die im Rahmen von MONICA/KORA gezeigten Veränderungen der Herz-Kreislauf-Risikofaktoren
in Abhängigkeit von den Luftschadstoffen bedeuten eine transiente Verschlechterung
des kardiovaskulären Risikoprofils und könnten daher die Wahrscheinlichkeit eines
akuten kardialen Ereignisses erhöhen [41]
[46].
Ausblick
Ausblick
Möglicherweise stellen die Luftschadstoffe einen weiteren externen Einflussfaktor
dar, der das Risiko eines akuten kardialen Ereignisses erhöht. Dieser Fragestellung
wird seit 1999 verstärkt im Rahmen des KORA-Projektes nachgegangen. Dabei stützen
sich Studien auf das Herzinfarktregister und es wurde eine Messstation im Garten des
Benediktinerklosters St. Stefan zu Messung der feinen Staubpartikel (PM2.5, Partikelmasse mit einem aerodynamischen Durchmesser kleiner als 2,5 µm) und der
Partikelanzahl aufgestellt. Diese Untersuchungen beschäftigen sich mit den Auswirkungen
der stündlichen und der tageweisen Veränderungen der Partikelkonzentration auf die
Auslösung von Herzinfarkten [47]. Eine Messstation des GSF-Forschungszentrums hat seit Herbst 2004 auf dem Gelände
der Fachhochschule Augsburg in Kooperation mit der Universität Augsburg ihren Betrieb
aufgenommen, die die Partikel detailliert physikalisch und chemisch charakterisiert.
Zudem wurde die Veränderung der Risikoprofile in Abhängigkeit von Partikelkonzentrationen
zum Thema einer laufenden europaweiten Studie (AIRGENE-Studie) gemacht, die basierend
auf den oben dargestellten Ergebnissen nun die Rolle von Polymorphismen in der Entwicklung
von Entzündungsreaktionen bei hohen Partikelkonzentrationen in Außenluft im Rahmen
des KORA-Projektes untersucht.
Danksagung
Danksagung
Die Untersuchungen zu Umweltfragestellungen in MONICA/KORA wurden gefördert durch
die GSF und die EU - Europäische Union (QLK4-CT2000 - 00 708, QLRT-2000 - 02 236),
HEI - Health Effects Institute (98-1-2), UBA - Umweltbundesamt (299 61 296).