Zusammenfassung
Die Bedeutung der Menstruation für die Frauengesundheit hat mehrere Dimensionen. Die
historisch-soziokulturelle Dimension beleuchtet den Einfluss der gesellschaftlichen
und kulturellen Normen, die den Umgang mit menstruierenden Frauen regeln und auf den
ersten Blick sehr häufig den Charakter von Ausstossung, Isolation und Herabsetzung
zeigten. Nicht selten findet man dabei aber auch indirekte Anzeichen für die Faszination
und die Macht, die vom „Blut der Frauen” ausgeht, so dass sich über die ganze Menschheitsgeschichte
hinweg eine ambivalente Einstellung zur Menstruation zeigen lässt. Diese Ambivalenz
findet man auch im subjektiven Erleben der Menstruation durch die einzelne (moderne)
Frau, die letztendlich den biologischen Vorgang der Menstruation emotional und kognitiv
bewertet und damit auch entscheidet, ob und wann für sie Menstruation einen Krankheitswert
bekommt. Viele empirische Untersuchungen zeigen, dass zwar ein großer Anteil der Frauen
die Menstruation als eher lästig empfindet aber gleichzeitig nur ein eher kleiner
Teil vollständig darauf verzichten möchte, weil Menstruation ganz offenbar doch etwas
mit Eingebundensein in die Natur und in die Gemeinschaft der Frauen zu tun hat. Der
medizinische Blick auf die Menstruation ist eher neu und anders: Zum einen kann die
uterine Blutung ein Zeichen für eine Erkrankung sein (Uterus, Ovarien) und zum anderen
kann sie zu Anämie, Schmerzen, Angst und Frustration bei den Frauen führen. Menstruationsstörungen
sind deshalb eine der häufigsten Konsultationsgründe in der Grundversorgung. Die Medizin
hat Methoden zur Menstruationsbeeinflussung entwickelt, die letztlich in der Lage
sind, die Menstruation zu beseitigen. Aus medizinischer Sicht ist die Menstruation
nicht notwendig, oder könnte gar als obsolet betrachtet werden. Der Übergang von „gesunder
Menstruation”, „Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Menstruation” bis hin zur
„Menstruation als Krankheit” ist kontinuierlich und muss in der Praxis häufig durch
einen Kommunikationsprozess zwischen Patientin und Arzt festgelegt werden. Die Patientin
ist Expertin für ihre Wertvorstellungen, ihre Bedürfnisse und ihre gesundheitlichen
Ziele. Der Arzt stellt sein medizinisches Wissen und Können zur Verfügung, welches
von der Patientin benutzt werden soll, um zu einer individuellen Lösung des „Menstruationsproblems”
zu gelangen.
Abstract
The impact of menstruation on women's health manifests itself on different levels.
The sociocultural dimension shows the influence of societal and cultural norm, which
regulate the way of dealing with menstruating women. These rules are at first glance
in most cultures characterized by rather expulsion, rejection and submission of women.
At a closer look many traditions however reflect the fascination and the power which
is associated with the “blood of women”, which means that throughout history menstruation
is conceived in an ambivalent manner. This ambivalence is still present in the subjective
experience of modern women, who experience the biological process of menstruation
but finally attribute emotional and cognitive meaning to it. This means that women
finally decide when menstruation becomes a “disease” for them. Many empirical studie
show that although a majority of women declare menstruation as something negative
and disturbing, only a much smaller percentage would want to get rid of it, because
menstruation seems to be associated with feelings of connectedness with nature and
with other women. The biomedical view on menstruation is historically new and and
quite different: Uterine bleeding can either be a sign of disease (uterus, ovaries)
or it can lead to anemia, pain, anxiety, frustration in women consulting. Menstrual
disorders are in fact one of the most frequent reasons for consultation. Modern medicine
has developed a large range of interventions which modify or abolish menstruation.
From a medical standpoint menstruation is not necessary and may be obsolete. The transition
from “healthy menstruation” to “menstruation related diminuition of quality of life”,
to “Menstrual Disease” is continous and has to be elaborated in the physician patient
interaction, the patient being expert for her values, aims and health objectives and
the physician being the expert for knowledge and information. The patient has to use
this to come to a personal and individual solution of her menstruation problem.
Schlüsselwörter
soziokulturelle Schemata - empirische Befunde - Menstruationsstörungen - Selbsthilfe
der Frauen - medizinische Maßnahmen - gemeinsame Entscheidungsfindung
Key words
sociocultural concepts - empirical findings - menstrual disorders - self-help of women
- medical interventions - shared decision making
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Univ. Prof. Dr. Johannes Bitzer
Universitätsspital Basel · Frauenklinik
Spitalstrasse 21
4031 Basel
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