Laut einer weltweit durchgeführten Studie der WHO („Global burden of disease”) [1 ] ist die unipolare Depression eine der wichtigsten Volkskrankheiten. Berücksichtigt
man die Schwere der Beeinträchtigung und die Häufigkeit und Dauer der Erkrankung liegt
sie vor allen anderen körperlichen und psychiatrischen Volkskrankheiten. Depressionen
beeinträchtigen wie kaum eine andere Erkrankung die Lebensqualität der Betroffenen
und können aufgrund von wiederkehrenden suizidalen Krisen [2 ] und anderen Faktoren lebensbedrohlich sein.
Dringender Handlungsbedarf ergibt sich nun aus der Tatsache, dass zwar gute Behandlungsverfahren
zur Verfügung stehen, diese aber nur bei einem kleinen Teil der Patienten optimal
genutzt werden. Nur zwei Drittel der depressiv Erkrankten begeben sich in ärztliche
Behandlung [3 ]. Sehr groß ist die Zahl derer, die ihre Erkrankung fälschlicherweise als persönliches
Versagen erleben und sich scheuen, ärztliche Hilfe zu suchen.
Für den Hausarzt stellt sich wiederum die schwierige Aufgabe zu erkennen, welcher
seiner Patienten an einer Depression leidet. Eine sichere Diagnose ist häufig dadurch
erschwert, dass viele Patienten körperliche Symptome in den Vordergrund stellen, so
dass bei mehr als der Hälfte der Patienten die zugrunde liegende Depression nicht
erkannt wird [4 ]. Selbst wenn die Erkrankung diagnostiziert wird, wird oft nicht mit dem richtigen
Medikament, der richtigen Dosierung und über eine ausreichende Zeit hinweg behandelt.
Hinzu kommen Compliance-Probleme auf Seiten der Patienten und Engpässe im Bereich
psychotherapeutischer Angebote. Zur Behebung dieser diagnostischen und therapeutischen
Defizite dürften Interventionskonzepte am aussichtsreichsten sein, die gemeindebasiert
sind und gleichzeitig auf mehreren Ebenen ansetzen [5 ].
Das Nürnberger Bündnis gegen Depression
Das Nürnberger Bündnis gegen Depression
Das im Rahmen des Kompetenznetzes „Depression, Suizidalität” durchgeführte Projekt
„Nürnberger Bündnis gegen Depression” führte in den Jahren 2001 und 2002 ein Vier-Ebenen-Interventionsprogramm
[Abb. 1 ] zur besseren Versorgung depressiver Patienten und zur Suizidprävention durch.
Durch Kooperation mit den Hausärzten, eine professionelle PR-Kampagne, Information
und Fortbildung von Multiplikatoren (Lehrer, Pfarrer, Altenpflegekräfte, Medien) und
durch Hilfsangebote für Patienten nach Suizidversuch und Förderung der Selbsthilfe
konnte die Versorgungssituation verbessert werden. Die Erfassung von Suizidversuchen
und Suiziden ergab in den beiden Interventionsjahren einen Rückgang um mehr als 20
% gegenüber dem Baselinejahr (2000). Dieser Rückgang war gegenüber den Zahlen der
Kontrollregion Würzburg statistisch signifikant [6 ]. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen führen nun im Rahmen des „Bündnisses gegen
Depression e. V.” bereits 14 Regionen in Deutschland vergleichbare Programme durch
und etwa 40 weitere Partnerregionen befinden sich in Deutschland in der Planungsphase.
EAAD - ein europaweites Interventionsprogramm nach Nürnberger Vorbild
EAAD - ein europaweites Interventionsprogramm nach Nürnberger Vorbild
Das Projekt „European Alliance against Depression” (EAAD) baut auf den Erfahrungen
und Materialien des Nürnberger Bündnisses gegen Depression auf und hat zum Ziel, in
Modellregionen in verschiedenen europäischen Ländern Erfahrungen mit gemeindebasierten
Mehr-Ebenen-Interventionsprogrammen zur besseren Versorgung depressiver Patienten
und zur Suizidprävention zu sammeln. In einem zweiten Schritt werden die Aktivitäten
dann auf andere Regionen in den jeweiligen Ländern ausgedehnt. Dieses europaweite
Netzwerk besteht aus 18 Partnern aus 16 europäischen Ländern und wird seit April 2004
von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz
gefördert. Die Aktivitäten in den Modellregionen in den beteiligten Ländern werden
auf den folgenden vier Ebenen erfolgen:
Primärversorgung: Da die Mehrheit der depressiv Erkrankten sich im Bereich der Primärversorgung
in Behandlung befindet, ist eine Kooperation mit hausärztlich tätigen Ärzten ein wichtiges
Element. Neben Fortbildungen werden Informationsmaterialien für die Ärzte sowie Materialien
(z.B. Videos) an die Ärzte ausgehändigt, die den Patienten zur Vermittlung eines Krankheitskonzeptes
und zur Compliance-Förderung mitgegeben werden können. Weiter wird ein Depressions-Screening
unter Verwendung des WHO-5 Well-Being Questionnaires empfohlen [7 ].
Breite Öffentlichkeit: Durch professionelle Informationskampagnen zum Thema Depression
sollen Vorurteile abgebaut und den Betroffenen Mut gemacht werden, sich in professionelle
Behandlung zu begeben. Öffentliche Vorträge, Podiumsdiskussionen, Aktionstage, Plakate
und Kinospot sind einige der Elemente dieser Kampagne.
Multiplikatoren: Entsprechende Fortbildungsmaterialien für Lehrer, Pfarrer und Altenpflegekräfte
wurden entwickelt. Diesen Personengruppen kommt eine wichtige Rolle bei der Erkennung
von Depressionen und Suizidalität zu. Ein weiterer wichtiger Partner sind die Medien.
Durch einen Medienguide soll die Berichterstattung über Suizide so beeinflusst werden,
dass das Risiko von Nachahmungssuiziden minimiert wird.
Die Betroffenen und ihre Angehörigen: Als Elemente der Aktivitäten auf dieser Ebene
sind die Gründung von Selbsthilfegruppen sowie eine Notfallkarte für Patienten nach
Suizidversuch zu nennen.
Im Rahmen eines Konsensverfahrens wurde ein Katalog mit Materialien erstellt, die
im Rahmen von EAAD in den kooperierenden Ländern verwendet werden können. Diese umfassen
u.a. Großplakate [Abb. 2 ], Videos, Kinospot, Fortbildungspakete, Flyer, Evaluationsinstrumente. Obwohl diese
Materialien übersetzt und an nationale Besonderheiten angepasst werden müssen, wird
über ein einheitliches Layout darauf geachtet, dass das gemeinsame Gesicht von EAAD
gewahrt bleibt. Eine Webseite wurde erstellt (www.EAAD.net ), welche als Informationsplattform für die breite Öffentlichkeit und zur netzwerkinternen
Kommunikation dient.
Einige Partnerregionen wie Island, Estland, Österreich und die Schweiz haben bereits
Materialien für breit angelegte Öffentlichkeitskampagnen produziert und verteilt.
In Slowenien, Belgien und Estland werden Hausärzte, Altenpfleger und Lehrer zum Thema
Depression fortgebildet und, wie in Italien, Experten für Weiterbildungsmaßnahmen
geschult. In Frankreich und Spanien startete das Interventionsprogramm mit der Durchführung
von Auftaktveranstaltungen. Gezielte Unterstützung für Selbsthilfegruppen und besonders
gefährdete Personen wurde ebenfalls bereits in Estland und Spanien initiiert.
Zur Beurteilung der Wirksamkeit von EAAD werden die Maßnahmen in den beteiligten Regionen
anhand von Indikatoren, wie der Anzahl an vollendeten Suiziden und in einigen Regionen
auch der Anzahl an Suizidversuchen, sowie einer Reihe weiterer Kriterien (z.B. Effektivität
der Schulungen, Medikamentenverschreibungen, Diagnoseverhalten) evaluiert.
Ausblick
Ausblick
Während der nächsten Monate werden zahlreiche weitere Regionen in Europa mit ihren
Interventionsprogrammen und der Etablierung der lokalen Netzwerke starten. Basierend
auf den Erfahrungen, die in den Modellregionen gewonnen worden sind, wird in einem
zweiten Schritt eine Ausweitung der Aktivitäten auf andere Regionen in den jeweiligen
Ländern im Sinne eines Bottom-up-Ansatzes erfolgen. Schon jetzt zeigt sich, dass EAAD
eine einmalige Gelegenheit darstellt, um durch gemeinsames Lernen und die Identifikation
von „best practice”-Modellen zu optimierten Materialien und Konzepten für gemeindebasierte
Mehr-Ebenen-Interventionen zur besseren Versorgung depressiver Patienten und zur Suizidprävention
zu gelangen. EAAD wird im Rahmen der Ministerkonferenz in Helsinki im Januar 2005
als eines der bürgernahen und erfolgversprechenden Projekte im Bereich mental health
vorgestellt werden.
Abb. 1
Abb. 2