In einer dezentralen Pilotstudie der DGBS e.V., unter Federführung der Abteilung für
Psychiatrie und Psychotherapie des Freiburger Universitätsklinikums, wurde dieses
Verfahren getestet: Der Zeitaufwand für die täglichen Eintragungen im Handcomputer
betrugt im allgemeinen nur ein bis zwei Minuten, und die Patienten gaben an, von der
aktiven Anwendung des elektronischen Patiententagebuchs zu profitieren. Die Mehrzahl
zog die computerisierte Version der Papierversion vor. Die Ergebnisse einer sich anschließenden
Validierungsstudie, in der die Selbsteinschätzung der Patienten mit etablierten Fremdratingverfahren
verglichen wurde (Inventory of Depressive Symptoms bzw. Young Mania Rating Scale),
zeigen, dass das Life Chart Programm ein valides Instrument zur Einschätzung der Schwere
manisch-depressiver Episoden in Langzeitbeobachtungen ist. Die hohe Akzeptanz der
Methode und die erzielte Kostenersparnis führten zur Überlegung, das Life Chart um
weitere Module zu ergänzen.
Soziales Rhythmus Training
Als gut geeignet erwies sich das Soziale Rhythmus Training (SRT), das einen psychotherapeutischen
Ansatz beinhaltet. Es stützt sich auf die von Ehlers C et al. postulierte „Soziale
Zeitgeber Theorie” [1], nach der ein stabiler sozialer Rhythmus über die Stabilisierung des biologischen
Rhythmus zu einer ausgeglichenen Stimmung führt. Biologische Rhythmen wie der Schlaf-Wach-Zyklus,
die Ausschüttung von Hormonen oder die Temperaturkurve sind in akuten affektiven Krankheitsphasen
gestört. Dies äußert sich in klinischen Symptomen wie dem typischen Morgentief in
einer depressiven Phase oder dem oft deutlich verringerten Schlafbedürfnis in der
Manie. Therapeutische Verfahren wie die Schlafphasenvorverlagerung haben die Beseitigung
dieser Rhythmusstörungen zum Ziel. Auch verschiedene Antidepressiva und Lithium greifen
regulierend in biologische Rhythmen ein. Der vielleicht bedeutendste Zusammenhang
zwischen zirkardianer Rhythmik und affektiven Störungen zeigt sich in der Auslösung
bzw. Verstärkung akuter manischer Episoden durch Schlafentzug.
In verschiedenen Experimenten wurde nachgewiesen, dass „soziale Zeitgeber” wie Mahlzeiten,
Arbeitszeiten oder Schlafgewohnheiten nicht nur Einfluss auf den sozialen, sondern
auch auf den biologischen Rhythmus eines Menschen haben. Eine Stabilisierung des sozialen
Rhythmus kann so präventiv gegen affektive Episoden wirken.
Auf dieser Theorie basierend wurde die Interpersonelle und Soziale Rhythmus Therapie
(IPSRT) [2] entwickelt. Sie fokussiert zum einen auf die Bearbeitung interpersoneller Problembereiche
(IPT) [3], zum anderen auf die gezielte Stabilisierung des sozialen Rhythmus. In klinischen
Studien wurde eine vorbeugende Wirkung gegen depressive Episoden beschrieben.
Um die Stabilität des sozialen Rhythmus zu messen und Unregelmäßigkeiten aufzuzeigen,
wird die „Soziale Rhythmus Metrik” (SRM) [5] eingesetzt. Sie erfasst täglich zu welcher Uhrzeit 17 „zeitgebende” Aktivitäten
durchgeführt werden. Gleichzeitig wird die Beteiligung anderer Personen an diesen
Aktivitäten dokumentiert, denn auch die Vermeidung interpersoneller Über- bzw. Unterstimulation
trägt zu einer Stabilisierung der Stimmung bei.
Der große Vorteil des Sozialen Rhythmus Trainings liegt in seiner weitgehend autonomen
Anwendbarkeit durch den Patienten. Desweiteren ist eine Integration in viele gängige
psychotherapeutische Verfahren möglich. Der Patient versucht, die Stabilität seines
sozialen Rhythmus mit Hilfe der SRM anhand einzelner, von ihm ausgewählter Aktivitäten
zu optimieren. Dazu dokumentiert er täglich, zu welcher Uhrzeit er die verschiedenen
Aktivitäten durchgeführt hat. Der Kliniker fungiert primär als Berater, indem er in
die Methodik einweist, Rhythmusstörungen identifiziert und den Patienten bei der Interpretation
dieser Unregelmäßigkeiten und der Festlegung seiner Trainingsziele unterstützt. Für
den Langzeiteinsatz ist eine graphische Aufarbeitung der Daten unabdingbar, da nur
so unmittelbar Abweichungen erkannt und schon erzielte, motivierende Erfolge visualisiert
werden können.
Das herkömmliche Papierverfahren ist für den Einsatz im klinischen Alltag zu aufwändig
- die erhobenen Daten manuell zu bearbeiten und graphisch aufzubereiten, ist sehr
zeit- und kostenintensiv. Deshalb wurde eine Life Chart analoge an Taschencomputer
adaptierte Version der Sozialen Rhythmus Metrik entwickelt, die eine automatisierte
Datenauswertung ermöglicht. Von Beginn an waren Patienten an der Gestaltung beteiligt,
um ihre Wünsche und Bedürfnisse zu berücksichtigen und das Programm für die späteren
Nutzer möglichst attraktiv zu machen. Ergebnis ist ein flexibles, individualisiertes
Programm, das dem Patienten viele Freiräume für seine persönliche Gestaltung lässt.
Über das Internet können unter anderem:
-
jederzeit grafische und tabellarische Auswertungen der Daten abgerufen werden
-
eigene Bezeichnungen für die „zeitgebenden” Aktivitäten gewählt werden (zum Beispiel
Radio-Nachrichten statt TV-Abendnachrichten)
-
für den einzelnen Patienten nicht relevante Aktivitäten abgewählt werden
-
neue Trainingsziele festgelegt und so das Programm immer wieder der aktuellen Situation
angepasst werden.
Ergebnisse
Die in der Einführungsphase gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um eine Internetversion
des Programms zu erstellen. Eine Internetversion des Life Chart ist bereits verfügbar
(www.lifechart.de). Beide Verfahren befinden sich zur Zeit in der Erprobung.
Übergeordnetes Ziel des Projekts ist die Bereitstellung eines elektronischen Patiententagebuchs
zum effizienten Selbstmanagement, das es den Patienten im Sinne einer „Computer Aided
Therapy” ermöglicht, ergänzend zur medikamentösen Therapie einen aktiven Beitrag zur
Remissionsprophylaxe zu leisten.
Inzwischen hat sich ein internationales Forschungsnetzwerk gebildet, das unter anderem
an der Entwicklung ergänzender Module arbeitet.