Das Bundesverfassungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung vom 17.8.04 (Az.:
1 BvR 378/00) die defensive Konkurrentenklage für niedergelassene Vertragsärzte gegen
die Ermächtigung von Krankenhausärzten zugelassen. Die sich aus diesem Urteil ergebenden
Veränderungen der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Zulassungsentscheidungen sind erheblich,
da zukünftig auch am Verfahren nicht unmittelbar beteiligte Vertragsärzte, für die
eine Neuzulassung oder Ermächtigung eine Konkurrenz darstellt, hiergegen klagen können.
Dem Verwaltungsrecht sind Konkurrentenklagen bekannt im Wirtschafts-, Gewerbe- und
Beamtenrecht. Konkurrentenklagen haben manche Berührungspunkte mit den sog. Drittklagen
im Bau-, Gewerbe- und Immissionsschutzrecht, bei denen ein Dritter gegen den den Adressaten
begünstigenden Verwaltungsakt ("Verwaltungsakt mit Drittwirkung") einen Rechtsbehelf
einlegt.
Zulassungsbeschränkungen und Budgetierung fordern Beschränkungen des Wettbewerbs
Zulassungsbeschränkungen und Budgetierung fordern Beschränkungen des Wettbewerbs
Derartige Konkurrenzsituationen sind auch zwischen den gemäß § 95 SGB V an der vertragsärztlichen
Versorgung teilnehmenden Leistungserbringern an der Tagesordnung, zumal es sich aufgrund
der Bedarfsplanung nach § 101 SGB V um einen staatlich reglementierten Markt handelt,
der den ungehinderten Zugang aufgrund der bestehenden Zulassungsbeschränkungen in
den meisten Planungsbereichen verhindert. Die Begrenzung der Arztzahlen dient nach
dem Willen des Gesetzgebers der Kostenreduzierung und damit einer Stabilisierung des
Systems insgesamt. Gleichzeitig wird aber auch der einzelne Vertragsarzt begünstigt,
der innerhalb des geschlossenen Systems der vertragsärztlichen Versorgung nur einer
für ihn noch tragbaren Konkurrenz ausgesetzt ist.
Die Zulassungsbeschränkungen und die Deckelung der Gesamtvergütung haben das System
des Vertragsarztrechts spätestens seit dem In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes
vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266) am 1. Januar 1993 verändert. Für die Vertragsärzte
hat sich das Spektrum an Dienst- und Sachleistungen verengt, das mit den Krankenkassen
abgerechnet werden kann. Die Vergütungen der Vertragsärzte sind gekürzt und die Zuwächse
bei den Vergütungen an die beitragspflichtigen Einnahmen gekoppelt worden (§ 85 SGB
V).
Forcierung des Wettbewerbs durch den Gesetzgeber
Forcierung des Wettbewerbs durch den Gesetzgeber
In dieser Situation ist der vom Gesetzgeber in den vergangenen Jahren forcierte Wettbewerb
unter den Leistungserbringern in der ambulanten Versorgung als rechtlich problematisch
anzusehen. Neben das Angebot niedergelassener Ärzte tritt seit jeher das Angebot ermächtigter
Krankenhausärzte, soweit für deren ambulante Tätigkeit nach §116 SGB V ein entsprechender
Bedarf besteht. Daneben hat jedoch der Gesetzgeber zunehmend auch Krankenhäusern das
Recht zur ambulanten Behandlung eingeräumt (vgl. § 115 a, 115 b, 116 a, 116 b, 117,
120). Im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber daneben sog. Medizinische
Versorgungszentren nach § 95 Abs. 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Andererseits wird die Konkurrenzsituation durch Entscheidungen der Zulassungsgremien
verändert, wenn etwa der Planungsbereich geöffnet wird oder eine Sonderbedarfszulassung
nach § 101 Abs. 1 Ziff. 2 SGB V i.V.m. den Bedarfsplanungs-Richtlinien ausgesprochen
wird.
Dem Aspekt einer quantitativ begrenzten Konkurrenz kommt für die Berufsausübung des
einzelnen Vertragsarztes wegen der budgetierten Gesamtvergütung wachsende Bedeutung
zu. Je mehr Ärzte Leistungen erbringen und abrechnen, desto geringer ist potenziell
der Wert der einzelnen ärztlichen Leistung; die Punktwerte sinken ab. Bereits zugelassene
und auch ermächtigte Ärzte haben unter diesen Bedingungen ein berechtigtes Interesse
daran, dass eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Zulassungsgremien
möglich ist.
Bisherige BSG-Rechtsprechung benachteiligte Drittbetroffene
Bisherige BSG-Rechtsprechung benachteiligte Drittbetroffene
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts war die Möglichkeit für
sog. defensive Konkurrentenklagen jedoch ausgesprochen gering. So hatten niedergelassene
Ärzte nur wenig Möglichkeiten, die Erteilung einer Ermächtigung für Krankenhausärzte
zu überprüfen. An dem Verfahren vor den Zulassungsgremien waren bisher die in der
Region konkurrierenden Vertragsärzte jedoch nicht direkt beteiligt. Sie wurden allenfalls
im Vorfeld von der Kassenärztlichen Vereinigung bez. der Versorgungssituation befragt
und teilweise auch vor dem Zulassungsausschuss als Zeugen dafür angehört. Eigene Verfahrensrechte
und Möglichkeiten, sich selbst gegen eine Erteilung der Ermächtigung zu wenden, bestanden
jedoch grundsätzlich nicht.
Konkurrentenklagen zukünftig auch bei Sonderbedarfszulassungen und Institutsermächtigungen
Konkurrentenklagen zukünftig auch bei Sonderbedarfszulassungen und Institutsermächtigungen
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts billigte den Vertragsärzten nur in extremen
Ausnahmefällen, nämlich falls die Ermächtigung insgesamt oder teilweise willkürlich
oder mit der gezielten Absicht der Benachteiligung der Vertragsärzte erteilt wurde,
ein eigenes Klagerecht gegen die Erteilung der Ermächtigung zu. In allen anderen Fällen
bestand für die betroffenen Vertragsärzte nur die Möglichkeit, auf ihre Kassenärztliche
Vereinigung einzuwirken, dass diese im Interesse der Vertragsärzte gegen die Ermächtigung
des Krankenhausarztes Klage bzw. Widerspruch einlegte. Die prozessuale Rechtslage
ist auf andere Bereiche übertragbar. So dürften nach der bisherigen Rechtslage auch
die Überprüfung von Sonderbedarfszulassungen, Institutsermächtigungen und die ambulante
Behandlung von Krankenhäusern bei Unterversorgung durch die bereits zugelassenen Vertragsärzte
nicht überprüfungsfähig gewesen sein.
Berufsfreiheit fordert ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten
Berufsfreiheit fordert ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten
Die bisher vom Bundessozialgericht vorgenommene Beschränkung der Zulässigkeit der
defensiven Konkurrentenklage auf die Fälle, bei denen besonders schwere materielle
Mängel in der Begründung der angefochtenen Ermächtigungsentscheidung vorlagen, wird
nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes der Bedeutung und Tragweite der
Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht, da Verfahrensrechte nicht erst
bei Willkürentscheidungen einsetzen. Zwar gewährt Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz
vor Konkurrenz und Vertragsärzte haben auch allein aufgrund ihres Zulassungsstatus
keinen Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit.
Allerdings kann eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, wie hier durch die Ermächtigung
eines Krankenhausarztes, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge hat, das Grundrecht
der Berufsfreiheit beeinträchtigen, wenn sie im Zusammenhang mit staatlicher Planung
und der Verteilung staatlicher Mittel steht. Genau dies ist bei der Tätigkeit des
Vertragsarztes der Fall, da dieser im System der stark regulierten vertragsärztlichen
Versorgung tätig ist. Eine zusätzliche Ermächtigung von Krankenhausärzten kann zu
einer erheblichen Reduzierung des für den Vertragsarzt erzielbaren Honorars führen,
so dass das Bundesverfassungsgericht nunmehr entschieden hat, dass in jedem Fall der
Vertragsarzt die Möglichkeit haben muss, die Entscheidung über die Ermächtigung des
Krankenhausarztes gerichtlich überprüfen zu lassen.
Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem klargestellt, dass der Grundrechtsschutz
des einzelnen Vertragsarztes nicht dadurch hinreichend abgesichert gewesen ist, dass
die Kassenärztlichen Vereinigungen die Ermächtigungsentscheidung anfechten können.
Denn je nach Einfluss und Gewicht einzelner Arztgruppen und den Konstellationen im
Binnenraum könnten die Interessen einzelner Ärzte von denen der Mehrheit in den Organen
der Kassenärztlichen Vereinigung abweichen.
Wettbewerbsvorteile der Krankenhäuser gegenüber niedergelassenen Ärzten
Wettbewerbsvorteile der Krankenhäuser gegenüber niedergelassenen Ärzten
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist zu begrüßen, weil es die formale Rechtsstellung
bereits zugelassener Vertragsärzte gegenüber Zulassungsentscheidungen erheblich verbessert.
Ein niedergelassener Radiologe kann nunmehr gegen eine seiner Meinung zu Unrecht erteilte
Ermächtigung selber Klage vor dem Sozialgericht erheben bzw. gegen die Entscheidung
des Zulassungsausschusses Widerspruch einlegen. Dies erscheint gerade im Bereich der
Radiologie sachgerecht, da dem niedergelassenen Vertragsarzt hier hohe Investitionskosten
zugemutet werden.
Das Urteil beleuchtet auch die Frage des Wettbewerbsverhältnisses zwischen niedergelassenen
Ärzten und Krankenhausärzten in der ambulanten Versorgung. Krankenhausärzte haben
nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts aufgrund ihrer Einbindung in den Krankenhausbetrieb
gewisse Marktvorteile gegenüber den niedergelassenen Ärzten, da sie mit dem Krankenhaus
zusammenarbeiten und eine gemeinsame Geräteauslastung herbeiführen und darüber hinaus
auf mit staatlichen Mitteln geförderte Investitionen zurückgreifen können. Für den
nicht ausgelasteten niedergelassenen Radiologen können die hohen Investitionskosten
hingegen ruinös sein. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt daher auch Ansätze
für Wettbewerbsmaßstäbe zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern in einem
sich weiter verschärfenden Konkurrenzkampf, den der Gesetzgeber des GMG bewusst zugelassen
hat.
Rechtsanwalt Dr. Peter Wigge
Rechtsanwälte Dr. Wigge, Hamm/Westfalen
E-Mail: kanzlei@ra-wigge.de