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DOI: 10.1055/s-2004-835687
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Berühmte Hypertoniker der Musikgeschichte - Was kann man aus Beispielen lernen?
Famous Hypertensive Musicians - What can we Learn from These Cases?Anschrift des Verfassers
PD Dr. Hansjörg Bäzner
Neurologische Klinik
Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim
Publication History
Publication Date:
26 October 2004 (online)
- Zusammenfassung
- Summary
- Wiederholte Schlaganfälle bei Händel
- Haydn litt an zerebraler Mikroangiopathie
- Die Geschwister Mendelssohn: Hirnblutung?
- Späte Einsicht: Ernährungsumstellung bei Max Reger
- Was lernen wir daraus?
Zusammenfassung
Die „Volkskrankheiten” Hypertonie und Schlaganfall sind beileibe kein neues medizinisches Problem - auch in der europäischen Musikgeschichte finden sich viele Beispiele für die verschiedenen neurologischen Krankheitsbilder und Symptome beim Schlaganfall. So scheint Georg Friedrich Händel an wiederholten Schlaganfällen gelitten zu haben, die Beschwerden Joseph Haydns lassen auf eine subkortikale vaskuläre Enzephalopathie mit zunehmender vaskulärer Demenz und Gangstörung schließen. Bei Felix Mendelssohn-Bartholdy und auch bei seiner Schwester Fanny würde man heute wahrscheinlich eine Hirnblutung als Todesursache feststellen. Und bei Max Reger, der nach einem Konzert sein inneres Tonvorstellungsvermögen verlor, scheint ebenfalls eine neurologische Diagnose wahrscheinlich: ein sehr umschriebener Schlaganfall. Die Frage bleibt: Was lernen wir aus diesen Beispielen?
Summary
The common diseases hypertension and stroke are far from being a modern medical problem. The history of European music is full of examples of various neurological conditions and symptoms of stroke. George Friedrich Handel, for example, appears to have suffered repeated strokes, and Joseph Hayden's complaints are suggestive of subcortical vascular encephalopathy with progressive vascular dementia and gait disorders. In the case of Felix Mendelssohn-Bartholdy - and also his sister Fanny - we would probably today identify the cause of death as a cerebral haemorrhage. And a neurological problem - a strictly circumscribed stroke - is also the probable diagnosis in the case of Max Reger, who, after giving a concert, lost his ability to „visualize” sounds. The question that needs to be asked is: what can we learn from these cases?
Key Words
hypertension - stroke - subcortical vascular encephalopathy - cerebral haemorrhage - circumstcribed stroke
Die europäische Musikgeschichte ist eine unerschöpfliche Quelle berühmter Beispiele für Patienten mit wahrscheinlicher arterieller Hypertonie, die einen Schlaganfall erlitten haben. Die Krankengeschichten sind oft eindrucksvoll, leben von Anekdoten und dem Bekanntheitsgrad der historischen „Superstars” in jenen Zeiten als noch besonderes Talent und herausragende Fähigkeiten zur Berühmtheit geführt hatten und noch nicht jeder Parvenu ein Superstar werden konnte. Die Namen dieser Berühmtheiten sind uns geläufig; weniger bekannt sind die manchmal tragischen Krankheitsverläufe. Wenn man sich die Krankengeschichten prominenter historischer Hypertonie- und Schlaganfall-Opfer vor Augen führt, zeigt sich jedenfalls, dass viele dieser berühmten Künstler mit einer modernen Therapie sehr viel länger die Chance gehabt hätten, unsere Kultur zu bereichern.
Wiederholte Schlaganfälle bei Händel
Nehmen wir zum Beispiel den Patienten Georg Friedrich Händel (1685-1759). Stefan Zweig hat die Geschichte von Händels schwerstem Schlaganfall in unnachahmlicher Weise beschrieben: „Es geschah am 13. April des Jahres 1737, als das ganze Haus von einem dumpfen Schlag erbebte. Etwas Massiges und Schweres mußte im obern Stockwerk hingeschmettert haben.” Der Diener des Komponisten Georg Friedrich Händel rannte die Stufen empor zum Arbeitszimmer seines Herrn und entdeckte ihn „regungslos auf dem Boden liegend, die Augen starr offen.” Händel war zuvor „in voll saftiger Wut aus der Probe nach Hause gekommen, prallrot das Gesicht von aufwallendem Blut und dick die Adersträhnen an den Schläfen, mit einem Knall hatte er die Haustür zugeworfen und wanderte jetzt, der Diener konnte es hören, so heftig im ersten Stock auf und ab daß die Decke bebte: es war nicht ratsam, an solchen Zorntagen lässig im Dienste zu sein.”
Vom unteren Stockwerk kam der Famulus Christof Schmidt, der Helfer des Meisters, herauf - auch ihn hatte der dumpfe Fall aufgeschreckt. Er lief nach dem Arzt des königlichen Hofkomponisten. „Wie alt ist er?” - „Zweiundfünfzig Jahre”, antwortete Schmidt. „Schlimmes Alter, er hat geschuftet wie ein Stier.” Dr. Jenkins beugte sich tief über ihn. „Aber er ist auch stark wie ein Stier. Nun, man wird sehen, was man tun kann.” Er merkte, dass ein Auge - das rechte - starr sah und das andere belebt. Versuchsweise hob er den rechten Arm. Er fiel wie tot zurück. Dann hob er den linken Arm. Dieser blieb in der neuen Lage. Jetzt wusste Dr. Jenkins genug. Als er das Zimmer verlassen hatte, folgte Schmidt ihm zur Treppe nach, ängstlich, verstört: „Was ist es?” - „Apoplexia. Die rechte Seite ist gelähmt.” „Und wird”, Schmidt stockte das Wort, „wird er genesen?” Dr. Jenkins nahm umständlich eine Prise Schnupftabak. Er liebte derlei Fragen nicht. „Vielleicht. Alles ist möglich.”
Von Händel ist bekannt, dass er ein Paradebeispiel eines Genussmenschen war und sich angeblich mit großen Mengen von Alkohol und unmäßigen Quantitäten von fettreicher Kost ernährte. Außerdem sei Händel sehr jähzornig gewesen, wie in zahlreichen Anekdoten überliefert ist. Die arterielle Hypertonie des in allen zeitgenössischen Portraits sehr dickleibig dargestellten Mannes ist naturgemäß bei fehlenden Möglichkeiten der Messung in Händels Zeiten eine Vermutung, jedoch sicherlich nicht unwahrscheinlich. Eine rechtzeitige Blutdrucksenkung, wäre sie damals möglich gewesen, hätte vielleicht die wiederholten am ehesten lakunären Schlaganfälle Händels in den Jahren 1743 und 1745 verhindern können.
Übrigens lässt sich eine vergleichbare Geschichte von Händels berühmtem Zeitgenossen Johann Sebastian Bach (1685-1750) berichten, der - wenn die zeitgenössischen Portraits lebensecht sind - ebenfalls deutlich übergewichtig war und an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben sein soll.
Haydn litt an zerebraler Mikroangiopathie
Als sich Haydn (1732-1809) und Mozart, beide vom berühmten Konzertagenten Salomon engagiert im Jahr 1791 in London begegneten, beschreiben Haydns Biografen Griesinger und Dies übereinstimmend von dem emotionalen Moment als sich beide Komponisten beim Abschied Haydns aus London verabschiedeten und Mozart gesagt haben soll: „Wir werden uns wohl das letzte Lebewohl in diesem Leben sagen.” Damals war Mozart 34 Jahre alt und hatte sicherlich nicht daran gedacht, nur einige Monate später als erster von der Lebensbühne abzutreten. Der damals 58-jährige Joseph Haydn hatte für damalige Verhältnisse bereits ein durchaus gesegnetes Alter erreicht, überlebte aber seinen deutlich jüngeren Kollegen schließlich um 18 Jahre.
Der zu seiner Zeit berühmteste Komponist Haydn hatte freilich zum Ende seines langen Lebens, wie dies mehrere Zeitgenossen detailliert beschrieben, an den vermutlichen Folgen eines langjährigen erhöhten Blutdrucks zu leiden: Eine subkortikale vaskuläre Enzephalopathie hatte zu einer zunehmenden vaskulären Demenz mit Gangstörung geführt. In deren Folge versiegten die schöpferischen Fähigkeiten des Meisters, sodass Haydn in seinen letzten acht Lebensjahren nicht mehr komponierte. Schließlich war auch Haydns Mobilität schwer eingeschränkt: In seinen letzten Jahren konnte er sich nicht mehr selbstständig außer Haus begeben, und er musste bei seinen letzten Ausflügen in einem Stuhl getragen werden.
August Wilhelm Iffland berichtet von einem Besuch beim greisen Haydn: „Die Magd sagte uns, Haydn komme eben mit dem Diener aus dem Garten. Sein Gang sei aber etwas langsam, wir möchten uns gedulden. [...] Er machte eine Bewegung aufzustehen. Der Bediente half ihm dazu, und so trat er uns, die Hand über die Augen gehalten, einige kurze Schritte entgegen, wobei er die Beine, mit dem Willen schnell zu sein, etwas mühsam auf dem Boden nach sich zog.”
Und Haydns Biograf Griesinger dokumentiert die folgende Aussage des Komponisten: „Nie hätte ich geglaubt, daß ein Mensch so sehr zusammensinken könnte, als ich es jetzt an mir fühle, mein Gedächtnis ist dahin, ich habe an dem Klavier zuweilen noch gute Ideen, aber ich möchte weinen, daß ich nicht mehr im Stande bin, sie nur zu wiederholen und aufzuschreiben.”
Solche Symptome und ähnliche Krankheitsverläufe sind typisch für die Folgen der zerebralen Mikroangiopathie, die entscheidend in die exekutiven Hirnleistungen eingreift und zu einem Versiegen der schöpferischen Kraft führt. Haydn hätte wohl trotz seines hohen Alters bei verfügbarer antihypertensiver Therapie seine Pläne, nach der „Schöpfung” und den „Jahreszeiten” noch ein drittes abendfüllendes Oratorium zu komponieren, erreicht.
Ein sehr vergleichbares Schicksal ist von Giuseppe Verdi (1813-1901) zu berichten, der mit 80 Jahren noch den „Falstaff” komponierte, in den letzten Lebensjahren jedoch körperlich hinfällig wurde, sich beständig müde fühlte, nicht mehr lesen und schreiben konnte und auch nicht mehr in der Lage war zu gehen. Im 88. Lebensjahr traf ihn ein Schlaganfall, der seine rechte Seite lähmte und nach einer Woche zum Tod führte.
Die Geschwister Mendelssohn: Hirnblutung?
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) hatte lange Jahre schon an häufigen Kopfschmerzen gelitten. Im Jahr 1840 nutzte Mendelssohn, ansonsten ein geübter Schwimmer, einen Aufenthalt in Bingen zum Schwimmen im Rhein. Dabei wurde er plötzlich bewusstlos und wäre ertrunken, wenn ihn nicht ein Fährmann gerettet hätte. Die Bewusstlosigkeit des Komponisten dauerte mehrere Stunden an, war von Krämpfen begleitet und gefolgt von stärksten Kopfschmerzen, die nach mehreren Tagen nachließen.
Mendelssohn selbst schrieb von dem Vorfall an seinen Freund Klingemann: „Meine Krankheit war durch ein kaltes Bad im Flusse entstanden; so heftige Kongestionen nach dem Kopfe, dass ich viele Stunden bewusstlos und krampfhaft dalag und der Arzt meinte, es könne auch vorbei sein. Darauf habe ich 14 Tage jämmerliche Kopfschmerzen gehabt ...”
Mendelssohns Schwester Fanny war ebenfalls mitten aus dem Leben gerissen worden: Im Jahr 1847 verließ sie gegen 18 Uhr eine Probe zu ihrer Sonntagsmusik, weil sie sich plötzlich unwohl fühlte und auf einmal die Hände auf den Tasten des Klaviers „absterben” fühlte. Kurz darauf verlor Fanny Mendelssohn das Bewusstsein, das sie bis zu ihrem Tod, etwa vier Stunden später, nicht mehr erlangte.
Am 28. Oktober desselben Jahres 1847 hatten die Ärzte dem seit dem Tod der Schwester an einem „überreizten Nervenzustande” leidenden 38-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy einen Spaziergang gestattet. Es sollte sein letzter Spaziergang sein, denn unmittelbar danach brach der große Komponist bewusstlos zusammen und erlangte bis zu seinem Tod am 4. November nur noch für kurze Phasen das Bewusstsein wieder, ehe ihn ein offenbar sehr heftiges Kopfschmerzereignis erneut ohnmächtig werden ließ.
Bei beiden Geschwistern muss am ehesten eine Hirnblutung als Todesursache angenommen werden. Plausibel sind in beiden Fällen zum Beispiel Hirnblutungen durch die Ruptur eines Aneurysmas mit Blutung in den Subarachnoidalraum oder als hypertensive Massenblutung in das Hirnparenchym. Da in dem Schicksal der jung verstorbenen Geschwister auch hereditäre Ursachen einer Gefäßerkrankung diskutiert werden müssen, kommt vielleicht auch eine seltene erbliche zerebrale Amyloidangiopathie als Diagnose infrage.
Späte Einsicht: Ernährungsumstellung bei Max Reger
Obwohl bereits viele Vorfahren Max Regers (1873-1916) einer so genannten Herzwassersucht oder plötzlichem Herzversagen erlegen waren, nahm sich der bedeutende Spätromantiker Reger diese Schicksale nicht sehr zu Herzen. Eine maßvolle Lebensführung sah jedenfalls anders aus als dies von Reger bekannt war: Seine Exzesse im Genuss von Alkohol und Speisen waren legendär. Er pflegte „badewannenweise” Kaffee zu trinken, war erwiesenerweise imstande, mehrere Dutzend Weißwürste zu verzehren und sagte nach Konzerten oft zum Kellner: „Nun bringen sie mal zwei Stunden lang Beefsteak.” Reger rauchte am Tag zwanzig schwere Brasilzigarren und seine Trinkfestigkeit war beispiellos.
Im Jahr 1913 trat Ende Februar ein eigenartiges Phänomen auf. Nach einem Konzert in Hagen verlor Reger sein inneres Tonvorstellungsvermögen - ein mögliches Symptom eines sehr umschriebenen Schlaganfalls. Die nachfolgende Phase der Rekonvaleszenz dauerte mehrere Monate. Reger schrieb aus der Kur in Meran an einen Freund: „Die Schwindelanfälle, unter denen ich so litt, haben sich - Gott sei Dank - gegeben; mein Blutdruck war unter den Anstrengungen ganz absonderlich geworden - und daher diese Schwindelanfälle. [...] Ich muss auch eine andere Ernährungsweise mir angewöhnen: viel Gemüse, viel Kompott!”
Was lernen wir daraus?
Kulinarische und alkoholische Exzesse zu vermeiden und die Ernährung auf „viel Gemüse und Kompott” umzustellen, wie dies Max Reger geraten wurde, reicht als Patentlösung seiner gesundheitlichen Probleme aus heutiger Sicht bestimmt nicht aus. Festzuhalten ist jedoch, dass unseren sozioökonomischen Verhältnissen angepasste Ernährungsgewohnheiten und Lebensführung sowie rechtzeitige und konsequente Modifikation von Risikofaktoren einer zerebrovaskulären Erkrankung - insbesondere der Hypertonie - eine große Zahl von Schlaganfällen verhindern kann. Dies gilt sowohl für ischämische Territorialinfarkte wie auch für hypertensive intrazerebrale Hämorrhagien. Schließlich kann eine gute Blutdruckeinstellung das Auftreten und die Progredienz der zerebralen Mikroangiopathie entscheidend beeinflussen. Außerdem scheint nach unmittelbar vor der Veröffentlichung stehenden, neuesten wissenschaftlichen Daten nach stattgehabtem Schlaganfall eine Sekundärprophylaxe mit einem Lipidsenker sinnvoll zu sein, wobei der protektive Effekt sogar unabhängig vom Cholesterinspiegel besteht.

Abb. 1
Anschrift des Verfassers
PD Dr. Hansjörg Bäzner
Neurologische Klinik
Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim
Anschrift des Verfassers
PD Dr. Hansjörg Bäzner
Neurologische Klinik
Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Mannheim
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim

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