Viele Medikamente sind nicht für die Anwendung bei Kindern zugelassen oder stehen
nicht in einer für Kinder geeigneten Form zur Verfügung. Dadurch sind dem Ziel der
evidenzbasierten Therapie im Bereich der Pädiatrie enge Grenzen gesetzt. Ein niederländisches
Forscherteam um G. W. ‘t Jong untersuchte, wie oft bei Kindern mit respiratorischen
Erkrankungen Medikamente eingesetzt werden, die für Alter, Indikation oder Dosierung
nicht zugelassenen sind (Eur Respir J 2004; 23: 310-313).
Dazu wurde eine Zufallsstichprobe von mehr als 13 000 niederländischen Kindern ausgewählt,
die im Laufe eines Jahres Kontakt zu einem Allgemeinarzt hatten. Aus einer Datenbank
des IPCI-Projektes (Integrated Primary Care Information), einer longitudinalen Beobachtungsstudie
zur allgemeinärztlichen Behandlung in den Niederlanden, wurden alle Verschreibungen
einschließlich Dosierungen und Indikationen entnommen und kategorisiert. Dabei zeigte
sich, dass 63% aller Verordnungen respiratorischer Medikamente entsprechend der Zulassung
erfolgten. Die übrigen 37% betrafen Medikamente, die entweder für die Anwendung bei
Kindern nicht zugelassen waren oder die in Abweichung von der bestehenden Zulassung
("off-label") verordnet wurden.
Vor allem Kindern zwischen 0 und 2 Jahren werden Medikamente außerhalb des zugelassenen
Indikationsbereichs oder entgegen der Zulassung verordnet (Bild: Archiv).
Häufiger "off-label use" bei Antiasthmatika...
Häufiger "off-label use" bei Antiasthmatika...
Am häufigsten wurden Abweichungen hinsichtlich Alter des Kindes, Dosierung und Zubereitung
des Medikamentes beobachtet. Eine Anwendung trotz fehlender Zulassung war bei Medikamenten
zur nasalen Anwendung (im wesentlichen Sympathomimetika, Kortikosteroide und Antiallergika)
und bei systemischen Antihistaminika am häufigsten. Der Grund hierfür war meist eine
kindgerechte Änderung der Zubereitung durch die Apotheke. Ein "Off-label use" erfolgte
häufig bei Antiasthmatika und Medikamenten gegen Husten und Erkältungen. Abweichungen
von der Zulassung wurden hier meist hinsichtlich Dosis, Indikation und Alter oder
Gewicht des Kindes beobachtet.
... und bei Kindern bis 2 Jahren
... und bei Kindern bis 2 Jahren
Die Anzahl von Verordnungen außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs oder entgegen
der Zulassung war in der Altersgruppe 0 bis 2 Jahre am höchsten. Nach Ansicht der
Autoren bedeuten die Ergebnisse der Studie jedoch nicht, dass ein hoher Prozentsatz
der Kinder mit respiratorischen Erkrankungen falsch behandelt wird. Vielmehr besteht
ein Mangel an Medikamenten, die für die Anwendung bei Kindern zugelassen sind und
in geeigneten Dosierungen zur Verfügung stehen. Insbesondere bei kleinen Kindern besteht
das Problem einer exakten Dosierung, das vor allem bei inhalativen Antiasthmatika
deutlich wird: Um weder unter- noch überzudosieren, sind hier ein erheblicher technischer
Aufwand und eine sorgfältige Schulung der Eltern erforderlich. Ein möglicher Grund
für die Diskrepanz zwischen Zulassung und praktischer Anwendung kann bei manchen Medikamenten
auch in den Empfehlungen der Fachgesellschaften liegen, die im Einzelfall von der
Zulassung abweichen können.
Um die pharmazeutische Industrie zu motivieren, mehr Medikamente für pädiatrische
Indikationen zuzulassen, hatte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA)
die Idee, finanzielle Anreize zu schaffen. So wurde eine Verlängerung des Patentschutzes
um 6 zusätzliche Monate zugesichert, wenn die Zulassung sich auch auf die Anwendung
bei Kindern bezog. Resultat: Statt wichtige respiratorische Medikamente wie Sympathomimetika
oder Kortikosteroide für die Anwendung bei Kindern zuzulassen, stellten die Firmen
Anträge für kardiovaskuläre Medikamente und andere Präparate, die häufig bei Erwachsenen,
bei Kindern aber so gut wie nie zum Einsatz kommen - und bei denen ein um 6 Monate
verlängerter Patentschutz äußerst lukrativ ist.
Wenn Kinder mit Medikamenten behandelt werden, die nicht für sie zugelassen sind,
bedeutet dies meist keinen Kunstfehler. Es zeigt, wie klein die Auswahl an passenden
Medikamenten ist. Um die Behandlungssicherheit zu erhöhen, sollte gerade bei Präparaten,
die schon länger auf dem Markt sind, die Anwendung bei Kindern systematisch untersucht
werden.
Wenn Kinder mit Medikamenten behandelt werden, die nicht für sie zugelassen sind,
bedeutet dies meist keinen Kunstfehler. Es zeigt, wie klein die Auswahl an passenden
Medikamenten ist. Um die Behandlungssicherheit zu erhöhen, sollte gerade bei Präparaten,
die schon länger auf dem Markt sind, die Anwendung bei Kindern systematisch untersucht
werden.
Martin Priwitzer, Stuttgart